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Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 5 Sa 206/19 – Urteil vom 09.06.2020

1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 01.10.2019 – 13 Ca 100/19 – wird zurückgewiesen.

2. Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als vollbeschäftigte Lehrkraft gemäß Arbeitsvertrag vom 14.05.2016 bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.

3. Das beklagte Land hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung sowie über die Wirksamkeit einer vorsorglich ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der im Mai 1970 geborene Kläger nahm im Sommersemester 1992 an der Universität B-Stadt ein Magisterstudium in den Hauptfächern Geschichte und Deutsch auf. Im Sommersemester 1993 kam das Fach Philosophie hinzu, während Deutsch gleichzeitig zum Nebenfach wurde. Im Wintersemester 1994/1995 war der Kläger von der Universität B-Stadt beurlaubt. In dieser Zeit war er an der Universität G. als Gasthörer im Fach Deutsche Philologie registriert. Im Sommersemester 1995 setzte er sein Magisterstudium in B-Stadt fort und war während dieses Semesters zunächst noch als Gasthörer an der Universität G. im Fach Mittlere und Neuere Geschichte eingeschrieben. Im Wintersemester 1995/1996 immatrikulierte er sich an der Universität G. im Masterstudiengang Mittlere und Neuere Geschichte, Deutsche Philologie sowie Philosophie. Im Sommersemester 1996 wechselte der Kläger wieder zur Universität B-Stadt und vom Nebenfach Deutsch zunächst in die Germanistische Sprachwissenschaft und ab dem darauffolgenden Semester in die Germanistische Literaturwissenschaft. Im Herbst 1998 legte er an der Universität B-Stadt die Magisterprüfung in den Fächern Geschichte, Germanistische Literaturwissenschaft und Philosophie ab. Seine Magisterarbeit im Fach Geschichte hatte das Thema: Die Werke Richard Wagners am Rostocker Stadttheater in der Zeit von 1895 bis 1933 und deren Rezeption.

Von Oktober 1998 bis Mai 2003 absolvierte der Kläger an der Universität B-Stadt ein Promotionsstudium im Fach Theatergeschichte. In dieser Zeit war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in verschiedenen Projekten tätig. Am 17.06.2003 wurde er auf dem Gebiet „Neueste Geschichte und Zeitgeschichte“ zum Dr. Phil. promoviert.

Von Februar 2004 bis August 2004 unterrichtete er an den Gymnasien in B. und G.. Von September 2004 bis August 2005 arbeitete er als Dozent an der „Europäischen Wirtschafts- und Sprachakademie (EWS)“ in B-Stadt. Im September 2005 nahm er eine Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter an der Evangelischen Schule in D., einer Regionalschule, auf. Während dieses Zeitraums war der Kläger an der Universität B-Stadt im Sommersemester 2006 für den Diplom-Studiengang Evangelische Theologie eingeschrieben und anschließend vom Wintersemester 2006/2007 bis einschließlich Wintersemester 2008/2009 im Studiengang Lehramt an Haupt- und Realschulen für die Fächer Mathematik, Evangelische Religion und Philosophie.

Nach Beendigung der Tätigkeit an der Regionalschule in D. im August 2010 unterrichtete der Kläger für die Dauer eines Schulhalbjahres an einer Privatschule in B-Stadt, bevor er im Februar 2011 die Leitung der Evangelischen Johannes-Schule in L., einer Grundschule mit Orientierungsstufe, übernahm. Zwischen Herbst 2011 und Frühjahr 2015 besuchte der Kläger an der Universität B-Stadt verschiedene Lehrveranstaltungen in den Fachbereichen Geschichte, Deutsch und Philosophie. Eingeschrieben war er in diesem Zeitraum nicht mehr.

