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Anspruch auf Gewährung tarifvertragliche Altersfreizeit

Arbeitsgericht Duisburg entscheidet zugunsten des Klägers in Altersfreizeitstreit

Ein Arbeitnehmer hatte gegen seinen Arbeitgeber geklagt, um 10 Tage Altersfreizeit aus dem Jahr 2021 zu erhalten. Die Parteien waren sich uneins, ob der Arbeitnehmer den Anspruch vollständig oder nur anteilig geltend machen könne. Der Tarifvertrag für die Brot- und Backwarenindustrie NRW regelt, dass Arbeitnehmer ab 58 Jahren und 15 Jahren Betriebszugehörigkeit jährlich 10 bezahlte Freizeittage erhalten. Der Anspruch war im Jahr 1989 erstmals festgelegt worden und soll ältere Arbeitnehmer entlasten und Betriebstreue belohnen. Das Arbeitsgericht Duisburg entschied, dass der Kläger den vollen Anspruch auf 10 Tage Altersfreizeit für das Jahr 2021 geltend machen könne, auch wenn die Anspruchsvoraussetzungen erst im Laufe des Jahres erfüllt wurden. Eine anteilige Berechnung sei nicht vorgesehen und daher nicht durchsetzbar. Die Klage sei auch zulässig, da §18 des Tarifvertrages sich nur an die Tarifvertragsparteien richte. Die Kosten des Rechtsstreits wurden der Beklagten auferlegt.

ArbG Duisburg – Az.: 2 Ca 582/22 – Urteil vom 11.10.2022

1. Es wird festgestellt, dass dem Kläger noch 10 Tage Altersfreizeit aus dem Jahr 2021 zustehen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Streitwert: 5.000,00 EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Gewährung von tarifvertraglicher Altersfreizeit.

Der Kläger ist seit dem 01.04.1997 bei der Beklagten beschäftigt. Der Kläger vollendete am 00.00.0000 sein 58. Lebensjahr.

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für die Brot- und Backwarenindustrie NRW Anwendung (Bl. 24 ff. d. A.; nachfolgend: MTV). Der MTV enthält auszugsweise folgende Regelungen:

(…)

§ 3

Arbeitszeit

(…)

c) Arbeitnehmer mit vollendetem 58. Lebensjahr und 15 Jahren Betriebszugehörigkeit erhalten ab 1. Januar 1989 jährlich bezahlte Freizeit von 10 Arbeitstagen, die nicht im Zusammenhang mit dem Urlaub gemäß § 10 genommen werden kann.

Für die Entgeltberechnung gelten die Grundsätze wie bei der Urlaubsentgeltberechnung.

(…)

§ 10

URLAUB

a) Urlaubsanspruch

1. Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr (Urlaubsjahr) Anspruch auf Urlaub unter Fortzahlung des Entgeltes. Der Urlaub soll nicht in Geld abgegolten werden.

2. Der Urlaubsanspruch entsteht mit dem Tage der Arbeitsaufnahme. Urlaub kann jedoch erstmals nach einer sechsmonatigen ununterbrochenen Tätigkeit im Betrieb (Wartezeit) geltend gemacht werden.

3. Im Jahre des Ein- und Austritts hat der Arbeitnehmer Anspruch auf einen anteiligen

Urlaub, und zwar erhält er

a) wenn die Gesamtdauer seiner Beschäftigung im Betrieb aufgrund eigener Kündigung weniger als 12 Monate betragen hat, für jeden vollen Beschäftigungsmonat 1/12 des gesetzlichen Mindesturlaubs (24 Werktage);

b) bei arbeitgeberseitiger Kündigung für jeden mit mehr als 14 Kalendertagen angebrochenen Kalendermonat 1/12 seines tariflichen Jahresurlaubs.

§ 11

JAHRES SONDERZUWENDUNG

1. Die Arbeitnehmer erhalten eine Jahressonderzuwendung.

2. Der Anspruch auf die Jahressonderzuwendung entsteht nach einer Betriebszugehörigkeit von 7 vollen Monaten.

3. Nach Erfüllung der Wartezeit erhält der Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr je vollen Beschäftigungsmonat 1/12 der Jahressonderzuwendung. Das gleiche gilt nach Vollendung der 7monatigen Betriebszugehörigkeit im Jahr des Austritts.

