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Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung

ArbG Siegburg – Az.: 5 Ca 1536/11 – Urteil vom 20.12.2011

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Antrag der Klägerin auf Reduzierung der vertraglichen Arbeitszeit auf 20 Wochenstunden ab dem 01.08.2011 dienstags bis freitags von jeweils 8.30  Uhr bis 13.30 Uhr zuzustimmen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, es bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Klageantrag zu 1 zu unterlassen, die Klägerin außerhalb der Arbeitszeit von Dienstag bis Freitag in der Zeit von 8.30 Uhr bis 13.30 Uhr zu beschäftigen.

3. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

4. Streitwert: 16.724,00 EUR

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Verringerung der Arbeitszeit sowie auf vorläufige Beschäftigung zu den verringerten Zeiten.

Die Klägerin, verheiratet und gegenüber 2 minderjährigen Kindern unterhaltspflichtig, ist seit dem 01.11.1991 bei der Beklagten, einem Pharmaunternehmen, als Pharmareferentin im Außendienst tätig.

Die Beklagte beschäftigt weltweit ca. 4.900 Mitarbeiter, in Deutschland ca. 2.100 Mitarbeiter, darunter knapp 200 Außendienstmitarbeiter.

Zum 01.01.2010 strukturierte die Beklagte ihren Außendienst bundesweit neu und teilte ihn in sogenannte drei gleichberechtigte Linien auf. Zu den Aufgaben der Klägerin als Mitarbeiterin der Linie I gehört es, 174 von der Beklagten für sie als Kunden ausgewählte Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten hinsichtlich der von der Beklagten angebotenen Produkte zu beraten. Bundesweit sind damit insgesamt für die Beklagte 130 Mitarbeiter mit je nach Kundendichte räumlich unterschiedlich großen Gebieten befasst, weitere 51 Außendienstmitarbeiter der Linie II besuchen Spezialisten, Kliniken und Ambulanzen und weitere 10 Außendienstmitarbeiter der Linie III ausschließlich große Kliniken und Ambulanzen.

Die Beklagte stellt ihren Außendienstmitarbeitern die zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung notwendige Infrastruktur zur Verfügung, vergütet monatlich eine Arbeitsraumpauschale und stellt wahlweise einen Dienstwagen zur Verfügung. Sie schult ihre Außendienstmitarbeiter im Rahmen von Trainings, Tagungen und E-Learnings, deren jährlicher zeitlicher Umfang zwischen den Parteien streitig ist.

Nach der Geburt ihres ersten Kindes am G  arbeitete die Klägerin nach Beendigung des Mutterschutzes am 01.11.2005 bei der Beklagten bis zum 31.10.2006 in Teilzeit und sodann wieder in Vollzeit. Während der von ihr im Anschluss an die Geburt ihres zweiten Kindes am H Anspruch genommenen Elternzeit wurde die Klägerin für die Beklagte befristet in der Zeit vom 23.08.2010 bis einschließlich 31.07.2011 in Teilzeit mit 20 Stunden wöchentlich gegen ein Entgelt von 2.216,00 EUR brutto, einschließlich einer übertariflichen Zulage tätig.

Mit Schreiben vom 22.03.2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Verringerung ihrer Arbeitszeit nach Ende ihrer Elternzeit am 31. Juli 2011 mit weiterhin 20 Stunden wöchentlich ab 01.08.2011 aufgeteilt auf 4 Arbeitstage á 5 Stunden dienstags bis freitags von 08.30 Uhr bis 13.30 Uhr. Mit Schreiben vom 08.06.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihrem Antrag aus betrieblichen Gründen nicht zuzustimmen.