Mit Bescheid vom 12.06.2015 erkannte das Lehrerprüfungsamt Mecklenburg-Vorpommern auf Antrag des Klägers vom 04.02.2015 verschiedene, an der Universität B-Stadt erbrachte Leistungen aus anderen Studiengängen für das Lehramt an Gymnasien an. Es bezog sich dabei auf das Magisterstudium, weitere Studienleistungen und eine Empfehlung der Universität B-Stadt. Anerkannt wurden gemäß Lehrerprüfungsverordnung vom 16.07.2012 die Noten des Faches Geschichte, des Faches Germanistische Literaturwissenschaft für das Prüfungsfach Deutsch, die Noten Pädagogische Psychologie, Schulpädagogik, Allgemeine Persönlichkeitspsychologie und Allgemeine Pädagogik arithmetisch gemittelt als Fachnote für Bildungswissenschaften und schließlich die Magisterarbeit als wissenschaftliche Abschlussarbeit. Am 12.10.2015 legte der Kläger eine mündliche Prüfung in den Fachdidaktiken ab. Das Lehrerprüfungsamt Mecklenburg-Vorpommern erteilte dem Kläger mit Datum vom 12.10.2015 ein Zeugnis über die „Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien“ bezogen auf die Fächer Deutsch und Geschichte. Das Zeugnis bescheinigt ein Studium von 10 Semestern an der Universität B-Stadt. Es weist im Fach Deutsch die Note „gut“ (2,0), im Fach Geschichte die Note „sehr gut“ (1,1), in Bildungswissenschaften die Note „sehr gut“ (1,2) und in Fachdidaktik die Note „gut“ (2,1) aus. Am 30.10.2015 stellte das Lehrerprüfungsamt Mecklenburg-Vorpommern dem Kläger eine Bescheinigung über das in einem Teilstudiengang abgelegte Beifach Philosophie aus.

Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung
(Symbolfoto: Von Daniel M Ernst/Shutterstock.com)

Mit Schreiben vom 29.01.2016 bewarb sich der Kläger bei dem beklagten Land auf eine ausgeschriebene Lehrerstelle im Fach „Deutsch als Zweitsprache“ an der Schule in M.. In dem Bewerbungsschreiben heißt es:

„… Ich habe an den Universitäten B-Stadt, M. und G. die Fächer Geschichte, Germanistik, Philosophie und Psychologie (Magister) studiert – später gleichfalls ein Lehramtsstudium (Gymnasium) parallel zu meiner Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter einer Schule in freier Trägerschaft abgeschlossen. Eine Zuerkennung einer Lehrbefähigung – dem II. Staatsexamen entsprechend – ist beim Kultusministerium für das Lehramt an Regionalschulen beantragt (siehe Schreiben). …“

In dem eingereichten Lebenslauf gab der Kläger in der Rubrik „Ausbildung“ an:

„…

bis Okt. 2015

Parallel zu meiner Tätigkeit als Schulleiter an der Johannes-Schule in L.: Lehramtsstudium (Gymnasium) für die Fächer Deutsch und Geschichte an der Universität B-Stadt, Staatsexamen: Note: „Sehr gut“ (1,4);

…“

Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, Institut für Qualitätsentwicklung, erkannte dem Kläger nach eingehender Prüfung der Unterlagen und Einsichtnahme in die Personalakte mit Bescheid vom 21.03.2016 die Lehrbefähigung für das Lehramt an Regionalen Schulen in den Fächern Deutsch, Geschichte und Philosophie zu. Der Kläger reichte diese Bescheinigung zu seinen Bewerbungsunterlagen ebenso wie eine beglaubigte Abschrift des Magisterzeugnisses, des Zeugnisses über die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien und der Beifach-Bescheinung.

Die Parteien schlossen am 28.04./14.05.2016 einen Arbeitsvertrag, nach dem der Kläger mit Wirkung vom 29.08.2016 unbefristet als vollbeschäftigte Lehrkraft eingestellt wird. Das Arbeitsverhältnis unterliegt dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) in der Fassung, die für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und für das Land Mecklenburg-Vorpommern jeweils gilt, solange der Arbeitgeber hieran gebunden ist. Der Arbeitsvertrag sieht eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 TV-L vor. Das beklagte Land setzte den Kläger in der Grundschule M. ein.

Die Parteien führten im Jahr 2018 einen Rechtsstreit wegen der vom Schulamt verweigerten Freigabeerklärung für Bewerbungen an anderen Schulbehörden des Landes (Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg, Aktenzeichen 11 Ga 2/18; Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Aktenzeichen 5 SaGa 3/18). Der Kläger strebte einen Wechsel zu einer Regionalschule oder einem Gymnasium an. Nachdem er in der ersten Instanz erfolgreich war, schlossen die Parteien am 14.12.2018 einen gerichtlichen Vergleich, der das beklagte Land verpflichtete, die Freigabeerklärung zu erteilen.

