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Abmahnung wegen Äußerungen einer Gleichstellungsbeauftragten

ArbG Bonn – Az.: 4 Ca 1556/18 – Urteil vom 27.02.2019

1. Die Beklagte wird verurteilt, die der Klägerin am 17.05.2018 erteilten drei Abmahnungen und den jeweils damit verbundenen Schriftverkehr aus der Personalakte zu entfernen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Streitwert: 13.832,- EUR.

Tatbestand

Die Klägerin ist seit dem 01.10.2001 bei der Beklagten als wissenschaftliche Mitarbeiterin zu einem monatlichen Bruttogehalt von ca. 6.916,00 EUR beschäftigt. Seit Oktober 2007 ist sie gewählte Gleichstellungsbeauftragte und für diese Tätigkeit von der Arbeitsleistung freigestellt.

Am 14.11.2017 fand im Steuerkreis Gesundheit der Beklagten eine Diskussion zu Selbstbehauptungskursen statt und zwar darüber, ob diese Kurse ausschließlich für Frauen oder auch für Männer durchgeführt werden sollten. Die Klägerin plädierte für Frauenkurse und führte an, dass ihr auch im C. bislang Beschwerden über sexuelle Belästigungen ausschließlich von Frauen bekannt geworden wären. Mit Schreiben vom 13.12.2017 forderte die Beklagte die Klägerin im Hinblick auf ihre Äußerungen in der Sitzung des Steuerkreises Gesundheit zu Fällen sexueller Belästigung im C. auf, ihr umgehend die entsprechenden Tatsachen mitzuteilen (Blatt 83 d. A). Die Klägerin antwortete daraufhin mit Schreiben vom 05.02.2018 unter anderem Folgendes:

„Sehr geehrter Herr Professor C.,

Ihr Schreiben habe ich mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Sie stellen hierin Behauptungen zur angeblichen Äußerung meinerseits auf, ohne selber in der entsprechenden Sitzung dabei gewesen zu sein oder eine einfache Rückfrage hierzu gestellt zu haben.

Richtig  ist, dass ich als Gleichstellungsbeauftragte im Steuerkreis Gesundheit Selbstbehauptungskurse für Frauen vorgeschlagen habe. Frauen sind aufgrund der geschlechtsspezifischen Sozialisierung in dieser Gesellschaft häufiger in vielerlei Hinsicht benachteiligt. (Entgelt, Aufstieg etc.) und überdies in weitaus höherem Maße von sexueller Belästigung betroffen als Männer. Benachteiligung und Belästigung sind der Gesundheit abträglich. Selbstbehauptungskurse können ein präventiver Baustein von vielen zu mehr Geschlechtergerechtigkeit sein.

Hinsichtlich zum Schüren von Misstrauen und Verunsicherung unter Beschäftigten oder einer Diskreditierung von männlichen Beschäftigten oder der Verwaltung kann ich nur sagen, dass ich mit diesen Vorwürfen Ihrerseits gar nichts anfangen kann und mich auch entschieden dagegen verwahre.

Sowohl Ihnen und auch mir sind Beschwerden zu sexueller Belästigung im C. bekannt geworden, und zwar ausschließlich von Frauen – in der Vergangenheit habe ich mich deshalb im Rahmen meiner Amtsaufgaben mehrfach an Sie gewendet. Jedoch ist das Verfahren hierzu verbesserungsbedürftig, was ich ebenfalls beanstandet habe.“

Im  August 2017 legte eine türkischstämmige Auszubildende der Beklagten Dienstaufsichtsbeschwerde gegen zwei Mitarbeiter des Personalreferates ein, weil sie sich in einem Gespräch mit ihrem Ausbilder Herrn X. über ihren Ausbildungsbericht durch dessen Aussage, „sie sei nicht auf einem türkischen Bazar, so dass sie mit ihm herumfeilschen könne“ und „Sie können keinen Arbeitsvertrag auslegen, aber ihren Gebetsteppich auslegen gehen“ beleidigt und sich wegen ihrer Herkunft diskriminiert fühlte (Blatt 87 ff d. A.). Die Auszubildende hatte sich wegen des Vorfalls auch an die Klägerin gewandt. Mit Schreiben vom 04.10.2017 wies die Beklagte die Dienstaufsichtsbeschwerde als unbegründet zurück (Blatt 93 ff d. A.).

