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Arbeitgeberpflicht zur Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs

LAG Berlin-Brandenburg, Az: 10 Sa 86/15 und 10 Sa 108/15, Urteil vom 07.05.2015

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 10. Dezember 2014 – 2 Ca 432/14 – teilweise abgeändert und hinsichtlich des Tenors zu 3) und 4) klarstellend wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger darüber Auskunft zu erteilen, welche Umsätze sie mit den einzelnen vom Kläger betreuten Aufträgen im Zeitraum Juni 2011 bis März 2014 erzielt hat.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Provisionsabrechnung bezüglich der in den Gehaltsabrechnungen des Klägers im Zeitraum Juni 2011 bis März 2014 aufgeführten Provisionszahlungen zu erteilen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 516,92 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Mai 2014 zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

III. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

IV. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien je zur Hälfte.

V. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 11.033,84 EUR festgesetzt.

VI. Die Revision wird für die Beklagte hinsichtlich der Verurteilung im Tenor zu I. 3. zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über Auskünfte im Zusammenhang mit Provisionen, Provisionsabrechnungen sowie den Resturlaub des Jahres 2013.

Der am …. 1968 geborene Kläger war vom 18. Oktober 2010 bis zum 31. März 2014 bei der Beklagten als Angestellter, Mitarbeiter im Innendienst (Sachbearbeitung/Auftragserfassung), beschäftigt. Die monatliche Bruttovergütung betrug seit September 2012 2.800,– EUR. In verschiedenen Monats-Abrechnungen des Klägers ist auch jeweils eine Position „Provision“ aufgeführt. Es handelte sich um Abrechnungen für folgende Monate mit folgenden Bruttosummen:

Juni 2011 129,14 €

Juli 2011 378,87 €

November 2011 470,25 €

Dezember 2011 92,00 €

April 2012 220,69 €

Mai 2012 212,87 €

Juni 2012 604,66 €

Juli 2012 742,88 €

August 2012 481,03 €

Oktober 2012 147,87 €

November 2012 71,01 €

Dezember 2012 52,72 €

März 2013 324,52 €

Mai 2013 105,05 €

Juli 2013 84,69 €

September 2013 153,84 €

In § 3 des Arbeitsvertrages vereinbarten die Parteien, dass die regelmäßige Arbeitszeit ohne Pausen 40,0 Stunden wöchentlich betrage und auf die Wochentage von Montag bis Samstag verteilt werden könne. Allerdings ist zwischen den Parteien unstreitig, dass im Betrieb lediglich von Montag bis Freitag gearbeitet wurde und der Samstag arbeitsfrei war. In § 7 des Arbeitsvertrages vereinbarten die Parteien einen Urlaubsanspruch des Klägers im Umfang von 24 Arbeitstagen pro Kalenderjahr. Wie die Parteien in der Berufungsverhandlung klargestellt haben, bezogen sich die 24 Arbeitstage auf die 5-Tage-Woche. Die Urlaubsvergütung je Tag haben die Parteien unstreitig mit 129,23 EUR berechnet. Im Jahre 2013 hat der Kläger 16 Urlaubstage gewährt bekommen und in Anspruch genommen.

Die Hauptaufgabe des Klägers bestand in der Arbeitsvorbereitung und Koordinierung der Aluminiumfertigung. Daneben wurden dem Kläger in Einzelfällen gesonderte Aufträge zur Bearbeitung zugeteilt. In den Angeboten der Beklagten ist unter den Kopfdaten eine Position für einen Gebietsleiter vorgesehen. Verschiedentlich findet sich dort der Name des Klägers. Ob der Kläger dieses eigenmächtig ohne Wissen und Wollen der Beklagten erfasst hat oder ob dieses auf die Zuständigkeit des Klägers hinweisen sollte, ist zwischen den Parteien streitig.

