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Arbeitnehmer – Anspruch auf Urlaubsgeld und Sonderzuwendung

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 23 Sa 1258/09, Urteil vom 27.01.2010

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 06.05.2009 – 56 Ca 15763/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten wegen Zahlung von Urlaubsgeld und Sonderzuwendung.

Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin aufgrund mehrerer befristeter Verträge vom 1.9.2002 bis zum 31.12.2007 beschäftigt. Die Beklagte ist zum 1.6.2003 gem. § 2 HS-MedG Berlin als Gliedkörperschaft der F. U. Berlin (FU) und der H.-U. zu Berlin (HU) errichtet worden. Die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer beider Hochschulen gingen gem. § 3 Abs. 3 HS-MedG zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes auf die Beklagte über. Der in § 3 Abs. 4 HS-MedG vorgesehene Überleitungstarifvertrag ist nicht zustande gekommen.

Arbeitnehmer - Anspruch auf Urlaubsgeld und Sonderzuwendung
Symbolfoto: Flynt/Bigstock

Die FU und die HU hatten bereits im Januar 2003 ihre Mitgliedschaft in den Arbeitgeberverbänden des Öffentlichen Dienstes beendet und seither das Tarifwerk des BAT/BAT-O nach Maßgabe der Regelungen des Anwendungs-TV Land Berlin vom 31.7.2003 angewandt. Am 16.3.2004 beschlossen die Klinikumsvorstände der Beklagten, ab 1.4.2004 bei Neueinstellungen arbeitsvertraglich u.a. Urlaubsgeld und Sonderzuwendung auszuschließen, Gehälter nach den Merkmalen der bisher anzuwendenden Tarifverträge zu bestimmen und dann fix zu vereinbaren, eine Klausel im Arbeitsvertrag aufzunehmen, nach der sich die Arbeitsbedingungen automatisch an dem zu erwartenden Haustarifvertrag ausrichten, und im Übrigen die Vorschriften der bisherigen tariflichen Regelungen des BAT/BAT-O mit Stand 31.12.2002 zu vereinbaren. Ein weiterer Beschluss vom 20.4.2004 sieht vor, dass Ausnahmen bei Neueinstellungen, bspw. sog. „Weiterbeschäftigungen“ nicht gemacht werden. Die hiervon betroffenen Arbeitnehmer werden von der Beklagten als AVR-Beschäftigte bezeichnet. Die Beschlüsse sind zum 1.4./1.5.2004 ohne Zustimmung des Personalrates umgesetzt worden. Das Verwaltungsgericht Berlin hat am 7.2.2007 (- 62 A 7.06 -) festgestellt, dass damit das Mitbestimmungsrecht des Personalrates aus § 85 Abs. 1 Nr. 10 LPersVG verletzt worden ist. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 19.9.2007 (- 60 PV 6.06 -) zurückgewiesen.

Auf der Grundlage des Eckpunktepapiers vom 18.10.2006 trat bei der Beklagten zum 1.1.2007 der Tarifvertrag für die Ch.-Universitätsmedizin Berlin (TV-Ch.) vom 18.12.2007 in Kraft. Das Eckpunktepapier sieht unter Ziffer 5 die Zahlung von Zuwendungen und Jahressonderzahlungen für die Jahre 2007 bis 2010 vor. Abschließend ist dort festgehalten:

„Im Übrigen erfolgen für den Zeitraum ab 2004 keine Anpassungen mit Ausnahme der hier geregelten Überleitung.“

Im TV-Ch. ist die Zahlung von Urlaubsgeld und Zuwendungen für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2008 im Abschnitt III Unterabschnitt IIIa geregelt. Dort ist unter Absatz 7 bestimmt:

„Zum 1. Januar 2007 werden die vom 1. Mai 2004 bis 31. Dezember 2006 nach den Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Ch. Beschäftigten in die Vergütungs- und Lohnsystematik des BAT/BMT-G unter Anrechung von Vorzeiten überführt. Rückwirkende Zahlungsansprüche werden ausdrücklich nicht begründet.“

