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Arbeit auf Abruf – unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Az.: 4 Sa 368/15, Urteil vom 11.05.2016

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.7.2015 – 12 Ca 2473/14 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 24.9.2002 als Mitarbeiterin in der Produktion in Vollzeit mit einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von derzeit 38 Stunden zu beschäftigen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.103,75 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

a) aus 1230,72 € seit dem 1.2.2015

b) aus 1315,01 € seit dem 1.3.2015

c) aus 1493,48 € seit dem 1.4.2015

d) aus 1489,19 € seit dem 1.5.2015

e) aus 1342,84 € seit dem 1.6.2015

f) aus 1404,08 € seit dem 1.7.2015

g) aus 975,08 € seit dem 1.8.2015

h) aus 1498,35 € seit dem 1.9.2015

i) aus 355,00 € seit dem 1.7.2015

3. Die weitergehende Zahlungsklage wird abgewiesen.

II. Die Beklagte hat die erstinstanzlichen Kosten zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 16 % der Klägerin und zu 84 % der Beklagten auferlegt.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über den Umfang der vertragsgemäßen Arbeitszeit der Klägerin.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 14.01.2002, zuletzt auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 24.09.2002, als Mitarbeiterin in der Produktion beschäftigt. Aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen der zwischen der Beklagten und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie abgeschlossenen Firmentarifverträge Anwendung. Die Klägerin ist in Entgeltgruppe E 2 des maßgeblichen Entgelttarifvertrages eingruppiert. Die tarifliche Vergütung für eine Vollzeittätigkeit beläuft sich in dieser Entgeltgruppe auf 2.367,00 Euro brutto monatlich. Die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt gemäß § 2 des maßgeblichen Manteltarifvertrages 38 Stunden.

Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 24.09.2002 enthält u.a. folgende Regelungen:

„3. Arbeitszeit

Die jeweils gültige regelmäßige Arbeitszeit ist im Rahmen der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen sowie durch die entsprechenden betrieblichen Regelungen bzw. Betriebsvereinbarungen festgelegt.

7. Sonstige Vereinbarungen

Sie werden in Teilzeit eingesetzt. Ihre normale Arbeitszeit beträgt 2 Schichten je Woche. Die Arbeitszeit richtet sich nach den betriebsüblichen Schichten; hiernach können Sie in Früh-, Spät-, Nachschicht oder in den Wochenendschichten eingesetzt werden. Bei Bedarf kann die Arbeitszeit bis zur Vollzeit flexibilisiert werden. …“

Im Betrieb der Beklagten entsprechen seit dem 01.01.2015 zwei Schichten pro Woche einer wöchentlichen Arbeitszeit von 15,2 Sunden; fünf Schichten pro Woche entsprechen der tariflichen Vollzeitbeschäftigung von 38 Wochenstunden.

Die Klägerin wurde ab Beginn des Arbeitsverhältnisses (zunächst) bis auf wenige Ausnahmen von der Beklagten in Vollzeit beschäftigt.

Mit Schreiben an die Beklagte vom 24.03.2014 bat die Klägerin unter Hinweis auf eine Entscheidung des LAG Hamm vom 04.05.2006 – 8 Sa 2046/05 – um eine „Überprüfung“ ihres Arbeitsvertrages und machte mit ihrer am 27.06.2014 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage den Anspruch geltend, von der Beklagten in Vollzeit beschäftigt zu werden mit der Begründung, die im Arbeitsvertrag getroffene Teilzeitregelung sei nachträglich durch eine stillschweigende Abrede in ein Vollzeitarbeitsverhältnis abgeändert worden.

Seit dem 19.01.2015 setzt die Beklagte die Klägerin nicht mehr in Vollzeit, sondern lediglich in zwei Schichten pro Woche in der Produktion ein.

Die Klägerin hat erstinstanzlich – über ihren Antrag auf Beschäftigung in Vollzeit hinausgehend – die Beklagte im Wege mehrerer Klageerweiterungen auf Nachzahlung der Differenz zwischen der tariflichen Vollzeitvergütung und der seitens der Beklagten ausgezahlten Teilzeitvergütung für die Monate Januar bis Mai 2015 in Anspruch genommen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.07.2015 (Bl. 425 – 429 d.A.).

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 24.09.2002 als Mitarbeiterin in der Abteilung Produktion in Vollzeit mit einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von derzeit 38 Stunden zu beschäftigen.

2. die Beklagte hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu Ziffer 1 zu verurteilen, das Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Arbeitsvertrages in Vollzeit mit einer wöchentlichen tariflichen Arbeitszeit von derzeit 38 Stunden anzunehmen.

3. die Beklagte hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziffer 1 zu verurteilen, an die Klägerin 1.230,72 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2015 zu zahlen.