Mit der vorliegenden, am 30.06.2011 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Teilzeitbegehren weiter und zugleich ihre Beschäftigung zu den von ihr gewünschten Zeiten. Ein von ihr zeitgleich zur vorläufigen Erreichung dieses Ziels anhängig gemachtes einstweiliges Verfügungsverfahren

(5 Ga 32/11) wurde durch Urteil vom 12.07.2011 zurückgewiesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, betriebliche Gründe, die dem

Teilzeitanspruch nach § 8 TzBfG entgegenstehen könnten, bestünden nicht. Die Beklagte selbst habe in einer Zielvereinbarung „Beruf und Familie“ vom 24.11.2010 Teilzeit auch im Außendienst als Ziel angeführt. Mit ihrer zum 01.10.2010 in einem ihr zu 90% nicht bekannt gewesenen neu zugeteilten Gebiet habe sie trotz ihres neumonatigen Rückstandes gegenüber ihren Außendienstkollegen hinsichtlich des notwendigen Kontaktaufbaus erfolgreicher als einige Vollzeitmitarbeiter das gleichfalls zum 01.10.2010 von der Beklagten neu eingeführte Medikament “ I “ beworben. Ausweislich des sogenannten Performance-Managers habe sie bezogen auf den Zeitraum Oktober 2010 bis April 2011 Rang 112 der insgesamt 130 neben ihr sämtlich in Vollzeit tätigen sonstigen Außendienstmitarbeiter der Linie I bei der Vermarktung des Produktes eingenommen, obwohl für sie wie auch für einige andere Außendienstmitarbeiter im Bereich der kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein zusätzliche Erschwernisse insoweit bestünden, als den Ärzten von dieser Vereinigung empfohlen worden sei, dieses Präparat nur sehr wenig einzusetzen. In der Zeit von Januar bis Juli 2011 habe sie 664 Kunden besucht und damit deutlich mehr, als es ihrer 20 Stundenstelle bei von der Beklagten für eine Vollzeittätigkeit gewünschten 1.440 Kontakten pro Jahr entspreche. Der Fortbildungs- und Besprechungsaufwand betrage durchschnittlich 17 Tage, da sogenannte E-Learnings außerhalb der Arbeitszeit zu erledigen seien. Ihre Teilzeittätigkeit habe sie auch nicht daran gehindert, an Kundenveranstaltungen, die in der Regel abends oder an Wochenenden stattfänden oder an ganztägigen Schulungen teilzunehmen. Insgesamt sei eine Beeinträchtigung betrieblicher Belange durch ihre Teilzeittätigkeit nicht gegeben. Ohnehin fehle es ihrer Ansicht nach bereits an einem schlüssigen Organisationskonzept der Beklagten.

Ihr damit berechtigten Anspruch auf eine Teilzeitbeschäftigung in dem gewünschten Zeitrahmen könne, gleichwohl das Gesetz die Möglichkeit einer vorläufigen Regelung nicht vorsehe, auch unterhalb der Schwelle des einstweiligen Rechtschutzes vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Wertung des Artikels 6 Abs. 1 GG nur durch einen Unterlassungsanspruch analog einem Weiterbeschäftigungsanspruch bis zur Rechtskraft des Urteils gewährleistet werden. Wie sie bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren angeführt habe, sei eine Betreuung ihrer beiden Kinder nur bis 15.00 Uhr sichergestellt und hätten sie und ihr Ehemann sich entschieden, die Betreuung der in einer zwar täglich von 07.30 Uhr bis 16.30 Uhr geöffneten Kindertagesstätte untergebrachten dreijährigen Tochter, wie auch die des die Grundschule besuchenden sechsjährigen Sohnes, wo eine Betreuung bis 16.00 Uhr, freitags bis 15.00 Uhr möglich sei, ab 15.00 Uhr selbst zu übernehmen und die Kinder so in einer wesentlichen Entwicklungsphase nicht ausschließlich Dritten zu überlassen.

