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Arbeitnehmerkündigung – Beweisanzeichen für Zugang

Landesarbeitsgericht München – Az.: 3 Sa 1185/20 – Urteil vom 29.04.2021

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 27.10.2020 – 1 Ca 1098/20 – abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von ordentlichen und einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

Der 0000 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten, einem Schulungsanbieter mit regelmäßig mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmern, seit dem 01.10.2019 als Head of Finance zu einer monatlichen Bruttovergütung von 3.750,00 € befristet bis zum 30.09.2020 beschäftigt. Nach § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags betrug die Kündigungsfrist einen Monat zum Monatsende.

Am 24.06.2020 führten der Vorstand der Beklagten und der Kläger ein Trennungsgespräch. Nach der Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht soll ihm der Vorstand der Beklagten in diesem Gespräch mündlich ohne Angabe eines Kündigungstermins gekündigt haben. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Kläger am Abend des 24.06.2020 ein schriftliches Kündigungsschreiben zum 31.07.2020 übergeben worden ist.

Mit E-Mail vom 25.06.2020 teilte der Kläger einem Kollegen K. mit, dass ihm „gestern mündlich gekündigt“ worden sei (Anl. B3 = Bl. 37 d. A.).

Am Freitag, den 26.06.2020, 13:23 Uhr bat der Kläger den Vorstand der Beklagten, das vom Kläger vorformulierte Zeugnis mit dem Beschäftigungszeitraum 01.10.2019 bis 31.07.2020 zu unterschreiben, damit er am Wochenende gleich Bewerbungen verschicken könne (Anl. B8 = 108 d. A.). Ebenfalls am 26.06.2020, 14:25 Uhr erklärte der Kläger in einer weiteren E-Mail dem Vorstand der Beklagten, dass er am Montag oder Dienstag zu der Agentur für Arbeit gehen würde „je nach dem, wann die Kündigung ankommt.“ (vgl. Anl. B8 = Bl. 107 d. A.).

Unter dem Datum des 26.06.2020 fertigte die Beklagte ein Schreiben, mit dem sie „wie am 24.06. besprochen,“ das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum 31.07.2020 kündige (Anl. B1 = Bl. 35 d. A.).

Am Montag, den 29.06.2020 um 9.09 Uhr fragte die Kollegin W. den Kläger in einem Chatverlauf, ob er überhaupt schon eine Kündigung habe, woraufhin dieser antwortete, dass bisher noch kein Brief gekommen sei. Darüber hinaus erklärte der Kläger, dass er wahrscheinlich umziehen müsse, weil er sich das Haus mit dem Arbeitslosengeld nicht würde leisten können. Die Kollegin W. teilte dem Kläger mit, dass der Vorstand der Beklagten die Kündigung am 26.06.2020 geschrieben habe (vgl. Bl. 130 d. A.).

Ebenfalls am 29.06.2020 um 11:47 Uhr schrieb der Kläger der Kollegin St., dass ihm letzte Woche gekündigt worden sei und er offiziell Ende Juli weg sei bzw. noch relativ viel Urlaub davor habe (Bl. 131 d. A.).

Der Kläger nahm unstreitig bei der Agentur für Arbeit einen Termin wahr. Nach seiner Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht soll ihm, nachdem er angegeben habe, dass ihm mündlich gekündigt worden sei, von der Agentur für Arbeit gesagt worden sein, dass alles aufgenommen, aber abgewartet werde, bis eine schriftliche Kündigung eingereicht werde.

Am 02.07.2020 informierte der Kläger die externe Dienstleisterin Frau B., dass ihm letzte Woche gekündigt worden sei und er sich um diese „Angelegenheiten“ nicht mehr kümmere (Anl. B6 = Bl. 36 d. A.). Ebenfalls am 02.07.2020 teilte der Kläger der Untermieterin Frau M. per E-Mail mit, dass ihm gekündigt worden sei (Anl. B7 = 106 d. A.).

