Übersicht:
- Der Fall vor Gericht
- Arbeitsgericht Hamburg: Kein Mindestlohn für Bereitschaftszeit eines Kapitäns an Bord – Klage abgewiesen
- Kapitän fordert Vergütung für Bereitschaftszeiten an Bord von Seeschiffen
- Details zum Arbeitsverhältnis: Heuervertrag und Tarifverträge in der Seeschifffahrt
- Streitpunkt Null-Toleranz-Politik: Musste der Kapitän ständig einsatzbereit sein?
- Konkrete Forderung: Vergütung von 11.120 Bereitschaftsstunden zum Mindestlohn
- Außergerichtlicher Versuch: Zahlungsaufforderung des Kapitäns blieb erfolglos
- Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg: Klage des Kapitäns vollständig abgewiesen
- Kosten und Berufung: Kapitän trägt die Prozesskosten
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was genau gilt als Bereitschaftszeit auf einem Schiff und wie unterscheidet sie sich von Arbeitszeit oder Ruhezeit?
- Welche Rolle spielen Tarifverträge (MTV-See, HTV-See) bei der Vergütung von Kapitänen in der deutschen Seeschifffahrt, insbesondere in Bezug auf Bereitschaftszeiten und Überstunden?
- Wie wirkt sich eine unternehmensweite Null-Toleranz-Alkoholpolitik auf die Bewertung von Bereitschaftszeiten an Bord aus, insbesondere hinsichtlich der geforderten ständigen Einsatzbereitschaft?
- Welche Nachweispflichten hat ein Kapitän, um seine Ansprüche auf Vergütung von Bereitschaftszeiten gegenüber der Reederei geltend zu machen?
- Welche rechtlichen Möglichkeiten hat ein Kapitän, um seine Ansprüche auf Vergütung von Bereitschaftszeiten durchzusetzen, falls die Reederei diese ablehnt?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Hinweise und Tipps
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: See 1 Ca 180/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: ArbG Hamburg
- Datum: 11.04.2025
- Aktenzeichen: See 1 Ca 180/23
- Verfahrensart: Urteil
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Kapitän, der seit 2007 bei der Beklagten beschäftigt ist. Er verlangt die Bezahlung von Bereitschaftszeiten. Sein Argument ist, dass die von der Arbeitgeberin geforderte Alkoholabstinenz („Null-Toleranz“) auch während seiner Freizeit an Bord einer ständigen Bereitschaft gleichkommt.
- Beklagte: Die Arbeitgeberin des Kapitäns. Sie argumentiert, dass die „Null-Toleranz-Politik“ bezüglich Alkohol notwendig und rechtlich zulässig sei, um eine sichere Arbeitsumgebung auf dem Schiff zu gewährleisten, und dass dies keine zu bezahlende Bereitschaftszeit darstelle.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Der Kläger ist als Kapitän bei der Beklagten angestellt. Sein Arbeitsvertrag (Heuervertrag) verweist auf Tarifverträge für die Seeschifffahrt (MTV-See und HTV-See). Der HTV-See sieht eine pauschale Überstundenvergütung vor, jedoch nicht für Kapitäne. Nachdem der Kläger fragte, ob er außerhalb seiner Arbeitszeit an Bord Alkohol trinken dürfe, teilte die Beklagte mit, dass sie an einer „Null-Toleranz-Politik“ festhalte, auch in der Freizeit an Bord, und begründete dies mit Sicherheitsvorschriften.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Frage, ob die Zeit, in der der Kapitän aufgrund der Anweisung der Arbeitgeberin auch in seiner Freizeit an Bord keinen Alkohol trinken darf, als Vergütungspflichtige Bereitschaftszeit anzusehen ist.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Klage des Kapitäns wurde abgewiesen.
- Folgen: Der Kläger muss die Kosten des Rechtsstreits tragen. Der Wert des Streitgegenstandes wurde auf 108.724,64 € festgesetzt. Eine Berufung gegen das Urteil ist nur unter bestimmten Bedingungen zugelassen (wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 € übersteigt).
Der Fall vor Gericht
Arbeitsgericht Hamburg: Kein Mindestlohn für Bereitschaftszeit eines Kapitäns an Bord – Klage abgewiesen
Das Arbeitsgericht Hamburg hat in einem Urteil vom 11. April 2025 (Az.: See 1 Ca 180/23) die Klage eines Kapitäns auf Vergütung von Bereitschaftszeiten abgewiesen.

Der Kapitän hatte argumentiert, dass er aufgrund einer Null-Toleranz-Alkoholpolitik seines Arbeitgebers auch während seiner dienstfreien Zeit an Bord ständig einsatzbereit sein musste und diese Zeit daher wie Arbeitszeit zu vergüten sei. Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht.
Kapitän fordert Vergütung für Bereitschaftszeiten an Bord von Seeschiffen
Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Frage, ob die Zeit, die ein Kapitän während seiner Einsätze auf See außerhalb seiner regulären Arbeitszeit an Bord verbringt, als vergütungspflichtige Bereitschaftszeit anzusehen ist. Ein langjährig beschäftigter Kapitän verklagte seine Arbeitgeberin, eine Reederei, auf Zahlung von über 11.000 Stunden Bereitschaftszeit, die sich über mehrere Einsätze auf verschiedenen Schiffen zwischen Februar 2020 und Dezember 2022 angesammelt haben sollen. Er forderte hierfür eine Vergütung nach dem jeweils geltenden gesetzlichen Mindestlohn. Der Gesamtwert des Streitgegenstandes wurde vom Gericht auf 108.724,64 € festgesetzt.