Die bisher in der VerGr. IV b BAT eingruppierte Klägerin schloss mit der Beklagten nach dem 16.3.2004 die befristeten Arbeitsverträge vom 1.7.2005, 1.8.2005, 15.2.2006, 1.1.2007 und 1.10.2007, die inhaltlich den Beschlüssen vom 16.3./ 20.4.2004 entsprechen. Infolge dessen erhielt sie in den Jahren 2005 und 2006 weder eine Sonderzuwendung noch ein Urlaubsgeld. Im Jahr 2006 bezog sie bis zum 31.8. eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 2.867,51 Euro und ab dem 1.9. in Höhe von 2.933,87 Euro. Nach erfolgloser Geltendmachung gemäß Schreiben vom 3.7.2006, 29.8.2006, 30.8.2006 und 5.12.2007 begehrt sie mit der vorliegenden Klage die Zahlung von Urlaubsgeld und Sonderzuwendung für die beiden Jahre in Höhe von insgesamt 6.312,58 Euro.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass ihr nach dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit der auf dem Tarifwerk des BAT beruhenden Vergütungsordnung ein Urlaubsgeld in Höhe von jeweils 255,65 Euro für die Jahre 2005 und 2006 sowie eine Zuwendung in Höhe von 2.867,51 Euro für das Jahr 2005 und in Höhe von 2.933,87 Euro für das Jahr 2006 zusteht. Ohne Zustimmung des Personalrates habe die Vergütungsordnung durch die Beschlüsse vom 16.3./ 20.4.2004 nicht geändert werden können.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.312,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 3.123,16 Euro seit dem 3.7.2006 sowie aus 3.189,52 Euro seit dem 3.7.2006 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die zutreffende Berechnung der Sonderzuwendung bestritten und die Auffassung vertreten, dass die Ansprüche nach § 70 BAT verfallen sind. Zahlungen seien erstmals mit Schreiben vom 3.6.2007 geltend gemacht worden. Unabhängig davon gebe es für sie keine Grundlage. Die entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen seien gerade nicht vereinbart worden.

Das Arbeitsgericht hat am 6.5.2009 die Beklagte zur Zahlung eines Urlaubsgeldes in Höhe von 255,65 Euro und einer Sonderzuwendung in Höhe von 2.517,26 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass lediglich die Ansprüche aus dem Jahre 2005 gem. § 70 BAT verfallen sind. Für das Jahr 2006 stünden der Klägerin das Urlaubsgeld und die Sonderzuwendung in der ausgeurteilten Höhe nach der seinerzeit bestehenden und die entsprechenden Tarifverträge einbeziehenden Vergütungsordnung zu. Sie habe durch die AVR nicht ohne Beachtung der Mitbestimmungsrechte des Personalrates geändert werden können. Der TV-Ch. schließe die Ansprüche nicht aus.

Gegen das ihr am 18.6.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.6.2009 Berufung eingelegt und sie am 18.9.2009 begründet. Die Begründungsfrist ist durch Beschluss vom 11.8.2009 zum 18.9.2009 verlängert worden.

Die Beklagte tritt der Auffassung entgegen, dass die Ansprüche aus der Fortgeltung einer Vergütungsordnung hergeleitet werden können. Vor Inkrafttreten des TV-Ch. habe bei ihr kein sie bindendes tarifliches Vergütungssystem existiert. Zwar hätte für die gem. § 3 Abs. 3 HS-MedG zu übernehmenden Arbeitsverhältnisse ggf. der BAT/BAT-O mit dem Status Quo Dezember 2002 nachgewirkt. Eine Tarifbindung habe jedoch nicht bestanden. Aufgrund tarifvertraglicher Regelungen hätten ab dem 1.5.2006 auch die Ärzte und nichtärztlichen Wissenschaftler keine Sonderzuwendung und kein Urlaubsgeld erhalten. Dies gelte ebenso für die bei ihr beschäftigten Beamten. Damit habe es keine das Mitbestimmungsrecht des Personalrats auslösende Änderung eines Vergütungssystems gegeben. Jedenfalls existiere aber eine die Mitbestimmung ausschließende Tarifnorm. Der TV-Ch. bestimme ausdrücklich, dass für die Zeit vor dem 1.1.2007 keine Zahlungen begründet werden. Er stimme mit dem Eckpunktepapier überein, das gemäß Ziffer 5 für die Jahre 2004 bis 2006 Ansprüche ausschließe. Es sei Grundlage der Tarifeinigung gewesen, dass die AVR-Beschäftigten nicht für die Vergangenheit, sondern erst ab dem 1.1.2007 Leistungen auf Urlaubsgeld und Sonderzuwendung erhalten. Hierauf würden die Berechnungen zur Höhe der Zahlungen beruhen, die unter dem Primat der Finanzierbarkeit gestanden hätten. Es sollte ein geschlossenes System geschaffen werden, in dem die Beschlüsse vom 16.3. und 20.4.2004 nicht in Frage gestellt werden und erst ab 1.1.2007 eine Anpassung über mehrere Stufen erfolgt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6.5.2009 – 56 Ca 15763/08 – abzuändern und die Klage anzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält es für unerheblich, dass die Beklagte bis zu 1.1.2007 keiner Tarifbindung unterlag. Entscheidend sei, dass es aufgrund der Übernahme der Altbeschäftigten und der nachwirkenden Tarifverträge eine kollektive Entgeltordnung gegeben habe, deren Änderung unter das Mitbestimmungsrecht des Personalrates gefallen sei. Der TV-Ch. regele keineswegs Ansprüche auf Urlaubsgeld und Zuwendung für die Jahre 2004 bis 2006, sondern nur ab dem 1.1.2007.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hatte sie keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung des Urlaubsgeldes und der Sonderzuwendung verurteilt. Die zulässige Klage ist in der ausgeurteilten Höhe begründet.

