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Abfindungsanspruch – Aufhebungsvertrag – fingierte Annahmeerklärung durch Schweigen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 10 Sa 182/11 – Urteil vom 22.09.2011

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 4. Februar 2011, Az.: 8 Ca 1608/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Abfindung.

Die Klägerin (geb. 12.12.1981) war vom 01.10.2007 bis zum 30.06.2010 zunächst bei der X-Bank und nach der Vereinigung der X-Banken zum Stichtag 01.01.2008 bei der Beklagten (D.) zu einem Bruttomonatsgehalt von € 3.882,00 angestellt. Sie schied aufgrund einer Eigenkündigung vom 27.03.2010 zum 30.06.2010 bei der Beklagten aus, um in ein neues Arbeitsverhältnis zu wechseln.

Am 04.02.2010 vereinbarte die Beklagte mit dem Gesamtpersonalrat (GPR) eine „Verfahrensregelung zum freiwilligen Ausscheiden von Beschäftigten“. In Ziffer 3 dieser Dienstvereinbarung ist der Abschluss von Aufhebungsverträgen gegen Zahlung einer Abfindung geregelt. Nach Ziffer 6 sind während der Laufzeit bis zum 30.09.2010 betriebsbedingte Beendigungskündigungen ausgeschlossen. Die Dienstvereinbarung hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

„Präambel

Die D. wird in ihrer Organisation auf Grund der von der EU geforderten Restrukturierung gravierende Veränderungen vornehmen, die mit einem erheblichen Arbeitsplatzabbau verbunden sein werden, den der GPR nicht verhindern kann.

Um die Zahl der Maßnahmen, die gegen den Willen der Beschäftigten erfolgen werden, möglichst gering zu halten, haben sich die D. und der GPR über eine Vorgehensweise zum freiwilligen Ausscheiden verständigt.

3. Aufhebungsvertrag

Beschäftigte können mit Zustimmung der D. einen Aufhebungsvertrag abschließen und gegen Abfindung ausscheiden.

3.7 Verfahren

Beschäftigte, die einen Aufhebungsvertrag abschließen wollen, stellen beim Personalbereich einen schriftlichen Antrag mit bereits erfolgter Stellungnahme des zuständigen Abteilungs- bzw. Bereichsleiters. Der zuständige ÖPR und der GPR bzw. bei Schwerbehinderten und Gleichgestellten zusätzlich die Schwerbehindertenvertretung werden hierüber unterrichtet.

Die Entscheidung über den Antrag erfolgt innerhalb von zwei Wochen und ist im Falle der Ablehnung schriftlich zu begründen. Der zuständige ÖPR und der GPR bzw. bei Schwerbehinderten und Gleichgestellten die Schwerbehindertenvertretung erhalten hiervon eine Durchschrift.

3.8 Sonstige Bestimmungen

Die Abfindung wird zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig, der Anspruch auf die Abfindung ist jedoch mit Abschluss des Aufhebungsvertrags entstanden und von da an vererblich.

4. Kommission

Es wird eine Kommission gebildet. Diese Kommission tritt im Falle der Ablehnung von Anträgen auf Abschluss eines Vorruhestandsvertrages bzw. eines Aufhebungsvertrages auf Antrag der Beschäftigten innerhalb von zwei Wochen zusammen. Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie besteht aus zwei Mitgliedern des zuständigen ÖPR und einem Vertreter des GPR, sowie drei Vertretern der D.. Die Kommission trifft ihre Entscheidungen bei Stimmenmehrheit abschließend.