Am Freitag, 22.02.2019, wurde der Kläger aus dem Unterricht heraus zum Schulamt N. beordert und dort in Anwesenheit des Bezirkspersonalratsvorsitzenden und weiterer Schulamtsmitarbeiter von dem Schulamtsleiter und der Schulamtsjuristin zum Täuschungsvorwurf über die Ablegung der Ersten Staatsprüfung befragt. Der Kläger verwies auf die Anrechnung verschiedener Prüfungsleistungen aus dem Magisterstudium. Er erhielt Gelegenheit, bis Montag, 25.02.2019, Belege nachzureichen. Zugleich wurde er vom Dienst suspendiert. Mit Anwaltsschreiben vom 25.02.2019 wies der Kläger die Vorwürfe im Einzelnen zurück.

Mit Schreiben vom 27.02.2019 erklärte das beklagte Land die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung. Es warf dem Kläger vor, entgegen den Angaben im Bewerbungsschreiben und dem Lebenslauf zu keinem Zeitpunkt im Studiengang Lehramt an Gymnasien eingeschrieben gewesen zu sein. Des Weiteren beantragte es mit Schreiben vom selben Tag beim Bezirkspersonalrat die Zustimmung zur beabsichtigten vorsorglichen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung des Klägers. Zur Begründung stützte sich das Schulamt auf den Verdacht einer falschen Behauptung des Klägers, ein Lehramtsstudium für Gymnasien belegt zu haben, sowie den Verdacht der Unechtheit des Zeugnisses zur Ersten Staatsprüfung bzw. der unrechtmäßigen Erteilung dieses Zeugnisses. Mit Schreiben vom 07.03.2019 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und hilfsweise ordentlich. Die Kündigung ging dem Kläger zusammen mit der Anfechtungserklärung am 07.03.2019 zu.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass sowohl die Anfechtung als auch die Kündigung unwirksam seien. Er habe das beklagte Land nicht über seinen Ausbildungsweg und seine Abschlüsse getäuscht. Die Bescheinigungen des Lehrerprüfungsamts seien zu Recht erteilt worden. Das Zeugnis über die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien beruhe zum Teil auf der Anrechnung von Studienzeiten aus dem Magisterstudiengang, was in der Lehrerprüfungsverordnung ausdrücklich vorgesehen sei. Hierfür sei es nicht notwendig gewesen, sich an der Universität B-Stadt einzuschreiben. Der Kläger habe auch nicht behauptet, in dieser Zeit an der Universität eingeschrieben gewesen zu sein. Maßgeblich für ihn sei nicht das neue modularisierte Lehramtsstudium gewesen, bei dem die Universität einen Teil der Examensprüfung abnehme. Parallel zur neuen Studienform habe die Universität das Studium im alten Lehramt weitergeführt, bei dem die Universität lediglich Leistungsnachweise für die Anmeldung zur Prüfung beim staatlichen Lehrerprüfungsamt erteilt habe. Das Lehrerprüfungsamt habe sodann über die Anerkennung der Leistungsnachweise entschieden. Leistungsnachweise seien seinerzeit nicht an der Universität registriert worden.

Die Angabe, in M. studiert zu haben, sei ebenso wenig falsch. Er habe dort 1997 ein Semester lang Vorlesungen im Fach Psychologie besucht, was ein früherer Studienkollege bezeugen könne. Eingeschrieben habe er sich an der Universität M. nicht.

Der Kläger hat zudem bestritten, dass der Personalrat ordnungsgemäß angehört worden sei.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtungserklärung des beklagten Landes vom 27.02.2019 nicht aufgehoben worden ist, und

2. festzustellen, dass auch die Kündigung des beklagten Landes vom 07.03.2019 das Arbeitsverhältnis der Parteien weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst hat.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe das Schulamt in seinem Bewerbungsschreiben und durch die vorgelegten Bescheinigungen arglistig getäuscht. Das Zeugnis über die Erste Staatsprüfung sei ebenso wie die Beifach-Bescheinigung offensichtlich zu Unrecht erteilt worden. Die Zulassung zur Staatsprüfung setze eine Einschreibung an der Universität und eine Bescheinigung des Prüfungsamtes der Universität voraus, was bei dem Kläger nicht vorliege. Der Kläger habe entgegen des von ihm erweckten Eindrucks kein ordnungsgemäßes Lehramtsstudium absolviert. Eine evtl. Prüfung sei unwirksam. Zudem sei zweifelhaft, ob die Note für die Fachdidaktik rechtmäßig gebildet sei. Es fehle ein entsprechender Anrechnungs- bzw. Gleichwertigkeitsbescheid über die Bildung dieser Modulnote. Das Lehrerprüfungsamt hätte das Zeugnis über die Erste Staatsprüfung ebenso wenig erteilen dürfen wie das Institut für Qualitätsentwicklung die Lehrbefähigung hätte anerkennen dürfen. Der Arbeitsvertrag wäre nicht geschlossen worden, wenn das beklagte Land gewusst hätte, dass der Kläger nur über einen Magisterabschluss verfüge.