1. Der Klägerin steht der Anspruch auf das Urlaubsgeld und die Sonderzuwendung für das Jahr 2006 gem. § 611 BGB aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit den bei der Beklagten im Jahr 2006 geltenden Vergütungsgrundsätzen zu.

1.1 Die Beklagte unterlag im Jahre 2006 keiner auf § 3 TVG beruhenden Bindung an einen Tarifvertrag, der die von der Klägerin geforderten Leistungen vorsieht. Die Parteien haben zudem in ihren Verträgen weder die Zahlung eines Urlaubsgeldes und einer Sonderzuwendung noch die Anwendung eines diese Leistungen beinhaltenden Tarifvertrages vereinbart. Vereinbart ist lediglich ein festes monatlich zu zahlendes Entgelt. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich damit weder unmittelbar aus einem Tarifvertrag oder ihrem Arbeitsvertrag noch mittelbar aus einem arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag.

1.2 Die Beklagte ist jedoch verpflichtet, das Urlaubsgeld und die Zuwendung aufgrund der bei ihr geltenden Entlohnungsgrundsätze zu zahlen. Sie war auch noch im Jahre 2006 an die durch den Anwendungs-TV Land Berlin vom 31.7.2003 vorgegebenen Entlohnungsgrundsätze gebunden, die ein Urlaubsgeld und eine Zuwendung vorsahen. Im Falle einer derartigen Bindung ist der Arbeitgeber im Hinblick auf die Mitbestimmungsrechte des bei ihm bestehenden Personalrates bzw. Betriebesrates verpflichtet, die vertraglich vereinbarten Leistungen unter Beachtung dieser Grundsätze zu gewähren. Die Verpflichtung besteht unabhängig von den Vertragabsprachen der Parteien. Sie kann bei Neueinstellungen dazu führen, dass für den Arbeitnehmer Ansprüche auf Leistungen entstehen, die als solche vertraglich nicht vorgesehen sind (vgl. BAG Urteil vom 15.4.2008 – 1 AZR 65/07 – in AP Nr. 133 zu § 87 BetrVG, Rn 38). Allerdings ist der Arbeitgeber nur verpflichtet, eine Vergütung zu vereinbaren, die der inneren Struktur dieser Grundsätze entspricht (vgl. BAG Urteil vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – in AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, Rn 31). Im vorliegenden Fall zeichnete sich diese Struktur dadurch aus, dass über das monatliche Gehalt hinaus jährlich eine Einmalzahlung als Urlaubsgeld und eine weitere Einmalzahlung als Sonderzuwendung vorgesehen waren. Diese Zahlungen konnten daher der Klägerin nicht vorenthalten werden.

1.2.1 Die Beklagte hat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des HS-MedG am 1.6.2003 gem. §§ 2, 3 Abs. 3 die in den medizinischen Bereichen bzw. Fakultäten und Kliniken der FU und HU beschäftigten Arbeitnehmer übernommen. Deren Arbeitsverhältnisse sind auf sie nach § 3 Abs. 3 HS-MedG Berlin „mit allen Rechten und Pflichten sowie individuellen personalrechtlichen Vereinbarungen übergegangen. Die Rechte und Pflichten ergaben sich – sei es aufgrund Tarifbindung nach § 3 TVG sei es aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung – aus den Regelungen des Anwendungs-TV Land Berlin. Die in ihm in Bezug genommenen Vergütungsregelungen des Tarifwerkes des BAT/BAT-O bestimmten die Vergütungsgrundsätze für die unter ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer. Sie galten wie zuvor in der FU und HU ab dem 1.6.2003 bei der Beklagten fort, nunmehr allerdings aufgrund der in § 3 Abs. 3 HS-MedG angeordneten Übernahme Das Zustandekommen des in § 3 Abs. 4 HS-MedG vorgesehenen Überleitungstarifvertrages war dafür nicht erforderlich. Mit ihm sollte eine Bereinigung kollektiver Regelungen für die Zukunft erreicht werden. Bis dahin waren die bisherigen Regelungen gem. § 3 Abs. 3 HS-MedG weiter anzuwenden und wurden zunächst auch angewandt.

