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Arbeitnehmerkündigung wegen Tätlichkeiten am Arbeitsplatz –Beweiswürdigung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 8 Sa 37/18 – Urteil vom 04.12.2018

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.12.2017 – 4 Ca 3709/16 – wird auf die Berufung des Klägers abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 17.11.2016 und nicht durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 17.11.2016, jeweils zugegangen am 18.11.2016, aufgelöst worden ist.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch eine von der Beklagten behauptete Eigenkündigung des Klägers vom 16.11.2016 zum 31.12.2016 beendet worden ist.

4. Die Hilfswiderklage wird abgewiesen.

5. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten sowie darüber, ob auch der Kläger eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt hat.

Der am … Oktober 1972 geborene Kläger ist verheiratet und hat vier Kinder. Er war bei der Beklagten seit dem 1. Oktober 2006 als Küchenhilfe zunächst auf Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags vom 18. September 2006 (Bl. 24 ff. d.A.) und dann auf Grundlage eines unbefristeten Arbeitsvertrags vom 27. September 2007 (Bl. 27 ff. d.A.) zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt rund 1.330,30 Euro beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der „Manteltarifvertrag für das Hotel und Gaststättengewerbe“ mit den dort in § 2 Satz 4 geregelten Kündigungsfristen Anwendung; diese entsprechen den gesetzlichen Fristen. Der Kläger, der sich erstinstanzlich wegen des Verlusts seines linken Auges – er trägt eine Augenprothese – auf das Vorliegen einer offensichtlichen Schwerbehinderung berufen hat, hat im Berufungsverfahren unbestritten mitgeteilt, dass bei ihm „inzwischen“ ein Grad der Behinderung von 30 anerkannt worden sei; seinem Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen vom 30. Januar 2018 wurde gemäß einem vom Kläger vorgelegten Schreiben der Agentur für Arbeit Saarland vom 1. März 2018 (Bl. 394 d.A.) nicht entsprochen.

Die Beklagte erbringt betriebsgastronomische Leistungen (Catering) und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 KSchG. Sie betreibt ua. eine Kantine auf dem Gelände eines Automobilzulieferers in K, wo der Kläger zuletzt eingesetzt war. Betriebsleiter dieser Kantine und Vorgesetzter des Klägers ist Herr E., geboren am … September 1972. Herr E. war nicht kündigungsbefugt.

Am 16. November 2016 kam es um die Mittagszeit in der Kantine zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und Herrn E.. Die Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig. Als der Kläger am 17. November 2016 die Arbeit wieder aufnehmen wollte, wurde ihm ein Hausverbot erteilt.

Mit Schreiben vom 17. November 2016 (Bl. 30 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis „außerordentlich fristlos mit sofortiger Wirkung, hilfsweise fristgerecht zum nächst möglichen Zeitpunkt“. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 18. November 2016 zu.

Mit seiner am 28. November 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 6. Dezember 2016 zugestellten Klage hat sich der Kläger (u.a.) gegen die Kündigung vom 17. November 2016 gewandt.

Er hat vorgetragen, Tatsachen, die einen wichtigen Grund iSd. § 626 BGB oder einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG darstellten, lägen nicht vor.

Die Vorgänge am 16. November 2016 hätten sich wie folgt zugetragen: Gegen 9:00 Uhr habe Herr E. ihn am Arm genommen und gefragt, ob er wisse, warum Frau K., eine weitere in der Kantine tätige Mitarbeiterin, gekündigt habe. Er (der Kläger) habe wahrheitsgemäß geantwortet, er gehe davon aus, dass das seinen Grund in der Behandlung der Frau K. durch Herrn E. habe. Herr E. habe nämlich Frau K. belästigt. Nicht zutreffend sei, dass Frau K. seinetwegen (des Klägers wegen) habe kündigen wollen. Als verheirateter Familienvater habe er auch kein außereheliches Verhältnis mit Frau K.. Diese sei die Lebensgefährtin seines Bruders, des Herrn A.. Zudem achte er – der Kläger – Frauen genauso wie Männer. Er habe seine Kolleginnen also auch nicht abwertend behandelt.

