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Arbeitnehmerkündigung durch Geschäftsführer – Vertretungsbefugnis

ArbG Bonn – Az.: 5 Ca 2234/15 – Urteil vom 20.04.2016

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 17.09.2015 zum 31.03.2016 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als W. in C. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Klageantrag zu 1) weiterzubeschäftigen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 82.151,35 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der am  .1969 geborene, verheiratete Kläger hat ein Kind. Er ist seit dem 19.11.2001 bei der Beklagten, einer deutschen Tochtergesellschaft eines weltweit führenden Anbieters für elektronische Einkaufslösungen, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, zuletzt als W. bei einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt (einschließlich eines geldwerten Vorteils PKW und eines Bonus) von etwa 16.430,27 EUR beschäftigt.

Neben dem Kläger als M. ist in dieser Abteilung seit dem 01.02.2015 ein weiterer Mitarbeiter, I., als K. beschäftigt.

Im August 2015 wurde die I., der die Beklagte angehört, von Q. übernommen.

Am 10.09.2015 sandte I.. eine in englischer Sprache abgefasste E-Mail an alle I.-Mitarbeiter, in der er Bezug auf eine Abschiedsnachricht eines Herrn H., der zuvor D. I. T., war, als D. nahm und ferner ausführte, künftig sei er, I., „D. for I.“.

Am 17.09.2015 (oder am 14.09.2015) wurde I., der D. von Q., zum neuen Geschäftsführer der Beklagten bestellt. Seine Vorgängerin war E..

Mit Schreiben vom 17.09.2015, das dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.03.2016. Das Kündigungsschreiben ist von H. unterzeichnet. Unter der Unterschrift ist der Name des Unterzeichnenden in gedruckter Schrift wiedergegeben mit dem Zusatz „Geschäftsführer“.

Unter dem 21.09.2015 schrieb der Kläger der Beklagten, ihm sei nicht bekannt, dass I. vertretungsberechtigt sei, eine Vollmacht sei dem Kündigungsschreiben nicht beigefügt gewesen. Der Kläger führte weiter aus, er beanstande die Vertretungsmacht und erkläre, dass er mit der Kündigung ohne die entsprechende Vertretungsmacht nicht einverstanden sei. Für den Fall, dass Vertretungsmacht bestanden haben sollte, erklärte er die Zurückweisung der Kündigung wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde im Original.

Hierauf antwortete die Beklagte unter dem 22.09.2015, dass I. als Geschäftsführer unterschrieben habe. Am 24.09.2015 wurde I.. als Geschäftsführer der Beklagten in das Handelsregister eingetragen.

Mit seiner am 29.09.2015 vorab per Telefax bei Gericht eingegangenen Klage, die der Beklagten am 02.10.2015 zugestellt worden ist, wendet sich der Kläger gegen die Kündigung vom 17.09.2015 und begehrt von der Beklagten zudem die Erteilung eines Zwischenzeugnisses sowie seine Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Nach Rücknahme eines zunächst angekündigten allgemeinen Feststellungsantrags beantragt der Kläger nunmehr,

1.)  festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 17.09.2015 zum 31.03.2016 nicht aufgelöst worden ist,

2.)  die Beklagte zu verurteilen, ihm, dem Kläger, ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt,

3.)  hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.) die Beklagte zu verurteilen, ihm, dem Kläger, ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt,

4.)  für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.) die Beklagte zu verurteilen, ihn, den Kläger, zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als W. in C. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Kläger habe bereits im Vorfeld bei einer Geschäftsreise nach Amerika Kenntnis davon erlangt, dass I.. zum neuen Geschäftsführer der Beklagten bestellt werde; unmittelbar nach seiner Bestellung zum Geschäftsführer habe I. im Rahmen einer Strategiebesprechung mit dem Leiter Recht von Q. und der Personalleiterin der Beklagten in seiner Funktion als alleiniger Geschäftsführer die unternehmerische Entscheidung getroffen, die Organisationsstruktur an die bei Q. bestehende Struktur anzupassen; dabei habe er eine Verschlankung der Strukturen entschieden, verbunden mit dem Wegfall einzelner Positionen und der Einbindung in Q. Strukturen; von dieser Entscheidung seien insgesamt vier Positionen betroffen, darunter die Position des M.; die Stelle des Klägers sei ersatzlos gestrichen worden; Hintergrund sei, dass Q. bereits mit Herrn K. über einen M. verfüge; der Arbeitsplatz des Klägers sei durch die Zusammenlegung der Strukturen mit den bei Q. bestehenden Strukturen und der damit einhergehenden Verschlankung ersatzlos weggefallen; die Aufgaben des Klägers hätten sich in erheblichem Maße mit den Aufgaben des M. von Q. überschnitten; anderweitige freie Arbeitsplätze bestünden bei ihr nicht.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Zurückweisung der Kündigung durch den Kläger sei nicht rechtswirksam erfolgt, da I. bereits zum Geschäftsführer bestellt gewesen sei und § 174 BGB überdies keine Anwendung im Fall einer gesetzlichen oder organschaftlichen Vertretung finde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.  Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.09.2015 nicht aufgelöst.