1.2.2 Die bislang angewandten Vergütungsgrundsätze sind durch die Beschlüsse vom 16.3.und 20.4.2004 geändert worden. Sie enthalten eine abstrakt-generelle Entscheidung über eine andere Vergütungsstruktur. Für den durch die Einstellungen bis zum 1.4.2004 bestimmten Teil der Angestellten galten die bisherigen Grundsätze fort. Für die Neueinstellungen ab dem 1.4.2004/1.5.2004 wurden neue Grundsätze eingeführt, die durch den Wegfall des Urlaubsgeldes und der Sonderzuwendung sowie durch die Zahlung eines auf der bisherigen tarifvertraglichen Grundlage zu ermittelnden fixen Gehalts gekennzeichnet waren.

1.2.3 Die Umsetzung der Beschlüsse vom 16.3. und 20.4.2004 bedurfte gemäß §§ 79 Abs. 1, 85 Abs. 1 Nr. 10 LPersVG der vorherigen Zustimmung des Personalrates, die unstreitig nicht eingeholt worden ist. Wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in der genannten Entscheidung vom 19.9.2007 erkannt hat, ist damit das Mitbestimmungsrecht des Personalrates aus § 85 Abs. 1 Nr. 10 LPersVG verletzt worden. Die erkennende Kammer schließt sich der Entscheidung an. Demgegenüber kann der Auffassung der Beklagten nicht gefolgt werden, dass bei der Umsetzung der Beschlüsse kein Mitbestimmungsrecht des Personalrates habe entstehen können, weil sie seinerzeit an kein tarifvertragliches Vergütungssystem nach § 3 TVG gebunden gewesen war. Das Mitbestimmungsrecht nach § 85 Abs. 1 Nr. 10 LPersVG erfasst die Fragen der Lohngestaltung, zu denen ausdrücklich die Aufstellung und Änderung von Vergütungsgrundsätzen gehört. Indem mit den Beschlüssen vom 16.3. und 20.4.2004 eine gegenüber den bisherigen Grundsätzen abweichende kollektive Vergütungsregelung zur Anwendung gebracht worden ist, hat die Beklagte die bestehenden Grundsätze geändert. Entscheidend für das Mitbestimmungsrecht ist die Änderung der Grundsätze. Es kommt nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage sie bisher angewandt worden sind. Auch die Änderung einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung ist mitbestimmungspflichtig (vgl. BAG Urteil vom 15.4.2008 – 1 AZR 65/07 – a.a.O. Rn. 29). Es ist daher unerheblich, dass für die Beklagte bis dahin keinerlei Tarifbindung nach § 3 TVG bestanden hat. Da zur Zeit der Umsetzung der Beschlüsse die Lohngestaltung bei der Beklagten weder durch einen Tarifvertrag noch durch Rechtsvorschriften geregelt war, kam auch kein das Mitbestimmungsrecht gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 LPersVG ausschließender Ausnahmetatbestand zur Anwendung.

1.2.4 Eine Maßnahme des Arbeitgebers, die der notwendigen Mitbestimmung entbehrt, ist rechtswidrig und unwirksam. Dies führt dazu, dass die bislang geltenden Vergütungsgrundsätze weiter anzuwenden sind (vgl. BAG Urteil vom 15.4.2008 – 1 AZR 65/07 – a.a.O. Rn. 36). Die Unwirksamkeit besteht nicht nur im Verhältnis zum Personalrat. Sie erfasst auch einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers und einzelvertragliche Vereinbarungen. Die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers. Nachteilig sind solche Maßnahmen, die seine bereits bestehende Rechtsposition schmälern (vgl. BAG Urteil vom 15.4.2008 – 1 AZR 65/07 – a.a.O. Rn. 37, Urteil vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01 – a.a.O. Rn 28). Die sich aus der Anwendung der unveränderten Vergütungsordnung ergebende Rechtsposition der Klägerin bestand darin, dass über das monatliche Gehalt hinaus jährlich eine Einmalzahlung als Urlaubsgeld und eine weitere Einmalzahlung als Sonderzuwendung vorgesehen waren. Diese Vergütungsstruktur hatte die Beklagte gegenüber der Klägerin auch noch im Jahr 2006 beizubehalten.