Der Kläger beanstandet, dass er die Berechnung der ihm tatsächlich gezahlten Provisionen nicht nachvollziehen könne. Es fehle eine darauf bezogene Abrechnung. Allein die Darstellung der Provisionssumme in der Gehaltsabrechnung genüge nicht, um diese nachvollziehen zu können. Konkrete Einzelvereinbarungen zwischen den Parteien zur jeweiligen Höhe der Provision habe es nicht gegeben. Der Kläger behauptet, dass er mit der Beklagten vereinbart habe, dass er bei den von ihm bearbeiteten Aufträgen 2% des erzielten Umsatzes als Provision erhalte. Dieser Provisionssatz sei ab September 2012 auf 1% reduziert worden, nachdem zeitgleich sein Festgehalt von 2.300,00 EUR auf 2.800,00 EUR angehoben worden sei. Damit er die ihm zustehende Provision geltend machen könne, müsse ihm die Beklagte Auskunft über die von ihm in der Zeit von Juni 2011 bis März 2014 bearbeiteten Aufträge und die dabei erzielten Umsätze erteilen.

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil vom 10. Dezember 2014 den Antrag des Klägers auf Auskunft über die im Zeitraum Juni 2011 bis März 2014 vom Kläger als Gebietsleiter erzielten Umsätze ebenso abgewiesen wie die Klage auf Urlaubsabgeltung für 8 Tage aus 2013. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Kläger die begehrte Auskunft über die von ihm als Gebietsleiter erzielten Umsätze bereits erhalten habe. Es sei zwischen den Parteien unstreitig gewesen, dass dem Kläger kein Gebiet zugeteilt gewesen sei und er deshalb auch – als Gebietsleiter – keine Aufträge zu bearbeiten und zu betreuen gehabt habe. Der Urlaubsabgeltungsanspruch für die 8 Tage aus 2013 bestehe nicht. Denn der Kläger habe nichts dazu vorgetragen, dass oder weshalb dieser in das Jahr 2014 hätte übertragen sein sollen. Da er aber ansonsten im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden müsse, sei dieser mit dem Ende des Jahres 2013 untergegangen.

In diesem Teilurteil hat das Arbeitsgericht allerdings die Beklagte zur Auskunft verurteilt, welche Umsätze mit den einzelnen vom Kläger im Zeitraum Juni 2011 bis März 2014 betreuten Aufträgen erzielt worden seien und eine Provisionsabrechnung für diesen Zeitraum zu erteilen. Es sei zwischen den Parteien unstreitig gewesen, dass der Kläger für von ihm betreute Aufträge auch Provisionen erhalten solle. Streitig sei allein, ob die Parteien von Fall zu Fall eine Provision oder pauschal einen Prozentsatz von den bearbeiteten Umsätzen als Provision vereinbart hätten. Der Kläger könne Auskunft über die von ihm bearbeiteten Aufträge und die damit erzielten Umsätze verlangen, damit er in die Lage versetzt wird, etwaige Provisionsdifferenzen geltend zu machen. Ob dieser Anspruch letztlich bestehe, könne erst entschieden werden, wenn der Kläger gegebenenfalls entsprechendes geltend mache. Auch habe der Kläger Anspruch auf Abrechnung der ihm mit den jeweiligen Abrechnungen gezahlten Provisionen. Allein die Nennung der Höhe der jeweiligen Provision ersetze nicht den Anspruch auf Provisionsabrechnung im Sinne des § 87c HGB.

Gegen dieses den Klägervertretern am 19. Dezember 2014 und dem Beklagtenvertreter am 29. Dezember 2014 zugestellte Urteil haben beide Seiten fristgerecht Berufung eingelegt.