In der Personalversammlung der Beklagten vom 15.11.2017 zog die Klägerin eine Bilanz der zurückliegenden Monate ihrer Zusammenarbeit mit der Dienststellenleitung und ergänzte ihren Vortrag durch eine Power-Point-Präsentation. Dort war auf einer Folie mit der Überschrift „mangelnde Wertschätzung“ unter dem Stichwort „problematisch“ als ein Punkt angegeben: „Beschäftigte müssen bei Kritik Nachteile befürchten“ (Blatt 86 d. A.). Des Weiteren war auf der gleichen Folie unter der Überschrift „was könnte helfen“ als ein Punkt angegeben: „entschlossenes Entgegentreten Aller bei fremdenfeindlichen oder frauenfeindlichen Äußerungen“. In diesem Zusammenhang teilte die Klägerin mit, es gebe deutliche Anhaltspunkte für diskriminierendes Verhalten der Dienststelle. Sie erwähnte den Fall einer türkischstämmigen Mitarbeiterin, die einer fremden- und frauenfeindlichen Diskriminierung durch die Dienststelle ausgesetzt gewesen sei. Dabei zitierte die Klägerin ohne Namensnennung oder Zuordnung die eine oder andere Äußerung, die der Beschäftigten gegenüber gefallen sei und sagte, dass sie dies für keinen normalen Umgangston halte.

Mit drei Schreiben vom 17.05.2018 erteilte die Beklagte der Klägerin drei Abmahnungen. In der ersten Abmahnung wurde ihr im Hinblick auf die Erwähnung einzelner Fälle sexueller Belästigung in der Sitzung des Steuerkreises Gesundheit die Aufstellung einer unwahren Tatsachenbehauptung vorgeworfen (Blatt 7 d. A.). Mit dem zweiten Schreiben wird gerügt, dass die Klägerin auf Folie 6 der Power-Point-Präsentation während der Personalversammlung dargestellt habe, dass Beschäftigte bei Kritik Nachteile befürchten müssten, und dies wiederum eine unwahre Tatsachenbehauptung sei. In der dritten Abmahnung wird der Klägerin vorgeworfen, dass sie im Rahmen ihres Vortrags erwähnte habe, dass eine türkischstämmige Mitarbeiterin einer fremden- und frauenfeindlichen Diskriminierung durch die Dienststelle ausgesetzt gewesen sei, obwohl der Klägerin bekannt gewesen sei, dass eine fremdenfeindliche Diskriminierung nicht stattgefunden habe und die diesbezügliche Dienstaufsichtsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen worden sei. Damit habe sie wiederum eine unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt (Blatt 11 d. A.).

Mit ihrer am 03.08.2018 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Entfernung der drei Abmahnungen aus der Personalakte.

Hinsichtlich der ersten Abmahnung behauptet sie, dass sie in ihrer Funktion als Gleichstellungsbeauftragte immer wieder mit entsprechenden Beschwerden über sexuelle Belästigungen zu tun habe. Sie sei jedoch zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit die Betroffenen sie nicht ausdrücklich zu entsprechenden Gegenmaßnahmen und Aktionen aufforderten. Im Übrigen ist sie der Auffassung, dass sie ihre Äußerung in dem Steuerkreis Gesundheit in dem Schreiben vom 05.02.2018 nicht in Abrede gestellt habe.

Hinsichtlich der zweiten und dritten Abmahnung ist die Klägerin der Auffassung, dass ihre Äußerung, wonach Beschäftigte bei Kritik Nachteile befürchten müssten und eine fremden- und frauenfeindliche Diskriminierung durch die Dienststelle gegenüber der türkischstämmigen Mitarbeiterin stattgefunden habe, von ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sei, zudem ein Werturteil und nicht nur eine Tatsachenbehauptung enthalte und diese Äußerung daher nicht abmahnfähig sei.

Die Klägerin beantragt, das beklagte Institut zu verurteilen, die ihr gegenüber unter dem 17.05.2018 erteilten Abmahnungen (1. Vorwurf unwahrer Tatsachenbehauptung im Steuerkreis Gesundheit am 14.11.2017; 2. Vorwurf unwahrer Tatsachenbehauptung – Nachteile von Beschäftigten bei Kritik; 3. Vorwurf unwahrer Tatsachenbehauptung – Behauptung diskriminierendes Verhalten der Dienststelle) und dem jeweils damit verbundenen Schriftverkehr spurenlos aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der ersten Abmahnung ist die Beklagte der Auffassung, dass es bei der von der Klägerin getätigten Behauptung, ihr seien Einzelfälle sexueller Belästigung bekannt, um eine Tatsachenbehauptung handele, die nicht der Wahrheit entspreche. Der mangelnde Wahrheitsgehalt ihrer Aussage sei der Klägerin auch bewusst, da sie ihre Aussage mit Schreiben vom 05.02.2018 revidiert habe und dort plötzlich behauptet habe, lediglich Selbstbehauptungskurse für Frauen vorgeschlagen zu haben. Die Klägerin könne sich auch nicht auf ihre Verschwiegenheitspflicht als Gleichstellungsbeauftragte gemäß § 31 BGleiG berufen.