Details zum Arbeitsverhältnis: Heuervertrag und Tarifverträge in der Seeschifffahrt
Der Kapitän war seit dem 20. September 2007 bei der Reederei beschäftigt. Sein letzter Heuervertrag vom 17. April 2018 sah eine monatliche Bruttovergütung von 6.868,00 € bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden vor. Wichtig für den Fall war, dass auf das Arbeitsverhältnis durch einzelvertragliche Vereinbarung die Tarifverträge für die deutsche Seeschifffahrt, der Manteltarifvertrag See (MTV-See) und der Heuertarifvertrag See (HTV-See), Anwendung fanden. Relevant war hierbei insbesondere eine Regelung im HTV-See: Dieser sieht zwar eine pauschale Überstundenvergütung für Besatzungsmitglieder vor, nimmt jedoch Kapitäne ausdrücklich von dieser Regelung aus. Dies deutet darauf hin, dass die Vergütung von Mehrarbeit oder besonderen Einsatzzeiten für Kapitäne möglicherweise anders geregelt ist oder als mit dem Gehalt abgegolten betrachtet wird.
Streitpunkt Null-Toleranz-Politik: Musste der Kapitän ständig einsatzbereit sein?
Auslöser für die Klage war eine Auseinandersetzung über die betriebliche Alkoholpolitik. Der Kapitän hatte bei seiner Reederei angefragt, ob er außerhalb seiner Arbeitszeit an Bord Alkohol konsumieren dürfe.
Die E-Mail der Reederei zur Alkoholregelung und Sicherheit an Bord
In einer E-Mail vom 15. März 2022 antwortete eine Vertreterin der Reederei (Frau B.) auf die Anfrage des Kapitäns. Sie bekräftigte die Null-Toleranz-Politik des Unternehmens bezüglich Alkohol und Drogen an Bord. Die Reederei begründete diese strikte Haltung damit, dass sie mit deutschem Recht konform sei und sich auf die Gesetze zur Regelung der sicheren Arbeitsumgebung stütze. Obwohl es ohne spezifische Vereinbarung nach deutschem Recht keine generelle Null-Toleranz-Regelung gebe (außer bei gesetzlichen Ausnahmen), sei es möglich und aus Sicht der Reederei auch notwendig, diese Unternehmensrichtlinie in den Arbeitsvertrag aufzunehmen und auch auf die dienstfreie Zeit an Bord anzuwenden.
Als entscheidenden Grund nannte die Reederei die Sicherstellung der Einsatzfähigkeit in Notfällen: „Der Grund dafür ist, dass wir in Notfällen sicherstellen können, dass alle erteilten Anweisungen eingehalten werden, wenn eine sofortige Sicherheit des Schiffes erforderlich wäre, wären unsere Seeleute besser in der Lage, ihre Aufgaben wiederaufzunehmen.“ Die Reederei betonte, dass die Null-Toleranz-Politik während der Arbeitszeit ein allgemein anerkannter Grundsatz sei und ihre Ausweitung auf die Freizeit an Bord der Gewährleistung der Schiffssicherheit diene.
Schlussfolgerung des Kapitäns: Verbot impliziert vergütungspflichtige Bereitschaft
Genau diese Begründung der Reederei nahm der Kapitän zum Anlass für seine Forderung. Er behauptete, die E-Mail belege, dass er jederzeit – auch während seiner offiziellen Freizeit an Bord – in der Lage sein musste, sofort das Kommando auf der Brücke zu übernehmen. Diese ständige Verfügbarkeitsanforderung, die sich aus der Notwendigkeit der Nüchternheit auch in der Freizeit ergebe, sei als Bereitschaftszeit zu werten. Da Bereitschaftszeit nach geltender Rechtsprechung als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes gilt und mindestens mit dem gesetzlichen Mindestlohn vergütet werden muss, leitete er daraus seinen Anspruch ab.
Konkrete Forderung: Vergütung von 11.120 Bereitschaftsstunden zum Mindestlohn
Der Kapitän bezifferte die von ihm geltend gemachte Bereitschaftszeit auf insgesamt 11.120 Stunden. Diese Stunden sollen während seiner Einsätze auf sechs verschiedenen Schiffen (S. M., M. B., S. P., J. M., O. M.k, M. S.) in den Zeiträumen vom 03. Februar 2020 bis zum 30. Dezember 2022 angefallen sein. Die Berechnung seiner Forderung basierte auf dem jeweils gültigen gesetzlichen Mindestlohn für diese Stunden. Der hohe Streitwert von über 108.000 € spiegelt die erhebliche Anzahl der geforderten Stunden wider.
Außergerichtlicher Versuch: Zahlungsaufforderung des Kapitäns blieb erfolglos
Bevor der Kapitän Klage beim Arbeitsgericht Hamburg einreichte, versuchte er, seine Forderung außergerichtlich durchzusetzen. Er wandte sich zunächst mit einem eigenen Schreiben am 05. Mai 2023 und anschließend über einen Anwalt mit Schreiben vom 10. Juli 2023 an die Reederei und forderte die Vergütung der vermeintlichen Bereitschaftszeiten. Die Reederei lehnte diese Forderung jedoch ab, was schließlich zur gerichtlichen Auseinandersetzung führte.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg: Klage des Kapitäns vollständig abgewiesen
Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Klage des Kapitäns mit Urteil vom 11. April 2025 vollständig ab (Az.: See 1 Ca 180/23). Dies bedeutet, dass das Gericht dem Anspruch des Kapitäns auf Vergütung der Bereitschaftszeiten nicht stattgab. Die Begründung des Gerichts für diese Entscheidung geht aus dem vorliegenden Auszug des Urteilstextes (Tatbestand) leider nicht hervor. Es bleibt daher offen, ob das Gericht die Anwesenheit an Bord außerhalb der Dienstzeit nicht als Bereitschaftszeit wertete, ob es die Argumentation bezüglich der Null-Toleranz-Politik nicht teilte, oder ob eventuelle Ansprüche bereits durch das überdurchschnittliche Kapitänsgehalt oder tarifvertragliche Regelungen als abgegolten angesehen wurden.
