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Anspruch auf Betriebsrentenerhöhung

ArbG Siegburg – Az.: 4 Ca 1436/16 – Urteil vom 26.04.2017

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend mit dem 01.12.2016 über den Betrag von 2.282,06 EUR brutto hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von 126,84 EUR brutto zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 634,20 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 126,84 EUR brutto seit dem 02.07.2016, dem 02.08.2016, dem 02.09.2016, dem 02.10.2016 sowie dem 02.11.201 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 480,84 EUR (i.W. sechshundertsechsundzwanzig Euro, Cent wie nebenstehend) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 40,07 EUR (i.W. einhundertfünfundzwanzig Euro, Cent wie nebenstehend) brutto seit dem 02.07.2015, dem 02.08.2015, dem 02.09.2015, dem 02.10.2015, dem 02.11.2015, dem 02.12.2015, dem 02.01.2016, dem 02.02.2016, dem 02.03.2016, dem 02.04.2016, dem 02.05.2016 sowie dem 02.06.2016 zu zahlen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5. Der Streitwert wird auf 6.441 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erhöhung der Betriebsrente.

Der am 23.03.1946 geborene Kläger war seit dem 01.01.1972 bis zum 01.11.1997 bei der W2 Lebensversicherung AG, einem Unternehmen der W2 Unternehmensgruppe, beschäftigt. Die Beklagte ist die Rechtsnachfolgerin der Volksfürsorge Deutsche Lebensversicherung AG. Der Kläger bezieht seit dem 01.11.1997 eine Altersrente nach den Bestimmungen des betrieblichen Versorgungswerks.

Die in Bezug genommenen „Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“ sind am 01.01.1961 in Kraft getreten und jedenfalls zuletzt als Gesamtbetriebsvereinbarung vereinbart worden, einschließlich der „Grundbestimmungen“ und der „Ausführungsbestimmungen“, auf Bl. 17 ff. dA wird Bezug genommen. Die Gesamtversorgungsbezüge betragen abhängig von der Betriebszugehörigkeit – so auch im Fall des Klägers – bis zu 70% des pensionsfähigen Arbeitsentgeltes und führen zur Zahlung der Differenz zwischen diesem und der der gesetzlichen Rente.

Darin heißt es auszugsweise:

Grundbestimmungen

§ 4 Ergänzungen, Änderungen der Bestimmungen

1. Die Grundbestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes können auf Antrag des Vorstandes der W2 nach Zustimmung des Gesamtbetriebsrates/Betriebsrates ergänzt oder geändert werden. Wenn der Gesamtbetriebsrat/Betriebsrat eine Ergänzung oder Änderung wünscht, beantragt er dies mit schriftlicher Begründung beim Vorstand. Der gemeinsame Beschluss ersetzt die bisherige Grundbestimmung.

2. ….

3. Die Ausführungsbestimmungen zu den Grundbestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes können vom Vorstand der W2 nach Zustimmung des Gesamtbetriebsrates/Betriebsrates ergänzt oder geändert werden…

Ausführungsbestimmungen

§ 6 Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse

1. Die Gesamtversorgungsbezüge werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst…

2. Die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.

3. Hält der Vorstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll. Der Beschluss ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.

4. Eine Erhöhung der Pensionsergänzungszahlung kann im Einzelfall nicht durchgeführt werden, soweit und solange die nach § 5 ABVw anzurechnenden Bezüge und die nach § 4 ABVw vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge, erreichen oder überschreiten.

Die Beklagte zahlte dem Kläger für den Monat Juli 2015 betriebliche Versorgungsleistungen in Höhe von 2.263,24 EUR brutto monatlich, davon aus der Vofue-Rente 1.478,57 EUR brutto und aus der VK-Altersrente 784,67 EUR brutto. Zum 01.07.2015 stieg die gesetzliche Rente des Klägers um 2,1 %. Bezüglich der Versorgungskassenleistung entfällt unstreitig die Anpassungsprüfungspflicht gem. § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG. Bezüglich der Versorgungswerkleistung ergibt sich unstreitig kein höherer gesetzlicher Anpassungsbedarf gem. § 16 BetrAVG, als die vertragliche Anpassung verlangt.

