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Arbeitnehmereigenschaft nach § 5 Abs 1 BetrVG bei Schülern und Auszubildenden

ArbG Cottbus – Az.: 2 BV 58/10 – Beschluss vom 05.01.2011

Es wird festgestellt, dass die Auszubildenden zur Medizinisch-technischen Laborassistentin/en, Physiotherapeutin/Physiotherapeuten, Medizinisch-technische Radiologieassistentin/en der Beteiligten zu 2), die ihre praktische Ausbildung aufgrund des Ausbildungsvertrages bei der Beteiligten zu 2) absolvieren, Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG sind.

Gründe

I. Die Beteiligte zu 2. betreibt ein Klinikum mit ca. 2.300 Beschäftigten. Der Beteiligte zu 1. besteht aus 19 Mitgliedern und wurde letztmalig im Mai 2010 gewählt.

Bei der Beteiligten zu 2. wurde am 24. November 2008 eine 7-köpfige Jugend- und Auszubildendenvertretung gewählt. Diese vertritt ca. 200 Auszubildende der Ausbildungsberufe

Gesundheits- und Krankenpflege,

Gesundheits- und Kinderkrankenpflege,

Hebamme/Entbindungspfleger

Bürokauffrau/Bürokaufmann

Kaufmann/Kauffrau für Bürokommunikation

Köchin/Koch

Die Beteiligte zu 2. betreibt auch eine staatlich anerkannte medizinische Schule. Die Beteiligte zu 2. ist Träger dieser Schule und für einen Großteil dieser Auszubildenden der Ausbildungsberufe

Medizinisch-technischen Laborassistent/in,

Physiotherapeut/in,

Medizinisch-technischen Radiologieassistent/in,

Gesundheits- und Krankenpflege,

Gesundheits- und Kinderkrankenpflege,

Hebamme/Entbindungspfleger.

zugleich die Ausbildungseinrichtung.

In der Medizinischen Schule werden derzeit für die Ausbildungsberufe

Medizinisch-technischer Laborassistent/in

Physiotherapeut/in

Medizinisch-technischen Radiologieassistent/in

Insgesamt werden 146 Schüler/innen unterrichtet. Davon werden 130 Schüler/innen bei der Beteiligten zu 2. praktisch ausgebildet.

Die Beteiligte zu 2. schloss mit den 130 Schülerinnen Ausbildungsverträge. Die Ausbildung zu den drei streitigen Ausbildungsberufen erfolgt nach dem dualen Ausbildungssystem.

Dabei erhalten medizinisch–technische Laborassistent/innen 3170 Stunden theoretischen und praktischen Unterricht und eine praktische Unterweisung im Klinikum der Beteiligten zu 2. in Höhe von 1230 Stunden. Physiotherapeut/innen erhalten 2900 Stunden theoretischen und praktischen Unterricht und eine praktische Unterweisung im Klinikum von 1600 Stunden. Medizinisch-Technische Radiologieassistent/innen erhalten theoretischen und praktischen Unterricht in Höhe von 2800 Stunden und eine praktische Ausbildung in Höhe von 1600 Stunden.

Soweit die Beteiligte zu 2. vereinzelt keine freien Kapazitäten hat oder spezielle praktische Ausbildungsinhalte vermittelt werden müssen, die die Beteiligte zu 2. in ihrem Klinikum nicht vermitteln kann, ordnet die Beteiligte zu 2. die Auszubildenden zu anderen Einrichtungen ab. Dies erfolgt auch so bei den anderen Ausbildungsberufen, wie den Krankenpflegern und Kinderkrankenpflegern oder auch den Hebammen.

Zur Vorbereitung der JAV-Wahlen im Herbst 2010 forderte der Beteiligte zu 1. die Beteiligte zu 2. auf, zu erklären, dass die Auszubildenden der Ausbildungsberufe

Medizinisch-technischer Laborassistent/in

Physiotherapeut/in

Medizinisch-technischen Radiologieassistent/in

Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG sind.

Die Beteiligte zu 2. erklärte mit Schreiben vom 8. Juli 2010, dass sie die oben genannten Ausbildungsberufe nicht für Auszubildende halte, sondern es sich um eine rein schulische Ausbildung – mit praktischem Unterricht handele.

Arbeitnehmereigenschaft nach § 5 Abs 1 BetrVG bei Schülern und Auszubildenden
(Symbolfoto: Von Nach-Noth/Shutterstock.com)

Die Beteiligte zu 2. lehnte abschließend die Einbeziehbarkeit der betroffenen Auszubildenden mit Schreiben vom 4. August 2010 ab.

