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Eine Verringerung der Arbeitszeit darf nicht zum Wegfall bestehender Urlaubstage führen

BAG, Az.: 9 AZR 53/14 (F), Urteil vom 10.2.2015

Leitsätze

Die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010, derzufolge sich der Urlaubsanspruch bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche entsprechend erhöht oder vermindert, ist wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG gemäß § 134 BGB unwirksam, soweit sie die Anzahl der während einer Vollzeitbeschäftigung erworbenen Urlaubstage mindert.

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. Oktober 2012 – 13 Sa 590/12 – aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Februar 2012 – 8 Ca 5832/11 – wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu 1/3 zu tragen, die Beklagte zu 2/3.

Tatbestand

Eine Verringerung der Arbeitszeit darf nicht zum Wegfall bestehender Urlaubstage führenDie Parteien streiten über die Anzahl der Urlaubstage, die dem Kläger aus dem Jahr 2010 zustehen.

Der am 16. Juli 1956 geborene Kläger ist seit dem 1. Juni 2004 bei der Beklagten im Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik (ZIVIT) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet aufgrund vertraglicher Bezugnahme der TVöD Anwendung. Bis zum 15. Juli 2010 war der Kläger gegen ein Bruttomonatsentgelt von ca. 3.200,00 Euro vollzeitbeschäftigt. Seine Arbeitszeit war auf fünf Tage in der Kalenderwoche verteilt. Aufgrund eines Änderungsvertrags wechselte der Kläger ab dem 16. Juli 2010 in eine Teilzeitbeschäftigung mit 82,05 % der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten und arbeitete nur noch an vier Tagen in der Woche. Zum Urlaubsanspruch war im TVöD in der im Jahre 2010 geltenden Fassung (TVöD 2010) ua. Folgendes geregelt:

„§ 26  Erholungsurlaub

(1)

Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr

nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage.

Maßgebend für die Berechnung der Urlaubsdauer ist das Lebensjahr, das im Laufe des Kalenderjahres vollendet wird. Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden.

(2)

Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben:

b)

Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, erhält die/der Beschäftigte als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs nach Absatz 1; § 5 BUrlG bleibt unberührt. …“

Der Kläger hatte während seiner Vollzeitbeschäftigung im Jahr 2010 keinen Urlaub. Auf seinen Antrag hin gewährte ihm die Beklagte nach dem Wechsel in die Teilzeittätigkeit im Jahr 2010 24 Tage Urlaub.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe aufgrund seiner Vollzeitbeschäftigung bis zum 15. Juli 2010 für die erste Hälfte des Jahres 2010 Anspruch auf 15 Urlaubstage. Für das zweite Halbjahr 2010 stünden ihm wegen seiner Teilzeitbeschäftigung 12 Urlaubstage zu, sodass die Beklagte ihm nicht nur 24, sondern 27 Urlaubstage hätte gewähren müssen. Es habe ihm nicht oblegen, seinen Urlaub teilweise vor dem Wechsel in die Teilzeitbeschäftigung zu nehmen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt festzustellen, dass ihm aus dem Kalenderjahr 2010 noch ein Ersatzurlaubsanspruch im Umfang von drei Arbeitstagen zusteht.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, auch unter Berücksichtigung des Wechsels von der Vollzeit- in die Teilzeittätigkeit stünden dem Kläger für das Jahr 2010 nur die ihm gewährten 24 Urlaubstage zu. Die Anzahl der Urlaubswochen habe sich durch die Umrechnung nicht verändert. Im Übrigen sei es dem Kläger möglich gewesen, den Urlaub vor dem Wechsel in die Teilzeitbeschäftigung zu nehmen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger nach teilweiser Klagerücknahme die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils bezüglich der ihm zuerkannten Ersatzurlaubstage.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte war trotz der Verteilung der Arbeitszeit des Klägers ab dem 16. Juli 2010 auf nur noch vier Tage in der Kalenderwoche verpflichtet, dem Kläger für das Jahr 2010 die von ihm beanspruchten 27 Urlaubstage zu gewähren.

I. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Das besondere Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO liegt vor. Die Beklagte bestreitet den Anspruch des Klägers auf drei Ersatzurlaubstage. Der Kläger war nicht gehalten, vorrangig eine Leistungsklage auf Urlaubsgewährung zu erheben (vgl. BAG 12. April 2011 – 9 AZR 80/10 – Rn. 11 f., BAGE 137, 328).

II. Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht aus dem Kalenderjahr 2010 ein Ersatzurlaubsanspruch im Umfang von drei Tagen zu.

1. Der Urlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahr 2010 erlosch spätestens am 31. Dezember 2011. Grundsätzlich geht der Urlaubsanspruch nach § 26 Abs. 2 TVöD 2010 iVm. § 7 Abs. 3 BUrlG zwar am Ende des Kalenderjahres unter. Nach den vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Arbeitsgerichts konnte der Kläger aufgrund einer bei der Beklagten bestehenden Regelung den Urlaub jedoch bis zum Ende des Folgejahres in Anspruch nehmen. Für eine darüber hinausgehende Übertragung des Urlaubs fehlt eine Rechtsgrundlage.

2. Dem Kläger steht aber gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB ein Schadensersatzanspruch in Form von drei Urlaubstagen zu. Die Beklagte befand sich im Zeitpunkt des Untergangs des Urlaubsanspruchs mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug. Hat der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch um (st. Rspr., vgl. BAG 3. Juni 2014 – 9 AZR 944/12 – Rn. 10 mwN). Der Kläger hat die Erfüllung seines Urlaubsanspruchs spätestens mit seiner Klage vom 6. September 2011 und damit vor dem Untergang des Anspruchs geltend gemacht. Die Beklagte war nicht berechtigt, den Urlaubsanspruch für das Jahr 2010 gemäß § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 auf 24 Urlaubstage zu kürzen. Die Tarifnorm ist gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG iVm. § 134 BGB unwirksam, soweit sie die Anzahl der während einer Vollzeitbeschäftigung erworbenen Urlaubstage mindert.

a) Streitgegenstand ist allein tariflicher Mehrurlaub gemäß § 26 TVöD 2010. Der Kläger hat nach der Änderung seiner Arbeitszeit unstreitig im Jahr 2010 noch 24 Urlaubstage gewährt erhalten und genommen. Der gesetzliche, durch Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) gewährleistete Urlaubsanspruch gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG im Umfang von 20 Arbeitstagen wurde damit vollständig erfüllt. Einer entsprechenden Tilgungsbestimmung bedurfte es nicht (vgl. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 760/10 – Rn. 11, BAGE 143, 1). Auf die Vereinbarkeit der Bestimmung in § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 mit § 13 Abs. 1 BUrlG, Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union kam es mithin im vorliegenden Fall nicht an.

b) Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche entsprechend. Diese Regelung bezieht sich auch auf solche Urlaubsansprüche, die bei einer Änderung der Verteilung der Arbeitszeit auf mehr oder weniger Tage im Verlauf eines Kalenderjahres bereits entstanden waren (vgl. Nachtwey in Sponer/Steinherr TVöD Stand Januar 2015 § 26 Rn. 167 ff.; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand Januar 2015 § 26 Rn. 318; vgl. zu § 48 Abs. 4 Unterabs. 4 BAT-KF BAG 28. April 1998 – 9 AZR 314/97 – zu I 2 der Gründe, BAGE 88, 315). Es fehlt im Wortlaut des Tarifvertrags eine Beschränkung auf solche Urlaubsansprüche, die erst nach der veränderten Verteilung der Arbeitszeit neu entstehen.

