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Arbeitnehmer ungefragt im Werbevideo des Arbeitsgebers – Ansprüche DSGVO

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 28.04.2022 – 2 Ca 82 e/22 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin (Klägerin und Antragsstellerin) wendet sich gegen die teilweise Versagung von Prozesskostenhilfe.

In der Hauptsache stritten die Parteien über Ansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis. U.a. verlangte die Klägerin Zahlung von 6.000,00 EUR Schmerzensgeld. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin hatte vom 08.09. bis 31.12.2021 im Pflegedienst der Beklagten als Pflegehelferin gearbeitet. Die Beklagte ließ während dieser Zeit ein 36-sekündiges Werbevideo drehen. Die Klägerin nahm an dem Videodreh teil. Sie ist in dem Video zunächst unscharf und ab Sekunde 0:11 in Ganzkörperaufnahme zu sehen, wie sie in ein Auto einsteigt, auf dem „Wir suchen Pflegekräfte“ zu lesen ist und ein Audio-Overlay sagt „Steige jetzt mit ein!“. Später ist die Klägerin deutlich und in Portraitgröße im Auto sitzende zu erkennen, während das Audio-Overlay „zwischenmenschliche Beziehungen“ anpreist. Die Klägerin hatte sich nur mündlich zum Videodreh bereit erklärt. Die Beklagte hatte die Klägerin nicht vorab über den Zweck der Datenverarbeitung und ihr Widerrufsrecht in Textform informiert. Die Beklagte veröffentlichte das Video im Internet auf der Plattform „YouTube“.

Erstmals mit Klageerweiterung vom 02.02.2022 hat die Klägerin die Beklagte aufgefordert, es zu unterlassen, das streitgegenständliche Video weiter zu nutzen. Zusätzlich hat sie Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. 6000,00 EUR verlangt. Die Beklagte nahm daraufhin das Video noch vor Durchführung der Güteverhandlung aus dem Netz. Die Parteien haben mittlerweile einen verfahrensbeendenden Vergleich geschlossen.

Mit Beschluss vom 28.04.2022 (zugestellt am 02.05.2022) hat das Arbeitsgericht der Klägerin ratenlos Prozesskostenhilfe bewilligt, für ihren Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld, dies jedoch nur bis zu einer Höhe von 2.000,00 EUR.

Gegen die teilweise Versagung von Prozesskostenhilfe wendet sich die Klägerin mit ihrer am 09.05.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sie rügt, das Arbeitsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass das Arbeitsgericht Münster in seinem Urteil vom 25.03.2021 (3 Ca 391/20) in einem vergleichbaren Fall ein wesentlich höheres Schmerzensgeld festgesetzt habe.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Nichtabhilfebeschluss vom 17.05.2022) und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die nach §§ 127 Abs. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die hinreichende Erfolgsaussicht für die Schmerzensgeldklage zu Recht verneint, soweit die Klägerin Zahlung von mehr als 2.000,00 EUR begehrt.

1. Auszugehen ist bei der Prüfung der Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO von den Maßstäben, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gelten. Danach darf die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern, und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. z.B. BVerfG 30.04.2007 – 1 BvR 1323/05; BVerfG 15.10.2015 – 1 BvR 1790/13 – Rn. 19). Prozesskostenhilfe darf deshalb nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechterdings ausgeschlossen, die Erfolgsaussicht aber nur eine entfernte ist (BVerfG 13.07.2005 – 1 BvR 175/05 – ).

2. Gemessen daran hat das Arbeitsgericht die Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht nicht unzulässig überdehnt. Es hat zutreffend erkannt, dass die summarische Prüfung anhand des Maßstabs des § 114 Abs. 1 ZPO, ob ein bestimmtes Schmerzensgeld angemessen erscheint oder nicht, sich im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens regelmäßig nur darauf beschränken kann, ob die begehrte Kompensation sich ausgehend von den konkreten Umständen des Einzelfalls der Höhe nach innerhalb eines vertretbaren Rahmens bewegt. Die abschließende Prüfung, in welcher genauen Höhe innerhalb dieses Rahmens ein Schmerzensgeld im konkreten Fall angemessen ist oder nicht, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. OLG Karlsruhe 16.02.2011 – 4 W 108/10 – Rn. 17)

Arbeitnehmer ungefragt im Werbevideo des Arbeitsgebers – Ansprüche DSGVO
(Symbolfoto: Sinuswelle/Shutterstock.com)

a) Angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls lag für den der Klagforderung zugrundeliegenden Verstoß die Obergrenze einer noch vertretbaren Höhe des begehrten Schmerzensgelds bei 2.000,00 EUR.

aa) Durch den geltend gemachten Verstoß der Beklagten gegen die Bestimmungen der DSGVO ist der Klägerin ein immaterieller Schaden entstanden. Der Rechtsanspruch auf immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO erfordert über die Verletzung der DSGVO hinaus nicht zusätzlich, dass die verletzte Person einen (weiteren) von ihr erlittenen Schaden darlegt. Bereits die Verletzung der DSGVO selbst führt zu einem auszugleichenden immateriellen Schaden (BAG 26.08.2021 – 8 AZR 253/20 – Rn. 33). Für dieses Verständnis spricht EG 146 Satz 3 DSGVO, wonach der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des EuGHs weit und auf eine Weise ausgelegt werden soll, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht. Die Beschwerdekammer geht im Übrigen mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass im Streitfall die Grenze einer erheblichen Rechtsverletzung überschritten ist.