Am 07.07.2020 bat der Vorstand der Beklagten den Kläger, den Resturlaub zu nehmen und um Mitteilung, was noch offenstehe. Der Kläger antwortete, dass er noch 10 + 5 Urlaubstage, die er bereits für August beantragt hätte, habe und schlug vor, alle vom 13.07. bis 31.07.2020 zu nehmen (Anl. B5 = Bl. 40 f. d. A.). Der Vorstand der Beklagten errechnete nur 10 Urlaubstage, woraufhin der Kläger erklärte, dann quasi ab 20. Urlaub zu nehmen. Auf die Bitte des Vorstandes der Beklagten, die Arbeitsmittel abzugeben, schlug der Kläger den 03.08. vor.

Am 03.08.2020 meldete sich der Kläger telefonisch arbeitsunfähig und bestritt, eine Kündigung zum 31.07.2020 erhalten zu haben. Daraufhin suchte der Vorstand der Beklagten den Kläger abends an seinem Wohnsitz in X auf, übergab eine ordentliche Kündigung vom 31.07.2020 zum 31.08.2020 (Anl. K2 = Bl. 8 d. A.) und eine außerordentliche fristlose Kündigung vom 03.08.2020. Des Weiteren forderte er die Arbeitsmittel bestehend aus Laptop und Firmenschlüssel heraus. Der Kläger weigerte sich, den Laptop herauszugeben. Hierüber wurde zwischen den Parteien ein Rechtsstreit vor einem österreichischen Gericht geführt. Nach rechtskräftiger Verurteilung gab der Kläger den Laptop Ende Februar 2021 an die Beklagte heraus.

Der Kläger bezog seit Montag, den 03.08.2020 Arbeitslosengeld.

Der Kläger hat am 13.08.2020 Klage vor dem Arbeitsgericht Rosenheim erhoben und Kündigungsschutzanträge bzgl. der ordentlichen Kündigung vom 31.07.2020 sowie der außerordentlichen Kündigung vom 03.08.2020, einen allgemeinen Feststellungsantrag (zu III.) und einen Antrag auf Vorläufige Beschäftigung (Antrag zu IV.) angekündigt. Nach Antragsänderung durch Schriftsatz vom 28.09.2020 hat der Kläger die Anträge zu III. und IV. in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Rosenheim zurückgenommen.

Der Kläger hat behauptet, dass ihm am 24.06.2020 nur mündlich gekündet worden sei. Es sei ihm an diesem Tage keine schriftliche Kündigung übergeben worden. Die mündliche Kündigung sei mangels Schriftform unwirksam, § 623 BGB. Als juristischer Laie sei er aber zunächst irrig von deren Wirksamkeit ausgegangen und habe dies gegenüber den Zeugen kommuniziert. Aus der E-Mail vom 25.06.2020 an den Kollegen K. ergebe sich, dass dem Kläger lediglich mündlich gekündigt worden sei. Der Kläger hat zudem mit Nichtwissen bestritten, dass am 26.06.2020 nochmals eine schriftliche Kündigung von der Beklagten versendet worden sei. Jedenfalls habe der Kläger ein solches Kündigungsschreiben nicht erhalten. Der Kläger hat den wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung vom 03.08.2020 bzw. die soziale Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung vom 31.07.2020 bestritten.