c) Die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 ist wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften (§ 4 Abs. 1 TzBfG) gemäß § 134 BGB unwirksam, soweit sie die Anzahl der während einer Vollzeittätigkeit erworbenen Urlaubstage mindert. Eine richtlinienkonforme Auslegung der Tarifnorm ist nicht möglich (vgl. zum Streit über die unionsrechtskonforme Auslegung von Tarifverträgen Wißmann FS Bepler 2012 S. 649, 655 ff. mit zahlr. Nachw.). Ein etwaiger Wille der Tarifvertragsparteien, die Kürzung solle nur dann eingreifen, wenn der Beschäftigte während seiner Vollzeitbeschäftigung die Möglichkeit hatte, seinen Erholungsurlaub ganz oder teilweise in Anspruch zu nehmen, hat jedenfalls im Wortlaut der Vorschrift keinen Niederschlag gefunden.

aa) Nach § 4 Abs. 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung – wie zB Erholungsurlaub (vgl. ErfK/Preis 15. Aufl. § 4 TzBfG Rn. 8) – mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Auch tarifliche Regelungen müssen mit § 4 TzBfG vereinbar sein. Die in dieser Vorschrift geregelten Diskriminierungsverbote stehen gemäß § 22 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien (BAG 21. Februar 2013 – 6 AZR 524/11 – Rn. 23, BAGE 144, 263).

bb) Eine Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit liegt vor, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft (BAG 24. September 2008 – 6 AZR 657/07 – Rn. 25, BAGE 128, 63; 24. September 2003 – 10 AZR 675/02 – zu II 2 b der Gründe mwN, BAGE 108, 17; ErfK/Preis § 4 TzBfG Rn. 25; Sievers TK-TzBfG 4. Aufl. § 4 Rn. 16). § 4 TzBfG schützt dabei vor einer unmittelbaren Benachteiligung ebenso wie vor einer mittelbaren (vgl. Thüsing ZfA 2002, 249, 259 f. mwN). Die unterschiedliche Behandlung einer Gruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer gegenüber den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern entfällt nicht dadurch, dass der Arbeitgeber eine andere Gruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nicht benachteiligt (BAG 5. August 2009 – 10 AZR 634/08 – Rn. 23 mwN).

(1) § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 knüpft nicht unmittelbar an die Dauer der Arbeitszeit an. Anknüpfungspunkt ist vielmehr die Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Anzahl der Wochenarbeitstage verringern kann, ohne dass damit zwingend eine Verringerung der Wochenarbeitszeit verbunden sein muss. Ebenso kommt es nach der Tarifnorm zu keiner Kürzung des Urlaubsanspruchs, wenn die wöchentlich zu erbringende Arbeitszeit zwar reduziert wird, die verminderte Arbeitszeit aber weiterhin an fünf Tagen in der Woche erbracht wird.

(2) Vor diesem Hintergrund hat der Senat bisher angenommen, die Urlaubstage seien grundsätzlich umzurechnen, wenn sich die Anzahl der mit Arbeitspflicht belegten Tage verringere, und hat eine Diskriminierung von Teilzeitkräften verneint (vgl. BAG 28. April 1998 – 9 AZR 314/97 – zu I 6 der Gründe, BAGE 88, 315; zust. Vetter Anm. AP BUrlG § 3 Nr. 7; ebenso Schubert NZA 2013, 1105, 1108 f.; aA – ohne nähere Begründung – Vorlagebeschluss des ArbG Nienburg 4. September 2012 – 2 Ca 257/12 Ö – zu 6 a der Gründe: „Da die Kürzung die unmittelbare Folge des Wechsels in die Teilzeitarbeit ist“; ähnlich Stiebert/Imani NZA 2013, 1338, 1339: „Sie [die nachträgliche Kürzung des Urlaubs] knüpft ausschließlich an die Teilzeitbeschäftigung an und ist damit eine Ungleichbehandlung gegenüber den Vollbeschäftigten“). An dieser Rechtsprechung kann aufgrund der Entscheidungen des EuGH vom 13. Juni 2013 (- C-415/12 – [Brandes]) und vom 22. April 2010 (- C-486/08 – [Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols] Slg. 2010, I-3527) nicht festgehalten werden.