Der Beteiligte zu 1. ist der Auffassung, bei den Schülerinnen und Schülern der drei Ausbildungsberufe Medizinisch-technischer Laborassistent, Physiotherapeut und Medizinisch-technischer Radiologieassistent handele es sich um Personen, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind und damit um Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG.

Entscheidend sei, dass diese Ausbildungsberufe an dem dualen Ausbildungssystem teilnähmen. Die praktische Unterweisung erfolge im Carl-Thiem-Klinikum. Dazu sei die Beteiligte jedenfalls vertraglich verpflichtet. Es sei unschädlich, dass die praktische Ausbildung von der Anzahl der Stunden in der Ausbildung geringer ausfalle als der theoretische und praktische Unterricht. Denn für die Abschlussprüfung sei die praktische Prüfung genauso relevant wie die theoretische Prüfung. Die praktische Prüfung am Ende der Ausbildung falle von den Stunden sogar länger aus als die theoretische Prüfung.

Der Antragsteller beantragt: Es wird festgestellt, dass die Auszubildenden zur

– Medizinisch-technischen Laborassistentin/en,

– Physiotherapeutin/Physiotherapeuten,

– Medizinisch-technischen Radiologieassistentin/en

der Beteiligten zu 2) die ihre praktische Ausbildung aufgrund des Ausbildungsvertrages bei der Beteiligten zu 2) absolvieren, Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG sind.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass es entscheidend sei, ob die betrieblich-praktische Ausbildung die schulische überwiege oder ihr zumindest gleichwertig sei. Dies kann sich nur auf die Ausbildungsstunden beziehen. Da aber der theoretische und praktische Unterricht in der Schule stattfinde und eindeutig von der Stundenzahl überwiege, sei die praktische Ausbildung nicht gleichwertig.

Dass die praktische Prüfung am Ende der Ausbildung zeitlich länger ausfalle, sei irrelevant. Dies hänge damit zusammen, dass Versuche stattfänden und Untersuchungen, die eben zeitlich umfangreicher seien.

Schließlich ist die Beteiligte zu 2. der Auffassung, weil sie die Schülerinnen und Schüler während ihrer praktischen Ausbildung auch zu anderen Einrichtungen oder Ärzten und Kliniken abordne, nehme sie die betrieblich-praktische Unterweisung gar nicht wahr. Die Schüler seien nicht in den Betrieb eingegliedert.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II. Der Antrag des Antragstellers war zulässig und begründet.

1. Zulässigkeit

Streitigkeiten über die Arbeitnehmereigenschaft eines Betriebsangehörigen entscheidet das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren nach § 2a ArbGG. Antragsberechtigt sind der Arbeitgeber und der Betriebsrat, st. Rspr. des BAG, vergl. BAG vom 23.01.1986, AP Nr. 30 zu § 5 BetrVG 1972, vergleiche auch Fitting, § 5 Rn. 430, 431.

Der Antrag ist auch bestimmt genug. Er umfasst diejenigen Auszubildenden, die mit der Arbeitgeberin einen Auszubildendenvertrag geschlossen haben und aufgrund dessen ihre praktische Ausbildung auch bei der Antragsgegnerin durchführen.

2. Begründetheit

Der Antrag ist auch begründet. Bei allen Schülerinnen und Schülern der Ausbildungsberufe medizinisch-technischer Laborassistent, Physiotherapeut und medizinisch-technischer Radiologieassistent, die mit der Antragsgegnerin einen Ausbildungsvertrag geschlossen haben, handelt es sich um Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG. Sie gehören zu der vom Betriebsrat repräsentierten Belegschaft.

a) Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind auch die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Hierzu zählen zum einen solche Auszubildenden, die aufgrund eines Berufsausbildungsvertrages im Sinne des § 3 Berufsbildungsgesetzes beschäftigt werden. Dazu gehören die hier streitigen Auszubildenden nicht, denn sie werden in einer staatlich anerkannten Schule unterrichtet.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zählen zu den zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten allerdings auch solche Auszubildenden, denen berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten betrieblich vermittelt werden sollen. Unerheblich ist, wie die Vertragsparteien die Betätigung rechtlich einordnen oder bezeichnen, entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Durchführung, vergleiche BAG vom 28. Juli 1992 – 1 ABR 22/92, Juris.

Nicht vorausgesetzt ist auch die Zahlung eines Entgelts für diese Ausbildung. Auszubildender im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne ist im Grundsatz jeder, der auf privatvertraglicher Grundlage im Betrieb ausgebildet wird.