Das Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern hat am 02.07.2019 seinen Bescheid vom 21.03.2016 über die Zuerkennung der Lehrbefähigung für das Lehramt an Regionalen Schulen in den Fächern Deutsch, Geschichte und Philosophie zurückgenommen. Die Rücknahme hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Schwerin (Aktenzeichen 4 A 1322/19) angegriffen. Das Verwaltungsgericht hat in einem gerichtlichen Hinweis vom 26.07.2019 mitgeteilt, dass der Rücknahmebescheid schon wegen Nichtausübung des Ermessens unrechtmäßig sein dürfte.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 01.10.2019 der Klage stattgegeben. Der Kläger habe das beklagte Land nicht arglistig getäuscht. Er habe keine falschen Tatsachen vorgespiegelt. Das Zeugnis zur Ersten Staatsprüfung sei ebenso wie die Anerkennung der Lehrbefähigung ordnungsgemäß ausgestellt worden. Der Kläger sei deshalb berechtigt gewesen, die Urkunden zum Zwecke der Bewerbung zu verwenden. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn sich der Kläger die Zeugnisse bzw. Bescheinigungen erschlichen hätte. Das sei aber nicht vorgetragen noch gebe es Anzeichen hierfür. Die Kündigung sei unwirksam, weil der Kläger das beklagte Land nicht getäuscht habe. Auch bei der Befragung am 22.02.2019 habe er nicht wissentlich falsche Angaben gemacht.

Hiergegen wendet sich das beklagte Land mit seiner fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, die zunächst Bezug nimmt auf das erstinstanzliche Vorbringen. Der Kläger habe falsche Tatsachen vorgespiegelt. Im Lebenslauf habe er auf ein Lehramtsstudium für Gymnasien verwiesen, obwohl er ein solches Studium nicht absolviert habe. In seiner Bewerbung habe der Kläger den Eindruck erweckt, der Prüfungs- und Studienordnung entsprechend auf ein Lehramt studiert zu haben. Ein Gasthörerstatus genüge dem nicht. Das sei dem Kläger bewusst gewesen, da er andernfalls kein Anerkennungsverfahren beim Lehrerprüfungsamt hätte anstrengen müssen. Die Rechtmäßigkeit der erteilten Zeugnisse sei weiterhin zweifelhaft. Hätte der Kläger seinen Bildungsweg korrekt dargestellt, hätte das beklagte Land die Zeugnisse bereits vor Vertragsschluss prüfen lassen. Der Arbeitsvertrag wäre dann nicht geschlossen worden.

Die Vorspiegelung falscher Tatsachen rechtfertige jedenfalls die außerordentliche Kündigung. Zumindest bestehe der dringende Verdacht, dass der Kläger seinen Bildungsgang bewusst falsch dargestellt habe. Die Gelegenheit zur Richtig- bzw. Klarstellung im Anschluss an das Personalgespräch habe der Kläger nicht genutzt, was den Verdacht erhärtet habe.

Das beklagte Land beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 01.10.2019 – 13 Ca 100/19 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen.

Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen. Der Kläger habe sich in seiner Bewerbung auf ein Lehramtsstudium beziehen dürfen. Genau das habe ihm das Lehrerprüfungsamt bescheinigt. Es gebe keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zeugnisses über die Erste Staatsprüfung. Auch das Lehrerprüfungsamt gehe weiterhin von dessen Rechtmäßigkeit aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des beklagten Landes ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit der zutreffenden Begründung stattgegeben.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat weder aufgrund der Anfechtungserklärung des beklagten Landes vom 27.02.2019 noch durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 07.03.2019 geendet.

1. Anfechtung

Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).

Eine arglistige Täuschung setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat (BAG, Urteil vom 11. Juli 2012 – 2 AZR 42/11 – Rn. 22, juris = NJW 2012, 3390; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07. März 2019 – 5 Sa 301/18 – Rn. 69, juris). Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen (BAG, Urteil vom 11. Juli 2012 – 2 AZR 42/11 – Rn. 22, juris = NJW 2012, 3390; BAG, Urteil vom 12. Mai 2011 – 2 AZR 479/09 – Rn. 43, juris = ZTR 2011, 739; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07. März 2019 – 5 Sa 301/18 – Rn. 69, juris).