(a) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Gerichte bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auslegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (EuGH 24. Januar 2012 – C-282/10 – [Dominguez] Rn. 24 mwN). Mit der Regelung des § 4 Abs. 1 TzBfG hat der deutsche Gesetzgeber § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung in nationales Recht umgesetzt.

(b) Der EuGH hat entschieden, dass § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergeht, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann (EuGH 22. April 2010 – C-486/08 – [Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols] Rn. 35, Slg. 2010, I-3527). Diesen Rechtssatz hat der EuGH in Bezug auf eine nationale Bestimmung aufgestellt, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs an das neue Beschäftigungsausmaß aliquot anzupassen war. Der Gerichtshof hat den Rechtssatz in der Brandes-Entscheidung sodann auch zur Anwendung gebracht, wenn – wie im vorliegenden Fall – mit der Reduktion der Arbeitszeit eine Änderung der Verteilung der Arbeitszeit auf weniger Wochentage einhergeht (EuGH 13. Juni 2013 – C-415/12 – [Brandes] Rn. 36). Gegenstand des Ausgangsverfahrens war eine dem § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 wortgleiche Regelung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 4 vom 2. Januar 2012.

(c) Eine Umrechnung des bis zum 15. Juli 2010 entstandenen Urlaubsanspruchs des Klägers gemäß § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 ist nicht etwa deshalb zulässig, weil dem Kläger aufgrund der gekürzten Urlaubstage ein Abgeltungsanspruch zusteht. Diesem in der Literatur vertretenen Ansatz (vgl. Schubert NZA 2013, 1105, 1109) steht entgegen, dass ein Urlaubsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegolten werden darf. Auch die Arbeitszeitrichtlinie schreibt in Art. 7 Abs. 2 vor, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde durch den Änderungsvertrag nicht beendet. Die Parteien vereinbarten nur die Änderung einzelner Arbeitsbedingungen.

(d) Der Senat hat angesichts der möglichen widersinnigen Folgen des Quotierungsverbots bei einer erheblichen Verringerung der Anzahl der Wochenarbeitstage eine erneute Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV erwogen. Wechselt ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin zB unmittelbar nach einer Elternzeit von einer Fünftagewoche in eine Zweitagewoche und verfügt noch über 30 Tage Resturlaub, fehlt dieser Arbeitnehmer oder diese Arbeitnehmerin dem Betrieb wegen Resturlaubs 15 Wochen. Ob dies notwendig ist, um dem Erholungsgedanken des Urlaubs Rechnung zu tragen, wird zu Recht bezweifelt (Günther ArbR 2013, 326; Eckstein BB 2012, 3083, 3084). Allerdings hat der EuGH im Brandes-Beschluss deutlich darauf hingewiesen, dass seine Ausführungen zum Quotierungsverbot in der Tirol-Entscheidung auch für das deutsche Urlaubsrecht zutreffen. Das Argument, der erworbene Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub werde bei einer entsprechenden verhältnismäßigen Kürzung nicht vermindert, weil er – in Urlaubswochen ausgedrückt – unverändert bleibe, hat der EuGH unter Hinweis auf das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter ausdrücklich verworfen (EuGH 13. Juni 2013 – C-415/12 – [Brandes] Rn. 40 f.). Die Auslegung von § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit ist in Bezug auf die Frage einer Diskriminierung von Teilzeitkräften wegen der Kürzung des Urlaubsanspruchs durch den EuGH damit geklärt (acte éclairé).

