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Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung – Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung

ArbG Köln, Az.: 12 Ca 1907/14, Urteil vom 02.12.2014

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.02.2014 aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.05.2014 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Kreditanalyst weiterzubeschäftigen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/8 und die Beklagte zu 7/8.

5. Urteilsstreitwert: 40.461,82 Euro.

6. Kostenstreitwert: 46.242,08 Euro.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, arbeitgeberseitigen Beendigungskündigung.

Der am … … … ..geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger wurde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten zum 1.7.1998 eingestellt und war zuletzt in der Geschäftsstelle … … . als Senior-Kreditanalyst Servicecenter zu einem Bruttomonatsverdienst in Höhe von zuletzt 5.780,26 beschäftigt. Basis ist u.a. der letzte Arbeitsvertrag vom 10.1.2008 (Bl. 12 ff.). Der Kläger weist einen Grad der Behinderung von 30 auf und wurde gem. Antrag vom 25.9.2013 – von dem die Beklagte am 11.3.2014 Kenntnis erhielt – mit Wirkung vom 25.9.2013 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung - Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung
Symbolfoto: Pixabay

Für die Betriebsstätte … … … war ein eigener Betriebsrat gewählt. Hier gab es fünf Teams, jeweils mit einer Teamleitung und drei bis acht Mitarbeitern.

Am 28.01.2013 schlossen die Beklagte und deren Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich „über die Abwicklung der … … … ..“, der u.a. in § 7 Abs. 1 Unterabs. 1 die Schließung des Standorts … … . mit den vor Ort angesiedelten Einheiten … .., … .. … ..-Inland und … .. zum 31.12.2013 vorsieht. § 7 Abs. 1 Unterabs. 2 des Interessenausgleichs lautet wie folgt:

Jeder in diesen Einheiten tätige Mitarbeiter erhält, sofern sein Arbeitsverhältnis nicht bereits vorher einvernehmlich oder durch Eigenkündigung beendet worden ist, spätestens 4 Monate nach Abschluss dieses Interessenausgleichs ein materiell dem zur Umsetzung in diesem Interessenausgleich geregelten Maßnahme abgeschlossenen Sozialplan entsprechendes Angebot zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Aufhebungsvertrag oder, bei Vorliegen der Voraussetzungen, Altersregelung) zum Schließungszeitpunkt, das bis zum 30.11.2013 angenommen werden kann. Danach ist die Bank berechtigt, denjenigen Mitarbeitern, die ein solches Angebot nicht angenommen haben, frühestens ab dem 01.01.2014 betriebsbedingt zu kündigen. In diesem Fall werden keine Sprinterprämien gezahlt.“

Die Beklagte hörte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer Kündigung an Das Integrationsamt schaltete sie nicht ein. Der Betriebsrat widersprach der Kündi-gung am 11.2.2014 unter Hinweis auf eine fehlerhafte Sozialauswahl.

Mit Schreiben vom 25.2.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2014, nachdem die klagende Partei einen Antrag auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages bei Zahlung der Sprinterprämie nicht angenommen hat. Hiergegen wendet sich die klagende Partei mit der am 13.3.2014 bei Gericht eingegangenen Kündigungsschutzklage.

Mit weiterem Schreiben vom 26.5.2014 kündigte die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung vom 16.4.2014 sowie nach Zustimmung des Integrationsamtes vom 21.5.2014 erneut hilfsweise zum 31.12.2014