Die Beklagte hat für ihren Klageabweisungsantrag behauptet, es sei eine Kündigung am 24.06.2020 ausgedruckt, vom Vorstand der Beklagten persönlich unterschrieben und dem Kläger am Arbeitsplatz zusammen mit ein paar anderen Dokumenten überreicht worden. Soweit sich der Kläger auf die Formunwirksamkeit der mündlichen Kündigung berufe, sei ihm dies aufgrund Verwirkung (§ 242 BGB) verwehrt. Der Kläger habe die Zeugen M., K. und B. persönlich bzw. per E-Mail über die Kündigung vom 24.06.2020 unterrichtet. Auf Nachfrage des Klägers, dass er nach postalischem Erhalt der Kündigung am Dienstag, den 30.06.2020, zum Arbeitsamt gehen wolle, sei die Kündigung nochmals unterzeichnet am 26.06.2020 zur Post versandt worden. Es sei angenommen worden, der Kläger habe die Kündigung vom 24.06.2020 im Betrieb vergessen. Die Auszubildende und Zeugin Y habe es zur Post gebracht und könne sich auf Nachfrage daran erinnern. Der Kläger habe den Termin beim Arbeitsamt wahrgenommen. Auch aus anderen Umständen sei auf den Zugang der Kündigung vom 26.06.2020 zu schließen. Die Kündigung vom 24. bzw. 26.06.2020 rechtfertige sich aus der auch der Kläger bekannten schlechten Umsatzlage von nur 25 % des bisherigen Anfalls. Die außerordentliche Kündigung sei ausgesprochen worden, weil sich der Kläger beharrlich weigerte, zweifelsfrei gesund gewesen und krankgefeiert habe.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie auf ihre erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Rosenheim hat in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2020 darauf hingewiesen, dass die Kündigung vom 26.06.2020, sollte sie dem Kläger tatsächlich zugegangen sein, nicht gerichtlich angegriffen worden sei. Durch Urteil vom 27.10.2020 – 1 Ca 1098/20 – hat es festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 31.07.2020 nicht mit sofortiger Wirkung zum 03.08.2020 aufgelöst worden sei, sondern bis zum 30.09.2020 fortbestanden habe. Im Übrigen hat es die Feststellungsklage abgewiesen. Der Beklagten sei es nicht gelungen, den Zugang des Kündigungsschreibens vom 26.06.2020 nachzuweisen. Es bestehe keine hinreichende Vermutungswirkung dahingehend, ein zur Post gegebenes Kündigungsschreiben dem Empfänger auch tatsächlich zugehe. Auch fehle der Beklagten jeglicher Zustellnachweis. In der E-Mail an den Kollegen K. habe der Kläger lediglich von einer mündlichen Kündigung geschrieben. Soweit der Kläger in einer anderen E-Mail allgemein eine Kündigung erwähnt habe, könne daraus nicht geschlossen werden, dass er damit die schriftliche Kündigung vom 26.06.2020 gemeint habe. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 03.08.2020 sei mangels wichtigen Grundes i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam. Die ordentliche Kündigung vom 31.07.2020, die dem Kläger erst am 03.08.2020 persönlich überreicht worden sei, habe das Arbeitsverhältnis unter Wahrung der vertraglichen Kündigungsfrist erst zum 31.09.2020 aufgelöst. Zu diesem Termin habe es aufgrund der Befristung ohnehin geendet, so dass es auf die soziale Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung nicht ankomme. Dies habe zur Folge, dass die Feststellungsklage nur teilweise – mithin bis zum 30.09.2020 – habe erfolgreich sein können.

Gegen dieses, ihr am 29.11.2020 zugestellte Urteil, hat die Beklagte am 21.12.2020 Berufung beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.02.2021 an diesem Tage begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigungen vom 24.06.2020 und 26.06.2020 zum 31.07.2020 beendet worden. Dem Kläger sei eine schriftliche Kündigung vom 24.06.2020 bereits am 24.06.2020 vom Vorstand der Beklagten übergeben worden.