Kosten und Berufung: Kapitän trägt die Prozesskosten
Als Konsequenz der Klageabweisung muss der Kapitän die gesamten Kosten des Rechtsstreits tragen. Der Wert des Streitgegenstandes wurde vom Gericht auf 108.724,64 € festgesetzt. Eine gesonderte Zulassung der Berufung durch das Arbeitsgericht erfolgte nicht. Dies ist eine Standardformulierung; eine Berufung zum Landesarbeitsgericht wäre aufgrund des hohen Streitwertes (über 600 €) aber grundsätzlich möglich, sofern die entsprechenden Fristen eingehalten und Berufungsgründe dargelegt werden.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil klärt den grundlegenden Unterschied zwischen echter Bereitschaftszeit und bloßer Einsatzbereitschaft in Notfällen im maritimen Sektor. Die Quintessenz ist, dass ein betriebliches Alkoholverbot während der dienstfreien Zeit an Bord nicht automatisch einen vergütungspflichtigen Bereitschaftsdienst begründet. Für einen Anspruch auf Vergütung müsste der Arbeitgeber konkret anordnen, dass der Arbeitnehmer jederzeit (nicht nur in Notfällen) mit einer Arbeitsaufnahme rechnen muss. Die Entscheidung hat Bedeutung für die Abgrenzung zwischen regulärer Freizeit und vergütungspflichtiger Bereitschaftszeit in Berufen mit erhöhten Sicherheitsanforderungen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was genau gilt als Bereitschaftszeit auf einem Schiff und wie unterscheidet sie sich von Arbeitszeit oder Ruhezeit?
Auf einem Schiff ist es wichtig zu verstehen, wann Sie arbeiten, wann Sie sich ausruhen und wann Sie sich bereithalten müssen. Diese Zeiten sind unterschiedlich definiert und haben Auswirkungen, zum Beispiel auf die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten.
Arbeitszeit: Wenn Sie aktiv sind oder zur Verfügung stehen
Arbeitszeit ist jede Zeitspanne, in der Sie auf Anweisung Ihres Arbeitgebers tätig sind oder ihm zur Verfügung stehen. Das umfasst nicht nur die Zeit, in der Sie aktiv Aufgaben ausführen (wie Wache gehen, Navigieren, Maschinen warten oder Decksarbeiten), sondern auch Zeiten, in denen Sie bereit sein müssen, sofort Anweisungen entgegenzunehmen und die Arbeit aufzunehmen (zum Beispiel während bestimmter Manöver oder Wartezeiten auf der Brücke). Entscheidend ist, dass Sie in dieser Zeit nicht frei über Ihre Zeit verfügen können, sondern den Weisungen des Arbeitgebers unterliegen. Die gesetzlichen Regelungen, insbesondere das Seearbeitsgesetz (SeeArbG), legen Höchstgrenzen für die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit fest.
Ruhezeit: Ihre Zeit zur Erholung
Ruhezeit ist jede Zeit, die keine Arbeitszeit ist. Sie dient Ihrer Erholung. Während der Ruhezeit können Sie in der Regel frei über Ihre Zeit verfügen – schlafen, essen, persönliche Dinge erledigen, soweit es die Umstände an Bord zulassen. Sie sind in dieser Zeit nicht verpflichtet, für Arbeitseinsätze bereitzustehen. Das SeeArbG schreibt Mindestruhezeiten vor, die innerhalb bestimmter Zeiträume gewährt werden müssen, um Übermüdung vorzubeugen. Kurze Pausen während der Arbeitszeit zählen normalerweise nicht als Ruhezeit.
Bereitschaftszeit: Das Bereithalten für den Einsatz
Bereitschaftszeit ist die Zeit, in der Sie sich bereithalten müssen, um bei Bedarf kurzfristig die Arbeit aufzunehmen, ohne jedoch ständig aktiv zu arbeiten. Sie sind also nicht komplett frei wie in der Ruhezeit, aber auch nicht durchgehend im Einsatz wie während der regulären Arbeitszeit. Typische Beispiele sind Zeiten, in denen Sie für Notfälle oder dringende, unvorhergesehene Arbeiten abrufbereit sein müssen.
Die entscheidende Frage ist oft: Zählt diese Bereitschaftszeit als Arbeitszeit oder als Ruhezeit? Hier kommt es auf die konkreten Umstände und den Grad Ihrer Einschränkung an:
- Aufenthaltsort: Müssen Sie sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten (z.B. auf der Brücke, im Maschinenkontrollraum oder einem Bereitschaftsraum)? Oder können Sie sich in Ihrer Kabine aufhalten?
- Reaktionszeit: Wie schnell müssen Sie nach einem Aufruf einsatzbereit sein? Geht es um wenige Minuten oder haben Sie mehr Zeit?
- Gestaltung der Zeit: Können Sie während der Bereitschaftszeit privaten Interessen nachgehen (z.B. schlafen, lesen, essen)? Oder erfordert die Bereitschaft eine ständige Aufmerksamkeit?
Nach der Rechtsprechung, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs, gilt: Wenn die Ihnen auferlegten Einschränkungen während der Bereitschaftszeit Ihre Möglichkeit, sich Ihren privaten und sozialen Interessen zu widmen, objektiv und ganz erheblich beeinträchtigen, dann ist diese Zeit als Arbeitszeit zu werten. Dies ist häufig der Fall, wenn Sie sich an einem bestimmten Ort aufhalten müssen und nur eine sehr kurze Frist haben, um die Arbeit aufzunehmen. Können Sie die Zeit hingegen weitgehend frei gestalten (z.B. in der eigenen Kabine schlafen und müssen nur erreichbar sein), könnte sie unter Umständen als Ruhezeit gelten – die genaue Einordnung hängt aber immer von den spezifischen Umständen ab.
Diese Unterscheidung ist wichtig, da als Arbeitszeit gewertete Bereitschaftszeit bei der Berechnung der Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten berücksichtigt werden muss.
Welche Rolle spielen Tarifverträge (MTV-See, HTV-See) bei der Vergütung von Kapitänen in der deutschen Seeschifffahrt, insbesondere in Bezug auf Bereitschaftszeiten und Überstunden?
Tarifverträge wie der Manteltarifvertrag See (MTV-See) und der Heuertarifvertrag See (HTV-See) sind wichtige Grundlagen für die Arbeitsbedingungen vieler Seeleute in der deutschen Seeschifffahrt. Sie werden zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt und legen Mindeststandards für Löhne, Arbeitszeiten, Urlaub und andere Arbeitsbedingungen fest.
