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Arbeitgeberhaftung – Pendler-Zuschuss wegen Corona-Pandemie

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 5 Sa 65/21 – Urteil vom 28.09.2021

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 02.02.2021 – 13 Ca 276/20 – abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Arbeitgeberin verpflichtet war, eine wegen der Corona-Pandemie eingeführte staatliche Zuwendung für Mehraufwendungen bei Pendlern aus Polen zu beantragen und auszuzahlen.

Der im August 1974 geborene, in Polen wohnhafte Kläger nahm am 01.05.2018 bei der Beklagten eine Beschäftigung als Busfahrer im Regionalverkehr auf. Die Parteien schlossen zunächst einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag, den sie im April 2019 um ein weiteres Jahr auf den 30.04.2020 verlängerten. Die Entfernung zwischen dem Wohnort des Klägers in Polen und dem Betriebshof der Beklagten in P. beträgt etwa 37 km. Der Kläger pendelte regelmäßig zwischen seinem Wohnsitz und der Arbeitsstätte.

Arbeitgeberhaftung - Pendler-Zuschuss wegen Corona-Pandemie
(Symbolfoto: Maria Sbytova/Shutterstock.com)

Ende März 2020 wurde ein grenzüberschreitendes Pendeln zwischen Polen und Deutschland wegen der bei Einreise einzuhaltenden 14-tägigen Quarantäne, die aus Anlass der Corona-Pandemie angeordnet worden war, faktisch unmöglich. Der Kläger verständigte sich daraufhin mit seinem Einsatzleiter zunächst auf eine Freistellung am Freitag, 27.03., und Montag, 30.03.2020. Am 30.03.2020 erließ das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit Mecklenburg-Vorpommern die folgende Verwaltungsvorschrift, zuletzt geändert am 30.04.2020, zur

Unterstützung von Arbeitgebern zur Finanzierung von Mehraufwendungen für Unterbringung und Verpflegung von Pendlern mit Hauptwohnsitz im Ausland und einer Arbeitsstätte in Mecklenburg-Vorpommern aufgrund von Corona-Pandemie bedingten Einreisebeschränkungen und Quarantäneregelungen (Pendler-Zuschuss)

1. Zuwendungszweck, Rechtsgrundlage

1.1 … Zweck der Zuwendung ist es, diesen Beschäftigten sowie deren Angehörigen die Mehraufwendungen für Unterkunft und Verpflegung in Mecklenburg-Vorpommern zu finanzieren, dadurch das Wegbleiben dieser Beschäftigten zu verhindern und damit deren Arbeitgeber zu unterstützen, in der Zeit der Corona-Pandemie die Arbeitsfähigkeit des Betriebes zu erhalten.

 

2. Gegenstand der Förderung

Gefördert werden die Mehraufwendungen für Unterbringung und Verpflegung im Land Mecklenburg-Vorpommern von Beschäftigten und deren Angehörigen mit Hauptwohnsitz im Ausland und einer Arbeitsstätte in Mecklenburg-Vorpommern.

3. Zuwendungsempfänger, Begünstigte

3.1 Zuwendungsempfänger sind natürliche und juristische Personen, die als Arbeitgeber Pendler nach Ziffer 3.2 dieser Verwaltungsvorschrift in einer Arbeitsstätte in Mecklenburg-Vorpommern beschäftigen. …

3.2 Zuschussberechtigte Begünstigte sind folgende Personen

3.2.1 Tagespendler aus Polen

Beschäftigte mit Hauptwohnsitz in Polen, die in einer in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelten Arbeitsstätte in der Zeit vom 28. März 2020 bis 13. Mai 2020 tatsächlich beschäftigt sind und infolge der Corona-Pandemie bedingten Einreisebeschränkungen und Quarantäneregelungen nicht täglich zwischen ihrem Hauptwohnsitz in Polen und der Arbeitsstätte in Mecklenburg-Vorpommern pendeln können.

4. Zuwendungsvoraussetzungen

4.1 Die Gewährung einer Zuwendung für Mehraufwendungen für Unterbringung und Verpflegung von Tagespendlern aus Polen setzt voraus, dass diese Pendler

· einen Hauptwohnsitz in Polen haben,

· an einer Arbeitsstätte in Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tatsächlich tätig sind,

· sich aus Anlass der Arbeitstätigkeit in Mecklenburg-Vorpommern aufhalten, und

· aufgrund der Corona-Pandemie bedingten Einreisebeschränkungen und Quarantäneregelungen nicht mehr täglich zwischen dem Hauptwohnsitz und der Arbeitsstätte pendeln können.