6. Laufzeit

Diese Vereinbarung tritt am 01.02.2010 in Kraft und endet mit Inkrafttreten des Beschäftigungssicherungs- und Standortsicherungstarifvertrags, spätestens jedoch am 30.09.2010. Sie entfaltet keine Nachwirkung. Betriebsbedingte Beendigungskündigungen sind zunächst für die Laufzeit dieser Vereinbarung ausgeschlossen.“

Die Klägerin stellte am 08.03.2010 auf einem Formblatt einen Antrag auf Erstellung eines Angebots zum freiwilligen Ausscheiden zum 30.04.2010. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 29.03.2010 ab. Mit ihrer am 19.08.2010 beim Arbeitsgericht Mainz eingereichten Klage macht die Klägerin die Zahlung einer Abfindung in rechnerisch unstreitiger Höhe von € 29.478,00 brutto geltend.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 04.02.2011 (dort Seite 2-10 = Bl. 126-134 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie € 29.478,00 brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.02.2011 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne aus der Dienstvereinbarung vom 04.02.2010 keinen Anspruch auf eine Abfindung herleiten, weil kein Aufhebungsvertrag zu Stande gekommen sei. Die Beklagte habe den Antrag der Klägerin vom 08.03.2010 unstreitig mit Schreiben vom 29.03.2010 abgelehnt. Die Beklagte habe zwar die Bescheidungsfrist von zwei Wochen überschritten; die Fristüberschreitung führe jedoch nicht dazu, dass ein Aufhebungsvertrag als zu Stande gekommen gelte. Eine Zustimmungsfiktion sei der Dienstvereinbarung nicht zu entnehmen. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, mit der Klägerin einen Aufhebungsvertrag abzuschließen. Ein Anspruch der Klägerin folge nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, denn die Beklagte sei aufgrund des in der Dienstvereinbarung verankerten Freiwilligkeitsprinzips gerade in ihrer Entscheidung frei gewesen, ob und ggf. welche Angebote welcher Mitarbeiter auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags sie annimmt oder nicht. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet, der Klägerin eine Abfindung zu zahlen, weil sie deren Eigenkündigung veranlasst habe. In Ziffer 6 der Dienstvereinbarung seien betriebsbedingte Beendigungskündigungen bis zum 30.09.2010 ausdrücklich ausgeschlossen worden. Eine konkret bevorstehende Gefahr für das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe daher nicht bestanden. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 10 bis 16 des erstinstanzlichen Urteils vom 04.02.2011 (Bl. 134-140d.A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist der Klägerin am 21.02.2011 zugestellt worden. Sie hat mit am 21.03.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 20.05.2011 verlängerten Begründungsfrist am 20.05.2011 begründet.

Sie ist der Ansicht, dass ein Aufhebungsvertrag durch Zustimmungsfiktion zu Stande gekommen sei. Nach Ziffer 3.7 (2) der Verfahrensregelung habe die Beklagte die Ablehnung des Antrags innerhalb von zwei Wochen schriftlich zu begründen. Liege keine Begründung vor, liege auch keine Ablehnung vor. Bei nicht fristgerechter Äußerung könne und müsse die Beschäftigte berechtigterweise davon ausgehen, dass die Beklagte mit ihr einen Aufhebungsvertrag abschließe. Das Arbeitsgericht habe ihr zu Unrecht einen Abfindungsanspruch auch daraus verweigert, dass sie durch die Beklagte vorsätzlich zur Eigenkündigung veranlasst worden sei. Sie habe aufgrund von Aussagen des Vorstandes, der abgeschlossenen Dienstvereinbarung und den Aussagen ihres Vorgesetzten die Erkenntnis gewonnen, dass sie die Beklagte in Mainz nicht mehr vertragsgerecht weiterbeschäftigen könne und werde. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Klägerin vom 19.05.2011 (Bl. 157-166 d.A.) und vom 29.08.2011 (Bl. 217-219 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 04.02.2011, Az.: 8 Ca 1608/10, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie € 29.478,00 brutto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 20.07.2011 (Bl. 196-199 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Ergänzend wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Das Rechtsmittel ist nach § 64 ArbGG an sich statthaft. Die Berufung wurde gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und auch inhaltlich ausreichend begründet.

II.

