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Änderungsvereinbarung zu unentgeltlicher Mehrarbeit – AGB-Kontrolle

ArbG Stuttgart, Az.: 12 Ca 1986/11, Urteil vom 28.02.2012

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für den Zeitraum 01.03.2011 bis 31.05.2011 1440 Minuten gutzuschreiben.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Der Wert des Streitgegenstands wird auf EUR 392,84 festgesetzt.

4. Die Berufung wird von Seiten des erkennenden Arbeitsgerichts zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Arbeitszeitgutschrift für eine im Zeitraum 01.03.2011 bis zum 31.05.2011 erhöhte Sollarbeitszeit von 2 Stunden wöchentlich.

D. Kl. ist seit dem 00.00.1982 bei der Beklagten tätig und wird derzeit als UV-Anlagenbediener beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen der A.-Gruppe und damit Teil der A. (Namensursprung: A. B.), einem Konzern der Elektrotechnik mit Hauptsitz in W… Der Konzern ist ein weltweit agierender, führender Hersteller elektrischer Antriebssysteme für Industrie- und Geräteanwendungen. Der Konzern beschäftigt heute insgesamt etwa 4000 Mitarbeiter bei einem Umsatz von 307 Mio. € (2009). Die Beklagte widmet sich der Herstellung von Elektromotoren und weiteren Komponenten der elektrischen Antriebstechnik mit einer Betriebsstätte in W…

Änderungsvereinbarung zu unentgeltlicher Mehrarbeit - AGB-Kontrolle
Symbolfoto: monkeybusinessimages/Bigstock

Die Beklagte schloss mit der IG Metall am 01.04.2003 einen Anerkennungstarifvertrag, in dem für alle Mitglieder der IG Metall, die Beschäftigte bei der Beklagten sind, die Tarifverträge für Beschäftigte in der Metallindustrie des Tarifgebiets Nordwürttemberg/Nordbaden, abgeschlossen zwischen der IG Metall und Gesamtmetall e.V. oder Südwestmetall e.V. Anwendung finden.

D. Kl. ist langjährig bei der Beklagten mit einer wöchentlichen tariflichen Arbeitszeit von 35 Stunden bis zum 28.02.2011 beschäftigt worden. Im Rahmen eines Gleitzeitmodells wird für d. Kl. ein Arbeitszeitkonto geführt. Am 02.03.2011 ließ die Geschäftsleitung der Beklagten die Belegschaft über eine unentgeltliche Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit um zwei Stunden (24 Minuten täglich) abstimmen. In der Folge ist in dem bestehenden betrieblichen Arbeitszeiterfassungssystem die bislang geltende, tägliche Arbeitssollzeit von 7 Stunden auf 7 Stunden 24 Minuten rückwirkend zum 01.03.2011 angepasst worden. Diese Änderung war von der Beklagten ursprünglich bis zum 31.12.2011 vorgesehen. Tatsächlich wurde sie zumindest bis zum 31.05.2011 durchgeführt, in dem d. Kl. in der Zeit vom 01.03.2011 bis zum 31.05.2011 bei einer Sollarbeitszeit von 37 Stunden wöchentlich bzw. 7 Stunden 24 Minuten arbeitstäglich auch tatsächlich beschäftigt worden ist, hingegen dem Arbeitszeitkonto nur 35 Wochenarbeitsstunden gutgeschrieben wurden.

Die durch den DGB Rechtsschutz im Prozess vertretene klagende Partei trägt vor, aufgrund der einseitigen und rechtswidrigen Maßnahme des Arbeitsgebers ohne Lohnausgleich seien unentlohnte Arbeitszeiten wie folgt entstanden:

im März 2011 552 Minuten

im April 2011 456 Minuten

im Mai 2011 432 Minuten

insgesamt 1.440 Minuten,

die dem Arbeitszeitkonto gut zu schreiben seien, was einem Geldwert von EUR 392,84 entspreche. Die Ansprüche habe d. Kl. mit Schreiben vom 28.05.2011 schriftlich geltend gemacht. D. Kl. ist der Auffassung, die Bekl. könne kein schützenswertes Vertrauen behaupten, dass dieser Anspruch nicht geltend gemacht werde, als die IG Metallverwaltungsstelle W. bereits mit Schreiben vom 07.03.2011 die Vorgehensweise als rechtswidrig beanstandet habe. Zu der bestrittenen Gewerkschaftszugehörigkeit wird auf eine Mitgliedsbestätigung der IG Metall vom 01.02.2012 verwiesen.