Hinsichtlich der mit der zweiten Abmahnung angegriffenen Äußerung der Klägerin, wonach Beschäftigte bei Kritik Nachteile befürchten müssten, handele es sich um eine bewusste unwahre Tatsachenbehauptung, die nicht von der Meinungsfreiheit gemäß Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz geschützt sei. Auf Grund der auf der Präsentationsfolie gewählten Formulierung hätten die Teilnehmer der Personalversammlung davon ausgehen müssen, dass es sich um eine Tatsache und nicht lediglich um eine subjektive Einschätzung seitens der Klägerin handele.

Auch hinsichtlich der mit der dritten Abmahnung angegriffenen Äußerung der fremden- und frauenfeindlichen Diskriminierung könne sich die Klägerin nicht auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung berufen, da dies ebenfalls eine unwahre Tatsachenbehauptung sei. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass die von der Betroffenen erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde nach eingehender Prüfung durch die Beklagte zurückgewiesen worden sei. Zudem habe sich die Beschwerdeführerin nicht auf eine frauenfeindliche Diskriminierung berufen.

Hinsichtlich des Sach- und Rechtstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte alle drei ihr am 17.05.2018 erteilten Abmahnungen mit samt des sich hierauf beziehenden Schriftverkehrs aus der Personalakte entfernt.

Ein Arbeitnehmer kann die Entfernung einer missbilligenden Äußerung des Arbeitgebers aus seiner Personalakte verlangen, wenn diese Äußerung unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtstellung und in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können. Dieser Anspruch folgt aus den §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB in entsprechender Anwendung. Er besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt (BAG, Urteil vom 20.01.2015, 9 AZR 860/13, Rn. 31, juris). Bei einem Betriebsratsmitglied kommt eine Abmahnung nur in Betracht, wenn es zumindest auch seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat. Wegen einer Verletzung von Amtspflichten kann ein Betriebsratsmitglied nicht abgemahnt werden (BAG, Urteil vom 31.08.1994, 7 AZR 893/93, Rn. 30, juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen sind die drei der Klägerin erteilten Abmahnungen unwirksam und aus der Personalakte zu entfernen.

I. In der ersten Abmahnung bezüglich der Erwähnung sexueller Belästigungen im Steuerkreis Gesundheit am 14.11.2017 hat die Beklagte zum einen die Behauptung aufgestellt, die Klägerin habe diese Äußerung in ihrem Schreiben vom 05.02.2018 fälschlicherweise in Abrede gestellt und zum anderen den Vorwurf erhoben, die Klägerin habe mit der Behauptung, dass es Einzelfälle sexueller Belästigung im C. gebe, eine unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt.

1. Den Vorwurf, die Klägerin habe in ihrem Schreiben vom 05.02.2018 in Abrede gestellt, in dem Steuerkreis von Einzelfällen sexueller Belästigung im C. gesprochen zu haben, erhebt die Beklagte zu Unrecht. Ein Leugnen dieses Sachverhalts lässt sich dem Schreiben nämlich nicht entnehmen. Soweit die Klägerin von „Behauptungen zur angeblichen Äußerung meinerseits“ spricht, muss dies im Zusammenhang mit dem folgenden Halbsatz gelesen werden „ohne selber in der entsprechenden Sitzung dabei gewesen zu sein“. Die Klägerin drückt in ihrem ersten Absatz damit ihre Verwunderung darüber aus, dass der Präsident des C. sie mit Äußerungen konfrontiert, die er nur vom Hörensagen kennt und nicht selber vernommen hat. Weitere Aussagen dazu, ob sie diese Behauptung im Steuerkreis Gesundheit aufgestellt hat, tätigt die Klägerin nicht. Allerdings wiederholt sie ihre Behauptung zu erhobenen Beschwerden wegen sexueller Belästigung im 5. Absatz des Schreibens vom 05.02.2018 ausdrücklich. Aus der Gesamtschau des Schreibens ergibt sich mithin, dass die Klägerin zu ihrer Behauptung, dass ihr Beschwerden zu sexueller Belästigung im C. bekannt geworden sind, steht, und zwar unabhängig davon, ob sie diese Behauptung im Steuerkreis Gesundheit aufgestellt hat oder nicht.

