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Anfechtung eines Aufhebungsvertrags – Wegfall der Geschäftsgrundlage

Landesarbeitsgericht Hamburg – Az.: 2 Sa 42/14 – Urteil vom 16.12.2014

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 7. Mai 2014 – 27 Ca 537/13 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Anfechtung eines Aufhebungsvertrags und den Wegfall der Geschäftsgrundlage.

Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. Schiffswerft (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wurde am 01.02.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Insolvenzschuldnerin beschäftigte zu diesem Zeitpunkt ca. 400 Arbeitnehmer. Es bestand ein Betriebsrat. Der Kläger – 58 Jahre alt – war bei der Insolvenzschuldnerin seit dem Jahre 1973 als Schiffbauer tätig. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt € 4.018,59.

Die Insolvenzschuldnerin verfügte zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung lediglich über zwei Schiffbauaufträge, die noch im Jahre 2012 abgeschlossen wurden. Kurz nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schloss der Beklagte einen weiteren Vertrag über ein Errichterschiff für Windkraftanlagen ab. An diesem Auftrag wurde noch im Januar 2014 gearbeitet.

In seiner Sitzung am 04.02.2013 beschloss der Gläubigerausschuss, dass der Beklagte alle erforderlichen Maßnahmen für eine Betriebseinstellung ergreifen sollte. Auch wurde die Einstellungsentscheidung des Beklagten bestätigt. Im Februar und März 2013 wurde der Betriebsrat vom Beklagten über den Stilllegungsbeschluss für Ende Juli 2013 informiert. Mit Datum vom 11.03.2013 wurde ein Teil-Interessenausgleich geschlossen. Es wird Bezug genommen auf die Anlage B 1 (Bl. 27 ff. d.A.). In der Präambel heißt es u.a.:

„Durch die Abarbeitung eines Auftrages für ein Windkraft-Errichterschiff konnte die übrige Belegschaft bis jetzt weiter beschäftigt werden. Dieser Auftrag ist in absehbarer Zeit voraussichtlich zum 31.07.2013 fertiggestellt. Es konnten bis zum Abschluß dieser Vereinbarung keine weiteren Aufträge generiert werden. Ohne weitere Aufträge gibt es keine Investoren, die den Betrieb oder Teile des Betriebs aus der Insolvenzmasse übernehmen würden.

Daher müssen sich die Betriebsparteien mit dieser Vereinbarung auf eine Stilllegung des Betriebes zum 31.07.2013 einrichten.

In dieser Situation sind alle Mitarbeiter der S. von betriebsbedingten Kündigungen bedroht.“

§ 2 Abs. 2 des Teil-Interessenausgleichs lautet:

„Der Auftrag ist am 31.07.2013 beendet, so dass dann der Betrieb der S. stillgelegt wird. Die Betriebsparteien streben nach wie vor die Möglichkeit der Betriebs- und Teilbetriebsübernahme bis zum 31.7.2013 an, dies hängt jedoch wesentlich davon ab, ob es gelingt, Aufträge zu generieren.“

In § 3 Nr. 4 des Teil-Interessenausgleichs heißt es zur Anschlussperspektive:

„Allen Beschäftigten kann zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung keine Anschlussperspektive geboten werden.

Sollte sich bis zum 31.7.2013 ein Investor finden, der den Betrieb oder einen Teil des Betriebes übernimmt, so entfällt bei den Beschäftigten, die zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung in den betreffenden Betriebsteilen arbeiten, die Geschäftsgrundlage für den Aufhebungsvertrag, der im Hinblick auf eine Betriebsstilllegung abgeschlossen wird. Dies gilt nicht für Mitarbeiter, die bereits tatsächlich in die Transfergesellschaft gewechselt sind und Transferkurzarbeitergeld erhalten haben.

In diesem Fall kommen die Betriebsparteien unverzüglich zusammen, um den Interessenausgleich der neuen Sachlage anzupassen.“

In § 3 Nr. 5 findet sich u.a. Folgendes:

„Ergibt sich durch Änderungen in der Auftragslage die Möglichkeit, betroffene Arbeitnehmer länger als jetzt geplant zu beschäftigen, so ist diese Möglichkeit unter Arbeitnehmern mit vergleichbaren Qualifikationen stets dem ältesten Arbeitnehmer zuerst anzubieten.“

Unter demselben Datum wurde eine Protokollnotiz unterzeichnet betreffend die Gründung einer Ingenieursgesellschaft (Bl. 37 d. A.), „um das Konstruktions-know how zu erhalten“.