D. Kl. beantragt, die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto d. Kl. für den Zeitraum 01.03.2011 bis 31.05.2011 1.440 Minuten gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet die klägerseitige Tarifbindung als Gewerkschaftsmitglied. Bei einer wöchentlichen Sollarbeitszeit von 37 Stunden seien d. Kl. wöchentlich 35 Stunden gutgeschrieben worden. Ein Zeitabzug auf dem Arbeitszeitkonto d. Kl. sei nicht vorgenommen worden. Die Beklagte sei im Rahmen der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 erheblich betroffen gewesen. Die Auswirkungen des Umsatzeinbruchs habe man noch im Jahr 2011 gespürt. Zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit sowie zur Erhaltung des Produktionsstandortes habe man geprüft, ob man anstehende Investitionen nicht durch einen Beitrag der Beschäftigten in der Form einer unentgeltlichen Mehrarbeit von 2 Stunden pro Woche für die Dauer vom 01.03.2011 bis zum 31.12.2011 gegenfinanziere könne. Das dadurch entstehende Einsparvolumen hätte noch im Jahr 2011 in die Anschaffung von Betriebsmitteln bei der Beklagten investiert werden sollen. Über diese angedachte Maßnahme seien am 18.02.2011 die Abteilungsleiter, Meister und Teamleiter vorab informiert worden. In der Zeit vom 21. bis zum 25.02.2011 seien die Beschäftigten im Rahmen von Gruppengesprächen, geführt durch die Personalleiterin Frau K., den Produktionsleiter Herr W. im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden Herrn W. und seiner Stellvertreterin Frau S., hierüber sowie über eine auf den 02.03.2011 terminierte Betriebsversammlung informiert worden. D. Kl. habe die Teilnahme an dem Gespräch durch Unterschrift bestätigt. Daraufhin seien die Mitarbeiter zum einen durch Email auf ein für sie eingerichtetes Email-Konto und zum anderen durch Aushang an den schwarzen Brettern am 01.03.2011 zur der Betriebsversammlung verbunden mit dem Hinweis eingeladen worden, dass die Versammlungsteilnahme bezahlte Arbeitszeit sei und Anwesenheitspflicht bestehe. Auf der Betriebsversammlung habe der Geschäftsführer S. nochmals die angedachte Maßnahme erläutert und verdeutlicht, dass das Einsparvolumen für Investitionen am Standort verwendet werden würde. Man wolle die Maßnahme durchführen, soweit sie von einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen getragen werde. Die darauf durchgeführte Abstimmung habe ergeben, dass bei 266 abstimmungsberechtigten Beschäftigten 218 Mitarbeiter an der Abstimmung teilgenommen, hiervon 69 Prozent der Maßnahme zugestimmt, 1 Prozent sich enthalten und 30 Prozent dagegen gestimmt hätten. Das Ergebnis der Abstimmung sei ab dem 03.03.2011 durch Aushang an den schwarzen Brettern bekannt gegeben worden und die Maßnahme auch hinsichtlich d. Kl. zur Durchführung gebracht worden. Entsprechend der getätigten Ankündigung habe man in den Standort investiert. Die Anlagen hierzu würden im ersten Quartal 2012 an die Beklagte geliefert. D. Kl. habe sich in der Folgezeit nicht gegen die erhöhte wöchentliche Arbeitszeit gewehrt, was die Beklagte als konkludente Zustimmung zu der befristeten Vertragsänderung hinsichtlich der wöchentlichen Arbeitszeit ohne entsprechenden Zeit- oder Entgeltausgleich verstanden habe. Das vorgelegte Geltendmachungsschreiben d. Kl. sei ihr erst nach dem eingeklagten Anspruchszeitraum zugegangen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie auf die Zustimmung d. Kl. vertraut. Das Geltendmachungsschreiben beanstande unschlüssig eine Arbeitszeitkürzung, nicht jedoch eine fehlende Arbeitszeitgutschrift. D. Kl. trage nicht vor, auf der Betriebsversammlung gegen den Vorschlag des Arbeitgebers gestimmt zu haben. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass das jetzige Verlangen eine unzulässige Rechtsausübung darstelle, nachdem die Beklagte nach dem Abstimmungsergebnis und der beanstandungslosen Arbeitstätigkeit d. Kl. auch hinsichtlich der wöchentlichen zwei Zusatzstunden habe darauf vertrauen dürfen, dass d. Kl. keine Ansprüche diesbezüglich ihr gegenüber mehr geltend machen würde. Wäre d. Kl. nicht mit der Erhöhung der Wochenarbeitszeit ohne Zeit- oder Entgeltausgleich einverstanden gewesen, hätte dies nach Einholung von Rechtsrat zeitnah kommuniziert oder die Arbeitsleistung verweigert werden müssen, da d. Kl. gewusst habe, dass die Beklagte das Einsparvolumen durch die befristete unentgeltliche Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit für Investitionen eingeplant habe.

