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Anspruch auf Urlaubsabgeltung – Kürzungserklärung nach Ende der Elternzeit

Landesarbeitsgericht Niedersachsen – Az.: 15 Sa 533/14 – Urteil vom 16.09.2014

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 26. Februar 2014 – 2 Ca 444/13 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Kürzung eines Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruchs, den die Klägerin für Zeiträume ihrer Elternzeit erworben haben will.

Die Klägerin war vom 01.06.2009 bis zum 14.09.2013 bei dem Beklagten als Krankenschwester mit einer Bruttomonatsvergütung von 1.850,00 € beschäftigt. In der Zeit von August 2010 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses befand sich die Klägerin in Elternzeit.

§ 5 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 11.05.2009 (Anlage K1, Bl. 9 – 11 d.A.) regelt, dass der Mitarbeiter kalenderjährlich einen Erholungsurlaub von 30 Werktagen erhält.

Vor Beginn der Elternzeit standen der Klägerin für das Kalenderjahr 2010 unstreitig 10 noch nicht gewährte Urlaubstage zu.

Anspruch auf Urlaubsabgeltung - Kürzungserklärung nach Ende der Elternzeit
Symbolfoto: Von YAKOBCHUK VIACHESLAV /Shutterstock.com

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 14.11.2013 auf, ihre restlichen Urlaubsansprüche, insbesondere auch für die Dauer der Elternzeit, abzugelten. Mit Schreiben vom 28.11.2013 erklärte der seinerzeitige anwaltliche Bevollmächtigte des Beklagten den Anwälten der Klägerin:

„…

Dazu teile ich Ihnen mit, dass Herr C. – was die Urlaubsansprüche Ihrer Mandantin während der Elternzeit anbelangt – von seinem Kürzungsrecht gemäß § 17 (1) 1 BEEG Gebrauch gemacht hat und auch weiterhin Gebrauch macht. Folglich stehen Ihrer Mandantin für die Dauer der Elternzeit Urlaubsabgeltungsansprüche nicht zu.

…“

Bereits mit Lohnabrechnung vom 27.11.2013 (Bl. 32 d.A.) hatte der Beklagte Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.707,20 € brutto, bestehend aus zwei Einzelpositionen in Höhe von 938,96 € brutto und von 768,24 € brutto, abgerechnet und den sich ergebenden Nettobetrag von 1.646,52 € in zwei Teilzahlungen an die Klägerin geleistet.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von insgesamt 100 Tagen zu, nämlich von 10 noch offenen Urlaubstagen des Jahres 2010 sowie je 30 Tagen für die Jahre 2011, 2012 und 2013.

Die Klägerin hat ihren noch offenen Urlaubsabgeltungsanspruch wie folgt berechnet: 1.850,00 € x 3 Monate : 13 Wochen = 426,92 € Wochenlohn : 6 Werktage = täglich 71,15 € x 100 Urlaubstage = 7.115,35 € brutto. 7.115,35 € brutto abzüglich 1.707,20 € brutto ergibt einen Betrag von 5.408,15 € brutto.

Die Klägerin trägt zur Begründung vor, der Beklagte habe mit Schreiben vom 28.11.2013 keine Kürzung mehr vornehmen können. Da das Arbeitsverhältnis bereits am 14.09.2013 geendet habe, sei der Urlaubsanspruch der Klägerin mit diesem Zeitpunkt in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umgewandelt worden. Dieser Urlaubsabgeltungsanspruch sei in Folge der Aufgabe der Surrogatstheorie durch das Bundesarbeitsgericht nicht mehr als Surrogat des Urlaubsanspruches zu betrachten. Dies habe zur Folge, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch stets ein auf finanzielle Vergütung gerichteter reiner Geldanspruch sei, der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehe und nach § 271 BGB sofort fällig werde. Die Kürzungsmöglichkeit des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG finde zwar auf den Urlaubs-, nicht jedoch auf den Urlaubsabgeltungsanspruch Anwendung, der – wie ausgeführt – ein reiner Geldanspruch sei, der mit dem Urlaubsanspruch als solchem nichts mehr zu tun habe. Vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe der Beklagte entgegen seinem schriftsätzlichen Vortrag von seinem Kürzungsrecht keinen Gebrauch gemacht.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 5.408,15 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.09.2013 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat seine Rechtsauffassung vorgetragen, die Kürzungserklärung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeben zu können. Die Vorschrift sehe für diese Erklärung keine Frist vor.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der Kammerverhandlung vom 26.02.2014 sowie auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (§ 69 Abs. 3 ArbGG) verwiesen.