Hierauf habe der Kläger in seiner E-Mail vom 29.06.2020 Bezug genommen, in der er erklärt habe, ihm sei letzte Woche gekündigt worden. Dass der Kläger von Anfang an gewusst habe, dass nur eine schriftliche Kündigung rechtswirksam sei, zeige die Microsoft Teams-Nachricht vom 26.06.2020, wonach er den Gang zur Arbeitsagentur vom Erhalt der schriftlichen Kündigung abhängig mache. Die Kündigung sei dem Kläger persönlich im Anschluss an die Microsoft Teams-Nachricht übergeben worden, zusammen mit dem unterzeichneten Arbeitszeugnis. Zusätzlich sei die schriftliche Kündigung vom 26.06.2020 zur Post gegangen. Diese Kündigung sei nicht wegen Unzustellbarkeit an die Beklagte zurückgelaufen. Das Arbeitsgericht habe nicht ausreichend die von der Beklagten vorgebrachten Indizien gewürdigt, die zwingend auf einen ordnungsgemäßen Zugang der Kündigung vom 26.06.2020 schließen ließen. Der Kläger habe ausdrücklich erklärt, erst zur Arbeitsagentur zu gehen, wenn er die Kündigung schriftlich erhalten habe. Da er den Termin in der Folgewoche nach eigenen Angaben wahrgenommen habe, bedeute dies, dass er jedenfalls per Post vorher die schriftliche Kündigung erhalten hätte. Die jetzige pauschale Behauptung des Klägers, nie eine schriftliche Kündigung zu diesem Zeitpunkt erhalten zu haben, sei als bloße Schutzbehauptung zurückzuweisen und vermöge den erbrachten Beweis nicht zu erschüttern. Der Kläger müsse den substantiierten Vortrag der Beklagten ebenfalls substantiiert bestreiten und nicht nur pauschal einen Zugang abstreiten. Da dies bisher nicht geschehen sei, sei der Vortrag als zugestanden anzusehen. Der Kläger habe zudem am 07.07.2020 die Rückgabe der noch in seinem Besitz befindlichen Arbeitsmittel für den 03.08.2020 angekündigt.

Die Beklagte beantragt: Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 27.10.2020 (Az.: 1 Ca 1098/20) wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Dem Kläger sei am 24.06.2020 bzw. am 26.06.2020 keine Kündigung persönlich übergeben bzw. am 26.06.2020 postalisch übersandt worden. Die persönliche Übergabe der Kündigung vom 26.06.2020 am 26.06.2020 werde erstmals behauptet und stehe im Widerspruch zum bisherigen Vortrag der Beklagten. Auch sei der Beklagten nicht gelungen, den Zugang der angeblich am 26.06.2020 per Post versendeten Kündigung nachzuweisen. Die E-Mail vom 02.07.2020 lasse offen, ob die Kündigung der letzten Woche schriftlich oder mündlich erfolgt sei. Aus dem Termin beim Arbeitsamt könne nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass der Kläger nicht zum Arbeitsamt gehen könne, wenn er keine Kündigung erhalten habe.

Die Vorlage des Chat-Verlaufs mit den Kolleginnen W. und St. in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht sei verspätet und nicht zuzulassen. Ihm lasse sich entnehmen, dass dem Kläger am 24.06.2020 keine Kündigung von diesem Tage übergeben worden sei und er bis zum 29.06.2020, 09:09 Uhr keine schriftliche Kündigung vom 26.06.2020 erhalten habe. Die Beklagte könne nicht einmal zweifelsfrei nachweisen, dass eine schriftliche Kündigung überhaupt versendet worden sei. Im Hinblick auf die Widersprüche im Vortrag der Beklagten dürften berechtigte Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihres Sachvortrags bestehen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 22.02.2021 (Bl. 99 – 112 d. A.), die Schriftsätze des Klägers vom 23.03.2021 (Bl. 120 – 124 d. A.) und vom 23.04.2021 (Bl. 132 – 135 d. A.), sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2020 (Bl. 125 – 131 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

I.

Die nach § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.

II.

Die Berufung ist auch begründet. Die begehrte Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die jeweils am 03.08.2020 zugegangene außerordentliche fristlose Kündigung vom 31.07.2020 bzw. ordentliche Kündigung vom 31.07.2020 aufgelöst worden ist, ist unbegründet. Sowohl zum Beendigungstermin 03.08.2020 als auch zum Beendigungstermin 31.08.2020 bestand kein Arbeitsverhältnis der Parteien. Es wurde bereits durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 26.06.2020 mit Wirkung zum 31.07.2020 aufgelöst, weil diese Kündigung als von Anfang an rechtwirksam gemäß §§ 4, 7 KSchG gilt.