Die Kündigung vom 17.09.2015 ist gem. § 174 Satz 1 BGB unwirksam. Der Unterzeichner der Kündigung, I.., hat bei Ausspruch der Kündigung keine Vollmacht vorgelegt. Der Kläger hat die Kündigung aus diesem Grund am 21.09.2015 – und damit ohne schuldhaftes Zögern – zurückgewiesen.

Die Kündigung vom 21.09.2015 wurde durch einen Bevollmächtigten im Sinne von § 174 Satz 1 BGB ausgesprochen. Dem steht nicht entgegen, dass § 174 BGB nicht gilt, wenn die Vertretung auf gesetzlicher Grundlage oder durch einen organschaftlichen Vertreter erfolgt (vgl. BAG, Urteil vom 20. September 2006 – 6 AZR 82/06 -, juris, Rn. 39 f.). Denn I.. galt gem. § 15 Abs. 1 HGB im Verhältnis zum Kläger nicht als organschaftlicher Vertreter.

Die Stellung des I.. als Geschäftsführer – und damit seine organschaftliche Vertretungsbefugnis – kann die Beklagte dem Kläger nicht entgegenhalten. Solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, kann sie gem. § 15 Abs. 1 HGB von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, dass sie diesem bekannt war.

Die Bestellung zum Geschäftsführer einer GmbH ist eine eintragungspflichtige Tatsache, §§ 10 Abs. 1, 39 Abs. 1 GmbHG. Die Eintragung des I.. als Geschäftsführer war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim Kläger und zu dem Zeitpunkt, als der Kläger die Zurückweisung der Kündigung erklärte, nicht in das Handelsregister eingetragen und bekanntgemacht.

Dabei ist es unerheblich, dass die Eintragung des Geschäftsführers rein deklaratorisch ist, die Geschäftsführereigenschaft des I.. also durch die Bestellung bereits begründet worden war. Denn § 15 Abs. 1 HGB gilt auch für Eintragungen, denen rein deklaratorische Bedeutung zukommt (vgl. EBJS/Gehrlein, HGB, 3. Aufl., § 15 Rn. 6; Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl., § 15 Rn. 5). Das Gesetz stellt nämlich allein auf die Eintragungspflicht ab, nicht darauf, ob diese rein deklaratorische Bedeutung hat oder ob ihr konstitutive Wirkung zukommt.

Auch in Fällen, in denen die Eintragung rein deklaratorischen Charakter hat, kann derjenige, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, hier also die Beklagte, sich nicht auf die einzutragende Tatsache, hier die Geschäftsführereigenschaft des I.., berufen, solange Eintragung und Bekanntmachung nicht erfolgt sind, es sei denn, der Dritte – hier der Kläger – hatte von der einzutragenden Tatsache – hier also der Bestellung von I.. zum Geschäftsführer der Beklagten – Kenntnis.

Eine Kenntnis des Klägers von der Bestellung des I.. zum Geschäftsführer der Beklagten ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit die Beklagte behauptet, der Kläger habe diese Kenntnis durch Geschäftsreise nach Amerika erlangt, hat der Kläger dies bestritten. Die Beklagte hat auch keine dem Beweise zugänglichen Tatsachen vorgetragen, aus denen sich Anhaltspunkte für eine positive Kenntnis des Klägers von der Bestellung des I.. zum Geschäftsführer ergeben könnten. Diese Bestellung ist nach dem – unbestrittenen – Vorbringen der Beklagten am 17.09.2015 (Bl. 66 GA) oder am 14.09.2015 (Bl. 285 GA) erfolgt. Wann die Geschäftsreise des Klägers, bei der er Kenntnis von der Bestellung des I.. zum Geschäftsführer erlangt haben soll, stattgefunden hat, ist nicht erkennbar. Daher musste die Kammer annehmen, dass diese vor dem 14.09.2015 bzw. vor dem 17.09.2015 stattgefunden hat und der Kläger daher allenfalls Kenntnis von einer beabsichtigten Bestellung des I.. erlangen konnte, nicht aber von einer tatsächlich erfolgten Bestellung.