5. Art, Umfang und Höhe der Zuwendung

5.1 Die Zuwendung wird als Projektförderung in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses als Festbetragsfinanzierung zur Finanzierung von Mehraufwendungen für Unterkunft und Verpflegung gewährt. …

5.2 Die Höhe der Zuwendung beträgt für

5.2.1 Tagespendler aus Polen 65 EURO pro Kalendertag des Aufenthaltes in Mecklenburg-Vorpommern ab dem 28. März 2020 bis 13. Mai 2020,

6. Sonstige Zuwendungsbestimmungen

Die Zuwendungen nach dieser Verwaltungsvorschrift sind Subventionen im Sinne des § 264 des Strafgesetzbuches. …

7. Antrags- und Bewilligungsverfahren

7.3 Anträge werden bis zum 29. Mai 2020 (Posteingang bei der Bewilligungsbehörde) entgegen genommen. Eine rückwirkende Antragstellung ab dem 28. März 2020 wird zugelassen; die Zustimmung zum vorzeitigen Maßnahmebeginn gilt als erteilt.

8. Mittelauszahlungs- und Abrechnungsverfahren

8.3 Mit dem Zuwendungsbescheid ist der Zuwendungsempfänger zu beauflagen, mit dem Verwendungsnachweis folgende Daten und Erklärungen abzugeben bzw. folgende Unterlagen einzureichen:

  • Auflistung der Namen der bezuschussten Pendler und ggf. deren Angehörigen sowie deren Hauptwohnsitze und Arbeitsstätten,
  • Erklärung des Zuwendungsempfängers, dass die Pendler in dem geförderten Zeitraum im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses tatsächlich tätig waren,
  • formularbasierte Erklärung der Pendler über die Höhe des tatsächlich erhaltenen bzw. ggf. zurückgezahlten Zuschusses,
  • formularbasierte und vom Arbeitgeber und den Pendlern unterschriebene Angabe der Anzahl der Tage, an denen die Pendler und die begleitenden Familienangehörigen sich im Zeitraum vom 28. März 2020 bis 13. Mai 2020 tatsächlich in Mecklenburg-Vorpommern aufgehalten haben,
  • Kopie der Arbeitsverträge der Pendler,
  • Kopie der amtlichen Ausweisdokumente mit Angabe des Hauptwohnsitzes der Pendler,
  • Kopie der amtlichen Ausweisdokumente mit Angabe des Hauptwohnsitzes der Familienangehörigen.

8.4 Die nach Ziffer 8.3 einzureichenden Unterlagen und abzugebenden Erklärungen gelten als Erbringung des Verwendungsnachweises.

…“

Am 31.03.2020 nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf. Die Beklagte beantragte am 07.04.2020 bei dem zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGuS) die Zahlung eines Pendler-Zuschusses für drei namentlich genannte Arbeitnehmer, u. a. den Kläger. Beim Kläger belief sich die Antragssumme auf € 1.495,00, errechnet aus 23 Kalendertagen à € 65,00.

Das LaGuS bewilligte der Beklagten mit Zuwendungsbescheid vom 20.04.2020 antragsgemäß für den Zeitraum 28.03.2020 – 19.04.2020 einen Pendler-Zuschuss für die drei Arbeitnehmer in Höhe von insgesamt € 3.445,00. Nach den Nebenbestimmungen des Bescheides ist der Zuschuss zweckgebunden zur Finanzierung von Mehraufwendungen für Unterkunft und Verpflegung an die Pendler weiterzugeben und die zweckentsprechende Verwendung der Zuwendung innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums abschließend nachzuweisen.

Die Auszahlung des Zuschusses machte die Beklagte von einem Nachweis tatsächlich entstandener Mehraufwendungen abhängig. In diesem Zusammenhang holte sie eine Auskunft des parlamentarischen Staatssekretärs für Vorpommern ein, der dem Geschäftsführer der Beklagten am 30.04.2020 folgende Sprachnachricht übersandte:

„Hallo . Selbstverständlich brauchen wir einen Nachweis für die Unterbringung. Darauf würde ich es auch ganz klar anlegen, also das Geld zu kriegen. Beim Kumpel schwarz zu pennen oder da was zugeben, würde ich nicht akzeptieren und (ähm) man muss immer davon ausgehen, die Auszahlung geht jetzt zügig, aber die Tiefenprüfung wird es dann geben und (ähm) das ist eine Mehraufwandserstattung, d. h. derjenige muss auch einen Mehraufwand haben. Das ist die ganz deutliche Botschaft dazu und (ähm) die Bedingung ist, hat der Kollege in Polen einen Wohnsitz und (ähm) ist deswegen jetzt in Deutschland untergebracht, aber dann auch nur für, wenn er sich eine Ferienwohnung, Wohnung, Hotelzimmer nimmt. Ja? Sonst musst du da auch gar nichts auszahlen und dann würde ich es als Betrieb auch gar nicht beantragen. Soweit.“

Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete befristungsbedingt am 30.04.2020. Mit Schreiben vom 01.05.2020 forderte der Kläger von der Beklagten unter Fristsetzung bis zum 11.05.2020 die Zahlung eines Pendler-Zuschusses in Höhe von insgesamt € 2.015,00 für den Zeitraum vom 31.03. bis zum 30.04.2020.