§ 17

AUSSCHLUSSFRISTEN

1.Gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (z.B. auf rückständigen Lohn, aus Leistungen von Mehrarbeit u.ä.) sind innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten seit Entstehen des Anspruches schriftlich geltend zu machen.

(…)

§ 18

SCHLICHTUNG VON STREITIGKEITEN

1. Die Beilegung von Streitfällen, die sich aus der Auslegung dieses Vertrages ergeben, soll in erster Linie im Betrieb erfolgen. Ist das nicht möglich, so ist ein Schlichtungsausschuss anzurufen, der sich aus je zwei Vertretern der Vertragsparteien zusammensetzt, die von Fall zu Fall bestellt werden. Personen, die an den Streitfällen unmittelbar beteiligt sind, dürfen nicht als Vertreter benannt werden.

(…)

Mit Schreiben vom 09.03.2022 machte der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von 10 Tagen Altersfreizeit für das Jahr 2021 gegenüber der Beklagten geltend (Bl. 50 d. A.). Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 06.04.2022 ab.

Der Kläger trägt vor, dass ihm ein Anspruch auf Gewährung von 10 Tagen Altersfreizeit für das Jahr 2021 nach den tarifvertraglichen Vorschriften zustehe. Dieser sei auch nicht anteilig zu kürzen. Die Klage sei auch zulässig. § 18 des MTV richte sich lediglich an die Parteien des Tarifvertrages. Eine Schlichtung habe daher vor Klageerhebung nicht stattfinden müssen.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass ihm noch 10 Tage Altersfreizeit aus dem Jahr 2021 zustehen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass gemäß § 18 des MTV die Klage bereits nicht zulässig sei. Zudem bestehe für den Kläger im Jahr 2021 lediglich ein zeitanteiliger Anspruch auf Gewährung von Altersfreizeit. Dies sei in der Vergangenheit auch bei anderen Arbeitnehmern stets so gehandhabt worden. Aus Gründen der Gleichbehandlung könne dem Kläger daher kein höherer Anspruch zuerkannt werden. Der volle Anspruch sei erst für das Jahr 2022 entstanden.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Inhalt der Akte, insbesondere auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet.

1.

Die Klage ist zulässig.

a.

Der Zulässigkeit der Klage steht die Regelung des § 18 MTV nicht entgegen. Die Vorschrift richtet sich lediglich an die Parteien des Tarifvertrages. Auf die Arbeitsverhältnisse, die von dem Anwendungsbereich des Tarifvertrages erfasst sind, hat die Regelung keine direkten Auswirkungen.

b.

Dem Feststellungsantrag fehlt auch nicht das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Zwischen den Parteien ist lediglich die Höhe des Altersfreizeitanspruchs für das Jahr 2021 streitig. Die erhobene Feststellungsklage ist geeignet, diesen streitigen Punkt zwischen den Parteien abschließend zu klären. Der Erhebung einer Leistungsklage bedurfte es daher nicht.

2.

Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gewährung von Altersfreizeit gemäß § 3 Abs. 1 c) des MTV in Höhe von 10 Tagen für das Jahr 2021 zu. Am 00.00.0000 erfüllte der Kläger beide Anspruchsvoraussetzungen der Tarifnorm. Der Kläger war 15 Jahre in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt und hatte sein 58. Lebensjahr vollendet. Eine anteilige Berechnung des Anspruchs bzw. eine anteilige Kürzung des Anspruchs für das Jahr 2021 findet in dem MTV hingegen keine Stütze.

a.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (grundlegend BAG, Urteil vom 12.09.1984 – 4 AZR 336/82, AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; zuletzt BAG, Urteil vom 23.07.2019 – 9 AZR 475/18, juris jeweils mit weiteren Nachweisen).