Arbeitnehmerkündigung wegen Tätlichkeiten am Arbeitsplatz –Beweiswürdigung
(Symbolfoto: Von Red Umbrella and Donkey/Shutterstock.com)

Um 10:55 Uhr habe er mit Frau K. und Frau H. gemeinsam eine Zigarettenpause gemacht. Frau H. sei etwas früher zurück zur Arbeit gegangen. Als er und Frau K. die Arbeit wieder aufnehmen wollten, sei er von Herrn E. in Anwesenheit der Herren F. und G. gefragt worden, ob er seine Hose getauscht habe. Hierbei habe es um eine Anspielung auf die unwahre Behauptung eines außerehelichen Verhältnisses mit Frau K. gehandelt. Die anderen hätten gelacht. Er habe den Zeugen E. aufgefordert, mit diesen Sachen aufzuhören.

Danach hätten alle weitergearbeitet, wobei Herr G. und er zur Ausgabe gegangen seien und Frau K. und Frau H. zur Kasse, die etwa 15 bis 20 Meter entfernt sei. Als er angefangen habe, den Wärmeschrank auszuräumen, sei Herr E. zu ihm gekommen und habe gesagt: „Ich mache jetzt Platz hier!“ und habe gelacht. Er habe erwidert, dass er „das“ mit der Zeugin K. nicht in Ordnung finde. Herr E. habe darauf gesagt, wenn er wolle, könne er ihm auch kündigen. Er (der Kläger) habe hierauf wörtlich erwidert: „Wenn du willst, kannst du das machen.“ Herr E. sei dann in sein Büro gelaufen und kurz darauf mit einem Schreiben zurückgekommen. Dies sei so schnell gegangen, dass Herr E. dieses offenbar schon vorbereitet gehabt habe. Herr E. habe ihm das Schreiben zur Unterschrift übergeben. Er (der Kläger) sei mit dem Schreiben in das Büro des Herrn E., einen sehr kleinen Raum, gegangen und habe sich auf einen dort befindlichen Stuhl gesetzt, einen Stift genommen und das Kündigungsschreiben unterzeichnet. Herr E. habe vom Wärmeschrank aus zugesehen. Das Kündigungsschreiben habe er – der Kläger – dann jedoch mit der linken Hand an sich genommen, um es einzustecken. Herr E. sei sofort angelaufen gekommen und habe gesagt: „Das musst du mir geben.“ Dabei habe er versucht, ihm das Schreiben aus der Hand zu nehmen. Herr E. habe den Stuhl, auf dem er (der Kläger) gesessen habe, hin und her geschoben. Er habe versucht, Herrn E. mit der rechten Hand von sich wegzuschieben. Er habe nicht aufstehen können, weil hinter ihm die Tür gewesen sei und vor ihm der Zeuge E.. Schließlich sei es ihm gelungen, die Kündigung in seine Tasche zu stecken. Herr E. habe ihn dann mit beiden Händen gepackt. Er (der Kläger) habe – lediglich zur Abwehr des Angriffs – versucht, Herrn E. an den Armen festzuhalten. Er habe Herrn E. nie am Hals oder im Halsbereich gepackt oder gar gewürgt.

Der dann hinzugekommene Zeuge G. und der kurz danach weiter hinzugekommene Zeuge F. hätten eingegriffen. Der Zeuge F. habe Herrn E. festgehalten und der Zeuge G. habe sich dem Kläger zugewandt und alle aus dem Büro rausgebracht. Erst dann seien die Zeuginnen H. und K. dazugekommen. Ein Angriff seinerseits auf den Zeugen E. sei geradezu absurd, weil der er (der Kläger) kleiner, leichter und älter als Herr E. sei. Es sei auch nicht erklärbar, wie es ihm (dem Kläger) gelungen sein sollte, das Kündigungsschreiben unbemerkt aus dem Postausgang, wo es sich nach dem ursprünglichen Vortrag der Beklagten befunden haben sollte, zu entwenden.

Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung erweise sich im Übrigen auch als unverhältnismäßig. Im Rahmen der Interessenabwägung müsse zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, dass er seiner Ehefrau und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtet sei, 44 Jahre alt und seit mehr als zehn Jahren im Unternehmen der Beklagten beschäftigt. Auch seine gesundheitlichen Gegebenheiten müssten berücksichtigt werden. Schließlich fehle es an einer einschlägigen Abmahnung.

Die Hilfswiderklage sei angesichts des von ihm gestellten allgemeinen Feststellungsantrags unzulässig. Dieser beziehe sich ausdrücklich darauf, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch eine von der Beklagten behauptete Eigenkündigung vom 16. November 2016 zum 31. Dezember 2016 sein Ende gefunden habe. Eine Eigenkündigung habe es im Übrigen mangels willentlicher Abgabe einer Erklärung durch ihn ohnehin nicht gegeben.

Der Kläger hat zuletzt beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten weder durch die außerordentliche, fristlose Kündigung vom 17. November 2016 aufgelöst worden ist noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 17. November 2016 aufgelöst werden wird.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst wird, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

3. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird zum 31. März 2017 aufgelöst und die Beklagte wird zur Zahlung einer angemessenen Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 12.500 Euro nicht unterschreiten sollte, verurteilt.

Die Beklagte hat beantragt: Die Klage wird abgewiesen.

Im Wege der (Hilfs-)Widerklage hat sie weiter beantragt, hilfsweise für den Fall, dass das Arbeitsgericht das Anstellungsverhältnis nicht als durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. November 2016 als beendet ansieht:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der vom Kläger am 16. November 2016 erklärten Kündigung mit Ablauf des 31. Dezember 2016 sein Ende gefunden hat.

Der Kläger hat beantragt: Die Widerklage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat vorgetragen: Das Beschäftigungsverhältnis der Parteien sei belastet gewesen, weil der Kläger das Betriebsklima in der Kantine durch respektlose und herablassende Äußerungen insbesondere gegenüber weiblichen Beschäftigten erheblich beeinträchtigt habe. Auch gegenüber dem Betriebsleiter der Kantine, Herrn E., sei der Kläger immer wieder aggressiv und respektlos aufgetreten und habe versucht, dessen Autorität zu untergraben. Deswegen habe der Bezirksleiter für die Region Mittelrhein, Herr Z, zuletzt Mitte Oktober 2016 ein Personalgespräch mit dem Kläger geführt und ihn aufgefordert, das als herablassend und aggressiv empfundene Verhalten zu ändern.

Am Mittwoch, den 16. November 2016, sei im Betrieb bekannt geworden, dass der verheiratete Kläger ein außereheliches Verhältnis mit der ebenfalls in der Kantine beschäftigten Mitarbeiterin K. habe. Diese habe sich am späten Vormittag desselben Tages an den Betriebsleiter, Herrn E., gewandt und mitgeteilt, dass sie das Beschäftigungsverhältnis nach Bekanntwerden der Affäre beenden möchte. Herr E. habe Frau K. empfohlen, diesen Schritt noch einmal zu überdenken.

Kurz darauf sei etwa gegen 13:00 Uhr der Kläger beim Zeugen E. erschienen und habe erklärt, ebenso wie Frau K. kündigen zu wollen. Dabei habe er sinngemäß geäußert: „Wenn die geht, gehe ich auch.“ Herr E. habe daraufhin erklärt, dass er gegen eine Kündigung des Klägers nichts einzuwenden habe, hierfür jedoch eine schriftliche Kündigungserklärung benötige. Daraufhin habe der Kläger ihn aufgefordert, am Computer im Betriebsleiterbüro ein entsprechendes Schreiben aufzusetzen, mit dem das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Dezember 2016 beendet werde. Herr E. habe an seinem Computer eine entsprechende Erklärung gefertigt. Das Schreiben habe er ausgedruckt, der Kläger habe es sodann unterzeichnet und an Herrn E. zurückgegeben.