Für den Vortrag der Parteien im einzelnen wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle des Gütetermins vom 15.12.2011 sowie des Kammertermins vom 28.02.2012 verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die zulässige Klage ist begründet.

D. Kl. steht der geltend gemachte Anspruch auf Gutschrift von Arbeitszeit auf dem für das Arbeitsverhältnis geführten Arbeitszeitkonto zu. Der Anspruch folgt aus § 611 BGB in Verbindung mit dem vertraglichen Arbeitszeitkonto sowie nach Maßgabe von § 7 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden (im folgenden: MTV).

1. Die Parteien haben im Rahmen der tariflichen Vorgaben des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden ein Arbeitszeitkonto eingerichtet. Dies führt zu einer Entkoppelung von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt, um im Rahmen der gesetzlichen, tariflichen, betrieblichen und vertraglichen Bestimmungen die zu leistende Arbeitszeit flexibilisieren zu können. Der Arbeitnehmer erhält auf der Grundlage einer Soll-Arbeitszeit ein verstetigtes Monatsentgelt, das ohne Rücksicht auf die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden gezahlt wird. Über- und Unterschreitungen der täglichen, wöchentlichen, monatlichen oder jährlichen Sollarbeitszeit werden durch Vor- oder Nacharbeit ausgeglichen. Mehrarbeit wird als Zeitgutschrift dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Eine Fehlzeit oder ein Freizeitausgleich wird von dem Saldo des Arbeitszeitkontos abgezogen. Im Ergebnis ist jede im Rahmen der betrieblichen Vorgaben geleistete Arbeitszeit dem Arbeitszeitsaldo gutzuschreiben. Nachdem d. Kl. im Zeitraum März bis einschließlich Mai 2011 jeweils arbeitstäglich 24 Minuten gearbeitet hat, die dem Arbeitszeitkonto nicht gutgeschrieben worden sind, besteht daher nach wie vor ein Anspruch auf eine entsprechende Zeitgutschrift. Nach den zwischen den Parteien nicht streitigen Angaben sind dies für März 2011 552 Minuten, für April 2011 456 Minuten und für Mai 2011 432 Minuten, so dass im Ergebnis sich hieraus ein Anspruch auf eine Zeitgutschrift von 1.440 Minuten ergibt.

2. Eine ausdrückliche abweichende Vereinbarung des Inhalts, d. Kl. habe sich zur Leistung einer unentgeltlichen Arbeitsleistung von 24 Minuten arbeitstäglich verpflichtet, ist nicht zustande gekommen.

a) Der Vortrag der Beklagten, welchen Inhalt diese Änderungsvereinbarung habe solle, ist schon in sich nicht widerspruchsfrei und damit nicht schlüssig. So ist nach ihrem Vortrag offen, über welche wesentlichen Regelungsinhalte (Essentialia negotii) eine Einigung erzielt worden sein soll. So lässt die Beklagte offen, ob und zu welchen Gegenleistungen sie sich im Gegenzug verpflichtet haben will. Welche Investitionen in welchem Volumen binnen welchen Zeitraums hätten aufgrund der Vereinbarung von d. Beklagten erbracht werden sollen?