Die Beklagte begehrt mit ihrer Berufung die Abweisung des Auskunfts- und des Abrechnungsanspruchs. Soweit sich allerdings – nach einem Hinweis des Berufungsgerichts – der Provisionsabrechnungsanspruch allein auf die in den Abrechnungen des Klägers enthaltenen Provisionszahlungen beschränke, trete die Beklagte dem nicht entgegen. Auskunft könne der Kläger nur für die Fälle erhalten, in denen der Kläger nicht nur die Betreuung der Aufträge übernommen habe, sondern darüber hinaus auch mit ihm die Zahlung einer Provision dafür vereinbart worden sei. Mit Einverständnis der entsprechenden Gebietsleiter seien dem Kläger durch jeweilige Einzelvereinbarung gesondert Aufträge zur Bearbeitung zugeteilt worden, für die der Kläger dann eine auch jeweils im Einzelfall vereinbarte Bearbeitungsprovision erhalten habe. Diese Provisionen seien vollständig abgerechnet worden. Soweit der Kläger als Gebietsleiter in den Aufträgen genannt worden sei, habe der Kläger dieses eigenmächtig im System erfasst. Er sei dazu nicht befugt gewesen. Von der Beklagten sei der Kläger in keinem Auftrag als Gebietsleiter bezeichnet worden. Ob zukünftig der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wegen des noch offenen Resturlaubs hinterherrennen müsse, bleibe abzuwarten.

Die Beklagte beantragt in der Berufung, das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus, Geschäftszeichen 2 Ca 432/14 vom 10. Dezember 2014 abzuändern und

1. die Klage hinsichtlich des Antrages, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, welche Umsätze mit den einzelnen vom Kläger betreuten Aufträgen im Zeitraum von Juni 2011 bis März 2014 erzielt hat, abzuweisen;

2. die Klage, dem Kläger Provisionsabrechnung für den Zeitraum von Juni 2011 bis März 2014 zu erteilen und an den Kläger herauszugeben, abzuweisen;

3. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt in der Berufung, unter Abänderung des am 10. Dezember 2014 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Cottbus, Az. 2 Ca 432/14

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.033,84 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Mai 2014 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft auch darüber zu erteilen, welche Aufträge der Kläger für die Beklagte im Zeitraum Juni 2011 bis März 2014 bearbeitet hat und dabei in den Rechnungen als Gebietsleiter namentlich benannt wurde;

3. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger begehrt mit seiner Berufung Auskunft über die von ihm bearbeiteten Aufträge sowie die Urlaubsabgeltung 2013. Zur Begründung des Auskunftsanspruchs hat der Kläger sich nach Hinweis des Berufungsgerichts auf die Aufträge beschränkt, in denen er als Gebietsleiter genannt gewesen ist. Zur Begründung des Urlaubsabgeltungsanspruchs verweist er auf die Begründung der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 12. Juni 2014 im Verfahren 21 Sa 221/14. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts gehe der Urlaubsabgeltungsanspruch zum Jahresende nicht unter. Er sei vielmehr von der Arbeitgeberin als Schadenersatz auch nach Ablauf des Urlaubsjahres noch zu gewähren bzw. nach Ende des Arbeitsverhältnisses abzugelten. Er habe sich nicht eigenmächtig als Gebietsleiter in der EDV eingetragen. Dieses sei vielmehr jeweils auf Anweisung des Geschäftsführers der Beklagten erfolgt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung der Beklagten vom 14. Januar 2015 und ihre Schriftsätze vom 26. März 2015 und 30. April 2015 sowie den Inhalt der Berufungsbegründung des Klägers vom 13. Februar 2015 und dessen Schriftsätze vom 25. Februar 2015 und 13. April 2015 sowie das Sitzungsprotokoll vom 7. Mai 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaften Berufungen der Parteien sind form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist allerdings unbegründet. Es war lediglich klarstellend aufzunehmen, dass im Tenor zu 3. der angefochtenen Entscheidung der Zeitraum Juni 2011 bis März 2014 aufzunehmen war und im Tenor zu 4., dass es sich um die Erteilung der Provisionsabrechnungen nur insoweit handelt, wie diese in den Gehaltsabrechnungen des Klägers vom Juni 2011 bis März 2014 bereits enthalten waren.