1.2.5 Der TV-Ch. hat die Vergütungsstruktur im Jahre 2006 nicht geändert. Er ist rückwirkend zum 1.1.2007 in Kraft getreten. Regelungen zur Vergütungsstruktur vor diesem Zeitpunkt enthält er nicht. Die im Abschnitt III, IIIa getroffenen Regelungen betreffen die Zeit ab dem 1.1.2007. Dies gilt auch für den Absatz 7. Er legt im Satz 1 die Überführung der AVR-Beschäftigten in die Vergütungs- und Lohnsystematik zum 1.1.2007 fest. Sie hat unter Anrechnung von Vorzeiten zu erfolgen. Hierauf bezieht sich Satz 2 des Absatzes 7. Er besagt nicht mehr, als dass durch die Überführung unter Anrechung von Vorzeiten keine rückwirkenden Ansprüche begründet werden. Dem gegenüber enthält er keine Aussage darüber, dass bestehende Ansprüche aus der Zeit vor dem 1.1.2007 aufgehoben werden. Es werden weder Vergütungsgrundsätze für die Zeit vor dem 1.1.2007 aufgestellt, noch bestehende Ansprüche ausgeschlossen, die sich aus der Anwendung der bis zum 1.1.2007 bestehenden Vergütungsgrundsätze ergeben.

Die Klägerin kann aus dem Eckpunktepapier einer Tarifeinigung vom 18.10.2006 nichts anderes herleiten. Mit ihm haben die Tarifvertragsparteien noch keine tarifvertragliche Regelung getroffen, sondern sich auf bestimmte Punkte für eine noch herbeizuführende Tarifeinigung verständigt. In diesem Rahmen haben sie unter Ziffer 5 festgehalten, dass mit Ausnahme der ab dem Jahr 2007 vorgesehenen Zuwendungen bzw. Jahressonderzahlungen für die Zeit ab 2004 keine Anpassung erfolgt. Daraus folgt aber nicht, dass für die Zeit bis zum 1.1.2007 eine Vergütungsordnung aufgestellt werden sollte. Jedenfalls ist sie im dem TV-Ch. nicht aufgestellt worden, so dass es bei der Vergütungsordnung bleibt, die ohne die Beschlüsse vom 16.3./20.4.2004 bestanden hat.

1.2.6 Der im Jahr 2006 geltende Vorschalttarifvertrag mit dem Marburger Bund (VTV MB), der seit dem 1.5.2006 kein Urlaubsgeld und keine Sonderzuwendung vorsah, steht dem Anspruch der Klägerin ebenfalls nicht entgegen. Er betrifft die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit überwiegender Tätigkeit in der Krankenversorgung sowie die Ärzte und Ärztinnen. Zu diesem Personenkreis gehört die Klägerin nicht. Die übrigen Angestellten werden von ihm nicht erfasst, so dass er für sie keine Vergütungsgrundsätze beinhaltet.

2. Die Beklagte ist demnach verpflichtet, der Klägerin in Anlehnung an den Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte eine Einmalzahlung in Höhe von 255,65 Euro und in Anlehnung an den Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte eine weitere Einmalzahlung in Höhe von 2.517,26 Euro zu zahlen. Die rechnerische Richtigkeit dieser Beträge hat die Beklagte mit der Berufung nicht angegriffen.

3. Der Anspruch der Klägerin ist nicht nach § 70 BAT verfallen. Sie hat mit Schreiben vom 3.7.2006 ihren Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld geltend gemacht. Die Beklagte hat ihr mit dem Schreiben vom 18.11.2006 die Geltendmachung der jährlichen Sonderzuwendung und des Urlaubsgeldes bestätigt und sie gebeten, von weiteren Nachfragen Abstand zu nehmen. Auch wenn jedenfalls die Geltendmachung der gemäß § 4 des Tarifvertrages über eine Zuwendung für Angestellte am 1. Dezember fälligen Sonderzuwendung vor Fälligkeit und damit nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 70 BAT erfolgt ist, kann die Beklagte diesen Umstand nicht mit Erfolg geltend machen. Mit der Bitte, von weiteren Nachfragen Abstand zu nehmen, hat sie die Klägerin von einer weiteren fristgemäßen Geltendmachung abgehalten, so dass die Heranziehung der Ausschlussfrist des § 70 BAT nach § 242 BGB verwehrt ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Revision ist nach § 72 Abs. 2 Nummer 1 ArbGG zugelassen worden.

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