Mit Urteil vom 26.02.2014 hat das Arbeitsgericht Wilhelmshaven die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Abgabe der Kürzungserklärung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG sei auch noch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich. Das Gesetz benenne den Zeitpunkt, zu dem die Kürzungserklärung abgegeben werden könne, ausdrücklich nicht. Da die Begründung des Bundesarbeitsgerichts, den Urlaubsanspruch auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kürzen zu können, nicht an die Surrogatstheorie anknüpfe, sei eine Einschränkung der Kürzungsmöglichkeit nach Aufgabe dieser Theorie nicht geboten.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven ist der Klägerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 24.03.2014 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung ist fristgerecht am 22.04.2014 bei dem Landesarbeitsgericht eingelegt worden. Die Berufungsbegründung ist am 26.05.2014, einem Montag, bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen und somit ebenfalls fristgemäß eingereicht worden.

Die Klägerin wiederholt im Wesentlichen ihre erstinstanzliche Argumentation. Sie führt weiter aus, auch der Wortlaut des § 17 BEEG spreche gegen die Möglichkeit der Kürzung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Nach § 17 BEEG könne der Arbeitgeber den Erholungsurlaub für jeden vollen Monat der Elternzeit um 1/12 kürzen. Im Gesetz sei hingegen keine Rede von der Kürzung des Abgeltungsanspruches. Indem das Bundesarbeitsgericht die Surrogatstheorie aufgegeben habe, habe es entschieden, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht dem Fristenregime des Bundesurlaubsgesetzes unterfalle. Auch verstoße die Vorschrift des § 17 Abs. 1 BEEG gegen Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG.

Die Klägerin und Berufungsklägerin (im Folgenden: weiterhin: Klägerin) beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 26.02.2014 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 5.408,15 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.09.2013 zu zahlen.

Der Berufungsbeklagte und Beklagte (im Folgenden: weiterhin: Beklagter) beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und wiederholt seine Rechtsauffassung, dass auch nach Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs eine Kürzung gemäß § 17 Abs. 1 BEEG vorgenommen werden könne. Diese verstoße auch nicht gegen Unionsrecht.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in zweiter Instanz wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2014 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsgericht Wilhelmshaven hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

I.

Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft. Sie ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 1, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden. Sie genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 – 4 ZPO.

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

1. Der Beklagte war nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG berechtigt, den Urlaubsanspruch der Klägerin aus den Kalenderjahren 2011 und 2012 jeweils um 12/12 und den Urlaubsanspruch aus dem Kalenderjahr 2013 um 8/12 zu kürzen, sodass unter Berücksichtigung der geleisteten Urlaubsabgeltungszahlung kein restlicher abzugeltender Urlaubsanspruch mehr verbleibt.

a) § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG ordnet an, dass der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um 1/12 kürzen kann. Diese Kürzung hat der Beklagte mit Schreiben vom 28.11.2013 wirksam vorgenommen.