Zwischen der Täuschung und der abgegebenen Willenserklärung muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Die Kausalität ist gegeben, wenn der Getäuschte die Willenserklärung ohne die Täuschung entweder gar nicht oder nicht mit diesem Inhalt oder nicht zu diesem Zeitpunkt abgegeben hätte (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2014 – III ZR 82/13 – Rn. 12, juris = NJW-RR 2015, 158; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19. Mai 2020 – 5 Sa 217/19 – Rn. 40, juris).

Die Darlegungs- und Beweislast für die eine vorsätzliche Täuschung begründenden Umstände sowie deren Ursächlichkeit für die angefochtene Willenserklärung trägt der Anfechtende (BAG, Urteil vom 15. Mai 1997 – 2 AZR 43/96 – Rn. 19 = NZA 1998, 33; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. November 2019 – 2 Sa 164/19 – Rn. 32, juris).

Der Kläger hat das beklagte Land bei Abschluss des Arbeitsvertrags nicht getäuscht.

a) Die Angabe im Bewerbungsschreiben

„… Ich habe an den Universitäten B-Stadt, M. und G. die Fächer Geschichte, Germanistik, Philosophie und Psychologie (Magister) studiert – später gleichfalls ein Lehramtsstudium (Gymnasium) parallel zu meiner Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter einer Schule in freier Trägerschaft abgeschlossen. …“

ist nicht falsch.

aa) Soweit der Kläger M. als Studienort nennt, war er dort zwar nicht eingeschrieben, hat aber dort dennoch zeitweise Psychologie studiert. Der Kläger hat seinen Angaben nach, die zudem unter Beweis gestellt sind, in M. für die Dauer eines Semesters Psychologievorlesungen besucht. Diesen Ausführungen ist das beklagte Land nicht mehr entgegengetreten. Die Angaben sind deshalb als zugestanden anzusehen (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Mit der Aussage, an einer Universität studiert zu haben, ist nicht zugleich die Erklärung verbunden, in dieser Zeit dort eingeschrieben gewesen zu sein. Immatrikuliert war der Kläger zu dieser Zeit an der Universität B-Stadt. Eine Immatrikulation besagt ohnehin wenig zu Umfang und Intensität der Studien oder zum persönlichen Aufenthaltsort des Studenten. Ausschlaggebend sind allein die erworbenen Leistungsnachweise. Prüfungen hat der Kläger an der Universität M. nicht abgelegt, dies aber auch nicht behauptet. Welchen Wert Studienaufenthalte ohne Prüfungsleistungen letztendlich für die fachliche Befähigung haben, mag unterschiedlich zu beurteilen sein. Der tatsächliche Wissenszuwachs hängt jedenfalls nicht von dem formalen Status des Studenten an der Universität ab. Da der Kläger in der Bewerbung für seinen Studienaufenthalt in M. weder einen konkreten Zeitraum noch Prüfungsleistungen noch das dort studierte Fach angegeben hatte, war der Gehalt dieser Aussage ohnehin begrenzt. Von besonderen, speziellen Kenntnissen durch einen Studienaufenthalt in M. konnte das beklagte Land nicht ausgehen, und zwar unabhängig davon, ob der Kläger als Student oder als Gasthörer oder überhaupt nicht eingeschrieben war.

Abgesehen davon war der konkrete Studienverlauf für die Einstellung des Klägers nicht von Bedeutung, da das beklagte Land von ihm keine näheren Angaben hierzu angefordert, sondern sich mit den pauschalen Aussagen begnügt hat.

bb) Soweit der Kläger in der Bewerbung ein Lehramtsstudium (Gymnasium) parallel zu seiner Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter einer Schule in freier Trägerschaft angegeben hat, ist auch diese Aussage nicht falsch. Sie entspricht dem Zeugnis über die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien vom 12.10.2015, das dem Schulamt bei der Einstellung ebenfalls vorlag. Das Zeugnis erhielt der Kläger im Anschluss an ein berufsbegleitendes Studium. Der Kläger hat im Bewerbungsschreiben und seinem Lebenslauf ausdrücklich darauf hingewiesen, parallel zu seiner Berufstätigkeit studiert zu haben. Schon deshalb konnte es sich nicht um ein typisches Vollzeitstudium handeln, wie es regelmäßig im Anschluss an die Schulausbildung absolviert wird. Während dieses berufsbegleitenden Studiums hat der Kläger verschiedene Lehrveranstaltungen besucht. Das ist mit dem Begriff „studieren“ zutreffend wiedergegeben. Dass der Kläger zuletzt, also nach dem Wintersemester 2008/2009, nicht mehr an der Universität B-Stadt eingeschrieben war, steht dieser Aussage nicht entgegen. Studieren setzt nicht zwangsläufig eine durchgängige und bis zuletzt fortbestehende Immatrikulation voraus, was andersherum ebenso gilt.