b) Sollte sich die Beklagtenseite nicht zu konkreten Investitionen verpflichtet haben, so wäre Gegenstand der behaupteten Vertragsänderung ein einseitiger Verzicht d. Kl. gewesen auf die bloße Hoffnung, dies werde den Standort W. und die dortigen Arbeitsplätze sichern. Den Abschluss einer ausdrücklichen Vereinbarung eines solchen Inhalts trägt die Beklagte auch nicht schlüssig vor, da nicht hiernach offenbleibt, durch welche rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen der Parteien auf den Vertragsinhalt des Arbeitsverhältnisses hinsichtlich der zu vergütenden Arbeitszeit eingewirkt worden sein soll.

c) Die Beklagte hat lediglich vorgetragen, sie habe d. Kl. im Rahmen von Gruppengesprächen in der Zeit vom 21.02.2011 bis zum 25.02.2011 über ihre Erwartungshaltung in Kenntnis gesetzt, die Belegschaft möge durch unentgeltliche Arbeit zur Gegenfinanzierung einer Investition am Betriebsstandort beitragen. Sie hat nicht behauptet d. Kl. individuell um Zustimmung zu dieser Maßnahme gebeten zu haben. Somit wurde schon kein Angebot auf Abschluss einer entsprechenden Vertragsänderung an d. Kl. gerichtet. Auch kommt der bloßen Teilnahme d. Kl. an dem Gruppengespräch nicht der Erklärungswert einer Zustimmung im Sinne einer Annahme, zu. Das Schweigen gegenüber einer angebotenen Änderung des Arbeitsvertrags ist, zumal wenn es um die Verschlechterung der Vertragsbedingungen geht, grundsätzlich keine Annahme eines solchen Angebots. Dies stellt ein tragendes Prinzip des Zivilrechts dar.

d) Auch im Rahmen der am 02.03.2011 durchgeführten Betriebsversammlung ist keine Änderungsvereinbarung abgeschlossen worden. Indem die Beklagte die Maßnahme zur Abstimmung der Belegschaft gestellt hat, hat sie keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung auf Abschluss einer Änderungsvereinbarung an die einzelnen Arbeitnehmer gerichtet mit dem Ziel von jedem einzelnen dessen Zustimmung zu erhalten. Selbst wenn man annähme, die Beklagte habe allen Belegschaftsangehörigen ein entsprechendes Änderungsangebot unterbreitet, wäre diese nach dem Vortrag der Beklagten von d. Kl. nicht angenommen worden. Eine Zustimmung d. Kl. könnte auch nicht angenommen haben, da d. Kl. sich auf diesen Veranstaltungen nicht gegen die vorgesehene Maßnahme verwahrt habe. Auch insoweit gilt, dass das bloße Schweigen nicht den Erklärungswert einer Zustimmung hat. Die Zustimmung d. Kl. kann auch nicht durch einen Mehrheitsentscheid innerhalb der Belegschaft ersetzt werden. Für einen Eingriff in das Vertragsverhältnis des Arbeitsverhältnisses bedarf der Arbeitgeber die Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers. Dies ist Ausdruck der privatautonomen Ausgestaltung des vertraglichen Inhalts des Arbeitsverhältnisses. Ob d. Kl. in der Betriebsversammlung gegen den Vorschlag des Arbeitgebers gestimmt hat, ist hierbei nicht von Belang.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch durch konkludente Erklärung d. Kl. keine befristete Änderungsvereinbarung hinsichtlich der wöchentlichen Arbeitszeit ohne entsprechenden Zeit- oder Entgeltausgleich zustande gekommen. Auch die konkludente Änderung eines Vertrags setzt voraus, dass die Parteien entsprechende übereinstimmende Willenserklärungen abgeben, d.h., es muss ein Angebot der einen Vertragspartei vorliegen, das vom anderen Vertragsteil in aller Regel angenommen werden muss. Die Annahme des Vertragsangebotes kann stillschweigend erfolgen. Einer Annahme des Vertragsangebotes bedarf es nur unter den Voraussetzungen des § 151 BGB nicht.