aa.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze geht aus dem Wortlaut der tariflichen Regelung in § 3 Abs. 1 c) des MTV nicht hervor, dass in dem Jahr, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erstmalig vorliegen, eine anteilige Berechnung bzw. eine anteilige Kürzung des Anspruchs auf Gewährung von Altersfreizeit erfolgen soll. Aus der Verwendung des Begriffs „jährlich“ kann dies nicht geschlossen werden. Hier soll lediglich klargestellt werden, dass der Anspruch für die Zukunft jährlich neu entsteht. Der Wortlaut ist vielmehr eindeutig. Bei Bestehen der beiden Anspruchsvoraussetzungen hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Gewährung von 10 Tagen Altersfreizeit, und zwar unabhängig von der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Anspruchsvoraussetzungen in dem jeweiligen Jahr erstmalig erfüllt sind. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Tarifvertragsparteien offenbar bewusst von einer anderweitigen Regelung abgesehen haben. Denn dass ein Arbeitnehmer erst im Laufe eines Jahres sein 58. Lebensjahr vollendet und nicht etwa zu Beginn des jeweiligen Jahres, dürfte den Normalfall darstellen. Entsprechendes gilt für die Voraussetzung der Betriebszugehörigkeit. Auch eine Regelung für das Austrittsjahr des jeweiligen anspruchsberechtigten Arbeitnehmers ist nicht getroffen worden.

bb.

Ein anderes Auslegungsergebnis folgt auch nicht aus dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Aufgrund der beiden normierten Anspruchsvoraussetzungen soll die Altersfreizeit zum einen die besondere Belastung für ältere Arbeitnehmer mildern. Zum anderen soll offenbar jedoch auch die Betriebstreue belohnt werden. Ansonsten würde die Voraussetzung der 15jährigen Betriebszugehörigkeit keinen Sinn ergeben. Letztlich spricht der Sinn und Zweck der Regelung weder für, noch entscheidend gegen eine mögliche anteilige Berechnung der Altersfreizeit im ersten Jahr des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen.

cc.

Berücksichtigt man die systematische Stellung der Regelung in § 3 Abs. 1 c) des MTV, der die Arbeitszeit zum Gegenstand hat, so kann auch hieraus nicht geschlossen werden, dass eine zeitanteilige Berechnung von den Tarifvertragsparteien gewollt war. Systematisch ist die Einordnung der Regelung nachvollziehbar, da es bei der Gewährung von Altersfreizeit um einen zusätzlichen Freistellungsanspruch von der Arbeitsleistung geht, der unmittelbar auch Auswirkungen auf die Arbeitszeit der Arbeitnehmer hat. Vergleicht man die Vorschrift hingegen mit den anderen Regelungen des MTV, so sprechen entscheidende Gesichtspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien das Problem einer anteiligen Berechnung von Ansprüchen gesehen haben, hierzu jedoch in § 3 Abs. 1 c) bewusst keine Regelung treffen wollten. In § 11 des MTV findet sich einer anteilige Berechnung bei Sonderzahlungen. In § 10 des MTV wird ebenfalls eine anteilige Berechnung des Mindesturlaubsanspruchs im Ein- und Austrittsjahr vorgenommen. Da die Tarifvertragsparteien bei der Altersfreizeit auf eine entsprechende Regelung verzichtet haben, ist davon auszugehen, dass der volle Anspruch auf Alterszeit entstehen soll, auch wenn die Anspruchsvoraussetzungen erst im Laufe eines Jahres erfüllt sind.

b.

Der Anspruch des Klägers ist nicht gemäß § 17 des MTV verfallen. Der Anspruch ist erst mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 00.00.0000 entstanden und wurde von dem Kläger mit Schreiben vom 09.03.2022 innerhalb von drei Monaten gegenüber der Beklagten geltend gemacht.

c.

Der Anspruch ist nicht erloschen. Der Beklagten ist die Erfüllung des Altersfreizeitanspruchs aus dem Jahr 2021 auch weiterhin möglich.

a.

Der Altersfreizeitanspruch ist nicht an das jeweilige Kalenderjahr derart gebunden, dass mit Ablauf des jeweiligen Jahres der Anspruch verfällt. Auch hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte in den tarifvertraglichen Regelungen. Das Fristenregime des BUrlG hinsichtlich des Verfalls von Mindesturlaubsansprüchen stellt eine besondere gesetzliche Regelung dar, die auf andere Freistellungsansprüche von der Arbeitsleistung nicht übertragen werden kann. Der Anspruch aus dem Jahr 2021 ist mit dem Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen entstanden und kann von der Beklagten immer noch im laufenden Arbeitsverhältnis gewährt werden.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt und wurde mit dem Hilfswert des § 23 RVG in Ansatz gebracht.

 

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