2. Des Weiteren mahnt die Beklagte ab, dass „diese unwahre Tatsachenbehauptung“ einen Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten darstelle. Bei dieser Formulierung ist bereits nicht ganz klar, welche Tatsachenbehauptung die Beklagte konkret meint. Sie könnte dies zum einen darauf beziehen, dass die Klägerin nach ihrer Auffassung in dem Schreiben vom 05.02.2018 fälschlicherweise in Abrede gestellt hat, die Äußerung zu den Fällen sexueller Belästigung in dem Steuerkreis Gesundheit getätigt zu haben. In diesem Falle wäre der Vorwurf zu Unrecht erhoben, weil die Klägerin, wie oben dargestellt, in ihrem Schreiben vom 05.02.2018 diese Äußerung gar nicht ausdrücklich in Abrede gestellt hat.

Zum anderen könnte sich die „unwahre Tatsachenbehauptung“ darauf beziehen, dass die Beklagte behaupten will, dass der Klägerin nie einzelne Fälle sexueller Belästigung bei der C. bekannt geworden sind. Diese Tatsache ist streitig, da die Klägerin entsprechende Beschwerden behauptet hat.

Die Arbeitgeberin ist für die Tatsachen, aus denen die abgemahnte Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers folgen soll, darlegungs- und beweispflichtig (vergl. LAG Köln, Urteil vom 17.01.2007, 7 Sa 526/06, Rn. 34 mit weiteren Nachweisen, juris). Dieser ihr obliegenden Darlegungs- und Beweislast ist die Beklagte nicht nachgekommen. Die Klägerin ist auch nicht verpflichtet, ihr Bestreiten dadurch zu substantiieren, dass sie die Beschäftigten und die näheren Umstände ihrer Beschwerden konkret angibt. Denn daran ist sie auf Grund ihrer Verschwiegenheitspflicht nach § 31 BGleiG gehindert. Gerade bei einer so vertraulichen und den innersten Kreis des Persönlichkeitsrechts betreffenden Angelegenheit wie eine sexuelle Belästigung muss der Beschäftigte, der sich deshalb an die Gleichstellungsbeauftragte wendet, sicher sein, dass über diesen Vorgang nur insoweit Informationen an den Arbeitgeber weitergegeben werden, wie er damit einverstanden ist. Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung zu dem die Verschwiegenheitspflicht vormals regelnden § 16 des Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern vom 21.07.1993. Danach muss bei persönlichen oder vertraulichen Angelegenheiten die Einwilligung der Betroffenen dafür vorliegen, dass die Frauenbeauftragte davon gegenüber der Dienststelle Gebrauch macht  (BT-Drucksache 12/5468, Seite 37). Der von der Beklagtenseite zitierten Auffassung von Roetteken (Bundesgleichstellungsgesetz 2015, § 31 Randnummer 19 ff.), der eine interne Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Arbeitgeber ablehnt, kann nicht gefolgt werden. Das Recht des Beschäftigten, über die Verwendung dieser höchstpersönlichen Daten selber zu entscheiden, ist höher zu bewerten als das Interesse des Arbeitgebers an der Aufklärung solcher Vorwürfe.

Auf Grund der Nichterweislichkeit des Vorwurfes, die Behauptung einzelner Fälle sexueller Belästigung bei der C. durch die Klägerin sei unwahr, ist die Abmahnung zu entfernen.

II. Der Klägerin kann auch nicht der mit der zweiten Abmahnung vom 17.05.2018 erhobene Vorwurf gemacht werden, sie habe mit der Behauptung von Nachteilen für Beschäftigte bei Kritik eine unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt.

Denn die Aussage, „Beschäftigte müssen bei Kritik Nachteile befürchten“, stellt keine Tatsachenbehauptung dar. Sie ist außerdem durch die in Art. 5 GG geschützte Meinungsfreiheit gedeckt.

1. Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst. Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (vgl. BAG, Urteil vom 18.12.2014, 2 AZR 265/14, Rn. 17, juris). Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich gegebenenfalls auch überspitzt oder polemisch äußern. Die Meinungsfreiheit muss nur dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist (vgl. BAG, Urteil vom 27.09.2012, 2 AZR 646/11, Rn. 22, juris).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der in der Abmahnung erhobene Vorwurf, die Klägerin habe eine unwahre Tatsachenbehauptung in ihrer Präsentation aufgestellt, nicht haltbar. Die Aussage, Beschäftigte müssen bei Kritik Nachteile befürchten, vermengt Tatsachen und Meinungen. Denn sowohl der Begriff „Kritik“ wie auch der Begriff „Nachteile“ beinhalten Wertungen, denen keine feststehenden Tatsachen zu Grunde liegen. Vielmehr obliegt es der Sicht des Betrachters, was als Kritik empfunden oder als Nachteil angesehen wird. Ein solches Werturteil ist auch keinem Beweis zugänglich, so wie es Tatsachenbehauptungen sind. Es handelt es sich bei der gerügten Aussage demnach jedenfalls auch um ein Werturteil. Die Klägerin hat damit nicht die Grenzen der Meinungsfreiheit im Hinblick auf eine grobe persönliche Beleidigung oder einer Schmähkritik überschritten, was im Übrigen auch in der Abmahnung nicht gerügt wird.

III. Aus den gleichen Gründen ist die Abmahnung bezüglich der Behauptung eines diskriminierenden Verhaltens der Dienststelle vom 17.05.2018 aus der Personalakte zu entfernen. Offensichtlich lag der Erwähnung dieses Punktes ein konkreter Vorfall zugrunde, den eine türkischstämmige Auszubildende zum Anlass genommen hatte, eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Beklagten mit dem Vorwurf der Beleidigung und fremdenfeindlichen Diskriminierung durch zwei Mitarbeiter des Personalreferates zu erheben. Die Begriffe der Fremdenfeindlichkeit und der Diskriminierung sind juristische Begriffe, die bei der Subsumtion Wertungen erfordern, insbesondere hinsichtlich der Frage nach der Kausalität zwischen der Benachteiligung und dem Diskriminierungsmerkmal (hier der ethnischen Herkunft). Offensichtlich hat sich die Klägerin die Wertung der türkischstämmigen Mitarbeiterin zu Eigen gemacht, die einen Zusammenhang zwischen ihrer ethnischen Herkunft und der Behandlung durch den Ausbilder sah. Die Klägerin war durch die Betroffene im Vorfeld der Dienstaufsichtsbeschwerde  in den Vorgang mit einbezogen worden und damit über deren Sichtweise informiert. Der Umstand, dass die Beklagte nach Prüfung der Dienstaufsichtsbeschwerde diese als unbegründet zurückgewiesen hat und damit eine andere juristische Bewertung vorgenommen hat, macht eine entgegengesetzte juristische Bewertung der Klägerin nicht zu einer unwahren Tatsachenbehauptung. Zu beachten ist hierbei, dass die der Beschwerde zugrundeliegenden, von der Auszubildenden behaupteten Äußerungen der Personalreferatsmitarbeiter streitig blieben, weil diese von den betreffenden Mitarbeitern jedenfalls in Teilen abgestritten wurden. Damit steht aber noch nicht fest, dass diese Äußerungen nicht dennoch so gefallen sind mit der Folge, dass die Klägerin die Sicht der Beschäftigten ihrer Bewertung zu Grunde legen darf.

Letztlich hat auch die Beklagte ausweislich ihres Eingangssatzes zur Abmahnung den Beitrag der Klägerin in der Personalversammlung als eine subjektive Bilanz der zurückliegenden Monate ihrer Zusammenarbeit mit der Dienststellenleitung begriffen. Insoweit war offensichtlich allen Beteiligten klar, dass die Klägerin in ihrer Präsentation die Dinge subjektiv schildert und durchaus die Möglichkeit besteht, dass ihr Arbeitgeber eine andere, gegebenenfalls entgegengesetzte Sicht hat. Dies ist bei Äußerungen von Arbeitnehmervertretern im Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber nicht unüblich. Jedem Zuhörer eines solchen Vortrages ist bewusst, dass ein Arbeitnehmervertreter, sei es ein Betriebsrats- oder Personalratsmitglied, ein Schwerbehindertenvertretungsmitglied oder eben auch die Gleichstellungsbeauftragte, seine Version und Beurteilung der Vorkommnisse in dem Betrieb oder der Dienststelle darstellt und insbesondere dann, wenn es um Kritik am Arbeitgeber geht, dieser im Zweifel eine völlig andere Meinung hierzu hat. Einer Gleichstellungsbeauftragten jedoch die Äußerung solcher Bewertungen zu untersagen, hieße, sie in ihrer Amtsführung einzuschränken.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.

C. Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO festgesetzt.

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