Unter dem 15.06.2015 hörte die Beklagte ihren Gesamtbetriebsrat und vorsorglich auch örtliche Betriebsräte mit der Bitte um Stellungnahme an, wonach der Nachvollzug der gesetzlichen Rentenerhöhung ,,im Gesamtkonzern zu einer zusätzlichen Belastung von 0,4 Mio. EUR jährlich führen“ würde und daher „nicht vertretbar“ sei. Sie begründete ihre Absicht, stattdessen eine Erhöhung von 0,5% vorzunehmen u.a. mit dem ökonomischen Umfeld, Regulierungsanforderungen, einer Einsparungsstrategie und mit Gleichbehandlungsaspekten anderer Versorgungsregelungen im Konzern. Der Gesamtbetriebsrat und örtliche Betriebsräte widersprachen der Einschätzung des Vorstandes und sprachen sich insbesondere mit Blick auf die gute Ertragssituation im Konzern unter Verwies auf das Jahresergebnis 2014 von 236 Mio. EUR Jahresüberschuss für die Erhöhung um 2,1% aus.

Am 09.10.2015 stimmte der Aufsichtsrat der Beklagten im Umlaufverfahren der Vorlage des Vorstandes der Beklagten vom 26.08.2015 zu, „die zum 01.07.2015 zu gewährende Rentenanpassung der Gesamtversorgungsbezüge … nicht wie grundsätzlich vorgesehen gemäß der Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 2,1% sondern nur in Höhe von 0,5% zu gewähren…“.

Unter dem 16.10.2015 unterrichtete die Beklagte den Kläger:

„Betriebliches Versorgungswerk“

Die Vorstände und Aufsichtsräte der H1 Versicherungen haben beschlossen, die Gesamtversorgungsbezüge bzw. Renten unter Anwendung der in § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes normierten Regelungen zum 01.07.2015 für diesen Stichtag um 0,5% zu erhöhen.

Hinsichtlich der gesetzlichen Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) hat der H1 Deutschland Konzern entschieden, dass der Prüfungsstichtag für die Rentenanpassung unternehmenseinheitlich für alle Versorgungszusagen auf den 01.07.2015 festgelegt und damit für manche Versorgungsempfänger vorgezogen wird. Die gesetzlichen Anpassungsprüfung wird künftig für alle Versorgungsempfänger alle drei Jahre zum 01.07. durchgeführt.

Ab 01.07.2015 beträgt Ihre Versorgungsleistung aus dem Betrieblichen Versorgungswerk 1.522,51 EUR monatlich brutto.“

Mit Schreiben aus August 2016 teilte die Beklagte mit, dass die Renten erneut um 0,5 % erhöht werden würden. Der Kläger erhielt sodann eine Rente von insgesamt 2.282,06 EUR brutto. Die Rente des Klägers stieg zum 01.07.2016 um 4,25 %.

Mit seiner Klage macht der Kläger als Nachzahlung ab Juli 2015 die Differenz geltend zwischen dem zuletzt gezahlten Betrag von 2.282,06 EUR monatlich und dem Betrag, der bei Erhöhung der bis Juni 2015 gezahlten Betriebsrente von 2.263,24 EUR um 2,1 % zu zahlen wäre und der ab Juli 2016 um 4,25 % erhöhten Betriebsrente zu zahlen wäre. Der Kläger ist der Ansicht, § 6 Ziff. 3 ABVw sei AGB-rechtlich wie betriebsverfassungsrechtlich unwirksam. Des Weiteren habe die Beklagte nicht durch rückwirkenden Beschluss des Aufsichtrates im Oktober 2015 in bereits seit Juli 2015 bestehende Rechte eingreifen können.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn beginnend mit dem 01.12.2016 über den Betrag von 2.282,06 EUR brutto hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von 126,84 EUR brutto zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 634,20 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 126,84 EUR brutto seit dem 02.07.2016, dem 02.08.2016, dem 02.09.2016, dem 02.10.2016 sowie dem 02.11.201 zu zahlen.