Die Rolle der Tarifverträge (MTV-See/HTV-See)
Diese Tarifverträge gelten grundsätzlich für die Arbeitsverhältnisse der Seeleute, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist (z.B. durch Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband) oder wenn die Anwendbarkeit im individuellen Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Sie schaffen einen verbindlichen Rahmen für viele Aspekte des Arbeitslebens an Bord. Der MTV-See regelt dabei eher die allgemeinen Arbeitsbedingungen (Mantel), während der HTV-See sich typischerweise auf die konkreten Heuer- bzw. Lohnsätze konzentriert.
Regelungen für Kapitäne – Besonderheiten
Für Kapitäne gelten oft besondere Regelungen. Aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung an Bord, ihrer Führungsverantwortung und ihres in der Regel deutlich höheren Gehalts werden sie in Tarifverträgen manchmal anders behandelt als andere Besatzungsmitglieder.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kapitäne von bestimmten Regelungen, die für die übrige Besatzung gelten, ausgenommen sind. Das betrifft häufig auch Regelungen zur Arbeitszeit und zur Vergütung von Mehrarbeit. Die Annahme dahinter ist oft, dass das höhere Gehalt eines Kapitäns bereits die besondere Verantwortung und die typischerweise anfallende Mehrarbeit oder unregelmäßige Arbeitszeiten pauschal abdeckt. Ob ein Kapitän unter die allgemeinen Regelungen des MTV-See oder HTV-See fällt oder ob spezielle Klauseln für ihn gelten, hängt vom genauen Wortlaut des jeweiligen Tarifvertrags ab.
Bereitschaftszeiten und Überstunden
Bereitschaftszeit bedeutet vereinfacht gesagt, dass sich ein Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten muss, um bei Bedarf sofort die Arbeit aufnehmen zu können. Überstunden sind Arbeitszeiten, die über die vertraglich oder tariflich vereinbarte reguläre Arbeitszeit hinausgehen.
Die Tarifverträge MTV-See und HTV-See können Regelungen enthalten, wie Bereitschaftszeiten und Überstunden für Seeleute generell zu behandeln und zu vergüten sind. Für Kapitäne können hier jedoch, wie oben erwähnt, Ausnahmen bestehen. Es ist möglich, dass die Tarifverträge für Kapitäne keine gesonderte Vergütung für Bereitschaftszeiten oder Überstunden vorsehen, da diese als mit dem Gehalt abgegolten betrachtet werden könnten. Die genauen Regelungen finden sich im jeweiligen Tarifvertrag.
Individuelle Vereinbarungen
Neben den Tarifverträgen spielt der individuelle Arbeitsvertrag eine entscheidende Rolle. Hier können spezifische Vereinbarungen zwischen dem Kapitän und dem Reeder getroffen werden. Diese individuellen Vereinbarungen dürfen die Regelungen eines anwendbaren Tarifvertrags grundsätzlich nicht unterschreiten (es sei denn, der Tarifvertrag lässt dies ausdrücklich zu oder die individuelle Regelung ist für den Kapitän günstiger – das sogenannte Günstigkeitsprinzip).
Gerade bei Kapitänen ist es üblich, dass im Arbeitsvertrag detaillierte Regelungen zur Vergütung getroffen werden, die auch die Abgeltung von Mehrarbeit, Bereitschaftszeiten oder besonderer Verantwortung umfassen können. Wenn ein Tarifvertrag gilt, muss geprüft werden, inwieweit diese individuellen Absprachen im Einklang mit dem Tarifvertrag stehen oder ob der Tarifvertrag spezielle Öffnungsklauseln für solche Vereinbarungen enthält.
Wie wirkt sich eine unternehmensweite Null-Toleranz-Alkoholpolitik auf die Bewertung von Bereitschaftszeiten an Bord aus, insbesondere hinsichtlich der geforderten ständigen Einsatzbereitschaft?
Eine unternehmensweite Null-Toleranz-Alkoholpolitik allein führt nicht automatisch dazu, dass Bereitschaftszeiten an Bord als vergütungspflichtige Arbeitszeit gewertet werden müssen. Entscheidend ist vielmehr, wie stark Sie während dieser Zeit tatsächlich in Ihrer freien Zeitgestaltung eingeschränkt sind.
Was ist Bereitschaftszeit im rechtlichen Sinne?
Bereitschaftszeit ist keine normale Freizeit, aber auch nicht immer volle Arbeitszeit. Rechtlich gesehen liegt Bereitschaftszeit (genauer: Bereitschaftsdienst) dann vor, wenn Sie sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (hier: an Bord) aufhalten müssen, um bei Bedarf unverzüglich die Arbeit aufnehmen zu können. Sie müssen also für einen möglichen Einsatz bereitstehen. Wichtig ist hierbei, dass Sie Ihre Zeit während des Wartens nicht völlig frei gestalten können.
Im Gegensatz dazu steht die Rufbereitschaft, bei der Sie Ihren Aufenthaltsort freier wählen können, solange Sie erreichbar sind und die Arbeit innerhalb einer vorgegebenen Zeit aufnehmen können. Rufbereitschaft gilt in der Regel nicht als Arbeitszeit, sondern wird oft gesondert (z.B. pauschal) vergütet.
Einfluss der Null-Toleranz-Politik auf die Freizeitgestaltung
Eine Null-Toleranz-Alkoholpolitik bedeutet für Sie als Kapitän an Bord, dass Sie während Ihrer gesamten Anwesenheit keinen Alkohol konsumieren dürfen. Dies schränkt Ihre persönliche Freizeitgestaltung zwar ein, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Sie sich in vergütungspflichtiger Bereitschaft befinden.
Die entscheidende Frage ist: Können Sie die Zeit, in der Sie an Bord sind, aber nicht aktiv arbeiten (Ihre Ruhezeit), trotz des Alkoholverbots und der Anwesenheitspflicht an Bord noch weitgehend frei nach Ihren eigenen Bedürfnissen gestalten? Können Sie beispielsweise schlafen, lesen, private Angelegenheiten erledigen oder sich anderweitig erholen?
Wann wird Bereitschaftszeit zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit?