Als Herr E. die Kündigung in die für die Zentrale der Beklagten bestimmte Hauspost habe legen wollen, habe der Kläger Herrn E. lautstark und in sehr aggressiven Ton aufgefordert, ihm die Kündigung wieder zurückzugeben. Nachdem Herr E. dies abgelehnt habe, habe der Kläger ihn körperlich angegriffen. Er habe Herrn E. am Hals gepackt und ihn in die Ecke des Betriebsleiterbüros gedrückt. Er habe erst von Herrn E. abgelassen, nachdem Kollegen zu Hilfe gekommen seien und es insbesondere Herrn G. gelungen sei, den Kläger von Herrn E. zu trennen. Der Kläger habe Herrn E. dabei so fest am Hals gepackt, dass sich seine Fingernägel oberflächlich in den Nacken des Zeugen E. gepresst hätten und dort unterhalb des Haaransatzes zwei kleinere blutige Abschürfungen hinterlassen hätten.

Dem Kläger sei es gelungen, unmittelbar nach diesem Vorfall das Kündigungsschreiben wieder an sich zu nehmen. Er habe dann unter Ausspruch lauter Beschimpfungen und Drohungen in Bezug auf den Betriebsleiter E. zunächst die Küche und sodann die gesamte Kantine verlassen.

Wenn der Kläger darauf verweise, dass er jünger und leichter als Herr E. sei, so müsse klargestellt werden, dass der Kläger lediglich einen Monat jünger sei als der am 12. September 1972 geborene Herr E. und dass der Kläger selbst etwa 100 kg wiege, während Herr E. etwa 120 kg schwer sei. Es gebe auch keine Regel, wonach stets nur ein älterer und schwererer Mensch einen jüngeren und leichteren angreife.

Anders als der Kläger behaupte, hätten sich die Zeuginnen H. und I. seinerzeit im Bereich der Küche aufgehalten, Frau J. an der Ausgabe. Sie hätten deshalb zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vorfalls das Betriebsleiterbüro einsehen können.

Aufgrund der Tätlichkeiten des Klägers sei die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt. Zu berücksichtigen sei, dass der Kläger Herrn E. um die Ausfertigung einer Kündigung gebeten habe. Im Rahmen der Interessenabwägung wiege die zehnjährige Betriebszugehörigkeit des Klägers nicht schwerer als die beschriebene Pflichtverletzung.

Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis entweder durch die von ihr hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 31. März 2017 geendet oder durch die Eigenkündigung des Klägers zum 31. Dezember 2016. Durch Übergabe des von ihm unterzeichneten Kündigungsschreibens an Herrn E. sei das Schreiben in ihren Machtbereich gelangt und damit zugegangen. Dieser Zugang werde nicht dadurch rückgängig gemacht, dass sich der Kläger das Kündigungsschreiben danach wieder angeeignet habe.

Zur Darstellung der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 4. Dezember 2017 (Bl. 234 – 246 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat, nachdem es im Kammertermin vom 7. August 2017 einen Beweisbeschluss (Bl. 191 d.A.) verkündet hat, Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen F., E. und H.. Eine nach dem Beweisbeschluss ebenfalls vorgesehene Vernehmung der weiteren Zeugen G., I. und J. fand nicht statt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle zum Kammertermin vom 7. August 2017 (Bl. 188 – Bl. 196 d.A) und vom 4. Dezember 2017 (Bl. 215 -230 d.A) Bezug genommen.

