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Ansprüche auf Altersfreizeit – Ungleichbehandlung

ArbG Hamburg – Az.: 21 Ca 181/17 – Urteil vom 10.10.2017

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin für 2 Stunden je Woche von der Arbeitspflicht freizustellen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 6/7, die Klägerin zu 1/7.

3. Der Streitwert wird auf € 6.747,36 festgesetzt.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Altersfreizeit.

Die 1959 geborene Klägerin ist Arbeitnehmerin der Beklagten mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden. Sie bezieht ein regelmäßiges Bruttomonatsgehalt von 3.227,- €. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. und der IGBCE vom 24. Juni 1992 (MTV) Anwendung. Die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt 37,5 Stunden. § 2a des MTV idF vom 17. Oktober 2013 lautet:

„Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine zweieinhalbstündige Altersfreizeit je Woche.

Soweit für Arbeitnehmer aufgrund einer Regelung nach § 2 I Ziff. 3 oder einer Einzelvereinbarung oder aufgrund von Kurzarbeit eine um bis zu zweieinhalb Stunden kürzere wöchentliche Arbeitszeit als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gilt, mindert sich die Altersfreizeit entsprechend. Liegt die Arbeitszeit um zweieinhalb Stunden oder mehr unter der tariflichen Arbeitszeit, entfällt die Altersfreizeit.“

Die Klägerin macht seit Vollendung des 57. Lebensjahres im August 2016 Ansprüche gegen die Beklagte auf Gewährung von zweieinhalbstündiger Altersfreizeit je Woche geltend, die die Beklagte abgelehnt hat.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Ausschluss von Arbeitnehmern von der Altersfreizeit, die zwar die Altersgrenze nach dem Tarifvertrag erreicht haben, jedoch mit einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden oder weniger beschäftigt sind, gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigte Arbeitgeber verstoße. Ein hinreichender Grund, der eine Ungleichbehandlung als zulässig erscheinen lassen könne, bestünde auch vor dem Hintergrund des Gestaltungsspielraumes der abschließenden Tarifvertragsparteien nicht.

Mit der am 30. Mai 2017 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen und zuletzt in der Sitzung vom 10. Oktober 2017 (Bl. 51 d.A.) geänderten Klage beantragt die Klägerin

1. die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin für 2 Stunden je Woche von ihrer Arbeitspflicht freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte entgegnet, dass die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt sei. Gemäß der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien sei das gesteigerte Erholungsbedürfnis älterer Mitarbeiter und das geringere Erholungsbedürfnis von Teilzeitkräften im Rahmen einer schlüssigen Gesamtkonzeption in einem verhältnismäßigen, abgestuften und Härtefälle beachtenden Regelungskonzept aufgegangen. Ein Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bestünde mithin nicht.

Auf den Tatsachenvortrag der Parteien in ihren Schriftsätzen und Anlagen sowie in ihren protokollierten Erklärungen wird ergänzend Bezug genommen.

Die Parteien haben in der einer Güteverhandlung unmittelbar anschließenden mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2017 eine Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden beantragt.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht konnte gemäß § 55 Abs. 3 ArbGG durch den Vorsitzenden allein entscheiden, weil die Parteien eine Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden beantragt haben und der Rechtsstreit unter Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs entscheidungsreif war.

2. Die Klage ist begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten verlangen, sie entsprechend der Regelung des § 2a MTV in einem Umfang von zwei Stunden in der Woche freizustellen, um die Ungleichbehandlung wirksam zu beseitigen. Der Ausschluss von Arbeitnehmern, die regelmäßig 35 Stunden und weniger in der Woche arbeiten, verstößt gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten und ist nicht gerechtfertigt.

a) Die Benachteiligung der Klägerin lässt sich durch eine Angleichung „nach oben“, also durch entsprechende Erstreckung der benachteiligenden Regelung ohne Berücksichtigung der rechtswidrigen Elemente der Regelung, beseitigen (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1989 – Rs C – 102/88; BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 8 AZR 168/14; Laux/Schlachter, TzBfG, 2. Auflage 2011, § 4 TzBfG, Rn. 265ff.). Als Rechtsfolge des Verstoßes ist die Altersfreizeit der Klägerin durch eine linear ihrer Wochenarbeitszeit entsprechenden Freistellung von 2 Stunden pro Woche zu gewähren.

b) Die Klägerin wird durch die Regelung des § 2a Ziff. 1 MTV als teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerin unter Verstoß gegen ein gesetzliches Benachteiligungsverbot, § 4 Abs. 1 TzBfG, benachteiligt (vgl. ausführlich: LAG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2016, 14 Sa 874/15; ähnlich bereits: BAG, Beschluss vom 27. März 1996 – 5 AZR 647/94).

Gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.