Die Zeit an Bord wird dann als vergütungspflichtige Arbeitszeit (im Sinne von Bereitschaftsdienst) gewertet, wenn die Gesamtheit der Umstände dazu führt, dass Sie Ihre freie Zeit nicht mehr sinnvoll zur Erholung nutzen können.
Hierbei prüfen Gerichte verschiedene Faktoren, zum Beispiel:
- Wie oft und wie kurzfristig müssen Sie während Ihrer eigentlichen Ruhezeit tatsächlich Arbeitseinsätze leisten?
- Gibt es Vorgaben zur Reaktionszeit, die eine echte Erholung verhindern?
- Wie stark schränkt der Arbeitgeber Ihre Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung an Bord insgesamt ein?
Das Alkoholverbot ist dabei nur einer von mehreren Faktoren. Wenn Sie trotz des Verbots und der Anwesenheitspflicht Ihre Ruhezeiten an Bord im Wesentlichen frei gestalten und zur Erholung nutzen können, wird diese Zeit wahrscheinlich nicht als volle Arbeitszeit gewertet. Erst wenn die Einschränkungen durch den Arbeitgeber so intensiv sind, dass eine freie Gestaltung der Ruhezeit faktisch unmöglich wird, kann von vergütungspflichtiger Bereitschaftszeit ausgegangen werden.
Die rechtliche Bewertung hängt also stark von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Intensität der Beeinträchtigung Ihrer freien Zeitgestaltung durch die Anforderungen des Arbeitgebers.
Welche Nachweispflichten hat ein Kapitän, um seine Ansprüche auf Vergütung von Bereitschaftszeiten gegenüber der Reederei geltend zu machen?
Grundsätzlich gilt im deutschen Arbeitsrecht: Wer einen Anspruch geltend macht, muss die dafür notwendigen Tatsachen beweisen. Für Sie als Kapitän bedeutet das, dass Sie in der Regel nachweisen müssen, wann und wie lange Sie Bereitschaftszeiten geleistet haben, wenn Sie dafür eine Vergütung von der Reederei fordern.
Sie müssen darlegen können, zu welchen konkreten Zeiten Sie sich für die Reederei bereithalten mussten. Entscheidend ist auch zu zeigen, inwieweit Sie während dieser Zeit in Ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt waren – also beispielsweise, wo Sie sich aufhalten mussten und wie schnell Sie einsatzbereit sein mussten. Nur wenn diese Einschränkungen erheblich waren, wird die Zeit in der Regel als vergütungspflichtige Arbeitszeit gewertet.
Welche Nachweise können helfen?
Um diese Bereitschaftszeiten und die damit verbundenen Einschränkungen nachzuweisen, kommen verschiedene Beweismittel in Betracht. Es gibt keine abschließende Liste, aber folgende Dokumente und Informationen sind oft relevant:
- Eigene detaillierte Aufzeichnungen: Notieren Sie genau Datum, Uhrzeit (Beginn und Ende) und idealerweise auch den Grund oder die konkrete Anweisung für die Bereitschaftszeit. Je genauer und zeitnaher Ihre Aufzeichnungen sind, desto aussagekräftiger können sie sein. Beschreiben Sie auch, worin die Einschränkung Ihrer Freiheit bestand (z.B. „musste an Bord bleiben“, „musste in Rufweite sein“).
- Anweisungen der Reederei: Schriftliche oder elektronische Anweisungen (z.B. E-Mails, SMS, WhatsApp-Nachrichten, Dienstanweisungen), aus denen hervorgeht, dass Sie sich zu bestimmten Zeiten bereithalten mussten oder bestimmte Aufgaben erwarteten.
- Logbücher oder Schiffstagebücher: Offizielle Einträge, die Ihre Anwesenheit an einem bestimmten Ort (z.B. an Bord außerhalb der regulären Dienstzeit) oder bestimmte Tätigkeiten oder Vorkommnisse während der behaupteten Bereitschaftszeit belegen.
- Technische Aufzeichnungen: Gegebenenfalls Daten aus Überwachungssystemen oder Kommunikationsprotokollen an Bord, die Ihre Anwesenheit oder Aktivität belegen könnten (sofern verfügbar und zugänglich).
- Zeugenaussagen: Aussagen von anderen Besatzungsmitgliedern oder Personen, die bestätigen können, dass Sie sich bereithalten mussten, welche Anweisungen es gab und wie Ihre persönliche Freiheit dadurch eingeschränkt war.
Was ist mit den Aufzeichnungspflichten der Reederei?
Reedereien sind nach geltendem Recht dazu verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Besatzungsmitglieder systematisch und vollständig zu erfassen. Diese offiziellen Aufzeichnungen der Reederei können ebenfalls ein sehr wichtiger Nachweis sein, sowohl für die geleisteten regulären Arbeitsstunden als auch potenziell für angeordnete Bereitschaftszeiten. Es kann daher relevant sein, ob solche Aufzeichnungen existieren und was sie beinhalten.
Es ist wichtig, die Umstände jeder Bereitschaftszeit genau zu dokumentieren, um später nachvollziehen zu können, wann und warum Sie sich bereithalten mussten und wie Ihre Freiheit eingeschränkt war.
Welche rechtlichen Möglichkeiten hat ein Kapitän, um seine Ansprüche auf Vergütung von Bereitschaftszeiten durchzusetzen, falls die Reederei diese ablehnt?
Wenn eine Reederei die Vergütung von Bereitschaftszeiten eines Kapitäns ablehnt, gibt es verschiedene Schritte und Möglichkeiten, wie der Kapitän versuchen kann, seine Ansprüche durchzusetzen.
Schritt 1: Außergerichtliche Klärung versuchen
Zunächst kann der Kapitän versuchen, eine Einigung mit der Reederei außerhalb eines Gerichtsverfahrens zu erzielen.
- Schriftliche Geltendmachung: Es ist üblich, die Forderung schriftlich bei der Reederei geltend zu machen. In diesem Schreiben sollten die beanspruchten Bereitschaftszeiten und der daraus resultierende Vergütungsanspruch möglichst genau aufgeführt und begründet werden.