Mit Urteil vom 4. Dezember 2017 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seien hinsichtlich des Ablaufs der Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und Herrn E. im Wesentlichen die Darlegungen der Beklagten der Entscheidung zu Grunde zu legen. Es sei von einem tätlichen Angriff des Klägers auf den Zeugen E. auszugehen, der einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstelle. Maßgeblich für die Überzeugungsbildung sei die Vernehmung der Zeugin H. gewesen, die nachvollziehbar geschildert habe, wie der Kläger den Zeugen E. körperlich angegriffen habe. Der Zeuge G. habe wegen des widersprüchlichen Vortrags des Klägers und sich ausschließender Beweisthemen, zu denen der Zeuge benannt worden sei, nicht mehr vernommen werden müssen. Die gegenbeweislich angebotene Zeugin K. sei nicht zu vernehmen gewesen, weil nicht ersichtlich gewesen sei, dass ihre Einvernahme zu einer Erschütterung des Hauptbeweises hätte führen können. Schließlich führe auch die nach § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmende einzelfallabhängige Interessenabwägung nicht zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 17. November 2016 mit deren Zugang am 18. November 2016 aufgelöst worden sei, sei auch der allgemeine Feststellungsantrag, der nach den Erklärungen des Klägers auf seine – vermeintliche – Eigenkündigung zum 31. Dezember 2016 zu beziehen sei, abzuweisen. Zur weiteren Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 14 bis 27 dieses Urteils (Bl. 246 – 259 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 11. Januar 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 9. Februar 2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 8. Februar 2018 Berufung eingelegt und diese, nachdem die Frist zur Berufungsbegründung bis 12. April 2018 verlängert wurde, mit am 9. April 2018 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag begründet.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, auf Grund seiner sprachlichen Einschränkungen, die Besprechungen mit seinem (damaligen) Prozessbevollmächtigten erschwert hätten und wegen der durch seine Behinderung verursachten Wahrnehmungsdefizite sei es kaum möglich, der von der Rechtsprechung grundsätzlich geforderten Darlegungslast hinsichtlich der vorliegenden tatsächlichen Vorgänge zu genügen, auch wenn er daran persönlich beteiligt gewesen sei.

Hinsichtlich der Abläufe am 16. November 2016 trägt er zuletzt vor: Gegen 13.00 Uhr habe Herr E. zu ihm (dem Kläger) am Wärmeschrank gesagt: „Wenn du willst, kann ich dich auch kündigen“, worauf er erwidert habe: „Wenn du willst, kannst du das machen“. Daraufhin habe der Zeuge E. ihm auf einem Klemmbrett einschließlich eines darauf steckenden Kugelschreibers die Eigenkündigung mit den Worten gereicht: „Das kannst du hier unterschreiben“. Daraufhin habe er zum Zeugen E. am Wärmeschrank gesagt: „Einen Moment“ und bei sich gedacht: „Jetzt bin ich dran.“ Mit dem Klemmbrett und dem Kuli und der darauf befindlichen Eigenkündigung habe er sich daraufhin ohne erkennbare Auseinandersetzung mit dem Zeugen E. alleine in das Betriebsleiterbüro begeben, um dieses Schriftstück zu lesen, was ihm wegen seiner unzureichenden Deutschkenntnisse nicht leichtgefallen sei. Als er dazu angesetzt habe, das Schreiben zu unterschreiben, habe sich der Zeuge E., der sich in diesem Moment noch immer am Wärmeschrank befunden habe, in Bewegung gesetzt. Er (der Kläger) habe daraufhin das – wie er im ersten Kammertermin beim Landesarbeitsgericht am 23. Oktober 2018 klarstellte – nicht unterschriebene Eigenkündigungsschreiben vom Klemmbrett abgezogen und zerknüllt. Es habe sich – so der Kläger weiter im Kammertermin am 23. Oktober 2018 – um eine fristlose Eigenkündigung zum 16. November 2016 gehandelt. Der Zeuge E. habe ihn dann angegriffen indem er ihn mit beiden Händen von oben einwirkend angepackt habe unter lautstarker Aufforderung, unverzüglich die Eigenkündigung auszuhändigen. Er (der Kläger) habe zu diesem Zeitpunkt immer noch das zerknüllte Kündigungsschreiben in seiner mit dem linken Arm ausgestreckten linken Faust gehalten, als ihn der Zeuge E. mit beiden Händen von oben zügig an seinem rechten Oberarm packte und ihn die Ecke des Betriebsleiterbüros schob, um sich in den Besitz Eigenkündigungsschreibens zu bringen. Er (der Kläger) habe versucht, den ihm körperlich überlegenen Zeugen E. dadurch abzuwehren, dass er den Zeugen E. zunächst mit der freien rechten Hand an dem ihm angreifenden Arm hielt, um ihn von sich weg zu drücken. Eine bloße Schutzbehauptung sei die Darstellung des Zeugen E., dass er (der Kläger) ihn in irgendeiner Weise angegriffen oder aber gar mit seinen bestehenden Koordinierungsschwierigkeiten irgendwie niedergerungen haben solle. Ein Angriff seinerseits hätte ja auch keinen Sinn ergeben, da er (der Kläger) doch das Kündigungsschreiben noch in seiner linken Faust hielt und es in diesem Moment ja der Zeuge E. gewesen sei, der dieses gewaltsam an sich bringen wollte, um es zu faxen. Dies könne von dem Zeugen G. bestätigt werden, der die von dem Zeugen E. ausgehenden Aktionen in dem hörbar nahegelegenen Betriebsleiterbüro wahrgenommen habe und vor allem als erster zu Herrn E. und ihm in das Betriebsleiterbüro hinzugekommen sei. Der Zeuge G. habe sie so vorgefunden, dass der Zeuge E. ihn (den Kläger) von oben in die der Tür gegenüberliegende Ecke des Betriebsleiterbüros schob, während er vergeblich versuchte, diesen Angriff abzuwehren.