Die Klägerin beantragt

1.)  die Beklagte zu verurteilen, dem Antrag der Klägerin auf Reduzierung der vertraglichen Arbeitszeit auf 20 Wochenstunden ab dem 01.08.2011 dienstags bis freitags von jeweils 08.30 Uhr bis 13.30 Uhr zuzustimmen,

2.)  hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.) die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin außerhalb der Arbeitszeit von Dienstag bis Freitag in der Zeit von 08.30 Uhr bis 13.30 Uhr zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Sie erklärt, sie habe im Rahmen ihrer Neustrukturierung des Außendienstes die Zahl möglicher Kunden pro Gebiet so gewählt, dass sie von einem Außendienstmitarbeiter nach ihren Erfahrungen in Vollzeit, also im Rahmen der tariflichen Vollzeittätigkeit von 37,5 Wochenstunden ausgefüllt werden könne. Sie gehe dabei davon aus, dass ihr Außendienst unter Berücksichtigung von Urlaubs- und sogenannter Brückentage durchschnittlich jährlich 180 sogenannte Feldtage, d.h. Tage, die tatsächlich im Außendienst verbracht würden, absolvieren könne mit durchschnittlich acht Besuchen täglich, so dass in dieser Zeit ca. 1.440 Besuche pro Jahr bei möglichen Kunden stattfinden könnten. Anteilig berechnet auf die von der Klägerin gewünschte Teilzeittätigkeit (53% einer Vollzeitstelle) bedeutet dies ein Weniger von ca. 676 Besuchen pro Jahr. Tatsächlich liege die zu erwartende Zahl von Besuchen noch darunter. Dies beruhe auf dem gleichhohen Schulungsaufwand von Teilzeit- und Vollzeitmitarbeitern, was bei einer Teilzeittätigkeit das Verhältnis der effektiven Feldtage zur Gesamtarbeitszeit verschlechtere. So habe in 2011 aufgrund konkret durchgeführter bzw. noch anstehender Tagungen, Trainings- und sogenannter VC Konferenzen („Virtual Classroom“) im Umfang von insgesamt 41 Tagen keine tatsächliche Außendiensttätigkeit „im Feld“ stattfinden können bzw. werde nicht stattfinden können. Das entspreche bei der von der Klägerin gewünschten Arbeitszeit von 856 Stunden (251 Werktage ohne Samstage abzüglich 30 Urlaubstage und 7 Brückentage bei 5-Tage-Woche entspreche 171,2 Arbeitstagen in 4-Tage-Woche x jeweils 5 Stunden) einem Anteil von 36% ihrer Arbeitszeit. Für die Ersatzeinstellung zur Abdeckung der übrigen Arbeitszeit der Klägerin mit 17,5 Wochenstunden und damit 749 Arbeitsstunden jährlich läge deren Anteil der unproduktiven Arbeitszeit bei über 40%. Damit betrage die produktive Arbeitszeit eines Vollzeitmitarbeiters 1.297,5 Stunden gegenüber lediglich 990 Stunden der 2 Teilzeitmitarbeiter und liege die Produktivität von 2 Teilzeitmitarbeitern bei Verursachung doppelter Arbeitsplatzkosten bei nur 76% einer Vollzeitkraft. Insbesondere dies stelle einen betrieblichen Grund dar, aus dem der Teilzeitwunsch der Klägerin zu Recht abgelehnt worden sei. Hinzukomme, dass die Teilnahme der Klägerin an Kundenveranstaltungen oder Tagungen mehrheitlich nicht möglich sein werde, da diese in den Abendstunden oder über mehrere Tage stattfänden. Dass sie, wie sie anführe, freiwillig dazu bereit gewesen sei, auch außerhalb der von ihr beantragten Arbeitszeiten insoweit tätig zu sein, vermöge ihren Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit nicht zu stützen. Aus der befristeten Betreuung ihres Gebietes bis zum 31.07.2011 in Teilzeit könne die Klägerin nicht die Möglichkeit dauerhafter Betreuung in Teilzeit ableiten, denn der insbesondere vor dem Hintergrund der Zielvereinbarung  zur Erprobung eines solchen Arbeitszeitmodells vereinbarten  befristeten Reduzierung der Arbeitszeit habe auf Seiten der Beklagten die wirtschaftliche Überlegung zugrunde gelegen, dass die vorübergehende Nichtbesetzung des Gebietes bzw. die Neueinstellung einer Vollzeitkraft ebenfalls zu Betreuungsdefiziten und Umsatzrückgängen führen werde.