(e) Einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV zur Klärung der Frage, ob die Gewährung von Vertrauensschutz mit der unionsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts und die damit einhergehende Beschränkung der Wirkung der Tirol- und der Brandes-Entscheidung geboten sind, bedarf es nicht (zur Vorlagepflicht bei Gewährung von Vertrauensschutz im Anwendungsbereich von Unionsrecht vgl. BVerfG 10. Dezember 2014 – 2 BvR 1549/07 -). Die Beklagte kann sich nicht auf ein geschütztes Vertrauen in die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts berufen. Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Eine in der Rechtsprechung bislang vertretene Gesetzesauslegung aufzugeben, verstößt nicht als solches gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Die über den Einzelfall hinausreichende Geltung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Es bedarf nicht des Nachweises wesentlicher Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen, damit ein Gericht ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG von seiner früheren Rechtsprechung abweichen kann. Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält (BVerfG 15. Januar 2009 – 2 BvR 2044/07 – Rn. 85 mwN, BVerfGE 122, 248). Zur Vereinbarkeit des § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 mit § 4 Abs. 1 TzBfG lag schon keine gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor. Im Übrigen vereinbarten die Parteien die Verringerung der Arbeitszeit des Klägers nach der Bekanntgabe der Entscheidung des EuGH in der Rechtsache Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols am 22. April 2010 (- C-486/08 – Slg. 2010, I-3527). Es ist unerheblich, dass verschiedene Stimmen in der Literatur die Auffassung vertraten, diese Entscheidung sei für das deutsche Recht im Ergebnis ohne Auswirkung. Die bloße Erwartung, das Bundesarbeitsgericht werde eine Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne, etwa entsprechend im Schrifttum geäußerter Auffassungen, entscheiden, vermag einen Vertrauenstatbestand nicht zu begründen (vgl. BAG 13. März 2013 – 5 AZR 954/11 – Rn. 24, BAGE 144, 306).

(3) Eine Kürzung des bis zum 15. Juli 2010 entstandenen Urlaubsanspruchs des Klägers gemäß § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 war nicht deshalb zulässig, weil der Kläger während seiner Vollzeitbeschäftigung im Jahr 2010 keinen Urlaub beantragt und erhalten hatte.

(a) Allerdings hat der EuGH in der Entscheidung Brandes ausdrücklich angenommen, dass das unionsrechtliche Verbot der verhältnismäßigen Kürzung der Anzahl der Tage des bezahlten Jahresurlaubs nur dann gilt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch auszuüben (EuGH 13. Juni 2013 – C-415/12 – [Brandes] Rn. 32 unter Hinweis auf EuGH 22. April 2010 – C-486/08 – [Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols] Rn. 34, Slg. 2010, I-3527). Bei dieser Einschränkung stellte der EuGH nicht auf das Urlaubsjahr, sondern auf die Zeit der Vollzeitbeschäftigung ab (Latzel EuZA 2014, 80, 88; Schubert NZA 2013, 1105, 1110; Fieberg NZA 2010, 925, 930). Nähere Ausführungen des EuGH dazu, ob die Möglichkeit, den während einer Vollzeitbeschäftigung entstandenen Urlaub vor dem Wechsel in die Teilzeitbeschäftigung mit wöchentlich weniger Arbeitstagen zu nehmen, die von ihm angenommene Diskriminierung rechtfertigt oder bereits den Tatbestand der Diskriminierung ausschließt, fehlen. Allerdings wurde in der Rechtsprechung zum Diskriminierungsrecht bisher die Möglichkeit des Benachteiligten, die verbotene Diskriminierung zu verhindern, mit Recht grundsätzlich nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Eine Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter setzt kein Verschulden des Benachteiligenden voraus (vgl. BAG 15. Oktober 2003 – 4 AZR 606/02 – zu I 2 f der Gründe, BAGE 108, 123; vgl. zur Richtlinie 76/207/EWG auch: EuGH 22. April 1997 – C-180/95 – [Draehmpaehl] Rn. 17, Slg. 1997, I-2195; 8. November 1990 – C-177/88 – [Dekker] Rn. 22, Slg. 1990, I-3941). Damit fehlt der dogmatische Ansatzpunkt für die Berücksichtigung eines überwiegenden (Mit-)Verschuldens des Teilzeitbeschäftigten an seiner ungünstigeren Behandlung. Die Frage der Rechtfertigung oder des Ausschlusses einer Diskriminierung bedarf hier jedoch keiner Beantwortung.