Ist ausdrückliche Annahmeerklärung nicht eingefordert worden, ist die Möglichkeit, ein Angebot konkludent anzunehmen, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die konkludente Annahme eines Vertragsangebotes setzt indes voraus, dass über das bloße Schweigen hinaus Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, der Adressat des Angebots sei hiermit einverstanden. Dies gilt namentlich in einem Arbeitsverhältnis, in dem der Arbeitnehmer – ob begründet oder unbegründet – aus Sorge um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses oftmals davon Abstand nimmt, einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers zu widersprechen. Eine konkludente Angebotsannahme kann bei einer widerspruchslosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer dann gelten, wenn sich die angetragene Änderung unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt, nicht aber, solange deren Folgen nicht hervortreten. Nur die tatsächliche Praktizierung geänderter Vertragsbedingungen kann eine konkludente Erklärung sein, die einer Annahme innerhalb der Frist des § 147 BGB gleichkommt (vgl. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 25.11.2009 – 10 AZR 779/08 = EzA-SD 2010, Nr. 2, 11 mwN). Dies setzt voraus, dass sich das Änderungsangebot unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. Enthält das Angebot ein ganzes Bündel an Vertragsänderungen, kann, wenn sich ein Änderungsangebot des Arbeitgebers nicht in allen Punkten unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt, die widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer dessen konkludente Annahme des Änderungsangebots insgesamt sein (vgl. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 01.08.2001 – 4 AZR 129/00 = BAGE 98/293 und NZA 2003/924). Eine unmittelbare Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis hat eine vom Arbeitgeber veranlasste Änderung der Arbeitsbedingungen dann, wenn dies in den Umständen, unter denen der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zu erbringen hat, seinen direkten Niederschlag findet. Dies ist beispielsweise bei einer Versetzung oder bei einer Absenkung der regelmäßigen Vergütung der Fall.

Die einseitige Erhöhung der Wochenarbeitszeit durch den Arbeitgeber hat diese Wirkung für sich nicht. Sie führte zwar zu einer Änderung der täglichen Arbeitszeit. Die Änderung der Arbeitszeit durch die Beklagte wirkte sich jedoch erst bei der Saldierung von Ist- und Sollzeit aus, von der d. Kl. erst ab Mitteilung eines aktuellen Saldos des Arbeitszeitkontos Kenntnis hat. Bis dahin konnte d. Kl. auch annehmen, dass die Beklagte auch einseitig zu entgeltende Mehrarbeit anweist, die dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben wird. Dass d. Kl. in Kenntnis der fehlenden Arbeitszeitgutschrift für den Vormonat auch im Folgemonat die Mehrarbeit geleistet hat, hat die Beklagte so bisher nicht vorgetragen.

4. Ob eine widerspruchslose Weiterarbeit d. Kl. in Kenntnis, dass die arbeitstäglich zusätzlich angeordneten 24 Minuten nicht dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben und nicht vergütet werden würden, letztlich eine Annahme eines Änderungsangebots darstellt, kann dahingestellt bleiben, da eine solche Änderungsvereinbarung nach Maßgabe von §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 307 Abs. 1 Satz 1, 305 Abs. 1 BGB unwirksam wäre. Wenn man mit der Beklagten annehmen wollte, sie hätte d. Kl. wie allen anderen Belegschaftsangehörigen ein hinreichend bestimmtes Änderungsangebot unterbreitet, befristet unentgeltlich 24 Minuten arbeitstäglich zu arbeiten, auf die bloße Hoffnung hiermit zur Standortsicherung beitragen, stellte dies eine arbeitgeberseits einseitig gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung dar, die d. Kl. unangemessen beteiligte. Es entspricht dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gemäß § 611 BGB, dass eine im Rahmen eines Arbeits-/Dienstvertrages zugesagte Arbeits-/Dienstleistung entgolten wird. Dies schließt nicht aus, dass sich die Parteien auch auf eine unentgeltliche Tätigkeit zumindest auf einen überschaubaren Zeitraum verständigen können. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht erfolgt. Die Beklagte stellte einen Zusammenhang her zwischen anstehenden Investitionen in den Standort W. und der Bereitschaft der Belegschaft hierfür vermögenswerte Opfer zu erbringen. Andersgewendet wurde in den Raum gestellt, solche Investitionen würden unterbleiben, wenn die Belegschaft nicht zu unentgeltlicher Arbeitsleistung bereit wäre. Die Frage, ob und in welchem Umfang in einen Fertigungsstandort investiert werden soll, ist dem unternehmerischen Risiko zuzuordnen. Durch die Verknüpfung von unentgeltlicher Mehrarbeit mit der Frage, ob in den Standort investiert werden soll, werden also unternehmerische Risiken auf die Belegschaft verlagert, wobei deren Angst um den Arbeitsplatz instrumentalisiert wird. Die Beklagte hat sich im Gegenzug zu keinen konkreten Gegenleistungen wie einer Standortsicherung verpflichtet. Diese Verlagerung zentraler unternehmerischer Risiken auf den Arbeitnehmer ohne jegliche Kompensation stellt aus Sicht des erkennenden Arbeitsgerichts eine nicht hinzunehmende unangemessene Benachteiligung dar.