Unabhängig von der berechtigten Ablehnung des Teilzeitwunsches der Klägerin aus betrieblichen Gründen sei ihr Hilfsantrag jedenfalls abzuweisen. Denn mit ihm beanspruche sie eine Beschäftigung in Teilzeit, bevor der Vertrag tatsächlich durch eine erst mit Rechtskraft des Urteils als abgegeben geltende Willenserklärung der Beklagten geändert worden sei. Aus dem von der Klägerin angeführten Art. 6 GG lasse sich auch keine Pflicht der Gerichte ableiten, für einen separaten Rechtsschutz durch die Konstruktion eines Unterlassungsanspruchs zu sorgen. Adressat eines Schutzauftrages sei der Gesetzgeber. Dieser habe, obwohl das Problem bekannt sei, bisher keinen Anlass gesehen, Abhilfe durch gesonderte Ansprüche zu schaffen. Schließlich könne es für einen Unterlassungsanspruch rechtlich nicht maßgeblich darauf ankommen, dass ein Motiv, also die Beantragung der Teilzeit aus familiären Gründen, darüber entscheide, ob ein Unterlassungsanspruch bestehe oder nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten und zur ‚Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Der auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtete Klageantrag zu 1 genügt dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Beklagte soll der von der Klägerin gewünschten Verringerung der Arbeitszeit auf 20 Stunden pro Woche zustimmen und  die Arbeitszeit nach Maßgabe des Klageantrages verteilen. Für diesen Leistungsantrag besteht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Dies ergibt sich bereits aus der Nichterfüllung des erhobenen Anspruchs. Das Rechtsschutzinteresse besteht auch für den mittlerweile abgelaufenen Zeitraum  fort (BAG 15.04.2008 – 9 AZR 380/07 in EzA § 15 BErzGG Nr. 17).

Die Klage ist auch in der Sache begründet.

Die allgemeinen Voraussetzungen für die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 8 TzBfG liegen vor. Das Arbeitsverhältnis zur Beklagten, die in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt (§ 8 Abs. 7 TzBfG) bestand länger als 6 Monate (§ 8 Abs. 1 TzBfG). Die dreimonatige Ankündigungsfrist des § 8 Abs. 2 S. 1 TzBfG hat die Klägerin durch ihr Schreiben vom 22.03.2011, mit dem sie von der Beklagten die Verringerung ihrer Arbeitszeit ab 01.08.2011 verlangt hat, gewahrt.

Die Beklagte hat das Verringerungsbegehren der Klägerin mit ihrem der Klägerin am 18.06.2011 zugegangenem Schreiben vom 08.06.2011 rechtzeitig abgelehnt. Damit ist die regelmäßige Wochenarbeitszeit der Klägerin nicht von Gesetzes wegen verringert worden. (§ 8 Abs. 5 S. 3 TzBfG).

Dem Verringerungsbegehren der Klägerin stehen auch keine betrieblichen Gründe im Sinne des § 8 Abs. 4 S. 1 TzBfG entgegen.

Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal des betrieblichen Grundes ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in jedem Einzelfall der konkreten Ausfüllung bedarf. Als Auslegungshilfe dienen hierzu die Regelbeispiele, die der Gesetzgeber in einer nicht abschließenden Aufzählung in § 8 Abs. 4 S. 2 TzBfG anführt. Danach liegt ein betrieblicher Grund insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Hierfür genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass der Arbeitgeber rational nachvollziehbare Gründe hat (BAG 15. August 2006 – 9 AZR 30/06 in EzA § 8 TzBfG Nr. 14). Zwar sind dringende betriebliche Gründe nicht erforderlich, jedoch müssen die Gründe hinreichend gewichtig sein. Der Arbeitgeber kann deshalb die Ablehnung nicht allein mit seiner abweichenden unternehmerischen Vorstellung von der „richtigen“ Arbeitszeitverteilung begründen (BAG 13. Oktober 2009 – 9 AZR 910/08 in NZA 2010, 339 – 341; 8. Mai 2007 – 9 AZR 1112/06 in AP TzBfG § 8 Nr. 21 sowie  15. August 2006 – 9 AZR 30/06 in AP TzBfG § 8 Nr. 16).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfolgt die somit vorzunehmende Prüfung der Gründe regelmäßig in 3 Stufen. Zunächst ist festzustellen, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegt und – wenn das zutrifft –  um welches Konzept es sich handelt (1. Stufe).