4. die Beklagte hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit Klageantrag zu Ziffer 1 zu verurteilen, an die Klägerin 1.315,01 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2015 zu zahlen.

5. die Beklagte hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziffer 1 zu verurteilen, an die Klägerin 1.493,48 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2015 zu zahlen.

6. die Beklagte hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziffer 1 zu verurteilen, an die Klägerin 1.489,19 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2015 zu zahlen.

7. die Beklagte hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziffer 1 zu verurteilen, an die Klägerin 1.342,84 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.07.2015 die Klage abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 – 15 dieses Urteils (= Bl. 429 – 437 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 29.07.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.08.2015 Berufung eingelegt und diese am 21.09.2015 begründet.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihre Zahlungsklage auf die Monate Juni bis August 2015 sowie auf Zahlung eines (restlichen) Urlaubsgeldes erweitert.

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Annahme des Arbeitsgerichts, wonach trotz der Unwirksamkeit von Ziffer 7. Satz 4 des Arbeitsvertrages die Vereinbarung in Ziffer 7. Satz 2 also die Vereinbarung der sog. Sockelarbeitszeit in Anwendung des „blue-pencil-Tests“ wirksam bleibe, sei rechtsfehlerhaft. Insoweit verkenne des Arbeitsgericht die vom BAG in seiner Entscheidung vom 07.12.2005 (5 AZR 535/04) dargelegten Rechtsgrundsätze. Die Unwirksamkeit der Regelung über die Arbeit auf Abruf führe danach auch zur Unwirksamkeit der vereinbarten Sockelarbeitszeit. Für die Anwendung des sog. blue-pencil-Tests bleibe kein Raum. Vielmehr sei die durch die Unwirksamkeit der vereinbarten Arbeitszeitregelung entstandene Vertragslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Diese führe im Hinblick auf die in der Vergangenheit praktizierte Vertragsdurchführung zu dem Ergebnis, dass die Vertragsparteien eine Vollzeitbeschäftigung gewollt hätten. Darüber hinaus entspreche die einseitige Reduzierung der Arbeitszeit durch die Beklagte keineswegs billigem Ermessen. Die Beklagte sei unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges zur Nachzahlung der geltend gemachten Differenzvergütungsansprüche verpflichtet. Da sie – die Klägerin – nach Maßgabe des einschlägigen Manteltarifvertrages Anspruch habe auf ein zusätzliches jährliches Urlaubsgeld von 615,00 Euro, die Beklagte hierauf (unstreitig) lediglich 260,00 Euro gezahlt habe, verbleibe zu ihren Gunsten ein diesbezüglicher Nachzahlungsanspruch von 355,00 Euro brutto.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 21.09.2015 (Bl. 478 – 493 d.A.) sowie auf den Schriftsatz der Klägerin vom 21.12.2015 (Bl. 569 – 572 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin auf der Grundlage des Arbeitsvertrages der Parteien vom 24.09.2002 als Mitarbeiterin in der Produktion in Vollzeit mit einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von derzeit 38 Stunden zu beschäftigen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für Januar 2015 Arbeitsvergütung in Höhe von EUR2.367,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.02.2015 abzüglich gezahlter EUR 738,40 netto zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für Februar 2015 Arbeitsvergütung in Höhe von EUR 2.367,00 nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten

über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.03.2015 abzüglich gezahlter EUR 695,97 netto zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für März 2015 Arbeitsvergütung in Höhe von EUR 2.367,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.04.2015 abzüglich gezahlter EUR 578,11 netto zu zahlen;

5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für April 2015 Arbeitsvergütung in Höhe von EUR 2.367,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.05.2015 abzüglich gezahlter EUR 580,93 netto zu zahlen;

6. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für Mai 2015 Arbeitsvergütung in Höhe von EUR 2.367,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.06.2015 abzüglich gezahlter EUR 982,89 netto zu zahlen;

7. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für Juni 2015 Arbeitsvergütung und Urlaubsgeld in Höhe von EUR 2.627,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.07.2015 abzüglich gezahlter EUR 802,68 netto zu zahlen;

8. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für Juli 2015 Arbeitsvergütung in Höhe von EUR 2.367,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.08.2015 abzüglich gezahlter EUR 964,53 netto zu zahlen.

9. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für August 2015 Arbeitsvergütung in Höhe von EUR 2.367,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.09.2015 abzüglich gezahlter EUR 588,15 netto zu zahlen;

10. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weiteres Urlaubsgeld in Höhe von EUR 355,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.07.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 30.11.2015 (Bl. 554 – 557 d.A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache überwiegend Erfolg.

II.