aa) Eine Pflicht des Arbeitgebers, den Urlaubsanspruch bereits vor Antritt der Elternzeit zu kürzen oder eine dahingehende Absicht vorher anzuzeigen, besteht nicht. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG kann der Arbeitgeber „den Erholungsurlaub … für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen“. Der Arbeitgeber kann den Erholungsurlaub kürzen, muss aber von diesem Recht keinen Gebrauch machen. Will er seine Befugnis ausüben, ist nur eine (empfangsbedürftige) rechtsgeschäftliche Erklärung erforderlich, um den Anspruch auf Erholungsurlaub herabzusetzen (BAG 28. Juli 1992 – 9 AZR 340/91 – BAGE 71, 50; 15. Februar 1984 – 5 AZR 192/82, BAGE 45, 155, 160). Diese Erklärung kann ausdrücklich oder stillschweigend abgegeben werden. Es reicht aus, dass dem Arbeitnehmer nur der gekürzte Urlaub gewährt wird oder ihm erkennbar ist, dass der Arbeitgeber von der Kürzungsmöglichkeit Gebrauch machen will. Weitere Voraussetzungen für eine Kürzung des Urlaubs bzw. der Urlaubsabgeltung sind nicht gegeben, insbesondere ist die Wirksamkeit der Kürzungserklärung nicht darauf beschränkt, dass sie vor Antritt der Elternzeit abgegeben wird. Für die Zulässigkeit der Erklärung auch nach der Elternzeit spricht, dass oft erst im Nachhinein feststeht, in welchem Umfang eine Kürzung überhaupt in Betracht kommt (vgl. – noch zur Vorgängerregelung im BErzGG – BAG 28. Juli 1992 – 9 AZR 340/91 – aaO).

bb) Auch der nach § 17 Abs. 2 BEEG zeitlich erweiterten Pflicht zur Urlaubsgewährung ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, der die Kammer beitritt, nicht zu entnehmen, dass der Erholungsurlaub ungekürzt erhalten bleiben muss. Der nachzugewährende Urlaub betrifft den gekürzten wie den ungekürzten Resturlaub (Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, Mutterschaftsleistungen, Bundeserziehungsgeldgesetz, 8.Aufl., § 17 BErzGG Rz 20). Der Arbeitgeber erfüllt seine Pflicht, den Urlaub nachzugewähren, nach § 17 Abs. 2 BEEG auch dann, wenn er sein Kürzungsrecht erst nachträglich ausübt. Es ist auch nicht richtig, dass die Urlaubsabgeltungsregelung in § 17 Abs. 3 BEEG gegenstandslos wäre, wenn eine Kürzungserklärung möglich ist. § 17 Abs. 3 BEEG gewährleistet eine Urlaubsabgeltung nur im Umfang des noch durch Freistellung von der Arbeitspflicht zu erteilenden Urlaubs. Der Arbeitnehmer erhält dann die im Umfang verminderte Urlaubsabgeltung.

cc) § 17 Abs. 4 BEEG sieht vor, dass der Arbeitgeber den Urlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin nach dem Ende der Elternzeit zusteht, um die zu viel gewährten Urlaubstage kürzen kann, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin vor Beginn der Elternzeit mehr Urlaub erhalten hat, als ihm oder ihr nach Absatz 1 zusteht. Damit ist eine Kürzungsmöglichkeit, die ausdrücklich erst nach dem Ende der Elternzeit vorgenommen werden kann und vorgenommen wird, gesetzlich geregelt. Der Gesetzgeber schafft mit der Vorschrift die Möglichkeit einer nachträglichen Verrechnung von Urlaubsansprüchen, die in verschiedenen Jahren entstanden sind. Auch dies spricht dafür, dass die Höhe des Urlaubsanspruchs durch Willenserklärungen, die nach Ende der Elternzeit abgegeben werden, beeinflusst werden kann (vgl. BAG 28. Juli 1992 – 9 AZR 340/91 – BAGE 71, 50).

dd) In seinem Urteil vom 23.04.1996 – 9 AZR 165/195 – BAGE 83, 29 hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung bestätigt. Es hat hier ausgeführt, dass die Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BErzGG [jetzt: BEEG] nicht nur nach Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs, sondern auch erst in der Klageerwiderung abgegeben werden kann. Dies verdeutlicht, dass die Abgabe der Kürzungserklärung an keine Frist gebunden ist.