5. Selbst wenn man mit der Beklagten von einer einvernehmlichen Vertragsänderung ausginge, wäre diese wegen Tarifwidrigkeit unwirksam. Der MTV ist aufgrund beidseitiger Tarifbindung für das Arbeitsverhältnis d. KL maßgeblich (§ 3 Abs. 1 TVG). Die Beklagte ist durch Anerkennungstarifvertrag tariflich gebunden. D. Kl. ist Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft IG Metall, nachgewiesen durch die vorgelegte Bestätigung der Mitgliedschaft vom 01.02.2012. Hierin wird bestätigt, dass d. Kl. bereits zum Zeitpunkt der Geltendmachung Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft IG Metall gewesen sei und diese Mitgliedschaft fortdauere. Es sind keine Einwände hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit dieser Bestätigung ersichtlich. Gewerkschaftlicher Rechtsschutz wird erst nach einer Mitgliedschaft von 3 Monaten gewährt. D. Kl. wird durch den DGB Rechtsschutz vertreten. Die IG Metall hat bereits am 08.07.2011 d. Kl. eine Rechtsschutzzusage für die 1. Instanz erteilt. Die streitentscheidende Kammer geht daher von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft d. Kl. bereits seit zumindest Anfang April 2011 aus. Daher gelten die tariflichen Regelungen zur Arbeitszeit und ihrer Flexibilisierung als tarifliche Rechtsnorm zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses unmittelbar und zwingend zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Von tariflichen Regelungen abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten (§ 4 Abs. 3 TVG). Die unentgeltliche Mehrarbeit verstößt gegen die Arbeitszeitvorgaben gemäß Ziff. 7 MTV. Dort sind weitgehende Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit vorgesehen. Diese gehen jedoch durchgehend davon aus, dass geleistete Arbeitszeit entweder durch Zeitausgleich oder finanzielle Abgeltung honoriert wird. Die Vereinbarung unentgeltlicher Mehrarbeit ist keine Regelung, die d. Kl. begünstigt.

6. Der Anspruch auf Zeitgutschrift ist auch nicht wegen Nichtwahrung der tariflichen Ausschlussfristen verwirkt. Nach § 18.1.2 MTV sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, welche nicht die Zahlung von Zulagen zum Gegenstand haben, binnen einer Frist von 6 Monaten nach Fälligkeit, spätestens binnen 3 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Der Anspruch auf Zeitgutschrift wurde für März bis Mai 2011 jedoch gegenüber der Beklagten bereits schriftlich mit Schreiben vom 28.05.2011 geltend gemacht. Das Geltendmachungsschreiben macht ausdrücklich die fehlende Arbeitszeitgutschrift geltend.

Eine Zeitgutschrift für Mai 2011 kann frühestens zum Ende des Monats fällig werden, so dass die am 30. November 2011 zugestellte Leistungsklage die Ausschlussfrist von 6 Monaten gleichfalls wahrt.

7. D. Kl. hat auch das Recht, die streitgegenständliche Arbeitszeitgutschrift geltend zu machen, nicht verwirkt (§ 242 BGB).

a) Nachdem das für d. Kl. geführte Arbeitszeitkonto den Tarifvorgaben gemäß § 7 MTV folgen muss, steht d. tarifgebundenen Kl. der Anspruch auf die streitgegenständliche Arbeitszeitgutschrift auch als tariflicher Anspruch zu. Dessen Verwirkung ist daher nach Maßgabe von § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG von vornherein ausgeschlossen.

b) Auch nach allgemeinen Grundsätzen ist eine Verwirkung des streitgegenständlichen, vertraglichen Anspruchs auf die Arbeitszeitgutschrift zu verneinen.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich das erkennende Gericht anschließt, bildet der Grundsatz von Treu und Glauben eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Die gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist unzulässig. Rechte können dann unzulässig ausgeübt werden, wenn sich der Anspruchsteller damit in Widerspruch zu seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten setzt. Ein widersprüchliches Verhalten ist aber erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn sonstige besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 09.12.2009 – 10 AZR 850/08 mwN).