Die Berufung der Beklagten hinsichtlich des Auskunftsanspruchs bezüglich der Umsätze aus den einzelnen vom Kläger betreuten Aufträgen im Zeitraum Juni 2011 bis März 2014 ist – abgesehen von der zeitlichen Konkretisierung, die sich offensichtlich aus den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung ergab – nicht begründet. Auch wenn es zwischen den Parteien streitig ist, ob zwischen den Parteien eine konkrete Provisionshöhe zu jedem einzelnen Auftrag jeweils vereinbart wurde oder ob die Parteien eine generelle prozentuale umsatzabhängige Provision vereinbart haben, benötigt der Kläger diese Auskünfte, um gegebenenfalls seinen Provisionsanspruch begründen zu können. Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass unstreitig zwischen den Parteien eine Provisionsabrede bestanden hat. Die Erteilung der Auskünfte sage noch nichts darüber aus, ob dem Kläger tatsächlich ein Anspruch auf (weitere) Provisionen zustehe, aber nur mit der entsprechenden Auskunft ist der Kläger in der Lage, den von ihm angenommenen Anspruch zu beziffern. Da die Beklagte keine Einzelheiten der jeweils individuellen Provisionsabsprache dargelegt hat und somit die klägerische Behauptung nicht hinreichend bestritten wurde, besteht auch weiterhin der Auskunftsanspruch des Klägers nach § 87 c Abs. 3 HGB in Verbindung mit § 65 HGB und § 259 BGB.

Die weitere Berufung der Beklagten bezüglich der Abrechnung der unstreitig an den Kläger gezahlten Provisionen war aufgrund des Hinweises des Berufungsgerichts vom 18. Februar 2015 nicht mehr streitig, so dass insoweit der Tenor zu 4. der angefochtenen Entscheidung des ArbG Cottbus lediglich noch klarzustellen war.

III.

Die zulässige Berufung des Klägers ist auch nur zum Teil begründet.

1.

Der Auskunftsanspruch des Klägers bestand über den vom Arbeitsgericht in der klarstellenden Fassung des Tenors dieser Entscheidung hinaus ausgeurteilten Umfang nicht. Die Beklagte wurde bereits verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, welche Umsätze sie mit den einzelnen vom Kläger in der Zeit vom Juni 2011 bis März 2014 betreuten Aufträgen getätigt hat. Darin sind auch sämtliche Vorgänge enthalten, in denen der Kläger in den Rechnungen als „Gebietsleiter“ bezeichnet wurde. Dass der Kläger in Rechnungen zu Aufträgen benannt wurde, die er nicht betreut hat, hat der Kläger nicht vorgetragen. Selbst wenn es solche geben sollte, ist es jedoch unstreitig zwischen den Parteien, dass der Kläger jedenfalls für von ihm nicht betreute Aufträge auch keine Provision erhalten sollte. Insofern gäbe es für einen weitergehenden Auskunftsanspruch auch kein Rechtsschutzbedürfnis.

2.

Die Berufung des Klägers ist allerdings begründet, soweit er die Abgeltung von 4 Tagen Resturlaub für das Jahr 2013 begehrt. Insoweit handelt es sich um den restlichen gesetzlichen Mindesturlaub für das Jahr 2013. Bezüglich des darüber hinaus geltend gemachten Urlaubsabgeltungsanspruchs ist die Berufung zurückzuweisen.

2.1

Wie der Kläger zutreffend ausgeführt hat, geht die Kammer 21 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in dem Urteil vom 12. Juni 2014 – 21 Sa 221/14 – davon aus, dass der Arbeitgeber und nicht der Arbeitnehmer für die Inanspruchnahme des gesetzlichen Mindesturlaubs verantwortlich ist. Hierzu hat die Kammer 21 ausgeführt:

„Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht ein Anspruch auf Schadensersatz in Form eines Ersatzurlaubs nach § 280Abs. 1 und 3, § 283 BGB i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB, der sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 251 Abs. 1 BGB in einen Abgeltungsanspruch umwandelt (BAG vom 06.08.2013 – 9 AZR 956/11 – Rn. 20, NZA 2014, 545; vom 20.04.2012 – 9 AZR 504/10 -Rn. 12, AP Nr. 58 zu § 7 BUrlG), nicht nur dann, wenn sich der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Untergangs des originären Urlaubsanspruch mit der Urlaubsgewährung im Verzug befand (so aber BAG vom 15.09.2011 – 8 AZR 846/09 – Rn. 66, AP 10 zu § 280 BGB; vom 18.09.2001 – 9 AZR 571/00 – Rn. 16, juris; vom 11.04.2006 – 9 AZR 523/05 – Rn. 24, AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG Übertragung; vom 23.06.1992 – 9 AZR 57/91 -Rn. 16 zitiert nach juris, AP Nr. 22 zu § 1 BUrlG). Vielmehr hat der Arbeitgeber den bei ihm Beschäftigten von sich aus rechtzeitig Urlaub zu gewähren. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, hat er Schadensersatz zu leisten, es sei denn, er hat die nicht rechtzeitige Urlaubsgewährung nicht zu vertreten. Denn mit dem Untergang des Urlaubsanspruchs wird dessen Erfüllung unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB), so dass die Beschäftigten nach § 280Abs. 3, § 283 Satz 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen können.

Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Beschäftigten Urlaub beantragt und dadurch den Arbeitgeber nach § 286 Abs.1 Satz 1 BGB in Verzug gesetzt haben. Es ist auch unerheblich, ob für die Gewährung von Urlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG eine Zeit i. S. d. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB nach dem Kalender bestimmt ist (vgl. dazu LAG Hamm, Vorlagebeschluss vom 14.02.2013 – 16 Sa 1511/12 – Rn. 84, AuR 2013, 362) oder ob ein Fall der ernsthaften und endgültigen Urlaubsverweigerung i. S. d. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB vorliegt (vgl. dazu BAG vom 15.10.2013 – 9 AZR 374/12 – Rn. 22, NZA-RR 2014, 234; vom 20.03.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 35, AP Nr. 2 zu § 26 TVöD, und vom 17.05.2011 – 9 AZR 197/10 – Rn. 14, AP Nr. 1 zu § 17 BEEG zu § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB) und sich der Arbeitgeber deshalb zum Zeitpunkt des Verfalls des originären Urlaubsanspruchs im Verzug befindet. Im Streitfall steht dem Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung deshalb auch nicht entgegen, dass er keinen Urlaub beantragt hat. Es kommt auch nicht darauf an, ob seine Behauptung zutrifft, der Beklagte habe die Gewährung von Urlaub u. a. für das Jahr 2012 bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen.

Im Einzelnen gilt:

a) Der Beklagte als Arbeitgeber war verpflichtet, dem Kläger dessen Urlaub auch ohne vorherige Aufforderung rechtzeitig zu gewähren. Dies ergibt sich aus der Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes unter Berücksichtigung des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom 4. November 2003 (Arbeitszeitrichtlinie).

aa) Bereits der Wortlaut des § 7 Abs. 3 Satz 1 und 3 BUrlG, wonach der Urlaub innerhalb des dort vorgegebenen Zeitraums „zu gewähren und zu nehmen“ ist, deutet darauf hin, dass ein Arbeitgeber von sich aus und nicht erst nach entsprechender Aufforderung gehalten ist, den Anspruch der bei ihm Beschäftigten auf den gesetzlichen Mindesturlaub nach den §§ 1, 3 BUrlG rechtzeitig i. S. d. § 7 Abs. 3 BUrlG zu erfüllen (Klenter, Anm. zu LAG Hamm, Vorlagebeschluss vom 14.02.2013 – 16 Sa 1511/12 -, jurisPR-ArbR 23/13; HK-ArbSchR-Hinrichs, Urlaubs- und Gesundheitsschutz Rn. 31). Wenn der Arbeitgeber nach dem Willen des Gesetzgebers tatsächlich nur verpflichtet sein sollte, Urlaub auf entsprechende Aufforderung der Beschäftigten zu gewähren, hätte es nahegelegen, die umgekehrte Formulierung zu wählen, dass der Urlaub innerhalb des vorgesehenen Zeitraums „zu nehmen und zu gewähren“ ist, oder zu regeln, dass der Arbeitnehmer den Urlaub so rechtzeitig zu beantragen hat, dass er noch während des genannten Zeitraums gewährt werden kann.

bb) Ferner spricht für diese Auslegung der Zweck des Urlaubsanspruchs und dessen Bedeutung und systematischer Zusammenhang im Lichte des Unionsrechts.