b) Die zitierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts sind vor Aufgabe der sogenannten Surrogatstheorie ergangen. Sie finden dennoch unverändert Anwendung, da die in diesen Entscheidungen aufgestellten Rechtsgrundsätze nicht, wie die Klägerin meint, von der Anwendung bzw. Anerkennung der Surrogatstheorie abhängig sind und gleichsam mit ihr stünden und fielen. Die Kürzung kann daher vom Arbeitgeber unverändert auch noch nach dem Ende der Elternzeit und auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses erklärt werden (wie hier LAG Rheinland-Pfalz 16.01.2014 – 5 Sa 180/13 – ZTR 2014, 358; LAG Hessen vom 06.12.2013 – 3 Sa 980/12 – juris –; a.A. LAG Hamm vom 27.06.2013 – 16 Sa 51/13 – juris -).

aa) Die Erklärung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG hat der Gesetzgeber nicht befristet. Ihre Rechtsnatur ist dogmatisch zutreffend dahingehend zu bestimmen, dass sie „ex tunc“, also rückbezogen, wirkt. Die Erklärung des Arbeitgebers hat zur Folge, dass der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers rückwirkend zu dem Zeitpunkt, zu dem er entstanden ist – nach Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit ist das der 1. Januar eines Kalenderjahres, vgl. § 4 BUrlG – in Höhe von so vielen Zwölfteln gekürzt wird, wie die Elternzeit im betreffenden Kalenderjahr volle Kalendermonate bestanden hat. Wird aber durch die Erklärungen des Arbeitgebers der Urlaubsanspruch als solcher bereits auf eine Anzahl von entsprechenden Zwölfteln bzw. – bei Elternzeit während des gesamten Kalenderjahres – auf Null gekürzt, so kann auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der hieraus resultierende Urlaubsabgeltungsanspruch nur in entsprechend gekürzter Höhe – bzw. für Kalenderjahre, in denen nur Elternzeit genommen worden ist, überhaupt nicht – entstehen. Es wird folglich nicht, wie die Klägerin meint, der bereits entstandene und fällige Urlaubsabgeltungsanspruch nachträglich und mit „ex-nunc-Wirkung“ gekürzt. Die Kürzungserklärung führt vielmehr zum (teilweisen) rückwirkenden Entfall der Grundlage des Abgeltungsanspruchs.

bb) Willenserklärungen mit „ex-tunc-Wirkung“ sind dem Arbeitsrecht nicht fremd; sie sind dort auch an anderer Stelle anzutreffen. So wirkt etwa der Widerspruch eines Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines Betriebsüberganges (§ 613 a Abs. 6 Satz 1 BGB) nach ganz herrschender Meinung ebenfalls „ex tunc“. Der Widerspruch wirkt auf das Stattfinden des Betriebsüberganges zurück und hat bezogen auf diesen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis nicht mit dem Betriebserwerber, sondern weiterhin mit dem Betriebsveräußerer besteht.

cc) Dass die Willenserklärung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nach der erkennbaren Konzeption des Gesetzgebers in einigen Fallgestaltungen ebenfalls eine zeitliche Rückwirkung entfalten muss, ergibt sich aus folgender Überlegung: Der – volle – Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers entsteht im laufenden Arbeitsverhältnis, wenn in den Vorjahren bereits die sechsmonatige Wartezeit absolviert worden ist, gemäß § 4 BUrlG zum 1. Januar eines Kalenderjahres. Erklärt der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin sodann beispielsweise am 15. Januar, ab dem 1. April Elternzeit in Anspruch nehmen zu wollen, so hat die Erklärung des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG, den Urlaub für das betreffende Jahr um 9/12 kürzen zu wollen, zwingend Rückwirkung, selbst wenn sie unmittelbar nach Kenntnis der arbeitnehmerseitigen Inanspruchnahme von Elternzeit abgegeben wird. Der volle Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers ist bereits zu Beginn des Jahres entstanden und unterliegt nun, was nach der gesetzgeberischen Konzeption offensichtlich zulässig sein soll, einer sich erst durch zeitlich nachfolgende Willenserklärung ergebenden Kürzung. Erst recht gilt dies für die Fälle, in denen der Arbeitgeber bei einer sich über mehrere Kalenderjahre erstreckenden Elternzeit die Kürzungserklärung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG erst während des Laufs der Elternzeit, gegebenenfalls auch erst in deren letztem Monat, abgibt: auch hier wirkt die Erklärung des Arbeitgebers auf das laufende und vorangegangene Kalenderjahre zurück und führt zu einer wirksamen Kürzung des Urlaubsanspruchs. Ist nach alledem erkennbar eine rückwirkende Kürzung bereits entstandener Urlaubsansprüche gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG zulässig, so ist nicht einzusehen, weshalb diese Grundsätze nicht auch im Falle einer nach Beendigung der Elternzeit bzw. nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegebenen Kürzungserklärung Anwendung finden sollten.