In einer Informationsveranstaltung am 14.03.2013 wurde u.a. dem Kläger mitgeteilt, dass Ende Juni 2013, spätestens Ende Juli 2013 sämtliche Tätigkeit der Werft eingestellt werde. Bis dahin sollten alle Arbeitsverträge gekündigt werden. Dem Kläger wurde weiterhin in Aussicht gestellt, dass bei Fortführung der Insolvenzschuldnerin ggf. durch einen Investor die in der T. N. tätigen Arbeitnehmer übernommen würden.

Die Parteien unterzeichneten am 21.03.2013 einen Aufhebungsvertrag, dessen Gegenstand die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu der Insolvenzschuldnerin zum 30.04.2013 und der Wechsel in die „T. N. – Betriebsstätte S. II“ war. In Ziffer I des Aufhebungsvertrags wurde u.a. Bezug genommen auf den Teil-Interessenausgleich vom 11.03.2013 (Anlage 1, Bl. 5 ff. d. A.).

Am 03.05.2013 erhielt der Beklagte die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung und verlieh Mitarbeiter in der Folgezeit.

Der Beklagte führte die Insolvenzschuldnerin über den 31.07.2013 hinaus fort, um das Errichterschiff fertigzustellen und auszuliefern. Anfang 2014 wurde bekannt gegeben, dass ein Investor gefunden worden sei und die Insolvenzschuldnerin fortgeführt werde.

Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 17.09.2013 die Anfechtung seiner Erklärung zum Abschluss des Aufhebungsvertrags gemäß § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise wegen Irrtums gemäß § 119 BGB (Anlage A 3, Bl. 6f. d. A.).

Mit Schriftsatz vom 11.11.2013, eingegangen bei Gericht am 12.11.2013, hat der Kläger Klage erhoben und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Er hat mit Schriftsatz vom 16.04.2014 außerdem den Rücktritt vom Aufhebungsvertrag erklärt.

Der Kläger hat vorgetragen, dass er den Aufhebungsvertrag wirksam angefochten habe. Dem Beklagten habe bereits bei Abschluss des Aufhebungsvertrags bekannt gewesen sein müssen, dass die Insolvenzschuldnerin fortgeführt werde. Eine Fertigstellung des Errichterschiffs bis Juni/Juli 2013 sei nicht möglich gewesen, denn zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages im März 2013 sei das Schiff nicht einmal zur Hälfte fertig gestellt worden. Insofern habe es keine Verzögerungen gegeben. Vielmehr habe es der Planung entsprochen, dass über den Zeitpunkt der beabsichtigten Stilllegung hinaus noch gearbeitet werden solle. Der Beklagte habe keine Maßnahmen zur Stilllegung getroffen. Weder seien Maschinen noch Patente oder Inventar ab Juni/Juli 2013 verkauft worden. Auch die Protokollnotiz vom 11.03.2013 spreche dafür, dass die Fortführung der Werft beabsichtigt gewesen sei. Der Kläger könne sich zudem auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Der Aufhebungsvertrag sei wegen der Betriebsstilllegung geschlossen worden. Aus der Presse sei jedoch zu entnehmen, dass die Insolvenzschuldnerin verkauft und übergeben worden sei zusammen mit dem verbliebenen Personalbestand von ca. 50 Mitarbeitern.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch den Aufhebungsvertrag vom 21.03.2013 nicht aufgelöst ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers über den 30.04.2013 hinaus fortbesteht,

3. den Beklagten zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Schiffbauer zu beschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass er im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung nicht gewusst habe, dass eine Einstellung des Betriebs bis Ende Juli 2013 nicht erfolgen würde. Vielmehr hätten die wesentlichen Arbeiten am Errichterschiff bereits im Juni 2013 abgeschlossen sein sollen, sodass das Schiff im Juli 2013 hätte übergeben werden können. Er habe im Februar 2013 mit Maßnahmen begonnen, die zur Stilllegung Ende Juli 2013 führen sollten. Dass es zu Verzögerungen kommen würde, sei ihm zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst gewesen.