- Dialog suchen: Manchmal lassen sich Missverständnisse oder Unstimmigkeiten in einem direkten Gespräch (persönlich oder telefonisch) klären.
Eine klare Kommunikation und die Dokumentation der eigenen Forderungen sind hierbei hilfreich.
Schritt 2: Gerichtliche Durchsetzung vor dem Arbeitsgericht
Scheitert der Versuch einer außergerichtlichen Einigung oder reagiert die Reederei nicht, bleibt die Möglichkeit, die Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.
- Zuständigkeit: Für Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern (hier der Kapitän) und Arbeitgebern (hier die Reederei) über Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind die Arbeitsgerichte zuständig.
- Klage einreichen: Der Kapitän kann eine Klage auf Zahlung der ausstehenden Vergütung beim zuständigen Arbeitsgericht einreichen. In der Klageschrift muss er darlegen, warum ihm die Vergütung für die Bereitschaftszeiten zusteht.
- Verfahrensablauf: Das Arbeitsgerichtsverfahren beginnt oft mit einem Gütetermin. Ziel dieses Termins ist es, eine gütliche Einigung zwischen Kapitän und Reederei zu finden. Kommt keine Einigung zustande, folgt das streitige Verfahren (Kammertermin), in dem das Gericht nach Prüfung der Sach- und Rechtslage eine Entscheidung trifft.
Wichtigkeit von Fristen beachten
Ein entscheidender Punkt bei der Durchsetzung von Gehaltsansprüchen sind Fristen.
- Ausschlussfristen: Sehr wichtig sind sogenannte Ausschlussfristen (auch Verfallfristen genannt). Diese können im Arbeitsvertrag, in einem anwendbaren Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung festgelegt sein. Solche Fristen sind oft sehr kurz – manchmal nur drei oder sechs Monate ab dem Zeitpunkt, an dem der Anspruch fällig wurde (also ab dem Zeitpunkt, an dem die Vergütung hätte gezahlt werden müssen).
- Folge der Fristversäumnis: Werden diese Fristen nicht eingehalten (z.B. durch schriftliche Geltendmachung oder Klageerhebung), können die Ansprüche ersatzlos verfallen, selbst wenn sie ursprünglich berechtigt waren. Es ist daher sehr wichtig, mögliche Fristen genau zu prüfen und einzuhalten.
- Gesetzliche Verjährung: Daneben gibt es die allgemeine gesetzliche Verjährungsfrist für Gehaltsansprüche, die in der Regel drei Jahre beträgt (§ 195 Bürgerliches Gesetzbuch). Sie beginnt am Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Die kürzeren Ausschlussfristen haben jedoch meist Vorrang und sind daher in der Praxis oft relevanter.
Nachweise sind entscheidend
Um Ansprüche erfolgreich durchsetzen zu können, muss der Kapitän im Streitfall beweisen können, dass er die Bereitschaftszeiten geleistet hat und dass diese nach den geltenden Regelungen (Gesetz, Vertrag, Tarifvertrag) auch vergütungspflichtig sind. Eine genaue Dokumentation der Arbeits- und Bereitschaftszeiten, beispielsweise durch Logbücher oder persönliche Aufzeichnungen, ist daher von großer Bedeutung.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Vergütungspflichtige Bereitschaftszeit
Bereitschaftszeit ist die Zeitspanne, in der sich Arbeitnehmende an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) aufhalten und bereithalten müssen, um bei Bedarf unverzüglich die Arbeit aufnehmen zu können. Sie unterscheidet sich von der Vollarbeit (aktive Tätigkeit) und der Rufbereitschaft (freie Ortswahl, nur Erreichbarkeitspflicht). Entscheidend ist die räumliche Bindung und die Pflicht zur sofortigen Arbeitsaufnahme. Nach der Rechtsprechung und dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gilt Bereitschaftszeit als Arbeitszeit und muss daher vergütet werden, mindestens mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Im konkreten Fall argumentierte der Kapitän, dass seine gesamte dienstfreie Zeit an Bord wegen der Null-Toleranz-Alkoholpolitik und der daraus resultierenden ständigen Einsatzfähigkeit als solche vergütungspflichtige Bereitschaftszeit anzusehen sei.
Beispiel: Ein Arzt, der nachts im Krankenhaus in einem Bereitschaftszimmer schläft, um bei einem Notfall sofort im OP sein zu können, leistet Bereitschaftszeit. Ein Handwerker, der zu Hause auf einen möglichen Anruf wartet, leistet Rufbereitschaft.
Gesetzlicher Mindestlohn
Der gesetzliche Mindestlohn ist die gesetzlich festgelegte Lohnuntergrenze, die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmenden in Deutschland mindestens pro Arbeitsstunde zahlen müssen. Er ist im Mindestlohngesetz (MiLoG) geregelt und gilt grundsätzlich für alle volljährigen Arbeitnehmenden, mit wenigen Ausnahmen (z. B. bestimmte Praktikanten, Auszubildende). Die Höhe wird regelmäßig von einer Kommission angepasst. Da Bereitschaftszeit als Arbeitszeit gilt, muss sie mindestens mit dem jeweils gültigen gesetzlichen Mindestlohn vergütet werden. Der Kapitän forderte für die von ihm behaupteten 11.120 Stunden Bereitschaftszeit die Zahlung nach dem jeweils geltenden Mindestlohn der Jahre 2020 bis 2022.
Beispiel: Wenn der Mindestlohn 12 € pro Stunde beträgt, darf ein Arbeitgeber einem anspruchsberechtigten Mitarbeiter für keine Arbeitsstunde (auch keine Bereitschaftszeitstunde) weniger als 12 € zahlen, unabhängig von Branche oder Tätigkeit, sofern keine tarifvertragliche Regelung eine höhere Vergütung vorsieht.