Die klagende Partei ist der Ansicht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Sie stellt die Schließung der … … … … Betriebsstätte zwar unstreitig, ist aber der Ansicht, die Sozialauswahl sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. In die Sozialauswahl hätten vergleichbare und ihr gegenüber sozial weniger schutzwürdigere Mitarbeiter der Zentrale in … … … sowie der Niederlassungen in … … … … … , … … … .., … … … , … … … .., … … .., … … … … sowie internationale Großkunden einbezogen werden müssen, da in der Niederlassung in … … . keine personelle Leitungsmacht installiert gewesen sei und sie deshalb – ebenso wie die weiteren Niederlassungen – als Betriebsteil im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes zur Zentrale in … … .gehöre. Das gesamte Loan Management sei übergreifend an verschiedenen Standorten, nämlich in … .., … .. und … .., wahrgenommen worden. Die Hierarchieebene sei für die LMC-Teams derart aufgebaut gewesen, dass es vor Ort lediglich einen Teamleiter gegeben habe, dem ein Abteilungsleiter und diesem ein Bereichsleiter vorgesetzt gewesen seien. Sowohl der Abteilungsleiter (Führungsebene F 2) als auch der Bereichsleiter (Führungsebene F 1) seien in der Zentrale der Beklagten in … … ..ansässig gewesen. Von dort aus seien sämtliche Entscheidungen teamübergreifend und für beide Betriebsstätten getroffen und sodann die Arbeitsanweisungen an die Teams in … .. weitergeleitet worden. In … .. habe es keine organisatorische betriebliche Leitung gegeben, die die Kompetenz gehabt habe, eigene Entscheidungen bezüglich der Ausübung der Tätigkeiten zu treffen. Die dortige Teamleiterebene (Führungsebene F 3) sei ohne eigene Entscheidungskompetenz in sozialen und personellen Angelegenheiten gewesen. Die Zusammenstellung der Teams sei durch die Ebene F 2 und F 3 erfolgt; die Teamleiter seien nur erste Ansprechpartner in administrativen Personalangelegenheiten gewesen. Bei der Niederlassung der Beklagten in … ..habe es sich lediglich um eine unselbständige Außenstelle der Beklagten gehandelt. Zudem bestreitet sie das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige.

Der Kläger beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.02.2014 aufgelöst wurde.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die hilfsweise, betriebsbedingte Änderungskündigung seitens der Beklagten vom 26.05.2014 aufgelöst wurde.

3. Hilfsweise für den Fall der Abweisung des Antrages zu 1) und 2) wird beantragt, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein endgültiges, qualifiziertes Zeugnis, das sich auf Führung und Leistung erstreckt, zu erteilen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen als Kreditanalyst weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet die ordnungsgemäße Verfahrensführung/Mitwirkung des Klägers hinsichtlich der Gleichstellung im Hinblick auf die lange Verfahrens-dauer. Sie ist der Auffassung, die Kündigung sei aus betriebsbedingten Gründen wegen Schließung ihrer Niederlassung in … .. zum 31.12.2013 sozial gerechtfertigt. Einer Sozialauswahl hätte es nicht bedurft, da die gesamte Niederlassung in … .. geschlossen worden sei, es sich hierbei um einen eigenständigen Betrieb gehandelt habe und alle Arbeitnehmer entlassen worden seien oder ein Aufhebungsangebot angenommen hätten. Der … .. Betrieb habe seit 2010 über ein eigenes Kundenportfolio verfügt, welches von den dort beschäftigten Mitarbeitern eigenverantwortlich bearbeitet worden sei; dies ist unstreitig. Die operative Verantwortung für die jeweiligen konkreten Engagements habe bei dem jeweiligen Mitarbeiter im Team, ggf. in Absprache mit seinem Teamleiter gelegen. Zwar seien die Kompetenzen im Rahmen einer bankweit gültigen Kompetenzordnung von … ..aus festgelegt worden sowie das Gehalt nach einheitlichen Kriterien, die materiellen Entscheidungen über Gehaltsveränderungen, Tantiemen etc. seien jedoch ausnahmslos unter Mitwirkung des direkten Vorgesetzten erfolgt. Auch die Beurteilungen seien jeweils vom Teamleiter unterzeichnet worden und erst im Anschluss an den nächsthöheren Vorgesetzten weitergeleitet. Durch den jeweils fachlichen Teamleiter seien mehrere Zeitarbeitskräfte eingestellt und entlassen worden bzw. Versetzungen oder Einstellungen wären, soweit sie angefallen wären, vom Teamleiter „abzuarbeiten“ gewesen. Zudem verweist die Beklagte auf das für … .. geltende Notfallhandbuch und die abweichenden Regelungen zur Parkplatznutzung, Jobticket, Essenzuschuss und zu arbeitsfreien Tagen.

Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger an anderen Standorten habe nicht bestanden. Der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete weder auf Grund der von der Beklagten mit Schreiben vom 25.02.2014 ausgesprochenen Kündigung zum 30.09.2014, noch auf Grund der Kündigung vom 26.05.2014 zum 31.12.2014, da diese Kündigungen unwirksam sind. Sie sind nicht sozial gerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG.

I. Dahinstehen kann, ob die Kündigung vom 25.02.2014 nach § 85 SGB X i. V. m. § 68 Abs. 1 und 3 SGB IX, § 2 Abs. 3 SGB IX und i. V. m. § 134 BGB nichtig ist, da der Kläger mit Bescheid vom 25.3.2014 rückwirkend zum 25.09.2013 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden ist. Die Beklagte wäre grds. verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Die Notwendigkeit der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung nach § 85 SGB IX ist nicht wegen § 90 Abs. 2a SGB IX entbehrlich. Hiernach genießen Menschen dann nicht den besonderen Kündigungsschutz, wenn entweder zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2a 1.Alt SGB IX – Nachweis der Eigenschaft als einem schwerbehinderten Menschen Gleichgestellter – lagen zwar am 25.2.2014 nicht vor, der Schutz besteht aber grds. gleichwohl, denn der Kläger hat den Antrag auf Gleichstellung rechtzeitig vor Zugang der Kündigung bei der Agentur für Arbeit gestellt. Die Vorschrift des § 90 Abs. 2a 2.Alt. SGB IX hat das Bundesarbeitsgericht dahingehend ausgelegt, dass der besondere Kündigungsschutz wegen § 90 Abs. 2a 2. Alt SGB IX aber nur dann zu Gunsten eines Arbeitnehmers Anwendung findet, wenn die Fristen – mindestens jedoch die 3-Wochen-Frist – bei Kündigungszugang verstrichen sind, eine Feststellung des Versorgungsamtes (bzw. der Agentur für Arbeit) nicht getroffen ist, diese fehlende Feststellung aber nicht auf einer fehlenden Mitwirkung des Antragstellers beruht (BAG, Urteil v. 01.03.2007 -2 AZR 217/06 -, juris).

Ob die lange Verfahrensdauer – Antragseingang 25.9.2013 und Bescheidung 25.3.2014 – der fehlenden Mitwirkung des Klägers geschuldet war, brauchte aber nicht aufklärt zu werden, da die Kündigung bereits aus den nachfolgend unter II. angeführten Gründen unwirksam ist.

II. Die Kündigungen vom 25.2.2014 und vom 26.5.2014 sind sozial ungerecht-fertigt.

1. Die allgemeinen Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes sind hier erfüllt: Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden (§ 1 Abs. 1 KSchG). Unstreitig beschäftigt die Beklagte auch regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Die Kündigungsschutzklage wurde innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben, § 4 Satz 1 KSchG. Die streitbefangene Kündigung war daher an den Wirksamkeitsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes zu messen.

2. Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eine ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

a) Zwar liegt ein betrieblicher Grund in der von der Beklagten zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 24.03.2014 beschlossenen und auch zum damaligen Zeitpunkt bereits erfolgte Stilllegung ihrer Niederlassung in … .. zum 31.12.2013. Die Stilllegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können (ständige Rechtsprechung, siehe etwa BAG, Urteil vom 16.02.2012 – 8 AZR 693/10, juris). Unter einer Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Mit der Stilllegung des gesamten Betriebes entfallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten. Es war insoweit unstreitig dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Beschluss gefasst hatte, ihre Niederlassung in … … dauerhaft stillzulegen, zumal diese Niederlassung seit dem 01.01.2014 tatsächlich stillgelegt war. Dass die Beklagte auch über den 31.12.2013 hinaus Arbeitnehmer in dieser Niederlassung beschäftigt hat oder immer noch beschäftigt, wird nicht behauptet. Anhaltspunkte dafür, dass die unternehmerische Entscheidung der Beklagten, ihren Betrieb in … … zum 31.12.2013 dauerhaft stillzulegen, „offensichtlich unsachlich, unvernünftig und willkürlich“ getroffen wurde, bestehen nicht. Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt ist und kein Rechtsmissbrauch vorliegt (BAG, Urteil vom 23.04.2008 – 2 AZR 1110/06, AP Nr. 177 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).