So ist ein Recht verwirkt, wenn der Inhaber mit der Geltendmachung längere Zeit abwartet, sich infolge des Zeitablaufs für den Anspruchsgegner ein Vertrauenstatbestand bildet, mit der Geltendmachung des Rechts nicht mehr rechnen zu müssen, und ihm deshalb eine Einlassung auf die Geltendmachung des Rechts nicht mehr zugemutet werden kann. Der erforderliche Zeitablauf kann umso kürzer sein, je gravierender die Umstände im Verhalten des Berechtigten sind, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung als unzumutbar anzusehen. Sind für den streitigen Anspruch Ausschlussfristen vereinbart, so kann im Regelfall vor Ablauf der Ausschlussfristen eine Verwirkung nicht eintreten. Für die Erfüllung des Umstandsmoments kommt es darauf an, wie das Verhalten des Gläubigers vom Schuldner aufgefasst werden darf (vgl. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 03.12.2008 – 5 AZR 62/08 = AP Nr. 42 zu § 307 BGB).

Zwar ist nicht jedes widersprüchliche Verhalten rechtsmissbräuchlich. Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu. Widersprüchliches Verhalten ist aber dann rechtsmissbräuchlich, wenn die andere Seite auf ein Verhalten vertrauen durfte und ihre Interessen vorrangig schutzwürdig erscheinen. Der Urheber des widersprüchlichen Verhaltens muss erkennen können, dass die Gegenpartei sein Verhalten als vertrauensbegründend werten durfte. Auf ein schuldhaftes Verhalten kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist, ob für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. etwa BAG 29. September 2010-3 AZR 546/08 – NZA 2011, 210).

bb) Es ist schon zweifelhaft, ob das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment schon bereits verwirklicht sein kann, obwohl für das Arbeitsverhältnis geltende Ausschlussfristen noch nicht abgelaufen sind. Dies kann letztendlich dahingestellt bleiben, da das erforderliche Umstandsmoment definitiv zu verneinen ist. Für die Beklagte ist kein schützenswerter Vertrauenstatbestand, d. Kl. werde den Anspruch auf Zeitgutschrift nicht geltend machen, entstanden. Sie hat d. Kl. zu keinem Zeitpunkt um dessen individuelle Zustimmung gebeten. Bereits anhand des am 03.03.2011 festgestellten Abstimmungsergebnisses wusste die Beklagte, dass überschlägig ein Anteil der Belegschaft von ca. 30 % das abverlangte Vermögensopfer ablehnt. Auch ist unstreitig die Beklagte bereits im März 2011 durch die im Betrieb vertretene Gewerkschaft IG Metall auf die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Maßnahme nachdrücklich hingewiesen und zu deren Revidierung aufgefordert worden. D. Kl. hat durch das Geltendmachungsschreiben gleichfalls sich gegen einen Rechtsverzicht verwahrt. Die Beklagte konnte daher nicht davon ausgehen, dass sich d. Kl. an den Kosten der Investitionen durch Gewährung unentgeltlicher Mitarbeit beteiligen werden würde.

Der Klage ist somit stattzugeben.

B.

Die Kosten des Rechtsstreits sind nach Maßgabe der §§ 91, 495 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG der Beklagten aufgrund ihres Unterliegens im Rechtsstreit aufzuerlegen.

Der im Urteil festgesetzte Wert des Streitgegenstands folgt gemäß § 3 ZPO iVm. § 61 Abs. 1 ArbGG aus dem finanziellen Gegenwert der streitgegenständlichen Arbeitszeitgutschrift.

Die Berufung ist nach § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG aufgrund grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die aufgeworfene Rechtsfrage, ob d. Kl. aufgrund der angewiesenen Mehrarbeit ein Anspruch auf Arbeitszeitgutschrift (noch) zusteht, ist klärungsbedürftig und berührt in ihren Auswirkungen alle Arbeitnehmer des Betriebs W. und damit einen größeren Teil der Allgemeinheit. Auf unten stehende Rechtsmittelbelehrung wird verwiesen.

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