Heuervertrag
Ein Heuervertrag ist der spezielle Arbeitsvertrag für Seeleute (Besatzungsmitglieder von Seeschiffen, einschließlich Kapitänen). Er ist im Seearbeitsgesetz (SeeArbG) geregelt und enthält neben den allgemeinen arbeitsvertraglichen Regelungen auch Besonderheiten, die sich aus der Seefahrt ergeben (z. B. Regelungen zur Unterkunft und Verpflegung an Bord, Kündigungsfristen bei Auslandsreisen). Im vorliegenden Fall bildete der Heuervertrag des Kapitäns vom 17. April 2018 die Grundlage seines Arbeitsverhältnisses mit der Reederei und legte sein Grundgehalt sowie die wöchentliche Arbeitszeit fest. Er verwies zudem auf die anwendbaren Tarifverträge.
Beispiel: Ähnlich wie ein normaler Arbeitsvertrag regelt der Heuervertrag Rechte und Pflichten, berücksichtigt aber die besonderen Bedingungen auf See, etwa dass der Arbeitsplatz zugleich Wohnort ist und spezielle Sicherheitsvorschriften gelten.
Tarifvertrag (MTV-See / HTV-See)
Ein Tarifvertrag ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die verbindliche Regelungen für Arbeitsverhältnisse trifft (z. B. Löhne, Gehälter, Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch, Kündigungsfristen). Er gilt für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien oder wenn seine Anwendung im Arbeitsvertrag vereinbart wurde (wie hier beim Kapitän). Im Text sind der Manteltarifvertrag See (MTV-See) und der Heuertarifvertrag See (HTV-See) relevant, die spezielle Regelungen für die Seeschifffahrt enthalten. Wichtig war hier die Ausnahme für Kapitäne von der pauschalen Überstundenvergütung, was darauf hindeutet, dass ihre Mehrarbeit oder besonderen Einsatzzeiten möglicherweise anders (oder gar nicht gesondert) vergütet werden sollen.
Beispiel: Ein Tarifvertrag für das Bäckerhandwerk könnte festlegen, dass Gesellen mindestens 15 € pro Stunde verdienen und 30 Tage Urlaub im Jahr haben. Diese Regelungen gelten dann für alle Arbeitsverhältnisse, auf die der Tarifvertrag Anwendung findet.
Null-Toleranz-Alkoholpolitik
Eine Null-Toleranz-Alkoholpolitik ist eine betriebliche Regelung, die den Konsum von Alkohol am Arbeitsplatz oder während der Arbeitszeit vollständig verbietet. Im vorliegenden Fall ging die Politik der Reederei darüber hinaus und erstreckte sich auch auf die dienstfreie Zeit des Kapitäns an Bord des Schiffes. Die Reederei begründete dies mit der Notwendigkeit, die Einsatzfähigkeit in Notfällen und die allgemeine Schiffssicherheit jederzeit zu gewährleisten. Der Kapitän sah in dieser umfassenden Nüchternheitspflicht den Beleg dafür, dass er ständig einsatzbereit sein musste, was er als vergütungspflichtige Bereitschaftszeit interpretierte. Rechtlich ist eine solche betriebliche Regelung grundsätzlich möglich, wenn sie sachlich begründet ist und arbeitsvertraglich vereinbart wird oder auf einer Betriebsvereinbarung beruht.
Beispiel: In einem Chemieunternehmen mit gefährlichen Stoffen könnte eine Null-Toleranz-Politik gelten, die Alkoholkonsum auch in den Pausen auf dem Werksgelände verbietet, um das Unfallrisiko zu minimieren. Die Ausdehnung auf die Freizeit an Bord, wie im Fall des Kapitäns, ist eine Besonderheit aufgrund der spezifischen Arbeitsumgebung Schiff.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 96 Seearbeitsgesetz (SeeArbG) – Arbeitszeit und Ruhezeit: Dieses Gesetz regelt die Arbeits- und Ruhezeiten von Seeleuten und definiert, was als Arbeitszeit gilt und wie Ruhezeiten zu gestalten sind, um die Sicherheit und Gesundheit der Besatzungsmitglieder zu gewährleisten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Es ist entscheidend, ob die vom Kläger beanspruchte ständige Verfügbarkeit aufgrund der Alkoholrichtlinie als Arbeitszeit oder Ruhezeit im Sinne des SeeArbG zu werten ist, da dies die Grundlage für einen Vergütungsanspruch bildet.
- § 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) – Arbeitszeit, Ruhepausen, Ruhezeit: Das Arbeitszeitgesetz definiert den Begriff der Arbeitszeit und unterscheidet zwischen Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst, wobei letzterer als Arbeitszeit gilt und vergütungspflichtig ist, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten muss, um bei Bedarf die Arbeit aufzunehmen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Hier geht es darum, ob die vom Arbeitgeber auferlegte Alkohol-Null-Toleranz-Politik in der dienstfreien Zeit und die daraus resultierende ständige Einsatzbereitschaft des Kapitäns als Bereitschaftsdienst im Sinne des ArbZG zu qualifizieren ist und somit einen Vergütungsanspruch auslöst.
- Tarifvertrag für Seeleute (MTV-See) und Haustarifvertrag Seeleute (HTV-See): Diese Tarifverträge regeln die spezifischen Arbeitsbedingungen und Vergütungsstrukturen für Seeleute in Deutschland und können detailliertere Bestimmungen zu Arbeitszeit, Bereitschaftsdienst und deren Vergütung enthalten, als die gesetzlichen Regelungen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Anwendbarkeit dieser Tarifverträge und insbesondere die im HTV-See vorgesehene pauschale Überstundenvergütung mit Ausnahme von Kapitänen sind relevant, um zu prüfen, ob tarifvertragliche Regelungen den Vergütungsanspruch des Klägers für Bereitschaftszeiten ausschließen oder modifizieren.
- § 106 Gewerbeordnung (GewO) – Weisungsrecht des Arbeitgebers: Dieser Paragraph bestimmt das Recht des Arbeitgebers, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher zu bestimmen (Direktionsrecht), soweit dies nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften eingeschränkt ist. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die von der Beklagten erlassene Alkohol-Null-Toleranz-Politik stellt eine Ausübung des Direktionsrechts dar. Es ist zu prüfen, ob diese Weisung, insbesondere in Bezug auf die dienstfreie Zeit, so weitgehend ist, dass sie eine vergütungspflichtige Bereitschaft begründet, oder ob sie im Rahmen des zulässigen Direktionsrechts liegt und keine zusätzliche Vergütungspflicht auslöst.