dd) Das Vertrauen des Arbeitnehmers auf den Bestand erworbener Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsansprüche ist auch nicht schutzwürdig. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG gewährt dem Arbeitgeber ausdrücklich die Möglichkeit einer Kürzung. Der Arbeitnehmer muss also mit einer Kürzungserklärung von Anfang an rechnen. Schutzwürdiges Vertrauen kann sich unter diesen Umständen nicht aufbauen.

2. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG ist auch nicht unionsrechtswidrig. Die Vorschrift verstößt weder gegen die Richtlinie 2010/18/EU noch gegen die Richtlinie 2003/88/EG.

 

a) Art. 5 Nr. 2 der Richtlinie 2010/18/EU ordnet an, dass die Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen bleiben. Im Anschluss an den Elternurlaub finden diese Rechte mit den Änderungen Anwendung, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und/oder Gepflogenheit ergeben. Gemäß Art. 5 Nr. 3 der Richtlinie bestimmen die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner den Status des Arbeitsvertrags oder Beschäftigungsverhältnisses für den Zeitraum des Elternurlaubs. Die Richtlinie überlässt es den Mitgliedstaaten bzw. deren Sozialpartnern, Regelungen zur Elternzeit festzulegen, also auch dazu, ob und unter welchen Umständen während dieser Zeiten Urlaubsansprüche erworben werden. Lediglich die Rechte, die der Arbeitnehmer für Zeiten erworben hat, die außerhalb der Elternzeit liegen, also insbesondere in Zeiten des Kalenderjahres, die vor dem Beginn der Elternzeit gelegen sind, müssen nach Art. 5 Nr. 2 der Richtlinie aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen bleiben.

Diesen Vorgaben wird die Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG gerecht. Durch die Zwölftelungsregelung wird eine klare Trennung von Zeiten, die vor und nach dem Beginn der Elternzeit gelegen sind, vorgenommen. Die Regelung, dass der Arbeitgeber die Kürzung nur für volle Monate der Elternzeit erklären kann, schützt die Rechte des Arbeitnehmers. Ist aber die Kürzungsmöglichkeit als solche nicht unionsrechtswidrig, dann ist kein Grund dafür erkennbar, dass unionsrechtliche Vorgaben dahingehend bestehen könnten, diese durch arbeitgeberseitige Erklärung erfolgende Kürzung müsse zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgesprochen werden, um wirksam zu sein.

b) Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG vor.

In seiner Entscheidung vom 08.11.2012 – C-229/11 und C-230/11 – NZA 2012, 1273 – Heimann und Toltschin hat der Europäische Gerichtshof deutlich gemacht, dass Art. 7 der RL 2003/88/EG nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegenstehe, nach denen der Anspruch eines Kurzarbeiters auf bezahlten Jahresurlaub pro rata temporis berechnet wird. Er hat hierzu ausgeführt, dass während der Kurzarbeit die gegenseitigen Leistungspflichten des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers nach Maßgabe der Arbeitszeitverkürzung suspendiert, wenn nicht gar völlig aufgehoben seien. Daraus folge, dass Kurzarbeiter als „vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer“ anzusehen seien, da ihre Situation faktisch der von Teilzeitbeschäftigten vergleichbar sei.