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 480,84 EUR (i.W. sechshundertsechsundzwanzig Euro, Cent wie nebenstehend) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 40,07 EUR (i.W. einhundertfünfundzwanzig Euro, Cent wie nebenstehend) brutto seit dem 02.07.2015, dem 02.08.2015, dem 02.09.2015, dem 02.10.2015, dem 02.11.2015, dem 02.12.2015, dem 02.01.2016, dem 02.02.2016, dem 02.03.2016, dem 02.04.2016, dem 02.05.2016 sowie dem 02.06.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich zu ihrer Verteidigung, insbesondere auf die den Betriebsräten mitgeteilten Gründe, also auf das schwierige ökonomische Umfeld, die steigenden Regulierungs- und Kundenanforderungen, die Neustruktur- und Personaleinsparstrategie, die maßvollen Steigerungen anderer Betriebsrentner im Konzern und zudem auf Kostensenkungen bei Mitbewerbern sowie den Verbraucherindex.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den weiteren Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2017.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Betriebsrente über die bereits gezahlten Beträge hinaus von monatlich 40,07 EUR brutto ab Juli 2015 bis Juni 2016 (Tenor 3), sowie monatlich 126,84 EUR brutto ab Juli 2016 bis November 2016 (Tenor 2) und ab Dezember 2016 fortlaufend 126,84 EUR brutto monatlich (Tenor 1).

I.

1.

Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte ab Juli 2015 von monatlich 40,07 EUR brutto über die gezahlte Betriebsrente hinaus zu. Da die Beklagte gem. § 6 Ziff. 1 ABVw des betrieblichen Versorgungswerkes verpflichtet ist, die Gesamtversorgungsbezüge des Klägers um 2,1 % anzupassen, § 77 Abs. 4 BetrVG. Dies entspricht der Höhe, in der gem. § 65 SGB VI zum 01.07.2015 die Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst wurden. Die Gesamtversorgungsbezüge des Klägers betrugen am 30.06.2015 monatlich 2.263,24 EUR brutto, so dass eine Erhöhung um 2,1 % den Monatszusatzbetrag von 47,46 EUR brutto ergibt, auf den die Beklagte seit dem 01.07.2015 monatlich 7,39 EUR brutto geleistet hat, in dem sie ausschließlich die Vofue-Rente um 0,5% anhob. Damit verbleibt die Monatsdifferenz von 40,07 EUR brutto.

2.

Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte ab Juli 2016 von monatlich 126,84 EUR brutto über die gezahlte Betriebsrente hinaus zu. Da die Beklagte gem. § 6 Ziff. 1 ABVw des betrieblichen Versorgungswerkes verpflichtet ist, die Gesamtversorgungsbezüge des Klägers um 4,25 % anzupassen, § 77 Abs. 4 BetrVG. Dies entspricht der Höhe, in der gem. § 65 SGB VI zum 01.07.2016 die Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst wurden. Die Gesamtversorgungsbezüge des Klägers betrugen am 01.07.2016 monatlich 2.282,06 EUR brutto, so dass bei einer Erhöhung um 4,25 % eine monatliche Monatsdifferenz von 126,84 EUR brutto verbleibt.

3.

Die Anpassungsverpflichtung gem. § 6 Ziff. 1 ABVw wurde nicht gem. § 6 Ziff. 3 ABVw durch den Beschluss des Aufsichtsrates der Beklagten vom 09.10.2015 ersetzt.

a.

§ 6 Ziff. 3 ABVw ist unwirksam, da der Gesamtbetriebsrat das Mitbestimmungsrecht gem. § 87 I Nr. 10 BetrVG -zugunsten einer Alleinentscheidung der Beklagten – in seiner Substanz aufgegeben hat.

Bei der Verteilung der Betriebsrentenanpassung besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats der Beklagten gem. § 87 I Nr. 10 BetrVG. Hat sich – wie hier – der Arbeitgeber verpflichtet, selbst Versorgungsleistungen zu erbringen, so ergibt sich das Recht des Betriebsrats, bei der Regelung von Fragen der betrieblichen Altersversorgung mitzubestimmen, aus § 87 I Nr. 10 BetrVG. Dabei ist allerdings zu unterscheiden zwischen den mitbestimmungsfreien unternehmerischen Grundentscheidungen und der konkreten Ausgestaltung der Leistungsordnung, die ihrerseits mitbestimmungspflichtig ist. Zwar ist die Entscheidung des Arbeitgebers, ob er überhaupt eine betriebliche Altersversorgung gewährt, welche Mittel er hierfür zur Verfügung stellt und welcher Personenkreis bedacht werden soll, mitbestimmungsfrei. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat allerdings bei allen Regeln beteiligen, mit denen die zur Verfügung stehenden Mittel auf die Begünstigten verteilt werden. Fehler im Mitbestimmungsrecht führen nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung dazu, dass die getroffene Regelung grundsätzlich unwirksam ist (BAG 19.08.2008 – 3 AZR 194/07 – Rn. 29 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG darf ein Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nicht in der Weise ausüben, dass er dem Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand eröffnet (vgl. BAG 05.05.2015 – 1 AZR 435/13 – Rn. 19; BAG 26.04.2005 – 1 AZR 76/04 – Rn. 18). Zwar dürfen dem Arbeitgeber durch Betriebsvereinbarung gewisse Entscheidungsspielräume in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten eingeräumt werden. Der Betriebsrat kann aber über sein Mitbestimmungsrecht im Interesse der Arbeitnehmer nicht in der Weise verfügen, dass er in der Substanz auf die ihm gesetzlich obliegende Mitbestimmung verzichtet.