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Abfindung. Das Arbeitsgericht hat ihre Zahlungsklage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

Im Berufungsverfahren sind keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte aufgetreten, die eine Abweichung von dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis rechtfertigen könnten. Die Berufungskammer nimmt daher gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG vollumfänglich Bezug auf die ausführliche und sorgfältige Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies ausdrücklich fest. Von der Darstellung eigener Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Die Angriffe der Berufung geben lediglich zu folgenden Ergänzungen Anlass:

1. Die Klägerin hat keinen Abfindungsanspruch aus der Dienstvereinbarung vom 04.02.2010. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Dienstvereinbarung zum freiwilligen Ausscheiden entsteht ein Abfindungsanspruch durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Zwischen den Parteien ist kein Aufhebungsvertrag zu Stande gekommen. Zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags bedarf es eines Antrags und einer Annahmeerklärung (§§ 145 ff BGB). Die Klägerin hat der Beklagten zwar am 08.03.2010 auf einem Formblatt ein schriftliches Vertragsangebot gemacht. Die Beklagte hat das Angebot jedoch nicht angenommen. Wegen § 623 i.V.m. § 126 Abs. 2 BGB muss eine Annahme schriftlich durch Unterzeichnung derselben Urkunde erfolgen. Zu einer Unterzeichnung durch die Beklagte ist es unstreitig nicht gekommen; die Beklagte hat das Angebot vielmehr ausdrücklich abgelehnt.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist keine Zustimmungsfiktion eingetreten, weil die Beklagte ihren Antrag nicht – wie in Ziffer 3.7 (2) der Dienstvereinbarung geregelt – innerhalb von zwei Wochen schriftlich abgelehnt hat. Ein Vertrag kommt durch ein Angebot und dessen Annahme zu Stande. Schweigen stellt, wie aus § 147 BGB hervorgeht, in der Regel keine Willenserklärung dar. Wer auf ein Angebot nicht bzw. nicht rechtzeitig reagiert, stimmt diesem nicht zu. Im Übrigen steht einer fingierten Annahmeerklärung durch Schweigen bzw. nicht rechtzeitiger Ablehnung des Angebots bereits das gesetzliche Schriftformerfordernis des §§ 623, 126 BGB entgegen. Zudem hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, dass es sich bei Ziffer 3.7. (2) der Dienstvereinbarung ersichtlich nur um eine Verfahrensregelung handelt, durch welche die Beklagte zu einer zügigen Bearbeitung der Anträge der Beschäftigten angehalten werden soll.

2. Die Beklagte war nicht verpflichtet, mit der Klägerin einen Aufhebungsvertrag abzuschließen. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Die Beklagte war nach dem Prinzip der Abschlussfreiheit in ihrer Entscheidung frei, mit welchen Beschäftigten sie im Rahmen der mit dem Gesamtpersonalrat abgeschlossenen Dienstvereinbarung zum freiwilligen Ausscheiden vom 04.02.2010 einen Aufhebungsvertrag abschloss. Sie war weder zur Annahme entsprechender Angebote verpflichtet noch hatte sie sich durch selbst gesetzte Regeln, etwa durch eine Gesamtzusage, in einer Art und Weise gebunden, die es ihr unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verbot, das Angebot der Klägerin auf Vertragsaufhebung gegen Abfindung nicht anzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der auch die Berufungskammer folgt, findet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz keine Anwendung, wenn ein Arbeitgeber mit Arbeitnehmern individuelle Vereinbarungen über die Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses trifft und Abfindungen zahlt, die dem Grunde und der Höhe nach – wie hier in der Dienstvereinbarung vom 04.02.2010 – geregelt sind (vgl. BAG Urteil vom 17.12.2009 – 6 AZR 242/09 – NZA 2010, 273).

3. Die Klägerin kann schließlich nicht mit dem Argument, die Beklagte habe ihre Eigenkündigung vom 27.03.2010 „veranlasst“, die Zahlung einer Abfindung beanspruchen. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. In Ziffer 6 der Dienstvereinbarung waren betriebsbedingte Kündigungen bis zum 30.09.2010 ausdrücklich ausgeschlossen. Die Klägerin musste daher bis zum 30.09.2010 nicht mit einer betriebsbedingten Kündigung rechnen. Eine konkret bevorstehende Gefahr für den Bestand des Arbeitsverhältnisses lag deshalb im Kündigungszeitpunkt nicht vor.

III.

Nach alledem ist die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

 

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