In der Folge ist zu untersuchen, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen tatsächlich entgegensteht (2. Stufe). Schließlich ist in einer 3 Stufe das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen. Dabei ist die Frage zu klären,  ob das betriebliche Organisationskonzept oder die zugrunde liegende unternehmerische Aufgabenstellung durch die vom Arbeitnehmer gewünschte Abweichung wesentlich beeinträchtigt werden (st. Rspr. vgl. BAG 13.10.2009 – 9 AZR 910/08 in NZA 2010 339 – 341; 8. Mai 2007 – 9 AZR 1112/06 in AP TzBfG § 8 Nr. 21; 15. August 2006 – 9 AZR 30/06 in AP TzBfG § 8 Nr. 16).

Hieran gemessen stehen dem Verlangen der Klägerin auf Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 auf 20 Wochenstunden betriebliche Gründe nicht entgegen.

Nach dem betrieblichen Organisationskonzept der Beklagten hat sie ihren jeweiligen Außendienstmitarbeitern ein Verkaufsgebiet zugewiesen, dessen Betreuungsaufwand sie mit einer Vollzeittätigkeit, mithin 37,5 Wochenarbeitsstunden veranschlagt. Dies ist nicht zu beanstanden. Denn es gehört zur Organisation und Gestaltung eines Betriebes, neben der Anschaffung von Arbeitsmitteln und der Gestaltung von Arbeitsabläufen die Stärke der Belegschaft, mit der das Betriebsziel erreicht werden soll, festzulegen. Dazu gehört auch die Entscheidung über die Kapazität an Arbeitskräften sowie an Arbeitszeit und wie diese Kapazität – vorliegend die einzelnen Gebiete, die von den Pharmareferenten zu betreuen sind – verteilt werden soll (vgl. BAG 21. Juni 2005 – 9 AZR 409/04 in NZA 2006, 317 – 321). Die von der Beklagten vorgenommene pauschalierte Einschätzung, dass für die sachgerechte Betreuung des Verkaufsgebietes der Klägerin eine 37,5-stündige Tätigkeit erforderlich ist, ist damit grundsätzlich durch die unternehmerische Organisationsfreiheit gedeckt. Allerdings kann anders als in dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. Juni 2005 zugrunde liegenden umstrittenen Wunsch eines Pharmareferenten auf Reduzierung seiner Arbeitszeit vorliegend nicht festgestellt werden, dass diese Einschätzung der Beklagten auch in der Praxis bestätigt worden ist. Denn unstreitig hat die Beklagte ihren Außendienst zum 01.01.2010 neu strukturiert und damit ihren Mitarbeitern und jedenfalls der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Elternzeit befindlichen Klägerin ein zum Großteil neues Gebiet zugewiesen. Ob es nach Aufnahme ihrer Tätigkeit zum 23.08.2010 in Teilzeit mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 20 Wochenstunden zu erheblichen Vertriebseinbußen gekommen ist, kann mangels Vortrages der Beklagten hierzu nicht festgestellt werden. Festgestellt werden kann insoweit lediglich, dass im Zusammenhang mit dem von de r Beklagten im Oktober 2010 neu eingeführten Medikament „J “ der Verkaufserfolg der Klägerin im Vergleich zu dem der restlichen 129 in Vollzeit tätigen Kollegen im 1. Tertial 2011 auf Rang 115 und für den Zeitraum Oktober 2010 bis April 2011 auf Rang 112 und nach Darstellung der Beklagten im Juli und August 2011 auf Rang 120 eingestuft wurde.