Die Regelung des § 2a Ziff. 1 MTV behandelt teilzeit– und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ungleich, weil Vollzeitkräfte nach Erreichen der entsprechenden Altersgrenze einen Anspruch auf Freistellung in Höhe von 2,5 Stunden die Woche haben, während teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer einen der verminderten Arbeitszeit nicht linear angepassten Anspruch, bzw. bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und weniger, überhaupt keinen Anspruch auf entsprechende Freistellung haben. Damit wird der Umfang der Arbeitszeit Ansatzpunkt für eine Ungleichbehandlung. Diese Ungleichbehandlung wirkt sich auch auf die Vergütung aus, da Vollzeitkräfte aufgrund der insoweit abstrakten Regelung in § 2a des MTV eine um bis zu 2,5 Stunden geringere Arbeitsleistung pro Woche erbringen müssen. Damit verschiebt sich aufgrund der tarifvertraglichen Regelung die Entlohnung pro Zeiteinheit zugunsten vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Die Regelung führt mithin dazu, dass die Leistung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Vergleich zu vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern schlechter entlohnt wird. So erbringt etwa ein 58-jähriger Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden bei Anwendung der Regelung des § 2a Ziff 1. MTV den gleichen Aufwand an Arbeitszeit wie ein 58-jähriger Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden, während der eine auf Grundlage einer Arbeitsleistung von 35 Stunden und der andere auf Grundlage einer Arbeitsleistung von 37,5 Stunden entlohnt wird.

Der Annahme einer Ungleichbehandlung steht nicht entgegen, dass sich die Benachteiligung aus einer tarifvertraglichen Regelung ergibt, da § 4 Abs. 1 TzBfG insoweit zwingendes höherrangiges Recht darstellt, das auch von den Tarifvertragsparteien zu beachten ist.

Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung liegt nicht vor. Zwar ist den Tarifvertragsparteien eine Einschätzungsprärogative eingeräumt, die sich auch auf die Einschätzung sachlicher Bedürfnisse zur Rechtfertigung ansonsten gesetzlich verbotener Sachverhalte beziehen kann. Der sachliche Grund, der der Regelung des § 2a MTV zugrunde liegt, ist aber objektiv für die Kammer nicht feststellbar. Es ist nämlich nicht ausreichend, dass die Tarifvertragsparteien lediglich von dem Vorliegen eines sachlichen Grundes ausgehen (a.A. wohl LAG Köln, Urteil vom 8. Januar 2016, 10 Sa 730/15, wonach ausreichend sein soll, dass die Verallgemeinerungen der Tarifvertragsparteien auf eine „breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen“ müssen sollen). Es wäre vielmehr notwendig, festzustellen, dass gerade ab Vollendung des 57. Lebensjahres bei einer wöchentlichen Belastung ab 35 Stunden ein besonderes, anerkennungswürdiges Erholungsbedürfnis besteht. Es wäre mithin aufzuzeigen, dass unterhalb einer wöchentlichen Belastung von 35 Stunden, ein solches besonderes Erholungsbedürfnis nicht nur in einer linearen Betrachtung verringert ist, sondern gänzlich entfällt. Als Normgeber sind den Tarifvertragsparteien dann in diesem Rahmen auch typisierende, verallgemeinernde Normsetzungsmöglichkeiten eröffnet.

II.

1. Die Kosten des Rechtsstreits haben beide Parteien in Höhe ihres jeweiligen Unterliegens verhältnismäßig zu tragen (§ 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG; § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG).

Dabei beruht die Kostenentscheidung für die zu erhebenden Gerichtsgebühren (§ 63 Abs. 2 GKG) auf einem Gesamtstreitwert in Höhe von 7.871,92 €. Der Gesamtstreitwert ist nicht identisch mit dem im Tenor festgesetzten Urteilsstreitwert (§ 61 Abs. 1 ArbGG). Der Urteilsstreitwert betrifft nur die Streitgegenstände, über die dieses Urteil in der Hauptsache entschieden hat (sogleich zu II 2 der Gründe). Der Gesamtstreitwert erstreckt sich über den Urteilsstreitwert hinaus auf den zurückgenommenen Teil des Klageantrages in Höhe eines Freistellungsanspruches von 20 Minuten wöchentlich. In dieser Höhe unterliegt Klägerin in kostenrechtlicher Hinsicht zu einem Siebtel.

2. Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG festgesetzte Wert des Streitgegenstandes (Urteilsstreitwert) richtet sich nicht nach den Wertvorschriften des Gerichtskostengesetzes, sondern nach den für die Ermittlung des Beschwerdewertes maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung (BAG, Beschluss vom 04. Juni 2008 – 3 AZB 37/08 –, NJW 2009, S. 171, zu II 1 der Gründe). Der Urteilsstreitwert entspricht nach den im maßgebenden Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (GMP/Germelmann, ArbGG, 8. Aufl., § 61 Rn. 17) gestellten Anträgen 6.747,36 €. Er errechnet sich aus dem dreifachen Jahreswert der begehrten Freistellung bei einer Zugrundelegung von 46 Arbeitswochen, einem Bruttomonatsgehalt von 3227,- € und durchschnittlich 22 monatlichen Arbeitstagen (=(3227/22/3)*46*3).

3. Die Berufung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 € nicht übersteigt, hat die Kammer gemäß § 64 Abs. 3a ArbGG zugelassen, weil die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen (§ 64 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe a ArbGG).

 

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