In Abgrenzung zu seiner Rechtsprechung hinsichtlich des Erwerbs von Urlaubsansprüchen bei Krankheit hat der Europäische Gerichtshof weiter ausgeführt, die Situation eines Arbeitnehmers, der wegen einer Erkrankung nicht in der Lage ist, zu arbeiten, und die eines Kurzarbeiters seien grundlegend verschieden. Die Kurzarbeit beruhe erstens (im dort vorgelegten Fall) auf einem Sozialplan, also einer betrieblichen Vereinbarung. Zweitens könne der Arbeitnehmer sich während der Kurzarbeit ausruhen oder Freizeittätigkeiten nachgehen. Drittens solle der Sozialplan, indem er Kurzarbeit vorsehe, eine Entlassung der betroffenen Arbeitnehmer verhindern.

Die Elternzeit steht einer vereinbarten Kurzarbeit in diesem Sinne vollkommen gleich. Auch hier kommt es zu einer Suspendierung der gegenseitigen Leistungspflichten. Diese erfolgt – wie bei der Kurzarbeit – auf der Grundlage einer Vereinbarung. Der Umstand, dass diese individualvertraglicher Natur ist, kann dabei nach Auffassung des erkennenden Gerichts keinen Unterschied machen. Die Situation während der Elternzeit ist zweitens, zieht man auch dieses Kriterium des EuGH heran, der Kurzarbeit auch insofern vergleichbar, als der Arbeitnehmer Elternzeit bewusst in Anspruch nimmt, um sich Erziehungsaufgaben widmen zu können, seine Zeit also sinnvoll anderweitig nutzen will und kann, während die Erkrankungszeit durch die einhergehenden physischen oder psychischen Beschwerden nicht anderweitig nutzbar ist. Drittens verhindert auch die Einigung über die Inanspruchnahme der Elternzeit eine ansonsten aufgrund der anstehenden Erziehungsaufgabe des Arbeitnehmers drohende Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Personen, die Elternzeit in Anspruch nehmen, sind deshalb in Anwendung der Diktion des EuGH „vorübergehend nicht beschäftigte Arbeitnehmer“ und erwerben daher für diese Zeiten genauso wenig Urlaubsansprüche wie ein Arbeitnehmer in „Kurzarbeit Null“. Zudem spricht auch der Regelungsgehalt der vorbezeichneten Richtlinie 2010/18/EU dafür, dass das Unionsrecht nicht vorgibt, dass während der Elternzeit aus sozialen Gründen zwingend ein Anspruch auf Urlaub entstehen müsse.

3. Die Klägerin hat den Wert der Urlaubsabgeltung für einen Urlaubstag zutreffend mit 71,15 € berechnet. 1850 (Euro brutto) x 3 (Monate) geteilt durch 78 (Werktage) ergibt 71,153, gerundet also den von der Klägerin ermittelten Betrag.

Unstreitig standen der Klägerin noch 10 Urlaubstage für das Jahr 2010 zu. Nach der erfolgten Kürzung durch die Beklagte standen ihr für das Jahr 2013 darüber hinaus weitere 4/12 (Monate September – Dezember), also weitere 10 Tage, Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung für das Jahr 2013 zu. 20 Tage x 71,15 € ergibt einen Betrag von 1.423,00 € brutto. Der Beklagte hat darüber hinausgehend 1.707,20 € brutto abgerechnet und den sich ergebenden Nettobetrag ausbezahlt. Er hat somit die klägerischen Ansprüche (über-)erfüllt. Dementsprechend steht der Klägerin, da ihre übrigen Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsansprüche in Folge der gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG wirksam abgegebenen Erklärung erloschen sind, kein darüber hinausgehender Zahlungsanspruch zu.

III.

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 2 ZPO die Kosten der von ihr erfolglos eingelegten Berufung zu tragen.

Da die vorliegend getroffene Entscheidung zwar mit der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16.01.2014 – 5 Sa 180/13 – ZTR 2014, 358 sowie mit der Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 06.12.2013 – 3 Sa 980/12 – juris – übereinstimmt, jedoch von der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27.06.2013 – 16 Sa 51/13 – juris – abweicht, war die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zuzulassen.

 

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