(b) Die Regelungen in § 26 TVöD 2010 hindern die Annahme einer Obliegenheit des Beschäftigten, vor einem Wechsel in eine Teilzeitbeschäftigung mit wöchentlich weniger Arbeitstagen seinen Erholungsurlaub ganz oder teilweise in Anspruch zu nehmen.

(aa) § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 begründete seinem Wortlaut nach diese Obliegenheit nicht. Die Bestimmung sprach nur von der entsprechenden Erhöhung oder Verminderung des Urlaubsanspruchs. Daraus kann kein Wille der Tarifvertragsparteien abgeleitet werden, dass die Kürzung nur dann eingreifen sollte, wenn der Beschäftigte während seiner Vollzeitbeschäftigung die Möglichkeit hatte, seinen während dieser Vollzeitbeschäftigung erworbenen Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen.

(bb) Vielmehr schrieb § 26 Abs. 1 Satz 6 TVöD 2010 in unmittelbarem Anschluss an die Regelungen zur Kürzung des Urlaubsanspruchs bei einer Verteilung der Arbeitszeit auf weniger als fünf Tage in der Woche vor, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt werden muss und auch in Teilen genommen werden kann. Dies zeigt, dass alle Arbeitstage im Kalenderjahr als Urlaubstage in Betracht kommen. Danach war der Kläger nicht gehalten, seinen Urlaub vor dem Wechsel in die Teilzeittätigkeit bis zum 15. Juli 2010 in Anspruch zu nehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Urlaubsanspruch des § 26 Abs. 1 TVöD nach vollendeter Wartezeit jeweils vollständig am 1. Januar des Kalenderjahres entsteht (BeckOK TVöD/Winter Stand 1. Dezember 2004 TVöD-AT § 26 Rn. 5). Bei einem Wechsel von einer Vollzeit- in eine Teilzeitbeschäftigung ist eine Aufteilung des Urlaubsanspruchs in einen Anspruch, der vor der Teilzeit entstanden ist, und einen weiteren Anspruch, der für die Zeit der Teilzeit entstanden ist, im Tarifvertrag nicht angelegt. Der Beschäftigte müsste daher seinen gesamten Jahresurlaub vor dem Wechsel in die Teilzeit in Anspruch nehmen, um eine Kürzung zu vermeiden.

(cc) Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 TVöD 2010 iVm. § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG sind bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs grundsätzlich die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Beantragt ein Arbeitnehmer für einen bestimmten Zeitraum keinen Urlaub, ist davon auszugehen, dass er in diesem Zeitraum keinen Urlaub in Anspruch nehmen will. Das Argument, dass die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nur dann zu berücksichtigen sind, wenn ihrer Berücksichtigung nicht dringende betriebliche Belange entgegenstehen, trägt nicht. Der Einwand eines Arbeitgebers, dringende betriebliche Belange stünden den Urlaubswünschen des Arbeitnehmers entgegen, kann nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift nur bewirken, dass die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers nicht erfüllt werden müssen. Eine Obliegenheit oder Verpflichtung des Arbeitnehmers, Urlaub trotz anderer Urlaubswünsche in Anspruch zu nehmen, begründet dieser Einwand nicht.

(dd) Da es dem Arbeitnehmer nach § 26 TVöD 2010 nicht oblag, vor einem Wechsel in eine Teilzeitbeschäftigung mit wöchentlich weniger Arbeitstagen einen Teil seines Urlaubs in Anspruch zu nehmen, kann dahingestellt bleiben, ob teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gegenüber vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern benachteiligt würden, wenn sie gehalten wären, trotz entgegenstehender eigener Urlaubswünsche noch während der Vollzeitbeschäftigung Urlaub zu beantragen und in Anspruch zu nehmen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

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