Hinweise und Tipps
Praxistipps für Arbeitnehmer mit Anwesenheitspflicht am Arbeitsort während der Freizeit (z. B. Seeleute, Bordpersonal) zum Thema Vergütungspflicht bei Alkoholverbot
Viele Arbeitnehmer verbringen ihre Freizeit direkt am Arbeitsort, zum Beispiel Seeleute an Bord eines Schiffes. Wenn der Arbeitgeber dann auch für die Freizeit strenge Regeln wie ein Alkoholverbot vorschreibt, stellt sich die Frage der Bezahlung. Muss diese Zeit als Bereitschaftsdienst vergütet werden?
Hinweis: Diese Praxistipps stellen keine Rechtsberatung dar. Sie ersetzen keine individuelle Prüfung durch eine qualifizierte Kanzlei. Jeder Einzelfall kann Besonderheiten aufweisen, die eine abweichende Einschätzung erfordern.
Tipp 1: Alkoholverbot ≠ bezahlte Bereitschaftszeit
Ein vom Arbeitgeber ausgesprochenes Alkoholverbot während Ihrer an Bord oder am Arbeitsort verbrachten Freizeit bedeutet nicht automatisch, dass diese Zeit als bezahlte Bereitschaftszeit gilt. Das Gericht unterscheidet klar zwischen der Pflicht zur Nüchternheit aus Sicherheitsgründen und einer echten Bereitschaft, jederzeit die Arbeit aufnehmen zu müssen. Allein die Anordnung, keinen Alkohol zu trinken, macht die Freizeit nicht zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit.
⚠️ ACHTUNG: Klären Sie genau, ob neben dem Alkoholverbot auch eine Verpflichtung besteht, jederzeit sofort arbeitsfähig und einsatzbereit zu sein und sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, um unverzüglich die Arbeit aufnehmen zu können. Nur dann könnte es sich um vergütungspflichtige Bereitschaft handeln.
Tipp 2: Sicherheitsvorschriften haben Vorrang
Arbeitgeber dürfen aus Sicherheitsgründen weitreichende Anordnungen treffen, auch solche, die Ihre Freizeitgestaltung am Arbeitsort (wie z. B. auf einem Schiff) einschränken. Ein Alkoholverbot („Null-Toleranz-Politik“) kann zulässig sein, um die Sicherheit an Bord oder am Arbeitsplatz zu gewährleisten, ohne dass dies eine zusätzliche Vergütung auslöst.
Beispiel: Auf Schiffen, Bohrinseln oder in sicherheitsrelevanten Bereichen von Industrieanlagen sind solche strikten Regeln oft üblich und gerichtlich anerkannt, da die Sicherheit oberste Priorität hat.
Tipp 3: Arbeitsvertrag und Tarifverträge prüfen
Ihre individuellen Rechte und Pflichten ergeben sich aus Ihrem Arbeitsvertrag und möglicherweise anwendbaren Tarifverträgen (wie im Fall die Tarifverträge für die Seeschifffahrt). Prüfen Sie, ob dort Regelungen zu Bereitschaftszeiten, Arbeitszeit, Ruhezeiten oder besonderen Pflichten während der Anwesenheit am Arbeitsort enthalten sind.
⚠️ ACHTUNG: Beachten Sie, dass für bestimmte Positionen oder Berufsgruppen (wie Kapitäne im Beispielfall) Ausnahmen oder Sonderregelungen in Tarifverträgen oder Gesetzen gelten können, z. B. bezüglich der pauschalen Abgeltung von Überstunden.
Tipp 4: Kostenrisiko einer Klage abwägen
Eine Klage auf Vergütung von Bereitschaftszeiten kann mit erheblichen Kosten verbunden sein, insbesondere wenn der Streitwert hoch ist (im Beispielfall über 100.000 €). Bei einer Niederlage vor Gericht müssen Sie in der Regel die Gerichtskosten und die Anwaltskosten der Gegenseite tragen (zumindest anteilig, je nach Ausgang). Lassen Sie Ihre Erfolgsaussichten vorab sorgfältig anwaltlich prüfen.
Weitere Fallstricke oder Besonderheiten?
Entscheidend für die Frage der Vergütung ist die Unterscheidung: Sind Sie lediglich verpflichtet, während Ihrer Freizeit am Arbeitsort nüchtern zu bleiben (wie im Urteilsfall), oder müssen Sie sich darüber hinaus bereithalten, um auf Anforderung sofort die Arbeit aufzunehmen? Nur wenn Sie in Ihrer Freizeitgestaltung erheblich eingeschränkt sind, weil Sie jederzeit mit einer Arbeitsaufnahme rechnen müssen, kann vergütungspflichtige Bereitschaftszeit vorliegen. Die bloße Anwesenheit am Arbeitsort und die Einhaltung von Sicherheitsregeln wie einem Alkoholverbot reichen dafür laut dem ArbG Hamburg nicht aus.
✅ Checkliste: Bereitschaftszeit bei Alkoholverbot
- Gilt die Anweisung (z. B. Alkoholverbot) auch während Ihrer offiziellen Freizeit, die Sie am Arbeitsort (z. B. an Bord) verbringen?
- Ist diese Anweisung nachvollziehbar mit Sicherheitserfordernissen begründet (z. B. Sicherheit auf See)?
- Sind Sie über die Einhaltung der Nüchternheit hinaus verpflichtet, sich ständig bereitzuhalten, um auf Abruf sofort die Arbeit aufzunehmen?
- Gibt es spezifische Regelungen zu Bereitschaftszeiten oder zur Freizeitgestaltung am Arbeitsort in Ihrem Arbeitsvertrag oder einem anwendbaren Tarifvertrag?
- Haben Sie Ihre individuelle Situation und die Erfolgsaussichten einer Klage anwaltlich prüfen lassen, bevor Sie Ansprüche geltend machen?
Das vorliegende Urteil
ArbG Hamburg – Az.: See 1 Ca 180/23 – Urteil vom 11.04.2025
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