Die Beklagte hingegen nahm den beim LaGuS gestellten Zuwendungsantrag mit Schreiben vom 04.05.2020 wegen des fehlenden Nachweises von Mehraufwendungen für Unterkunft und Verpflegung durch die drei polnischen Arbeitnehmer zurück und erstattete der Landeskasse die bereits ausgezahlte Zuwendung in Höhe von € 3.445,00.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Pendler-Zuschuss zu beantragen und an den Kläger auszuzahlen. Einen tatsächlichen Mehraufwand müsse er nicht nachweisen. Dennoch seien ihm solche Mehraufwendungen entstanden. Der Kläger habe die Beklagte gebeten, seine vorübergehende Unterbringung in Deutschland zu regeln. Als er am Dienstag, 31.03.2020, wieder zur Arbeit erschienen sei, habe er feststellen müssen, dass dies nicht erfolgt sei. In der darauffolgenden Nacht habe er im Bus übernachtet. Dann habe sich die Möglichkeit ergeben, eine Wohnung in R. Ortsteil B., S. Str., zu nutzen, da deren Bewohnerin wegen der Quarantänemaßnahmen nicht nach Deutschland habe einreisen wollen. Der Kläger habe sich mit ihr mündlich auf die Zahlung eines Mietzinses verständigt, den er an die eigentliche Mieterin entrichtet habe. Einen schriftlichen Mietvertrag gebe es nicht.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 2.015,00 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.05.2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe keine Mehraufwendungen belegt, weder für eine Unterkunft in Deutschland noch für Verpflegungskosten. Nach Sinn und Zweck der Zuwendungsvorschriften müsse der Kläger zumindest darlegen, dass ihm tatsächlich Mehraufwendungen wegen des Aufenthalts in Deutschland entstanden seien, wenn auch die Höhe der Aufwendungen wegen der Ausgestaltung als Pauschale nicht maßgeblich sei. Sollte der Kläger schon vor der Pandemie eine Übernachtungsmöglichkeit in Deutschland genutzt haben, fehle es an einem tatsächlichen Mehraufwand. Im Übrigen habe die Beklagte dem Kläger angeboten, ein möbliertes Zimmer bzw. eine möblierte Wohnung bei einer örtlichen Wohnungsgesellschaft bzw. -genossenschaft zu beziehen, was der Kläger aber abgelehnt habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung angeführt, dass die Beklagte dem Kläger Schadensersatz wegen Verletzung ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitnehmers zu leisten habe. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen der Zuwendungsbestimmungen. Der Kläger müsse weder darlegen noch nachweisen, dass ihm Mehraufwendungen für Verpflegung und Unterkunft entstanden seien. Für den Pendler-Zuschuss gelte nichts anderes als für den steuerlich begünstigten Verpflegungsmehraufwand, der ebenfalls pauschal als Tagessatz geleistet werden könne. Zwar habe sich die Beklagte nicht dem Risiko einer etwaigen Rückzahlungsverpflichtung gegenüber dem Land aussetzen müssen. Die Förderbedingungen für den Pendler-Zuschuss seien jedoch hinreichend klar formuliert und rechtssicher bestimmbar gewesen. Der Zuschuss diene nicht der Erstattung konkreter Mehraufwendungen, sondern stelle eine Pauschale dar.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Nach den Zuwendungsbestimmungen sei die Beklagte in der Pflicht, die zweckentsprechende Verwendung der Zuwendung innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums gegenüber der Landeskasse abschließend nachzuweisen. Die Beklagte habe den Kläger nicht aufgefordert, kalendertägliche Mehraufwendungen in Höhe von € 65,00 nachzuweisen, sondern lediglich zu belegen, dass ihm überhaupt Mehraufwendungen entstehen bzw. entstanden seien. Erstmalig im Rechtsstreit und nach Ablauf der Antragsfrist habe der Kläger angegeben, wo er in Deutschland gewohnt haben wolle. Keiner der drei Busfahrer aus Polen habe Mehraufwendungen belegt, weshalb die Beklagte den Pendler-Zuschuss vollständig an die Landeskasse zurückgezahlt habe. Herr D. habe 1 oder 2 Nächte bei der T. Wohnungsgenossenschaft gewohnt und sei dann zu einem Kumpel gezogen. Herr K. habe schon vor der Pandemie eine Wohnung in J. gehabt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 02.02.2021 – 13 Ca 276/20 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Kläger habe sämtliche Zuwendungsvoraussetzungen unzweifelhaft erfüllt, nämlich einen Hauptwohnsitz in Polen gehabt, in Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tatsächlich gearbeitet und wegen der Einreisebeschränkungen und Quarantäneregelungen nicht mehr täglich zwischen dem Hauptwohnsitz und der Arbeitsstätte pendeln können. Einen Nachweis tatsächlicher Mehraufwendungen sehe die Verwaltungsvorschrift zum Pendler-Zuschuss nicht vor. Unabhängig davon habe der Kläger für die Nutzung der Wohnung in R. € 550,00 gezahlt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat keinen Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB in Höhe eines kalendertäglichen Betrags von € 65,00 netto vom 31.03. – 30.04.2020.

Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Der Arbeitgeber ist gehalten, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragsparteien nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Die Schutz- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers erfasst auch Vermögensinteressen (BAG, Urteil vom 24. Oktober 2018 – 10 AZR 69/18 – Rn. 24, juris = ZTR 2019, 110). Der Arbeitgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die allgemeinen Vermögensinteressen der Arbeitnehmer wahrzunehmen (BAG, Urteil vom 04. Oktober 2005 – 9 AZR 598/04 – Rn. 57, juris = NZA 2006, 545).

Der Arbeitgeber hat ggf. bei der Wahrung oder Entstehung von Ansprüchen seiner Arbeitnehmer mitzuwirken, die diese gegenüber Dritten, z. B. gegenüber öffentlich-rechtlichen oder privaten Versicherungsträgern, erwerben können (BAG, Urteil vom 24. September 2009 – 8 AZR 444/08 – Rn. 14, juris = NZA 2010, 337; LAG Hamm, Urteil vom 17. Januar 2014 – 1 Sa 1202/13 – Rn. 46, juris). Die Rücksichtnahmepflicht kann es im Ausnahmefall gebieten, die Interessen der anderen Vertragspartei aktiv gegenüber Dritten wahrzunehmen. Allerdings verlangt § 241 Abs. 2 BGB vom Arbeitgeber nicht, die Belange des Arbeitnehmers unter Hintanstellung eigener schutzwürdiger Belange durchzusetzen (BAG, Urteil vom 24. Oktober 2018 – 10 AZR 69/18 – Rn. 25, juris = ZTR 2019, 110; BAG, Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 AZR 367/15 – Rn. 17, juris = NZA 2017, 740).

Nach diesen Maßstäben war die Beklagte nicht verpflichtet, dem Kläger den Pendler-Zuschuss für den Zeitraum 28.03. bis 19.04.2020 auszuzahlen und für den Zeitraum 20.04. bis 30.04.2020 einen weiteren Pendler-Zuschuss zu beantragen. Die Beklagte hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Klägers nicht verletzt, indem sie den bereits gewährten Pendler-Zuschuss an die Landeskasse zurückerstattet und den weitergehenden Antrag zurückgenommen hat. Die Beklagte musste sich nicht dem Risiko einer Haftung gegenüber dem Zuwendungsgeber aussetzen. Die Voraussetzungen der staatlichen Leistung sind in der Verwaltungsvorschrift nicht so eindeutig und klar beschrieben, dass die Beklagte unzweifelhaft nicht mit einer Rückzahlung bzw. Haftung gegenüber der Landeskasse zu rechnen hatte. Die Beklagte konnte nicht sicher davon ausgehen, eigene Interessen nicht zu gefährden.