Sowohl nach deutschen Recht als auch nach dem Unionsrecht dient der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten (BAG vom 24.03.2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 67, AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG zum deutschen Recht; EuGH vom 26.06.2001 – C-173/99 (BECTU) – Rn. 44, AP Nr. 3 zu EWG-Richtlinie Nr. 93/104; vom 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06 (Schultz-Hoff und Stringer u.a.) – Rn. 23, AP Nr. 1 zur Richtlinie 2003/88/EG, zu Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie). Er gehört damit nach seiner Zielrichtung zum Arbeitsschutzrecht. Beschäftigte sollen während eines Jahres einen bestimmten Mindestzeitraum zur Verfügung haben, in dem sie sich erholen und ihre Zeit selbstbestimmt nutzen können (vgl. BAG 19.06.2012 – 9 AZR 652/10 – Rn. 22, AP Nr. 95 zu § 7 BUrlG Abgeltung; vom 20.03.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 23, AP Nr. 2 zu § 26 TVöD, sowie bereits BAG vom 08.03.1984 – 6 AZR 442/83 – Rn. 43, zitiert nach juris, AP Nr. 15 zu § 13 BUrlG; EuGH vom 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06 (Schulz-Hoff und Stringer u.a.) – Rn. 25, a. a. O.). Auf der Ebene des Unionsrechts wird der arbeitsschutzrechtliche Charakter des Anspruchs auf bezahlten Mindesturlaub auch dadurch deutlich, dass der Anspruch in Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie geregelt ist. Die Arbeitszeitrichtlinie steht ausweislich ihrer Erwägungsgründe 2 und 3 im Kontext der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie89/391/EWG und ist ausdrücklich dem Arbeitsschutzrecht der Union zugeordnet (vgl. dazu HK-ArbSchR-Kothe, Unionsrecht Rn. 27 sowie Kothe, FS f. Schwerdtner, S. 114).

Für das Arbeitsschutzrecht wiederum ist anerkannt, dass der Arbeitgeber seinen Pflichten zum Gesundheitsschutz der bei ihm Beschäftigten auch ohne vorherige Aufforderung nachzukommen hat (vgl. BAG vom 06.05.2003 – 1 ABR 13/02 – Rn. 65, AP Nr. 61 zu § 80 BetrVG 1972; vom 28.05.2005 – 5 AZR 52/05 – Rn. 15, AP Nr. 7 zu § 307 BGB, sowie vormals BAG vom 27.02.1970 – 1 AZR 258/69 -, AP Nr. 16 zu § 618 BGB; 13.03.1967 – 2 AZR 133/66 – Rn. 27, AP Nr. 15 zu § 618 BGB zur Urlaubsgewährung unter Fürsorgegesichtspunkten). Der Arbeitgeber ist aufgrund seiner Organisationsmacht verpflichtet, seinen Betrieb so zu organisieren, dass die arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden (Kothe, FS f. Schwerdtner, S. 115; HK-ArbSchR-Hinrichs, Urlaubs- und Gesundheitsschutz Rn. 14 m. w. N.; vgl. auch Staudinger-Oetker, § 618 Rn. 20 und 123 ff.; LAG Hamm, Vorlagebeschluss vom 14.02.2013 – 16 Sa 1511/12 – Rn. 85, AuR 2013, 362, dazu jetzt auch EuGH vom 12.06.2014 – C-118/13 (Bollacke) -, NZA 2014, 651).