Die Kenntnis von einer etwa beabsichtigten Bestellung zum Geschäftsführer steht aber nicht der Kenntnis einer in der Folgezeit tatsächlich erfolgten Bestellung gleich. Denn § 15 Abs. 1 HGB sieht vor, der Dritte sich nur dann nicht auf den Schutz der negativen Publizität des Handelsregisters verlassen kann, wenn er positive Kenntnis von der eintragungspflichtigen Tatsache hat. Bereits grob fahrlässige Unkenntnis reicht nicht aus. Erst recht kann daher die Kenntnis von Umständen nicht ausreichen, die den Schluss zulassen, die eintragungspflichtige Tatsache werde – zu einem dem Dritten nicht genau bekannten Zeitpunkt – demnächst eintreten.

Der Kläger hatte auch durch die E-Mail vom 10.09.2015 keine Kenntnis von der Geschäftsführerstellung des I.. Zu diesem Zeitpunkt war I.. überhaupt noch nicht zum Geschäftsführer bestellt worden. Überdies wird in dieser E-Mail auf die Verabschiedung des D. der I. T., der Muttergesellschaft der Beklagten Bezug genommen. Demgemäß ist nicht erkennbar, dass durch diese E-Mail eine Information darüber erfolgen sollte, dass I.. zum Geschäftsführer der Beklagten – und nicht (lediglich) der Muttergesellschaft – bestellt worden ist. Eine Bestellung des I.. zum Geschäftsführer der Beklagten war ja auch tatsächlich noch nicht erfolgt.

Da die Beklagte dem Kläger die Bestellung des I.. zum Geschäftsführer – und die damit einhergehende organschaftliche Vertretungsmacht, die nur im Falle der Bestellung besteht – gem. § 15 Abs. 1 HGB nicht entgegenhalten kann, hat I.. gegenüber dem Kläger als Bevollmächtigter im Sinne von § 174 Satz 1 BGB und nicht als organschaftlicher Vertreter gehandelt.

Gleichwohl ist Kündigung auch dann unwirksam, wenn man davon ausgeht, dass in der Bestellung zum Geschäftsführer, auf die sich die Beklagte sich gegenüber dem Kläger hier nicht berufen kann, jedenfalls auch die Erteilung von Vollmacht nach § 167 BGB zur Vornahme aller mit der Bestellung zum Geschäftsführer einhergehenden Geschäfte enthalten ist.

Diese Vollmacht stellt sich als rechtsgeschäftliche Vollmacht und nicht als organschaftliche Vollmacht dar und unterliegt als solche der Zurückweisungsmöglichkeit gem. § 174 Satz 1 BGB, von der der Kläger hier Gebracht gemacht hat.

Da der Kläger keine Kenntnis von der Bestellung des I.. zum Geschäftsführer und der Erteilung einer Vollmacht zum Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung hatte, war die Möglichkeit der Zurückweisung nicht gem. § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen.

II.  Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Ein solches ist dem Arbeitnehmer aufgrund arbeitsvertraglicher Nebenpflicht dann zu erteilen, wenn ein berechtigtes Interesse vorliegt. Da die Beklagte eine Kündigung ausgesprochen hat, ist ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Erteilung eines Zwischenzeugnisses gegeben.

III.  Der Klageantrag zu 3.) ist wegen des Obsiegens des Klägers mit dem Klageantrag zu 1.) nicht zur Entscheidung angefallen.

IV.  Die Beklagte ist zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verpflichtet. Insoweit kann auf die Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichtes zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch vom 27.02.1985 – GS 1/84 – (= BAGE 48, 122, 129) verwiesen werden. Überwiegende schutzwürdige Interessen, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers für die Dauer des Rechtstreits entgegen stehen, sind nicht erkennbar.

V.  Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, 1. Hs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Der vom Kläger zurückgenommene allgemeine Feststellungsantrag ist dabei außer Betracht geblieben, da ihm ein eigener Streitwert nicht zukommt. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO. Sie orientiert sich hinsichtlich des Klageantrags zu 1.) der Höhe nach an der in § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertentscheidung. Die Klageanträge zu 2.) und zu 4.) wurden jeweils mit einer Bruttomonatsvergütung bewertet.

Das nachinstanzliche Verfahren 12 Sa 483/16, LAG Köln, wurde durch Vergleich beendet.

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