Doch selbst wenn man mit der Beklagten vom dem angeführten Organisationskonzept, wonach für eine sachgerechte Betreuung des dem jeweiligen Außendienstmitarbeiter und damit auch der Klägerin zugewiesenen Verkaufsgebietes bzw. der ihr in diesem Verkaufsgebiet zugewiesenen Anzahl von Kunden eine wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden erforderlich ist, steht die von der Klägerin gewünschte Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit  diesem Konzept nicht entgegen. Denn der Beklagten ist jedenfalls – soweit sie es für erforderlich hält – die Einstellung einer Teilzeitersatzkraft zur Sicherstellung der infolge der Arbeitszeitverringerung ihrer Darstellung nach ausfallenden Kundenbetreuung möglich, ohne dass dies für sie unverhältnismäßige Kosten im Sinne des § 8 Abs. 4 S. 2 TzBfG verursacht.

Im Hinblick auf den beschäftigungspolitischen Zweck des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, zusätzliche (Teilzeit) Arbeitsplätze zu schaffen, hat der Arbeitgeber die allgemein mit jeder Teilzeitarbeit einhergehenden Belastungen hinzunehmen. Hierzu zählen im Allgemeinen zusätzliche Kosten, die mit der Personalverwaltung zusammenhängen oder die durch die Einarbeitung einer Ersatzkraft anfallen (BAG 23. November 2004 – 9 AZR 644/03 in AP TzBfG § 8 Nr. 9).

Vorliegend beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die ihr neben der Einarbeitung insbesondere durch die von ihr regelmäßig durchgeführte Qualifizierung ihrer Außendienstmitarbeiter im Rahmen von Trainings-, Tagungen und sogenannten E-Learnings entstehenden Kosten, die unabhängig von der individuellen Wochenarbeitszeit anfielen. Sie errechnet diese unter Zugrundelegung von so anfallenden 41 Arbeitstage à 7,5 Stunden, mithin 307,5 Stunden jährlich bei einer Vollzeitkraft für die Ersatzeinstellung mit über 40 % unter Zugrundelegung von insgesamt 749 Jahresarbeitsstunden. Doch selbst wenn man von  diesen 41 Tagen bzw. 307,5 Stunden aufgrund von Fortbildung bzw. durchgeführter Qualifizierung ausfallender sogenannter Feldtage im Gegensatz zur Klägerin, die diese mit nur insgesamt 17, mithin lediglich 127,5 Jahresstunden behauptet, ausgeht, beinhaltet dies nach Auffassung der Kammer keine unverhältnismäßige Kostenbelastung für die Beklagte. Denn der von der Beklagten selbst angesetzte Anteil zur Qualifizierung durch Schulungen, Trainings und  E-Learnings pp. anfallende Anteil der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft beträgt mit 19,16 % nahezu 1/5 der Jahresarbeitszeit und würde für eine Ersatzkraft mit 41,05 % rund das Doppelte betragen. Damit kann, anders als in der bereits zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. Juni 2005 (9 AZR 409/04), der eine Kostenbelastung durch Fortbildung einer Ersatzkraft mit mehr als 40 % ihrer Arbeitszeit gegenüber weniger als 9 % einer Vollzeitkraft, also etwa das 4,5fache zugrunde lag, die dort als offensichtlich festgestellte Diskrepanz zwischen Personalkostenaufwand und Wertschöpfung angesichts des vorliegend von der Beklagten für ihre Vollzeitkräfte vorgegebenen Aufwandes, der bei der genannten Anzahl von 191 Außendienstmitarbeitern rund 38 Vollzeitstellen entspricht und damit bei Zugrundelegung eines Verdienstes in Höhe von 4.181,00 Euro brutto für einen  Vollzeitaußendienstmitarbeiter rund 158.833 ,00 Euro, nicht angenommen werden. Dies gilt auch, selbst wenn man davon ausgeht, dass die Beklagte ein berechtigtes Interesse daran hat, für einen einheitlichen Schulungsstand sämtlicher bei ihr im Außendienst beschäftigter Pharmareferenten Sorge zu trägen, zusätzliche Kosten für etwaige Mehrarbeit der Klägerin im Zusammenhang mit durchgeführten Schulungen berücksichtigt.