1. Die ordentliche Kündigung vom 26.06.2020 hat das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2020 aufgelöst, da sie von Anfang an als rechtswirksam gilt, §§ 4, 7 KSchG.

a) Will ein Arbeitnehmer geltend machen, eine schriftliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam, muss er gemäß § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang Klage auf die Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch sie nicht aufgelöst worden sei. Wird die Unwirksamkeit der Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht, gilt diese gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Eine verspätet erhobene Kündigungsschutzklage muss als unbegründet abgewiesen werden (vgl. BAG, U. v. 18.12.2014 – 2 AZR 163/14 – Rn. 16).

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht eine Kündigungserklärung unter Abwesenden i. S. v. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten (vgl. BAG, U. v. 22.08.2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 12).

Die Darlegungs- und Beweislast für den Zugang einer Kündigung obliegt dabei der Vertragspartei, die sich auf die Beendigung durch eine Kündigung – wie hier die Beklagte – beruft (vgl. Preis in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Auflage 2021, G. Rechtsgeschäftliche Grundlagen der Kündigung, Rn. 60; Reinicke, Beweisfragen im Kündigungsschutzprozess, NZA 1989, 577, 582).

Dabei kann derjenige, der sich auf den Zugang eines abgesandten Kündigungsschreibens beruft, nicht allein vortragen, normalerweise werde ein der Post anvertrauter Brief auch zugestellt. Sendungen können verloren gehen (vgl. BVerfG, B. v. 15.05.1991 – 1 BvR 1441/90 – unter II. 2. a) der Gründe). Der sonst bei typischen Geschehensabläufen geltende Anscheinsbeweis gilt nicht, weil andernfalls der Nachweis des Zugangs durch den Nachweis der Absendung entgegen der Regelung in § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB ersetzt werden würde (so ausführlich Reinicke, a.a.O., 583). Andererseits genügt eine Erklärung des Empfängers mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO nicht unabhängig von der jeweiligen Sachlage. Wird unter Vorlage einer Kopie vorgetragen, das Schreiben sei gefertigt und abgesandt worden sowie nicht als unzustellbar zurückgelaufen, liegen Beweisanzeichen für einen Zugang des streitgegenständlichen Schreibens vor, die zusammen mit weiteren Umständen die Annahme begründen können, das streitgegenständliche Schreiben sei trotz fehlenden Nachweises zugegangen (vgl. BVerfG, B. v. 10.03.1992 – BvR 430/91 – II. 2. b) aa) der Gründe).

c) Danach ist im vorliegenden Fall aufgrund der Gesamtumstände davon auszugehen, dass dem Kläger spätestens am 30.06.2020 das streitgegenständliche Kündigungsschreiben vom 26.06.2020 zugegangen ist.

Die Beklagte hat unter Vorlage der Anlage B1 vorgetragen, sie habe das streitgegenständliche Kündigungsschreiben gefertigt und die Auszubildende Y beauftragt, es zur Post zu bringen. Diese könne sich an den Vorgang auch erinnern. Die Fertigung des Kündigungsschreibens wird durch den Verlauf des Chats des Klägers mit der Kollegin W. vom 29.06.2020 nachgewiesen. In ihm hat die Kollegin W. dem Kläger bestätigt, dass der Vorstand der Beklagten die Kündigung am 26.06.2020 geschrieben hat. Die Vorlage des Chatverlaufs ist nicht verspätet, da sein Inhalt zwischen den Parteien unstreitig ist und deshalb ohne Beweiserhebung in einem weiteren Termin der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden konnte, § 67 Abs. 4 Satz 2 ArbGG. Soweit die Beklagte behauptet hat, die Auszubildende Y habe das Kündigungsschreiben zur Post gebracht, hat der Kläger diese Behauptung nicht substantiiert bestritten. Er hat lediglich pauschal bestritten, dass das Kündigungsschreiben vom 26.06.2020 versendet worden sei. Im Übrigen ist zwischen den Parteien unstreitig, dass das Kündigungsschreiben vom 26.06.2020 im Termin des Klägers bei der Agentur für Arbeit am Montag oder Dienstag, den 29. oder 30.06.2020, vorgelegt werden sollte, so dass seine Versendung quasi „verabredet“ und nicht ins Blaue hinein von der Beklagten behauptet worden ist. Die Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht, dass der Brief, mit dem die Kündigung am 26.06.2020 versandt worden sei, nicht an sie zurückgelaufen sei, ist unstreitig geblieben.