Das Arbeitsgericht Hamburg hat durch Urteil vom 07.05.2014 – 27 Ca 537/13 – Bl. 49ff. d. A. – die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag der Parteien vom 21.03.2013 zum 30.4.2013 wirksam beendet worden sei. Der Aufhebungsvertrag sei nicht nichtig nach § 142 BGB, da ein Anfechtungsgrund nicht gegeben sei. Eine arglistige Täuschung im Sinne von § 123 BGB liege nicht vor. Denn vom Kläger sei nicht substantiiert dargelegt worden, dass der Beklagte gewusst habe, dass das Errichterschiff nicht bis spätestens Juli 2013 fertig gestellt sein würde. Auch habe der Kläger nicht dargetan, dass der Beklagte schon zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages am 21.03.2013 gewusst habe, dass eine Übernahme der Insolvenzschuldnerin durch einen Investor erfolgen werde. Grobe Fahrlässigkeit reiche nicht aus für die Annahme des § 123 BGB. Auch aus der Bezugnahme im Aufhebungsvertrag auf den Teil-Interessenausgleich vom 11.03.2013 habe dem Kläger klar sein müssen, dass eine Stilllegung noch nicht endgültig beschlossen worden sei. Auch ein Recht zum Rücktritt nach § 313 Abs. 3 BGB wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei nicht gegeben.

Eine Anpassung komme grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrages und dem Vertragsende bestehe. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Umstände nach Vertragsende seien regelmäßig nicht mehr zu berücksichtigen.

Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 19.05.2014 wirksam zugestellt wurde (Bl. 62 d. A.), hat er mit Schriftsatz vom 17.06.2014, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tage (Bl. 64 d. A.), Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 29.07.2014, der am 30.07.2014 beim Landesarbeitsgericht einging (Bl. 71 d. A.), begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 30.06.2014 bis zum 19.08.2014 verlängert worden war (Bl. 68 d. A.).

Der Kläger wiederholt und vertieft seine erstinstanzlichen Ausführungen. Es müsse für die Beurteilung der Täuschung eine Gesamtschau der Handlungen des Beklagten erfolgen. Hierzu gehörten: Die Fertigstellung des Schiffes sei jedenfalls bis zum 31.07.2013 nicht möglich gewesen; die für die spätere Fertigstellung als verantwortlich vorgetragenen Verzögerungen seien pauschal und nicht überzeugend; die Ingenieursgesellschaft sei nur 10 Tage nach Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages gegründet worden; Arbeitsverträge seien im Juli/August 2013 verlängert worden; es habe Arbeitnehmerüberlassungen gegeben, wenn die Erlaubnis hierfür seit Anfang Mai 2013 vorgelegen habe, müsse der entsprechende Antrag erfahrungsgemäß bereits vor März 2013 gestellt worden sein. Der Beklagte habe den Kläger zur Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag veranlasst, mit der Behauptung, dass der Betrieb der Insolvenzschuldnerin Ende Juli 2013 eingestellt werde, wenn bis dahin kein Investor gefunden werde.

Der Kläger beantragt,

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 07.05.2014 – 27 Ca 537/13 – dem Kläger zugestellt am 19.05.2014 wird abgeändert. Es wird nach den Schlussanträgen 1. Instanz erkannt.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 07.05.2014, AZ. 27 Ca 537/13, wird zurückgewiesen.

Der Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Der Aufhebungsvertrag sei wirksam. Eine arglistige Täuschung liege nicht vor. Die Behauptung des Klägers, das Schiff habe gar nicht bis Ende Juli 2013 fertiggestellt werden können, reiche nicht, um von einer Abstufung der Beweislast auszugehen. Aus der Protokollnotiz für die Gründung der Ingenieursgesellschaft ergebe sich, dass diese Gründung erst nach erfolgter Stilllegung des Betriebs hätte erfolgen sollen. Die Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung stehe in keinem zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrages. Es sei damit versucht worden, Kosten zu sparen und Möglichkeiten für eine Übernahme qualifizierter Mitarbeiter  zu schaffen. Schon vor Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass er – der Beklagte – weiterhin auf Investorensuche sei, die Unsicherheit der Betriebsstilllegung sei geradezu Geschäftsgrundlage gewesen. Auch ergebe sich aus dem Shipbuilding Service Contract vom 09.02.2013 und dem Addendum 1 vom 13.06.2013 (Bl. 99ff. d. A.), dass die Fertigstellung des Errichterschiffes zuerst bis 31.03.2013 und dann bis 31.07.2013 vereinbart gewesen sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und im Übrigen form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Mit ausführlicher, überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Lediglich ergänzend und auf den neuen Vortrag der Parteien eingehend wird Folgendes ausgeführt:

1. Die vom Kläger erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, § 123 Abs. 1 BGB, führt nicht zur Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages.

a. Folgende Rechtsgrundsätze liegen zugrunde: Die Anfechtung einer Willenserklärung nach § 123 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Erklärende zu ihrer Abgabe durch eine arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Das ist dann der Fall, wenn diese Täuschung objektiv einen Irrtum des Erklärenden hervorgerufen und dadurch dessen Entschluss zur Willenserklärung beeinflusst hat (BGH vom08.12.2011, IV ZR 5/10; 22.02.2005, X ZR 123/03 – juris). Das subjektive Merkmal der Arglist im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB liegt – wie das Arbeitsgericht zu Recht ausführt – vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim Erklärungsgegner entstehen oder aufrecht erhalten werden; Fahrlässigkeit – auch grobe Fahrlässigkeit – genügt insoweit nicht. Einen solchen vom Erklärenden, hier dem Kläger, darzulegenden und ggf. zu beweisenden Irrtum, der durch eine Handlung oder Unterlassung des Beklagten verursacht wurde, ist nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien und auch nach dem streitigen Vortrag des Klägers – auch bei einer Gesamtschau der Umstände – nicht erkennbar.

b. Der beabsichtigte Fertigstellungstermin des Errichterschiffes stellt jedenfalls kein Indiz für eine Täuschung seitens des Beklagten dar. Bei Abschluss des Aufhebungsvertrages im März 2013 war das Errichterschiff erst ca. zur Hälfte fertiggestellt. Der Kläger selbst trägt vor, dass eine Fertigstellung des Errichterschiffs bis Juni/Juli 2013 nicht möglich gewesen sei. Der Kläger ist seit dem Jahre 1973 auf einer Werft tätig und kann realistische Einschätzungen zum Baufortschritt eines Schiffes machen. Eine Täuschung – also die Erregung eines Irrtums – hinsichtlich des Fertigstellungstermins konnte damit beim Kläger insoweit gar nicht hervorgerufen werden. Vielmehr konnte bei Abschluss des Aufhebungsvertrages für den Fall der Betriebseinstellung zum 31.07.2013 mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass das Errichterschiff unfertig dem Kunden übergeben oder – bei verweigerter Nichtabnahme – sonst wie hätte verwertet werden müssen.

Gegen die Ausführungen des Klägers sprechen auch die von dem Beklagten vorgelegten Vertragsunterlagen Shipbuilding Service Contract vom 09.02.2013 und das Addendum 1 vom 13.06.2013, wonach die Fertigstellung zuerst bis 31.03.2013 und dann bis 31.07.2013 vereinbart war. Auch diese Unterlagen belegen, dass der Beklagte – insbesondere zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages – nicht davon ausging, die Fertigstellung werde sich über den 31.07.2013 hinaus verzögern.

Dies passt zu den sonstigen Umständen bei Abschluss des Aufhebungsvertrages. Noch im Februar 2013 hatte der Gläubigerausschuss den Beklagten aufgefordert, alle für eine Betriebsstilllegung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen. Sie haben sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einzusehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen (§ 69 InsO). Dementsprechend haben die Gläubiger zunächst eine Entscheidung gemäß § 157 InsO getroffen und dem folgend hat sich der Beklagte verhalten, indem er u.a. Aufhebungsverträge anstrebte und Kündigungen von Mitarbeitern aussprach.

Nach § 1 InsO ist der Hauptzweck des Insolvenzverfahrens die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung. Der Erhalt des Schuldnerunternehmens – mit seinen Arbeitsplätzen – wird als zulässiges und erwünschtes Mittel zur Erreichung jenes Ziels genannt, ist aber nicht Selbstzweck (Kreft, Insolvenzordnung, 6. Aufl. 2011 Nr. 3 zu § 1). Anders gesagt: Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eben keine Vorentscheidung in Richtung einer Liquidation oder Sanierung des Schuldnervermögens getroffen (Kreft, aaO). Es bleibt dies den Bemühungen des Insolvenzverwalters und den Entscheidungen der Gläubiger vorbehalten. Es kann eine Verwertung im Ganzen (§ 160 Abs. 2 Nr. InsO) erfolgen – auch im Wege sanierender Übertragung – oder in Teilen erfolgen, je nach erwartetem größtmöglichen Reinerlös.