b) Die Kündigung ist auch nicht wegen der Möglichkeit der Weiterbeschäftigung der klagenden Partei zu anderweitigen – ggf. auch schlechteren – Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt. Kann der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden, sieht § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b) KSchG vor, dass die Kündigung in dem Fall sozial ungerechtfertigt ist. Die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung setzt voraus, dass ein freier (gleichwertiger) Arbeitsplatz oder ein freier Arbeitsplatz zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen vorhanden ist (siehe etwa BAG, Urteil vom 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, AP Nr. 196 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Der Arbeitgeber genügt hierzu zunächst seiner Darlegungslast, wenn er allgemein vorträgt, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei nicht möglich. Sodann hat der Arbeitnehmer näher darzulegen, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt (vgl. BAG, Urteil vom 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, AP Nr. 196 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Nachdem die Beklagte behauptet hat, an anderen Standorten habe keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestanden, hätte es der klagenden Partei oblegen, näher aufzuzeichnen, wie sie sich gleichwohl eine anderweitige Beschäftigung bei der Beklagten nach dem 31.12.2013 – ggf. auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen – auf einem insoweit erforderlichen freien Arbeitsplatz vorstellt. Daran fehlt es aber bislang.

c) Die Kündigung ist aber nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG wegen fehlerhafter Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt.

aa) Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 KSchG ist eine Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe darzulegen, die zu der getroffenen Sozialauswahl geführt haben, § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG. Der Arbeitnehmer hat nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erscheinen lassen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Kammer auch insoweit folgt, hat die Sozialauswahl – anders als die Pflicht zur Weiterbeschäftigung – nicht unternehmens-, sondern betriebsbezogen zu erfolgen, selbst wenn sich der Arbeitgeber ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten hat (siehe statt vieler BAG, Urteil vom 02.06.2005 – 2 AZR 158/04, AP Nr. 73 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl). Aus der Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl folgt weiter, dass sie nicht auf Betriebsteile oder Betriebsabteilungen beschränkt werden kann, insbesondere steht der Notwendigkeit einer betriebsbezogenen Sozialauswahl nicht schon die räumliche Entfernung einzelner Filialen eines Bezirks entgegen (BAG, Urteil vom 14.03.2014 – 8 AZR 153/12 -, juris).

Das Kündigungsschutzgesetz enthält keine eigenständige Definition des Betriebsbegriffs. Nach dem in der Rechtsprechung und in der Rechtslehre entwickelten Betriebsbegriff ist ein Betrieb die organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern durch Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen (siehe die Nachw. bei BAG, Urteil vom 15.03.2001 – 2 AZR 151/00, juris). Da mit und in einem Betrieb mehrere Zwecke verfolgt werden können, ist in erster Linie auf die Einheit der Organisation, nicht auf die Einheit der arbeitstechnischen Zweckbestimmung abzustellen. Erforderlich ist ein Leitungsapparat, um insbesondere in personellen und sozialen Angelegenheiten wesentliche Entscheidungen selbständig treffen zu können (BAG, Urteil vom 15.03.2001 – 2 AZR 151/00, juris). Von Betrieben zu unterscheiden sind Betriebsteile, die gegenüber dem Hauptbetrieb organisatorisch unselbständig sind und eine Teilfunktion von dessen arbeitstechnischem Zweck wahrnehmen. Betriebsteile zeichnen sich dadurch aus, dass sie über einen eigenen Arbeitnehmerstamm, eigene technische Hilfsmittel und eine durch die räumliche und funktionale Abgrenzung vom Hauptbetrieb bedingte relative Selbständigkeit verfügen. Andererseits fehlt ihnen aber ein eigenständiger Leitungsapparat (BAG, Urteil vom 15.03.2001 – 2 AZR 151/00, juris). Die einen Betrieb konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbständig ausgeübt wird. Entscheidend ist insoweit, wo schwerpunktmäßig über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden (BAG, Urteil vom 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, AP Nr. 48 zu § 23 KSchG 1969).