Voraussetzung ist, dass es sich um eine betriebliche Ausbildung im Unterschied zu einer nur schulischen Ausbildung handelt. Denn das Wort „Beschäftigung“ setzt eine Eingliederung in den Betrieb voraus. Es darf nicht nur eine nur schulische, sondern es muss auch eine betrieblich-praktische Unterweisung erfolgen, in der der Auszubildende beruflich aktiv tätig ist, vergleiche BAG vom 28. Juli 1992 – 1 ABR 22/92, Juris, BAG vom 8. Mai 1990 – 1 ABR 7/89. Entscheidend ist nach dieser Rechtsprechung, ob die betrieblich-praktische Ausbildung die schulische überwiegt oder ihr zumindest gleichwertig ist. Findet die Ausbildung hingegen in Form rein schulischen Unterrichtung statt, wie es bei der Entscheidung des BAG vom 28. Juli 1992, a. a. O. für die MTA-Schüler nach der damaligen Rechtslage noch der Fall war, kann von einer betrieblichen „Beschäftigung“ zum Zwecke der Berufsausbildung nicht gesprochen werden.

c) Vorliegend handelt es sich bei allen hier im Streit stehenden Ausbildungsberufen um ein duales Ausbildungssystem. Die Auszubildenden erhalten theoretischen und praktischen Unterricht und außerdem zu 28 % (Laborassistent) 35 % (Physiotherapeut) und 34 % (Radiologieassistent) eine betrieblich-praktische Unterweisung, in der sie in den normalen Schichtplan des Carl-Thiem-Klinikum – Betriebes eingegliedert sind. Die Auszubildenden werden während der praktischen Ausbildung in den Stations- bzw. Betriebsablauf integriert. Zum Teil üben die Auszubildenden im dritten Ausbildungsjahr die praktischen Aufgaben auf der Station selbständig aus.

Die Tatsache, dass der theoretische und praktische Unterricht in der Schule der Antragsgegnerin im zeitlichen Umfang der Ausbildung gegenüber der praktischen Unterweisung dominiert, ist für die Einordnung der Auszubildenden als zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte nicht entscheidend. Denn es kommt darauf an, dass die praktische Unterweisung zumindest gleichwertig ist. Das ist in allen drei Ausbildungsberufen der Fall. Denn vom Wert der Ausbildung hat die praktische Ausbildung den gleichen Wert, wie der praktische und theoretische Unterricht. Die Gleichwertigkeit zeigt sich in der hohen Prüfungsrelevanz. Die Prüfung ist gemäß den Vorschriften § 7 MTA-APrV und § 7 PhysTh-APrV bestanden, wenn jeder einzelne Prüfungsteil bestanden ist Damit kommt der praktischen Ausbildung genau wie die theoretischen gleiche Relevanz zu. Für den Fall des Nichtbestehens der praktischen Ausbildung schließen sich weitere 6 Monate Ausbildung an, um zur Nachprüfung zugelassen zu werden.

Schon in seiner Entscheidung vom 24. September 1981 hat das BAG (6 ABR 7/81), Juris, festgehalten, dass Gleichwertigkeit der Ausbildungsteile auch dann vorliegt, wenn der theoretische und praktische Unterricht zeitlich gegenüber der praktischen Unterweisung überwiegen. Zwar sei regelmäßig derjenige Arbeitnehmer, der vorwiegend praktisch ausgebildet werde. Dies bedeute aber noch nicht, dass das Betriebsverfassungsgesetz unanwendbar sei, wenn der Anteil an schulischer Ausbildung höher sei als der der praktischen Ausbildung. Das Gewicht einer praktischen Ausbildung ließe sich nicht in allen Fällen nach Stundenanteilen messen. Dieses Merkmal versage, wenn praktisch-betrieblicher und theoretisch-schulischer Anteil an einer Ausbildung trotz unterschiedlichen Zeitaufwandes gleiche Bedeutung hätten. Das sei aber bei einem dualen Ausbildungssystem immer der Fall, vergleiche BAG vom 24. September 1981 – 6 ABR 7/81, Juris.

d) Auch der Einwand der Antragsgegnerin, tatsächlich seien einige Auszubildende zum Teil während ihrer praktischen Ausbildung überhaupt nicht im Carl-Thiem-Klinikum tätig, sondern würden für einzelne Ausbildungsabschnitte und Praktika zu anderen Kliniken oder Ärzten abgeordnet, ist nicht erheblich. Denn diese Abordnung findet unstreitig in allen Ausbildungsberufen statt, also auch bei den von der Arbeitgeberin anerkannten Krankenpfleger/innen. Die Abordnung geschieht aus Kapazitätsgründen, oder weil bestimmte Ausbildungsinhalte besser von bestimmten Spezialisten vermittelt werden können. Unstreitig verbringen die Auszubildenden der Antragsgegnerin jedoch den überwiegenden Teil ihrer praktischen Ausbildung bei der Antragsgegnerin selbst.

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