Letztlich entspricht die Pflicht des Arbeitgebers, den Anspruch auf den gesetzlichen Jahresurlaub auch ohne Aufforderung durch die Beschäftigten zu erfüllen, seiner Pflicht, die Einhaltung der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten nach dem Arbeitszeitgesetz sicherzustellen (HK-ArbSchR-Hinrichs, a. a. O. Rn. 31; vgl. zum Letztem BAG vom 22.07.2010 – 6 AZR 78/09 – Rn. 16, AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Arzt zur Verpflichtung des Arbeitgebers bei der Arbeitszeitgestaltung die Ruhezeiten des § 5 ArbZG einzuhalten; BAG vom 28.09.2005 – 5 AZR 52/05 – Rn. 15, a. a. O., zur Verantwortung des Arbeitgebers für die Einhaltung der höchstzulässigen Arbeitszeit nach § 3 ArbZG). Bei dem Anspruch auf Urlaub handelt es sich um eine Art Jahresruhezeit, die sich von den täglich und wöchentlich einzuhaltenden Ruhezeiten nur dadurch unterscheidet, dass während der Jahresruhezeit das übliche Arbeitsentgelt weiter zu zahlen ist (st. Rspr. des EuGH zu Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie, siehe z. B. EuGH vom 20.01.1999 – C-350/06 u. C-520/06 (Schultz-Hoff und Stringer u.a.) – Rn. 30, 39, u. 58, a. a. O.; EuGH vom 22.11.2011 – C-214/10 (KHS) – Rn. 35 u. 37, AP Nr. 6 zu Richtlinie 2003/88/EG).

cc) Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche der Beschäftigten zu berücksichtigen hat. Denn wenn Beschäftigte von sich keine Urlaubswünsche äußern, kann der Arbeitgeber nachfragen. Äußern Beschäftigte auch auf Nachfrage keine Urlaubswünsche, kann der Arbeitgeber den Urlaub einseitig verbindlich festlegen (vgl. BAG vom 24.03.2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 23, AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG, näher dazu auch HK-ArbSchR-Hinrichs, a. a. O. Rn. 24 u. 31). Es gibt dann keine zu berücksichtigenden Urlaubswünsche.

Dieser Rechtsansicht und den sie begründen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer uneingeschränkt an. Die Beklagte hat den Urlaubanspruch des Klägers für 2013 nicht vollständig erfüllt. Unstreitig hat der Kläger im Jahre 2013 lediglich 16 der 24 Arbeitstage Urlaub und somit auch nicht den gesamten gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Werktagen für dieses Jahr erhalten. Der dem Kläger wegen der nicht rechtzeitigen Erfüllung des Urlaubsanspruchs zustehende Ersatzurlaubsanspruch (§ 249 Abs. 1 BGB) ist nicht mehr realisierbar, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet ist. Der Anspruch auf Gewährung des Ersatzurlaubs hat sich deshalb nach § 251 Abs. 1 BGB in einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung umgewandelt.

2.2

Allerdings hat die Beklagte aus den zuvor geschilderten Gründen nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, also hier für vier weitere Urlaubstage, einzustehen. Denn nur insoweit ist die Beklagte zur Einhaltung der arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen verpflichtet. Der darüber hinausgehend Jahresurlaub von hier weiteren 4 Tagen unterfällt, wie das Arbeitsgericht insoweit zutreffend ausgeführt hat, den allgemeinen Verfallregeln des Bundesurlaubsgesetzes. Mangels rechtzeitiger Geltendmachung durch den Kläger war dieser Anspruch mit Ablauf des Jahres 2013 untergegangen. Die vom Kläger erstinstanzlich benannte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Juni 2012 (9 AZR 652/10) bezog sich auf den Fall der Fortdauernden Arbeitsunfähigkeit im Urlaubsjahr und danach bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Ein solcher Sachverhalt ist hier jedoch nicht einschlägig.

2.3

Da der Urlaubstag unstreitig mit 129,23 EUR brutto zu berechnen ist, beträgt die dem Kläger zustehende Urlaubsabgeltung für 4 Tage 516,92 EUR brutto. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286, 288 BGB. Der Zinsanspruch war mit der Zustellung der Klageschrift an den Beklagtenvertreter ab dem 2. Mai 2014 rechtshängig. Ab diesem Tag hat der Kläger Anspruch auf Zinsen in der tenorierten Höhe.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO. Die Parteien haben entsprechend ihrem Anteil am Obsiegen und Unterliegen im Berufungsverfahren die Kosten zu tragen.

Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung bezüglich des Anspruchs des Klägers auf Abgeltung seines restlichen gesetzlichen Mindesturlaubs zugelassen.

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