bb) Nach den o.a. Abgrenzungskriterien ging die Kammer davon aus, dass eine Sozialauswahl mit vergleichbaren, jedenfalls in der Zentrale der Beklagten in … .. beschäftigten Arbeitnehmern zu erfolgen hatte, da es sich bei der Niederlassung … .. um einen unselbständigen Betriebsteil der Zentrale … … und nicht um einen organisatorisch eigenständigen Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes gehandelt hat. … .. war zwar als Betriebsteil zu qualifizieren, da er neben der räumlichen Trennung u.a. auch durch das eigene Kundenportfolio organisatorisch abgrenzbar war. Der Einsatzort verfügte über einen eigenen Mitarbeiterstamm und die erforderlichen Arbeitsmittel. Allerdings war dieser Betriebsteil unselbständig, da es an einem eigenen Leitungsapparat fehlte, der in personellen und sozialen Angelegenheiten wesentliche Entscheidungen selbständig treffen konnte. Die Leitungsmacht in personellen Angelegenheiten hinsichtlich der in … … . beschäftigten Arbeitnehmer wurde vor allem nicht von den fünf Teamleitern – jeweils dann für die ihnen zugeordneten Mitarbeitern des Teams – wahrgenommen, sondern von der Zentrale der Beklagten in … .. aus ausgeübt. Sowohl die Abteilungsleitung als auch die Bereichsleitung war jeweils in der Zentrale der Beklagten in … … .. ansässig und sowohl teamübergreifend als auch ortsübergreifend zuständig. Konkrete Versetzungs-, Abmahnungs-, Einstellungs- oder Kündigungsmaßnahmen – jedenfalls von „Festpersonal“ waren nicht vorzunehmen. Inwieweit derartige personalpolitische Entscheidungen verbindlich von den jeweils fünf Teamleitern hätten umgesetzt werden können, blieb völlig unklar, da die Beklagte ohne Angaben konkreter Delegationsbefugnisse und Vollmachten pauschal behauptete, diese Maßnahmen wären ggf. von den Teamleitern „abzuarbeiten“ gewesen. Selbst wenn die gemäß bestrittenen Vortrag übertragenen Befugnisse bei personellen Angelegenheiten vorgelegen hätten, reichte dies noch nicht zur eine generellen Bejahung der erforderlichen Leitungsfunktionen aus, da unklar blieb, inwieweit hierfür konkrete Vorgaben aus … .. einzuhalten gewesen wären. Ebenso war nach dem Vortrag der Beklagten bei Gehaltsentscheidungen „nur“ eine Mitwirkung der Teamleiter vorgesehen. Für welche selbständige Entscheidungsbefugnis in personellen Angelegenheiten noch Raum gewesen wäre, war nicht ersichtlich. Gegen die Annahme einer eigenständigen Leitungsbefugnis sprach auch der Umstand, dass es in … .. keine den Teamleitern übergeordnete – einheitlich – handelnde Leitungsebene gab, sondern nach dem Vortrag der Beklagen die Teamleiter selber jeweils innerhalb ihres Teams mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet sein sollten, was bei unterschiedlichen Anordnungen ggf. teamübergreifender personeller und vor allem sozialer Angelegenheiten zu Schwierigkeiten im Ablauf geführt hätte, da es an einer übergeordneten entscheidenden Instanz oder an einem vorgesehenen Verfahren bei Uneinigkeit der fünf installierten Leitungsebenen gefehlt hätte. Die von der Beklagten angeführten Unterschiede in der Parkplatznutzung, den – kölschen – Feiertage und etwaigen Besonderheiten im Bereich Jobticket und Essenszuschuss sind regionalen Besonderheiten geschuldet und fallen demgegenüber nicht ins Gewicht.