Dieser rechtlichen Konstellation entsprechend ist der Beklagte verfahren: Er hat sich einerseits dem Auftrag des Gläubigerausschusses folgend bemüht, eine Betriebsstillegung vorzubereiten und andererseits seine Bemühungen, den Betrieb durch Akquirieren von Aufträgen und Finden eines Investors jedenfalls teilweise aufrechtzuerhalten, nicht eingestellt. Hierüber gab es keine Unklarheiten: Die Belegschaft wurde durch Informationen des Betriebsrates beteiligt, es kam mit dem Betriebsrat zum Abschluss des Teil-Interessenausgleichs vom 11.03.2013, in dem diese Situation aufgenommen und geregelt wurde, worauf das Arbeitsgericht zu Recht abstellt. Mehrfach werden dort verschiedene Konstellationen einer möglichen Betriebsfortführung genannt und geregelt.

Auf diesen Interessenausgleich verweist auch der Aufhebungsvertrag vom 21.03.2013. Mit anderen Worten: Der Kläger hat einen Aufhebungsvertrag in einer Situation unterschrieben, in der einerseits eine durch den Gläubigerausschuss manifestierte Stilllegungsabsicht bestand, zugleich aber ein Investor gesucht wurde. Aufgrund welcher Überlegungen und mit welcher Motivation auch immer der Kläger den Aufhebungsvertrag schloss, eine arglistige Täuschung hat ihn jedenfalls nicht bestimmt. Das Verhalten des Beklagten entsprach dem offenen Ergebnis hinsichtlich der Betriebseinstellung oder dem Gewinnen eines Investors. Er fuhr zweigleisig. Er tat dies nicht verdeckt, sondern offen – wie es der Teilinteressenausgleich deutlich zum Ausdruck bringt. Bei einer Gesamtschau der vom Kläger genannten Umstände wird dies eher noch bestätigt: Die Gründung einer Ingenieursgesellschaft bereitete die Sicherung des Know-how vor, der Antrag auf Genehmigung von Arbeitnehmerüberlassung bot die Chance, Mitarbeiter anderweitig unterzubringen und sie nicht endgültig zu verlieren, sollte sich ein Investor finden. Dies alles passt ins Bild: es handelte sich um eine offene Situation, die den Mitarbeitern nicht verschleiert wurde. Wenn sie in dieser Situation einen Aufhebungsvertrag unterschrieben, mögen sie dies später bereut haben, getäuscht wurden sie – also auch der Kläger – nicht.

2. Dem Arbeitsgericht ist auch darin zu folgen, dass dem Kläger kein Recht zustand, vom Aufhebungsvertrag nach § 313 Abs. 3 BGB zurückzutreten. Es fehlt an den Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.

Gemäß § 313 Abs. 1 BGB liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss in schwerwiegender Weise geändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, § 313 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB. Rechtsfolge ist eine Anpassung des Vertrages, soweit einem Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann. Falls eine Anpassung nicht möglich ist, kommt auch eine Auflösung des Vertrages in Betracht (Hessisches LAG v. 16.09.2013, 16 Sa 782/13, juris Rn. 32).

Wie aus den Ausführungen zur Anfechtung folgt, war aber die Ungewissheit über das Schicksal der Werft geradezu Geschäftsgrundlage des Aufhebungsvertrages. Der Teil-Interessenausgleich sah vielfältige Regelungen für den Fall der Fortführung des Werftbetriebes vor.

Der Teilinteressenausgleich war Inhalt des Aufhebungsvertrages. Wenn also in der Tat der Betrieb fortgeführt und im Ergebnis ein Investor gefunden werden konnte, konnte dies nicht Ausdruck einer schwerwiegenden Änderung der Umstände sein, die bei Vertragsschluss galten. Es trat im Gegenteil etwas ein, was bei Vertragsschluss für möglich erachtet worden war.

Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

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