1. Die zulässige Klage auf Vollzeitbeschäftigung ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Beschäftigung in Vollzeit mit einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von derzeit 38 Stunden.

Die von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelte Rechtspflicht zur Beschäftigung bedeutet, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vertragsgemäß beschäftigen muss, wenn dieser es verlangt. Rechtsgrundlage hierfür sind §§ 611, 613 BGB i.V.m. § 242 BGB, wobei die Generalklausel des § 242 BGB dabei ausgefüllt wird durch die Wertentscheidung der Art. 1 und Art. 2 GG (BAG v. 24.06.2015 – 5 AZR 462/14 – AP Nr. 139 zu § 615 BGB).

Die vertragsgemäße wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin beläuft sich auf 38 Stunden. Dies folgt daraus, dass sich die im Arbeitsvertrag unter Ziffer 7. vereinbarte Arbeitszeitregelung als unwirksam erweist und die infolgedessen zur Schließung der entstandenen Vertragslücke durchzuführende ergänzende Vertragsauslegung zu dem Ergebnis führt, dass an die Stelle der unwirksamen Arbeitszeitregelung eine feste Arbeitszeit von 38 Wochenstunden tritt.

Die Parteien haben in Ziffer 7. Satz 4 des Arbeitsvertrages Arbeit auf Abruf vereinbart. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung, wonach die Arbeitszeit der Klägerin „bei Bedarf“, d.h. bei entsprechendem Arbeitsanfall über die in Ziffer 7. Satz 2 vereinbarte „normale“ Arbeitszeit von zwei Schichten je Woche „bis zur Vollzeit flexibilisiert“ werden kann, wobei unter dem Begriff „Vollzeit“ im Hinblick auf Ziffer 3 des Arbeitsvertrages zweifellos die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit zu verstehen ist.

Diese, im Arbeitsvertrag, bei dem es sich zweifellos um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt, getroffene Arbeitszeitvereinbarung ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, da sie die Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.

Eine unangemessene Benachteiligung bei einer Vereinbarung von Arbeit auf Abruf liegt dann vor, wenn die vom Arbeitgeber abrufbare Arbeitszeit des Arbeitnehmers mehr als 25 % der vereinbarten wöchentlichen Mindestarbeitszeit beträgt (BAG v. 07.12.2005 – 5 AZR 535/04 – AP Nr. 4 zu § 12 TzBfG). Diese Grenze ist vorliegend bei Weitem überschritten, da die in Ziffer 7 Satz 2 des Arbeitsvertrages vereinbarte Mindestarbeitszeit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 15,2 Stunden entspricht und nach Ziffer 7 Satz 4 bei Bedarf mehr als verdoppelt werden kann. Die betreffende Klausel ist damit gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

Die Unwirksamkeit von § 7 Satz 4 des Arbeitsvertrages führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in Ansehung von Ziffer 7 Satz 2 des Arbeitsvertrages zu einer regelmäßigen Arbeitszeit der Klägerin von 15,2 Stunden wöchentlich. § 7 Satz 2 und § 7 Satz 4 des Arbeitsvertrages stehen nämlich in einem untrennbaren Zusammenhang, da die Beklagte gerade keine feste Wochenarbeitszeit, sondern ausgehend von einem festen Arbeitszeitsockel Arbeit auf Abruf vereinbaren wollte. Die Unwirksamkeit von Ziffer 7 Satz 4 führt damit zur Unwirksamkeit der gesamten davon abhängigen vertraglichen Arbeitszeitregelung (vgl. BAG v. 07.12.2005, a.a.O.).

Die durch die Unwirksamkeit der vereinbarten Arbeitszeitregelung im Arbeitsvertrag entstandene Lücke ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Dabei ist darauf abzustellen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn sie die Unwirksamkeit der Klausel bedacht hätten. Zur Feststellung des mutmaßlichen Parteiwillens ist die tatsächliche Vertragsdurchführung von erheblicher Bedeutung. Sie gibt Ausschluss über die von den Parteien wirklich gewollte Arbeitszeitdauer (BAG v. 07.12.2005, a.a.O.).

Danach ist davon auszugehen, dass die Parteien, hätten sie die Unwirksamkeit der vertraglichen Arbeitszeitregelung bedacht, ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet hätten. Dies ergibt sich aus der ab Beginn des Arbeitsverhältnisses bis einschließlich Mitte Januar 2015 tatsächlich praktizierten Vertragsdurchführung. Die Klägerin wurde – wie im unstreitigen Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils festgestellt – über einen Zeitraum von mehr als 12 Jahren hinweg durchgängig (bis auf wenige Ausnahmen) von der Beklagten in Vollzeit beschäftigt. In Anbetracht dessen kommt eine ergänzende Vertragsauslegung nur derart in Betracht, dass anstelle der unwirksamen Arbeitszeitregelung eine feste Arbeitszeit im Umfang der tariflichen Vollarbeitszeit von 38 Wochenstunden tritt (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 06.04.2006 – 1 Sa 37/06 – juris).