Diese Beweisanzeichen für den Zugang der streitgegenständlichen Kündigung vom 26.06.2020 werden durch weitere Umstände bestätigt.

Der Kläger hat den im Chatverlauf am 26.06.2020 mitgeteilten Termin bei der Agentur für Arbeit am 29./30.06.2020 tatsächlich wahrgenommen, den er vorher vom Erhalt des Kündigungsschreibens abhängig gemacht hat. Soweit er schriftsätzlich die Auffassung vertritt, es lasse sich nicht der Umkehrschluss ziehen, dass er nicht zur Arbeitsagentur gehen könne, wenn er keine Kündigung erhalten habe, stellt dies kein ausreichendes Bestreiten der entsprechenden Behauptung der Beklagten i. S. d. § 138 Abs. 2 und 4 ZPO dar. Der Kläger stellt Vermutungen an, ohne nähere Einzelheiten seines unstreitig stattgefundenen Gesprächs bei der Agentur für Arbeit mitzuteilen. Auch seine Erklärungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht genügen insoweit nicht. So ist für die Kammer schon nicht nachvollziehbar, dass sich der Kläger an das Datum des Gesprächstermins bei der Agentur für Arbeit nicht erinnerte. Nach seinen Angaben im Chat mit der Kollegin W. am 29.06.2020 befürchtete er, sich das Haus mit Arbeitslosengeld nicht leisten zu können. Die (rechtzeitige) Beantragung von Arbeitslosengeld war damit im unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse des Klägers, so dass seine Gedächtnislücke nicht plausibel erscheint. Der Kläger ließ zudem offen, wann er welche Kündigung der Agentur für Arbeit eingereicht hat, aufgrund derer ihm seit dem 03.08.2020 Arbeitslosengeld bewilligt worden ist. Dies hat zur Folge, dass die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe nach Erhalt der streitgegenständlichen Kündigung vom 26.06.2020 spätestens am 30.06.2020 gemäß seiner Ankündigung vom 26.06.2020 das Arbeitsamt aufgesucht, nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen ist. Die Einlassungen des Klägers sind außerdem widersprüchlich. Ihm wäre Arbeitslosengeld ab 03.08.2020 aufgrund der am 03.08.2020 übergebenen außerordentlichen fristlosen Kündigung vom selben Tag regelmäßig nicht bewilligt, sondern eine Sperrzeit verhängt worden, § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III.