bb) Nach EG 146 Satz 6 der DSGVO sollen die betroffenen Personen einen vollständigen und wirksamen Schadensersatz für den erlittenen Schaden erhalten. Bei der Bemessung des immateriellen Schadensersatzes durch das Gericht sind daher alle Umstände des Einzelfalls zu betrachten. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass ein tatsächlicher und wirksamer rechtlicher Schutz der aus der DSGVO hergeleiteten Rechte gewährleistet werden soll (vgl. BAG 26.08.2021 – 8 AZR 253/20 – Rn. 36). Angesichts dessen geht die Beschwerdekammer davon aus, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO neben seiner Ausgleichsfunktion auch spezial- bzw. generalpräventiven Charakter hat und dies bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens zu Lasten des Verantwortlichen zu berücksichtigen ist (vgl. 4. Vorlagefrage des BAG im Beschluss vom 26.08.2021 aaO. Rn. 35). Verstöße müssen nämlich effektiv sanktioniert werden. Der Schadensersatz bei Datenschutzverstößen soll eine abschreckende Wirkung haben, um der Datenschutzgrundverordnung zum Durchbruch zu verhelfen (effet utile).

cc) Unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls stellt ein Schadensersatz in Höhe von 2.000,00 EUR die Obergrenze dar. Das hat das Arbeitsgericht auf Seite 3 und 4 des angegriffenen Beschlusses überzeugend begründet. Es hat zu Recht darauf abgestellt, dass die Beeinträchtigung des Rechts der Klägerin am eigenen Bild hier nicht schwerwiegend war, da die Klägerin um die streitbefangenen Aufnahmen wusste. Sie hatte an dem Videodreh freiwillig mitgewirkt. Die Klägerin hatte sich mit den Aufnahmen einverstanden erklärt, allein nicht in der gebotenen schriftlichen Form und ohne vorherige Unterrichtung über den Verarbeitungszweck und das Widerrufsrecht. Dass die Aufnahmen (Einsteigen ins Auto, im Auto sitzend) die Intimsphäre der Klägerin berührt oder sie diskriminiert hätten, ist nicht erkennbar. Das Arbeitsgericht durfte bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch berücksichtigen, dass die Beklagte das Video umgehend aus dem Netz genommen hat, nachdem die Klägerin sie aufgefordert hatte, die Nutzung des Videos zu unterlassen. Selbst wenn zugunsten der Klägerin berücksichtigt wird, dass es sich nicht nur um Fotos, sondern um kommerziell genutzte Bewegtbilder gehandelt hat und ein möglicherweise nur geringes Verschulden nicht zu Gunsten der Beklagten in die Betrachtung eingestellt wird (vgl. dazu Vorlagefrage 5 des BAG im Beschluss vom 26.08.2021 aaO. Rn. 38), ist nach den Umständen des Falls kein 2.000,00 EUR übersteigendes Schmerzensgeld gerechtfertigt.

dd) Zu Unrecht rügt die Klägerin, das Arbeitsgericht habe sich nicht ausreichend an den in vergleichbaren Fällen ausgeurteilten Schmerzensgeldern orientiert und habe insbesondere die Entscheidung des Arbeitsgerichts Münster vom 25.03.2021 (3 Ca 391/20) übergangen.

Richtig ist, dass bei der Festlegungn der Obergrenze eines im Hauptsacheverfahren etwaig zuzuerkennenden Schmerzensgeldes auf eine angemessene Relation der Anspruchshöhe zu in anderen Fällen von Persönlichkeitsrechtsverletzungen ausgeurteilten Enschädigungsbeträgen zu achten ist. Da die Rechtsprechung in Fällen erheblich schwerwiegenderer Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre durch mehrtägige bis mehrmonatige heimliche Überwachung oder heimliche Fertigung von Fotos aus dem Intimbereich regelmäßig Beträge von bis zu 1.000,00 EUR als angemessene Entschädigung angesehen hat, spräche die vergleichende Betrachtung hier eher für eine (noch) niedrigere Obergrenze.

Die im Streitfall angenommene Obergrenze liegt am oberen Rand dessen, was Arbeitsgerichte bei Verstößen gegen das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers für angemessen gehalten haben. So hat das LAG Rheinland-Pfalz bei einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz 650,00 EUR festgesetzt (LAG Rheinland-Pflanz 23.05.2013 – 2 Sa 540/12 – Rn. 27) und das BAG bei Bildaufnahmen und Videoaufzeichnungen 1.000 EUR (BAG 19.02.2015 – AZR 1007/13 – Rn. 31 ff.). Das Arbeitsgericht Lübeck (ArbG Lübeck 20.06.2019 – 1 Ca 538/19) hat bei einer Veröffentlichung eines Fotos auf der Facebook-Seite der Verantwortlichen 1.000,00 EUR für angemessen gehalten.

Nicht überzeugend ist der Hinweis der Klägerin auf den vom Arbeitsgericht Münster entschiedenen Fall. Dieser lag in wesentlichen Punkten anders. So hatte die Klägerin im dortigen Fall bereits schriftlich einen Vorbehalt bezüglich der Verwendung von Aufnahmen geäußert, mit dem sich die Arbeitgeberin nicht eingehend befasst hat, bevor Fotos gemach und verwendet worden sind. Außerdem war die dortige Verwendung der Aufnahmen in einer Broschüre nach Ansicht des Arbeitsgerichts diskriminierend (Ethnie).

ee) Die vom Arbeitsgericht angenommene Obergrenze geht über eine rein symbolhafte Entschädigung hinaus. Einer effektiven Ahndung von dem vorliegenden Fall vergleichbaren Verstößen gegen die DSGVO steht die für den streitgegenständlichen Verstoß angenommene Obergrenze nicht entgegen.

III.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Beschwerde zu tragen.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand kein Anlass.

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