Entgegen der Auffassung der 1. Kammer in ihrem Urteil vom 24.10.2014 – 1 Ca 2774/14 – wird die Eigenständigkeit der Niederlassung in … … nicht durch den Umstand indiziert, dass dort ein Betriebsrat vorhanden war. Die Wahl eines Betriebsrats ist von dem Betriebsbegriff und den Besonderheiten der §§ 1, 3 und 4 BetrVG abhängig. Hiernach kann insbesondere gem. § 4 BetrVG ein Betriebsrat für einen sogenannten qualifizierten Betriebsteil gewählt werden, wenn dieser iSd. § 4 Abs. 1 Nr. 1 räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist, damit ortsnahe Interessenvertretungen gebildet werden können (hierzu Fitting u.a., 27. Aufl., § 4 Rz. 14, insbesondere 17 ff.). Betriebsteile sind iSd. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG vom Hauptbetrieb räumlich weit entfernt, wenn wegen dieser Entfernung eine ordnungsgemäße Betreuung der Belegschaft des Betriebsteils durch einen beim Hauptbetrieb ansässigen Betriebsrat nicht mehr gewährleistet ist (BAG, Beschluss v. 24. Februar 1976 – 1 ABR 62/75 – AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 2; BAG, Beschluss v. 17. Februar 1983 – 6 ABR 64/81 – AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 4; BAG, Beschluss v. 14. Januar 2004 – 7 ABR 26/03 -,juris). Der Zweck der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG besteht darin, den Arbeitnehmern von Betriebsteilen eine effektive Vertretung durch einen eigenen Betriebsrat zu ermöglichen, wenn wegen der räumlichen Trennung des Hauptbetriebs von dem Betriebsteil die persönliche Kontaktaufnahme zwischen einem dortigen Betriebsrat und den Arbeitnehmern im Betriebsteil so erschwert ist, dass der Betriebsrat des Hauptbetriebs die Interessen der Arbeitnehmer nicht mit der nötigen Intensität und Sachkunde wahrnehmen kann und sich die Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen an den Betriebsrat wenden können oder Betriebsratsmitglieder, die in dem Betriebsteil beschäftigt sind, nicht kurzfristig zu Sitzungen im Hauptbetrieb gelangen können. Maßgeblich ist sowohl die leichte Erreichbarkeit des Betriebsrats aus Sicht der Arbeitnehmer wie auch umgekehrt die Erreichbarkeit der Arbeitnehmer für den Betriebsrat. Eine Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffs allein nach Entfernungskilometern kommt daher nicht in Betracht. Es ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller für die Erreichbarkeit des Hauptbetriebs in Betracht kommenden Umstände vorzunehmen (BAG, Beschluss v. 07. Mai 2008 – 7 ABR 15/07 -, juris). Die Entfernung zwischen … .. und … .. stellt mit knapp 200 km (und einer Anreisezeit gem. google von durchschnittlich 1 Std. 50 Minuten) dabei auch nach Auswertung der Rechtsprechung (zu den Rechtsprechungsbeispielen Fitting ua., 27. Aufl., § 4 Rz. 20) eine solche dar, die als weite Entfernung einzuordnen ist.

cc) Dass es in F. mit der klagenden Partei vergleichbare Arbeitnehmer gibt, ist unstreitig. Die notwendige Austauschbarkeit (BAG, Urteil vom 10.6.2010 – 2 AZR 420/09, NZA 2010, 1352) liegt vor, da der Arbeitsvertrag des Klägers vom 10.1.2008 eine Versetzungsklausel „innerhalb des Betriebs“ vorsieht und somit sein Einsatz nicht auf den Betriebsteil … .. beschränkt wurde. Da die Beklagte die gem. § 1 Abs. 3 KSchG erforderliche Sozialauswahl nicht vorgenommen hatte, sprach eine von der Beklagten nicht ausgeräumte Vermutung dafür, dass die Auswahl auch im Ergebnis sozialwidrig war (BAG, Urt. v. 03.04.2008 – 2 AZR 897/06 -, juris).

II. Der Antrag zu 2) ist begründet. Die Grundsätze für den allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag wurden durch den den Parteien bekannten Beschluss des Großen Senats vom 27.2.1985 (DB 1985, 2197) aufgestellt und finden auf den vorliegenden Fall entsprechende Anwendung. Nach einem klagezusprechenden Antrag auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses besteht ein grundsätzliches Interesse der klagenden Partei an Weiterbeschäftigung in der Funktion als Kreditanalyst, dem der Beklagte auch nicht entgegengetreten ist.

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO i.V. mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG.

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