Die Zeugin H. könne aufgrund der örtlichen Lage ihrer Tätigkeit an der Kasse, die von der Zeugin K. bestätigt werden könne, allenfalls die Vorgänge am Wärmeschrank, nicht aber die im Betriebsleiterbüro wahrgenommen haben. Die Zeugin H. sei binnen Wochen nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wieder bei der Beklagten eingestellt worden (unstreitig, zum 1. Februar 2018). Die Erwägungen des Arbeitsgerichts zu einem fehlenden Näheverhältnis dieser Zeugin zur Beklagten seien also unzutreffend.

Das Arbeitsgericht habe seine Entscheidung wegen des Verzichts auf die Vernehmung des Zeugen G. nicht unter Ausschöpfung der gegebenen Erkenntnisquellen getroffen. In dem unglücklichen Zusammenspiel seines (des Klägers) erstinstanzlich nicht ganz genauen Vortrags, der unpräzisen Erinnerungen der Zeugen H. und F. sowie der fehlenden Vernehmung des Hauptzeugen G. sei beim Arbeitsgericht ein Eindruck entstanden, der auf einer völlig schräg gelaufenen Beweisaufnahme beruht habe.

Es sei eine neue Beweisaufnahme erforderlich, nach deren zu erwartendem Ergebnis ein Kündigungsgrund iSd. § 626 Abs. 1 BGB sich nicht ergeben werde: Er (der Kläger) sei berechtigt gewesen, sich verbal gegen die Belästigung der Beklagten (durch den Zeugen E.) zur Erzwingung einer Eigenkündigung zur Wehr zu setzen. Erst recht sei er dazu berechtigt gewesen, im Rahmen einer Notwehrhandlung einen körperlichen Angriff durch den Zeugen E. zur Erlangung des vorbereiteten Eigenkündigungsschreibens abzuwehren, ohne dass dies auch nur ansatzweise mit dem Bestand des Arbeitsverhältnisses in Verbindung gebracht werden könnte.

An dem erstinstanzlichen Auflösungsantrag werde nicht festgehalten. Auf gerichtlichen Hinweis hat der Kläger den allgemeinen Feststellungsantrag dahingehend präzisiert, dass er sich auf die von der Beklagten behauptete Eigenkündigung des Klägers zum 31. Dezember 2016 bezieht.