Durch § 6 Ziff. 3 ABVw hat sich der Gesamtbetriebsrat seines nach § 87 I Nr. 10 BetrVG bestehenden Mitbestimmungsrechts, das die Verteilungsgrundsätze der Betriebsrentenanpassung betrifft, im Kern begeben und allein der Beklagten den Letztentscheid eröffnet. Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 10 BetrVG reduziert § 6 Ziff. 3 ABVw damit im Kernbereich des Mitbestimmungstatbestands auf ein Anhörungsrecht. Das ist unwirksam.

Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und diese wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei einem unbestimmten Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtige Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit dies im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (BAG 08.12.2015 – 3 AZR 267/14 – Rn. 22).

b.

Die Auslegung von § 6 Ziff. 3 ABVw ergibt, dass die Regelung nicht gesetzeskonform dahingehend auszulegen ist, dass sie sich lediglich auf die nicht mitbestimmte Höhe der Betriebsrentenleistungen beschränkt. Die Kammer geht davon aus, dass die Regelung auch die Leistungsverteilung betrifft.

Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn: § 6 ABVw ist überschrieben mit „Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse“, enthält also gerade keine wörtliche Beschränkung auf die Höhe der Anpassung. Im Gegenteil kommt eine Beschränkung der Anpassung auf deren Höhe erst in § 6 Ziff. 4 Satz 1 ABVw im Wort „Erhöhung“ zum Ausdruck, während in den anderen Absätzen von § 6 ausdrücklich lediglich von „angepasst“ (Ziff. 1 ), „Anpassung“/“verändert“ (Ziff. 3) und Veränderung (Ziff. 4 Satz 2) die Rede ist. Demnach beschränkt sich der Wortsinn außer im hier nicht vorliegenden Sonderfall des § 6 Ziff. 4 Satz 1 eben nicht auf die Höhe oder Erhöhung, sondern ist umfassender gewählt. Dieses Wortverständnis wird gestützt durch die ausdrücklich allumfassende Formulierung im streitgegenständlichen § 6 Ziff. 3 der Norm: “ …so schlägt (der Vorstand) nach Anhörung der Betriebsräte …vor…, was nach seiner Auffassung geschehen soll“. Diese semantisch unbegrenzte Regelungsaufforderung an die Leitung der Beklagten hätte ohne Schwierigkeiten gefasst werden können: „….in welchem Maß die Gesamtversorgungsbezüge erhöht werden.“ Stattdessen haben die Betriebspartner eine möglichst weite Formulierung gewählt, die eben dem Wortsinn nach nicht auf eine andere Mittelhöhe begrenzt ist, sondern durch die Formulierung „… was geschehen soll…“ dem Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten jedweden Spielraum bezüglich der Verteilung etwaig zur Verfügung gestellter Mittel lässt.

Der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck finden in diesem Wortlaut insoweit Berücksichtigung, als dass der Leitungsebene der Beklagten durch die verstärkenden Worte „nach seiner Auffassung“ offenbar eine eigene abschließende Regelungskompetenz hinsichtlich der Anpassungsentscheidung übertragen werden sollte. Das Wort „Auffassung“ betont gerade die subjektive Seite der Entscheidung, nach der eben unabhängig von objektiven Gegebenheiten die Entscheidung der Beklagten ermöglicht werden sollte. Denn dass bei anderen Entscheidungen über das Betriebliche Versorgungswerk die Mitbestimmungsrechte gewahrt werden sollten, zeigt § 4 der Grundbestimmungen, der ausdrücklich in Abs. 1 und Abs. 3 die Zustimmungen des Gesamtbetriebsrates/Betriebsrats für die Ergänzung oder Änderung von Bestimmungen verlangt.