Vor allem aber verhielt sich der Kläger in der E-Mail-Korrespondenz vom 07.07.2020 entsprechend einer ihm bis zum 30.06.2020 zugegangenen schriftlichen Kündigung vom 26.06.2020 zum 31.07.2020. Auf Bitten des Vorstands der Beklagten teilte er unter Abänderung der zunächst vorgesehenen Urlaubstage im August 2020 seine Urlaubsplanung bis zum 31.07.2020 mit. Zudem kündigte er die Rückgabe der Arbeitsmittel bestehend aus Laptop und Schlüssel zum 03.08.2020 an. Beide Erklärungen dienten dazu, das Arbeitsverhältnis zum vorgesehenen Kündigungstermin am 31.07.2020 abzuwickeln. In diesem Zusammenhang kann der Kläger nicht geltend machen, er sei am 07.07.2020 von der Wirksamkeit der ihm am 24.06.2020 ausgesprochenen mündlichen Kündigung ausgegangen. Hiergegen spricht bereits die Microsoft Teams-Nachricht vom 26.06.2020, mit der er den Besuch bei der Agentur für Arbeit davon abhängig machte, „wann die Kündigung ankommt“. Zudem wusste der Kläger jedenfalls nach seinem Termin bei der Agentur für Arbeit, dass es auf die schriftliche Kündigung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ankam. Die Agentur für Arbeit hatte dem Kläger gesagt, dass jetzt alles aufgenommen und dann abgewartet werde, bis eine schriftliche Kündigung eingereicht werde. Schließlich soll ihm im Trennungsgespräch am 24.06.2020 mündlich ohne Angabe eines Kündigungstermins gekündigt worden sein. Der Kläger musste also die schriftliche Kündigung vom 26.06.2020 zum 31.07.2020 erhalten haben, um am 07.07.2020 zu wissen, dass er Urlaub bis zum 31.07.2020 nehmen und Arbeitsmittel spätestens am 03.08.2020 zurückgeben musste, wie er dies per E-Mail am 07.07.2020 gegenüber dem Vorstand der Beklagten ankündigte.

Schließlich ist nicht vorstellbar, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt im Verlauf des Juli 2020 gegenüber der Beklagten nachfragte, was mit der Kündigung und der Sachstand seines Arbeitsverhältnisses sei, wenn ihm die am 24.06.2020 angekündigte und von ihm sogar per E-Mail vom 26.06.2020 nachgefragte Kündigung nicht zugegangen wäre. Gleichermaßen wird seine Mitteilung an die externe Dienstleisterin Frau B. in der E-Mail vom 29.06.2020, 16:00 Uhr, wonach er sich nicht mehr um die Angelegenheiten kümmere, nur verständlich, wenn ihm vorher schriftlich zum 31.07.2020 gekündigt worden war und er damit zur Arbeitsleistung nicht mehr verpflichtet war. Denn nach der bereits erwähnten Angabe des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht München ist ihm am 24.06.2020 seitens des Vorstands der Beklagten mündlich ohne Angabe des Kündigungstermins gekündigt worden. Ohne Erhalt der streitgegenständlichen Kündigung vom 26.06.2020 zum 31.07.2020 konnte der Kläger nicht wissen, dass er sich um dienstliche Angelegenheiten nicht mehr kümmern bräuchte.

Diese rechtliche Würdigung ergibt sich auf der Grundlage der Einlassungen und Korrespondenzen des Klägers, nicht aber aufgrund des Sachvortrags der Beklagten mit der Folge, dass diesbezügliche Widersprüchlichkeiten dahinstehen können.

d) Mit Zugang der streitgegenständlichen Kündigung vom 26.06.2020 spätestens am 30.06.2020 hätte der Kläger bis spätestens 21.07.2020 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Rosenheim erheben müssen. Tatsächlich hat er Kündigungsschutzklage einschließlich eines allgemeinen Feststellungsantrags erst am 13.08.2020 beim Arbeitsgericht Rosenheim eingereicht. Damit war die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG verstrichen. Auch eine rechtzeitige Geltendmachung i. S. d. §§ 5 und 6 KSchG liegt nicht vor.

2. Hat die dem Kläger bis spätestens 30.06.2020 zugegangene Kündigung vom 26.06.2020 das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits aufgelöst, kommt es auf die weitere Streitfrage zwischen den Parteien, ob das Kündigungsschreiben vom 26.06.2020 dem Kläger am 26.06.2020 persönlich übergeben worden ist, nicht mehr an. Ebenso kann es dahinstehen, ob eine wirksame mündliche oder schriftliche Kündigung vom 24.06.2020 zum 31.07.2020 vorliegt.

III.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ArbGG.

IV.

Es lag kein Grund i. S. d. § 72 Abs. 2 ArbGG vor, Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

 

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