2. a) Die Zahlungsklage (Berufungsanträge zu 2. – 10.) ist zulässig. Sie ist insbesondere auch hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klage die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Jeder Anspruch muss identifizierbar sein. Der angegebene Grund muss erkennen lassen, aus welchem Lebenssachverhalt der geltend gemachte Anspruch herrührt. Der zugrunde liegende Sachverhalt darf nicht beliebig sein (BAG v. 09.10.2002 – 5 AZR 160/01 – AP Nr. 40 zu § 253 ZPO).

Diesen Anforderungen werden die Zahlungsanträge gerecht. Dem steht nicht entgegen, dass der Klägerin für die Monate, für welche sie Nachzahlungen begehrt, nicht ausschließlich Arbeitsvergütung, sondern zum Teil auch – wie von der Beklagten abgerechnet – Urlaubsentgelt und/oder Krankenvergütung (Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) zusteht und sie die betreffenden Einzelbeträge jeweils in einem monatlichen Gesamtbetrag zusammengefasst hat, ohne dabei zwischen Zeiten der Arbeitsleistung, Urlaubszeiten und Krankheitszeiten zu differenzieren. Die Klage richtet sich insoweit erkennbar auf Nachzahlung der jeweiligen Differenzbeträge zwischen der tariflichen Vollzeitvergütung von 2.367,00 Euro brutto, die arbeitgeberseitig auch (anteilig) für Urlaubs- und Krankheitszeiten zu zahlen ist, und den jeweils von der Beklagten auf Basis einer Teilzeitbeschäftigung ausgezahlten Beträgen.

b) Die Zahlungsklage ist überwiegend begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Nachzahlung der ausgeurteilten Beträge.

Da zwischen den Parteien – wie bereits ausgeführt – ein Vollzeitarbeitsverhältnis bestand, beläuft sich der Gesamtvergütungsanspruch der Klägerin auf den tariflich für die Entgeltgruppe E 2 normierten Betrag von 2.367,00 Euro brutto. Die hieraus resultierenden Nachzahlungsansprüche der Klägerin folgen überwiegend aus § 615 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Beklagte befand sich nämlich ab dem 19.01.2015 mit der Annahme der von der Klägerin bereits vorgerichtlich und mit Klageschrift vom 25.06.2014 angebotenen Vollzeitarbeitsleistung in Verzug. Für Krankheits- und Urlaubszeiten der Klägerin schuldet die Beklagte die Fortzahlung der tariflichen Vollzeitvergütung nach § 3 Abs. 1 EFZG bzw. 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG.

Die Klage erweist sich jedoch insoweit als unbegründet, als die Klägerin in ihren Zahlungsanträgen von der ihr zustehenden Bruttovergütung lediglich das von der Beklagten ausgezahlte Nettoentgelt in Abzug gebracht hat. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die Beklagte die in den Lohnabrechnungen ausgewiesenen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat. Gegenteiliges ist nicht ersichtlich. Die Klage ist daher insoweit nur in Höhe der jeweiligen Bruttolohndifferenzen begründet. Diese belaufen sich unter Zugrundelegung des seitens der Beklagten nicht bestrittenen Vorbringens der Klägerin und der vorgelegten Entgeltabrechnungen auf 1.230,72 Euro für Januar 2015, auf 1.315,01 Euro für Februar 2015, auf 1.493,48 Euro für März 2015, auf 1.489,19 Euro für April 2015, auf 1.342,84 Euro für Mai 2015, auf 1.404,08 Euro für Juni 2015, auf 975,08 Euro für Juli 2015 und auf 1.498,35 Euro für August 2015.

Die Begründetheit des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs auf Nachzahlung eines Teils des tariflichen Urlaubsgeldes folgt aus § 8 V Nr. 1 des bei der Beklagten geltenden Firmen-Manteltarifvertrages. Nach dieser Vorschrift erhält jeder Arbeitnehmer jährlich ein zusätzliches Urlaubsgeld von 615,00 Euro. Hierauf hat die Beklagte lediglich 260,00 Euro gezahlt, sodass zugunsten der Klägerin insoweit ein Nachzahlungsanspruch von 355,00 Euro verbleibt.

Der Zahlungsanspruch der Klägerin beläuft sich somit auf insgesamt 11.103,75 Euro brutto.

Die ausgeurteilten Zinsen folgen aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

III.

Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen.

Für die Zulassung der Revision bestand nach den Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

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