Auch der Gesamtzusammenhang und die Systematik von § 6 Ziff. 3 ABVw lassen nicht erkennen, dass die Regelung sich lediglich auf die Höhe einer Anpassungsentscheidung beschränken wollte: mit der Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge hat die Beklagte versprochen, unter Einbeziehung unterschiedlichster Leistungen gem. § 5 ABVw den Betriebsrentnern eine Alterssicherung zu bieten und deren wirtschaftliche Anpassung über § 16 BetrAVG hinaus mittels kollektiver Regelungen vorzunehmen. Wegen dieser im Vergleich wohl komfortablen Rentenregelungen lag es im Interesse der Beklagten insgesamt, die Anpassung mit einem Regulativ zu begrenzen. Vor diesem Hintergrund soll die größtmögliche Regelungsweite von § 6 Ziff. 3 ABVw mit den Worten „… was geschehen soll…“ der Beklagten die Möglichkeit geben, die Rentenzusage passgenau mit ihrer jeweils aktuellen Lage zu verzahnen. Zu dem, „…was geschehen soll…“ gehört dann aber eben auch nicht nur die Entscheidung, ob die Betriebsrente um 0 %, 2,1% oder 0,5% erhöht werden soll, sondern auch die Verteilungsgrundsätze, ob etwa bestimmte Gruppen von Betriebsrentnern bei einer Erhöhung besondere Berücksichtigung finden, z.B. nicht der Kläger, sondern finanziell weniger gut ausgestattete Arbeitnehmer. Würde in einem solchen Fall der Betriebsrat eine andere oder eine gleichmäßige Verteilung der Gelder fordern, würde ihm ggf. § 6 Ziff. 3 ABVw und die dort geregelte Begrenzung auf eine bloße Anhörungsverpflichtung entgegen gehalten werden.

c.

Aus der Unwirksamkeit von § 6 Ziff. 3 ABVw folgt nicht die Unwirksamkeit der gesamten ABVw bzw. der gesamten Gesamtbetriebsvereinbarung. Denn nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB gilt, dass die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung die Unwirksamkeit auch ihrer übrigen Bestimmungen nur dann zur Folge hat, wenn diese ohne die unwirksamen Teile keine sinnvolle, in sich geschlossene Regelung mehr darstellen (BAG 05.05.2015 -1 AZR 435/13 – Rn. 20; BAG 26.04.2005 – 1 AZR 76/04 – Rn. 23; BAG 22.03.2005 – 1 ABR 64/03 – rn. 61; BAG 21.01.2003 – 1 ABR 9/02-). Danach sind die ABVw als Bestandteil der Gesamtbetriebsvereinbarung „Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“ nicht insgesamt unwirksam. Sie bilden auch ohne die unwirksame Festlegung der Anpassung durch den Aufsichtsrat eine in sich geschlossene und praktikable Regelung der anzuwendenden Betriebsrentengrundsätze. Insbesondere lässt sich aus § 6 Ziff. 1 ABVw die Regelanpassung der Gesamtversorgungsbezüge zweifelsfrei ermitteln.

Nach Auffassung der Kammer steht dem Gesamtbetriebsrat in diesem Fall auch eine Regelungskompetenz für ausgeschiedene Arbeitnehmer zu. Denn es ist der betrieblichen Altersversorgung immanent, dass die Leistungen erst nach Ausscheiden erbracht werden. Der Leistungsgrund wird bereits im früheren Arbeitsverhältnis begründet (so auch Fitting § 77 Rn.39, GK-Kreutz § 77 Rn. 190; offen gelassen BAG 18.11.2008 – 3 AZR 417/07 – Rn. 36, juris).

II.

Mit dem Tenor zu 1. wird der künftige Zahlungsanspruch tituliert.

Im Tenor zu 2. und zu 3. werden die Beträge ausgeworfen, welche im Zeitpunkt der letzen mündlichen Verhandlung nach den obigen Ausführungen rückständig waren.

III.

1.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 II 1 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO.

2.

Der Wert des Streitgegenstandes war gem. § 61 I ArbGG, §§ 3ff. ZPO mit 42 Monatsraten der Betriebsrente zzgl. der Rückstände festzusetzen.

 

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