Ob die Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit zum Pendler-Zuschuss dahingehend auszulegen ist, dass dem Pendler aufgrund der Einreise- und Quarantänebestimmungen tatsächlich Mehraufwendungen in Deutschland entstanden sein müssen, kann dahinstehen. Die Regelungen sind jedenfalls insofern nicht eindeutig. Nach Ziffer 1.1 der Verwaltungsvorschrift hat die Zuwendung den Zweck, „die Mehraufwendungen für Unterkunft und Verpflegung in Mecklenburg-Vorpommern zu finanzieren“. Gefördert werden nach Ziffer 2 „die Mehraufwendungen für Unterbringung und Verpflegung im Land Mecklenburg-Vorpommern“. Mit dem Zuwendungsbescheid vom 20.04.2020 wurde die Beklagte u. a. beauflagt, die zweckentsprechende Verwendung der Zuwendung innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums abschließend nachzuweisen. All das spricht dafür, dass dem Arbeitnehmer durch den faktisch erzwungenen Aufenthalt in Deutschland dem Grunde nach tatsächlich Mehraufwendungen entstanden sein bzw. entstehen müssen und dass es sich nicht um eine allgemeine Unterstützung der Pendler zum Ausgleich eventuell anfallender Mehrkosten für Unterbringung und Verpflegung handelt. Zwar ist der Betrag in der Höhe pauschal bemessen. Tagespendler aus Polen erhalten pro Kalendertag des Aufenthalts in Mecklenburg-Vorpommern € 65,00, und zwar unabhängig davon, ob sie geringere oder höhere Kosten zu tragen hatten. Die Pauschalierung der Höhe nach schließt es aber nicht aus, die Verwaltungsvorschrift dahingehend zu verstehen, dass dem Grunde nach Mehraufwendungen für Unterkunft und Verpflegung angefallen sein müssen. Jedenfalls erscheint es mit dem Sinn und Zweck der Verwaltungsvorschrift nicht vereinbar, einem Pendler, den der Arbeitgeber auf eigene Kosten unterbringt oder der anderweitig kostenfrei wohnt bzw. ohnehin eine Wohnung in Deutschland unterhält, eine Mehraufwandentschädigung in Form des Pendler-Zuschusses zukommen zu lassen. Eine Gewährung von Leistungen ohne jeglichen Bedarf ist nicht im Sinne der Verwaltungsvorschrift. Diese Auffassung vertrat auch der parlamentarische Staatssekretär für Vorpommern in seiner an den Geschäftsführer der Beklagten gerichteten Sprachnachricht.

Im Übrigen dient der Pendler-Zuschuss nicht der finanziellen Unterstützung von Arbeitnehmern, sondern der Unterstützung von in Mecklenburg-Vorpommern tätigen Arbeitgebern. Zwar fließt der Pendler-Zuschuss letzten Endes den Arbeitnehmern zu. Die Zuwendung bezweckt jedoch ausschließlich, die Arbeitsfähigkeit der Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern aufrechtzuerhalten, indem ein Wegbleiben von Beschäftigten wegen zusätzlich entstehender Kosten verhindert wird (Ziffer 1.1 Satz 2 der Verwaltungsvorschrift). Kann ein Arbeitnehmer aus tatsächlichen Gründen (z. B. Witterungsverhältnisse) oder rechtlichen Gründen (z. B. Einreisebestimmungen) seinen Arbeitsplatz nicht aufsuchen, geht dies grundsätzlich zu seinen Lasten. Das Wegerisiko trägt der Arbeitnehmer (ErfK/Preis, 21. Aufl. 2021, § 615 BGB, Rn. 133).

Andererseits fordert die Verwaltungsvorschrift jedoch an keiner Stelle den konkreten Nachweis tatsächlich entstandener Mehraufwendungen. Nach Ziffer 4. (Zuwendungsvoraussetzungen) muss der Tagespendler lediglich einen Hauptwohnsitz in Polen haben, an einer Arbeitsstätte in Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tatsächlich tätig sein, sich aus Anlass der Arbeitstätigkeit in Mecklenburg-Vorpommern aufhalten und aufgrund der Einreise- und Quarantäneregelungen nicht mehr täglich zwischen Hauptwohnsitz und Arbeitsstätte pendeln können. Nach Ziffer 8.4 gelten die gemäß Ziffer 8.3 einzureichenden Unterlagen und Erklärungen als Erbringung des Verwendungsnachweises. Ein Nachweis tatsächlich entstandener Mehraufwendungen ist danach nicht verlangt.

Wegen der aufgezeigten Unklarheiten durfte die Beklagte von einer möglichen Gefährdung eigener Interessen ausgehen. Jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt konnte sie keinesfalls sicher sein, dass ein Nachweis tatsächlicher Mehraufwendungen nicht erforderlich sei bzw. im Nachprüfungsverfahren nicht erforderlich sein werde. Ihre Befürchtungen einer eventuellen späteren Inanspruchnahme im Falle einer Auszahlung des Pendler-Zuschusses an Mitarbeiter, die keinerlei Mehrkosten hatten, waren im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Zuwendung nicht grundlos. Dem Risiko einer Haftung gegenüber der Landeskasse musste sich die Beklagte nicht aussetzen. Zudem war der Kläger seinerzeit nicht bereit, nähere Angaben zu seinen Mehraufwendungen zu machen, was weitere Zweifel am Sinn und Zweck einer Zahlung weckte.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

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