Begründet ist auch der Unterlassungsanspruch der Klägerin zur vorläufigen Durchsetzung der von ihr gewünschten Arbeitszeiten schon vor Rechtskraft der Entscheidung, mit der die Vertragsänderung gem. § 894 ZPO eintritt.

Die gesetzlichen Regelungen im TzBfG selbst sehen Möglichkeiten einer vorläufigen Regelung nicht vor. Vielfach wird insoweit in Rechtsprechung und Literatur auf die Möglichkeiten und Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes  verwiesen. Einstweiliger Rechtsschutz setzt jedoch, worauf das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in seiner Entscheidung vom 15.04.2008 (11 Sa 1374/07), deren überzeugenden Ausführungen die erkennende Kammer folgt, voraus, dass im jeweiligen Einzelfall eine erheblich überwiegende Dringlichkeit in der persönlichen Lebenssituation des Antragstellers glaubhaft gemacht werden kann. Angesichts der tatsächlichen Situation, dass derartige Rechtsstreitigkeiten typischerweise Frauen betreffen, die nach der Geburt eines Kindes aus der Elternzeit zurückkehren, erweist sich die Beschränkung auf vorläufigen Rechtsschutz im Bereich des § 8 TzBfG als unbefriedigend. Jedenfalls in den Fällen des Teilzeitbegehrens einer Frau nach Rückkehr aus der Elternzeit sind auch die verfassungsrechtlichen Wertungen des Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Familie) zu beachten. Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund erlaubt und gebietet es, ähnlich wie bei der Entwicklung des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs nach unwirksamer Kündigung (BAG Großer Senat vom 27.02.1985, GS 1/84, AP § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14) aus dem grundrechtlich gewährleisteten Schutz eine Pflicht der Gerichte zur tatsächlichen Gewährleistung dieser Rechtspositionen herzuleiten. Denn wie vorliegende Fall zeigt, wäre einer Mutter, die die eigene Betreuung ihres Kindes jedenfalls zeitanteilig übernehmen möchte oder muss, für einen ganz erheblichen Zeitraum die tatsächliche Realisierung dieser Möglichkeit erheblich erschwert oder sogar ganz abgeschnitten (so LAG Niedersachsen 15. April 2008 – 11 Sa 1374/07 – zitiert nach Juris; ferner bejahend auch ArbG Stuttgart 31.07.2003 – 28 Ca 1041/03 – zitiert nach Juris; ArbG Nürnberg 05.08.2003 – 9 Ca 5096/03 – in LAGE § 8 TzBfG Nr. 13 insoweit ebenso wie Laux/Schlachter, Teilzeit- und Befristungsgesetz 2007, § 8 Rn. 227 mit obsiegendem erstinstanzlichem Urteil einen Beschäftigungsanspruch  bejahend). Die prozessuale Fassung in Form eines Unterlassungsanspruchs ist dabei jedoch sachgerechter als die eines Beschäftigungsanspruchs (Küttner/Reinecke Personalbuch 2011, Teilzeitbeschäftigung Rn. 50). Überwiegende Interessen der Beklagten an der vollzeitigen Beschäftigung der Klägerin während der Prozessdauer sind demgegenüber nicht erkennbar. Es bleibt festzustellen, dass von der Untersagung einer Beschäftigung der Klägerin außerhalb der genannten Zeiten etwa durch Schulungsveranstaltungen erforderliche Überstunden nicht erfasst sind.

Demgemäß war zu erkennen, hinsichtlich des Klageantrages zu 2 klarstellend mit dem Zusatz „bis zur Rechtskraft“.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Streitwert, gem. § 61 ArbGG im Urteil festzusetzen, folgt für das Klagebegehren zu Ziffer 1 aus § 42 Abs. 3 S. 2 GKG begrenzt auf einen Vierteljahresverdienst gem. § 42 Abs. 4 S. 1 GKG, hier ausgehend von einem Monatsbruttoverdienst in Vollzeit in Höhe von 4.181,00 Euro zzgl. einem weiteren Monatsbruttoverdienst analog dem für ein  Beschäftigungsbegehren  anzusetzendem Wert für den Klageantrag zu 2.

 

 

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