Für den einstellenden Arbeitgeber ist es zudem nicht von Bedeutung, wie lange der Student förmlich eingeschrieben war. Ausschlaggebend sind allein die Leistungsnachweise. Bei der Einstellung kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer über eine bestimmte Qualifikation, hier bezogen auf eine Lehrtätigkeit, verfügt. Der formale Status des Studenten während seines Studium ist regelmäßig nicht von Interesse.

b) Mit der Einreichung des Zeugnisses über die Erste Staatsprüfung hat der Kläger keine falschen Tatsachen behauptet. Das Zeugnis ist vom Lehrerprüfungsamt des beklagten Landes im Rahmen seiner Zuständigkeit ausgestellt worden. Die Echtheit der Urkunde wird auch vom Schulamt nicht mehr angezweifelt. Das Zeugnis ist nach wie vor existent und gültig. Die Urkunde ist nicht gefälscht. Der Kläger hat das Zeugnis nicht durch falsche Angaben gegenüber dem Lehrerprüfungsamt erschlichen. Der Kläger darf das Zeugnis im Rechtsverkehr verwenden.

Ob das Lehrerprüfungsamt das Zeugnis mit diesem Inhalt und diesen Noten in dieser Form erteilen durfte, ist unerheblich, da sich hieraus keine Schlussfolgerungen auf ein Vorspiegeln falscher Tatsachen ergeben. Selbst wenn das Lehrerprüfungsamt Vorschriften von Prüfungsordnungen nicht ausreichend beachtet oder zu weitgehend ausgelegt haben sollte, ändert das nichts daran, dass das Zeugnis mit diesem Inhalt im Oktober 2015 erteilt wurde und im Übrigen weiterhin Bestand hat. Der Kläger war und ist nicht gehalten, die Rechtmäßigkeit des von einer staatlichen Einrichtung erteilten Zeugnisses zu hinterfragen und diese nochmals überprüfen zu lassen, beispielsweise von einer übergeordneten Behörde. An einem offensichtlichen Mangel leidet das Zeugnis jedenfalls nicht. Nach § 13 Abs. 4 Lehrerprüfungsverordnung M-V kann das Lehrerprüfungsamt, falls ein Bewerber über einen Studienabschluss einer Universität verfügt (Master, Magister, Diplom, Promotion) auf Antrag die entsprechende Abschlussnote als Note für die Erste Staatsprüfung in dem betreffenden Fach beziehungsweise in den betreffenden Fächern anerkennen. Anstelle der wissenschaftlichen Abschlussarbeit kann eine Dissertation oder eine Magisterarbeit akzeptiert werden, wenn sie nach ihrem Gegenstand einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit gleichwertig ist (§ 12 Lehrerprüfungsverordnung M-V).

c) Der Kläger hat dem Schulamt keine falschen Tatsachen vorgespiegelt, indem er die Beifach-Bescheinigung vom 30.10.2015 vorgelegt hat. Diese Bescheinigung ist ebenso wenig falsch wie das Zeugnis über die Erste Staatsprüfung.

d) Der Kläger durfte bei der Einstellung auch den Bescheid des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Institut für Qualitätsentwicklung, vom 21.03.2016 über die Zuerkennung einer Lehrbefähigung einreichen. Der Bescheid war zu diesem Zeitpunkt noch gültig. Er wurde erst später, nämlich im Juli 2019, zurückgenommen. Ob die Rücknahme rechtmäßig ist, haben die Verwaltungsgerichte zu klären.

2. Kündigung

Das Arbeitsverhältnis hat weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 07.03.2019 geendet. Die Kündigung ist unwirksam.

Es fehlt an einem Kündigungsgrund. Der Kläger hat seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bzw. bei Eingehung des Arbeitsverhältnisses nicht verletzt. Er hat das beklagte Land nicht arglistig über seinen Ausbildungsgang getäuscht. Auf die Ausführungen zu Ziffer 1 wird verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

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