Der Kläger beantragt: Das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 4. Dezember 2017 – 4 Ca 3709/16 – wird abgeändert

1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 17.11.2016, zugegangen am 18.11.2016, beendet worden ist,

2. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 17.11.2016, zugegangen am 18.11.2016, beendet worden ist,

3. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch eine von der Beklagten behauptete Eigenkündigung des Klägers vom 16.11.2016 zum 31.12.2016 beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Hilfsweise beantragt sie, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der vom Kläger am 16.11.2016 erklärten Kündigung mit Ablauf des 31.12.2016 sein Ende gefunden hat.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, die Hilfswiderklage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Der Kläger greife die erstinstanzliche Entscheidung primär dadurch an, dass er wesentliche Abläufe anders schildere, als er sie erstinstanzlich vorgetragen habe. Dies könne er nicht mit mangelnden Deutschkenntnissen oder einer „eingeschränkten Wahrnehmung“ erklären. Der Kläger sei der deutschen Sprache hinreichend mächtig und könne auf Deutsch uneingeschränkt kommunizieren. Zudem beziehe sich der eigentliche Kern des Verfahrens, nämlich die Frage, von wem die Tätlichkeiten am 16. November 2016 ausgegangen seien, auf einen einfachen Sachverhalt. Der Kläger habe schlicht seinen Vortrag geändert, nachdem sich seine erstinstanzliche Sachverhaltsschilderung im Rahmen der Beweisaufnahme nicht bestätigt habe. Der neue Sachvortrag passe in keiner Weise zu den Schilderungen des Klägers aus erster Instanz und sei offensichtlich dadurch motiviert, dass er versuchen wolle, doch noch eine Vernehmung von Frau K. zu erreichen. Die Variante aus der Berufungsbegründung, wonach der Kläger, nachdem er die Eigenkündigung bereits am Wärmeschrank zerknüllt habe, noch mit Herrn E. in das Betriebsleiterbüro gegangen sei, sei nicht plausibel.

Das Geschehen habe sich vielmehr so abgespielt, wie es auch die erstinstanzliche Beweisaufnahme ergeben habe. Der Kläger habe im Betriebsleiterbüro die von ihm gewünschte Eigenkündigung unterzeichnet und dann den Zeugen E., nachdem dieser versucht hatte, die Kündigung an die Zentrale der Beklagten zu faxen, tätlich angegriffen, um ihn hiervon abzuhalten.

Die Zeugin H. habe dies dementsprechend auch richtig und ohne eine irgendwie geartete Belastungstendenz in der Beweisaufnahme bekundet. Hinsichtlich des (unstreitig) wieder mit der Zeugin begründeten Arbeitsverhältnisses versuche der Kläger einen falschen Eindruck zu erwecken. Die Zeugin H. habe das mit ihr (der Beklagten) bestehende Anstellungsverhältnis zum 28. Februar 2017 gekündigt. Zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung am 4. Dezember 2017 habe die Zeugin H. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis mit ihr gestanden und sich auch nicht bei ihr in irgendeiner Weise beworben. Erst im Januar 2018 habe die Zeugin H., nachdem sich eine von ihr aus einem anderen bestehenden Anstellungsverhältnis heraus angestrebte Selbstständigkeit so nicht habe realisieren lassen, erneut bei ihr (der Beklagten) angefragt und sei schließlich zum 1. Februar 2018 wieder eingestellt worden.

Für eine Wiederholung oder Fortführung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme bestehe keine Veranlassung. Das Arbeitsgericht sei auf der Grundlage der Aussage des Zeugen E. und insbesondere auch der Aussage der Zeugin H. zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger den Zeugen E. angegriffen habe. Der Einwand des Klägers, dass der Verzicht auf die Vernehmung weiterer Zeugen auf ein „Zeugenpicking“ herauslaufe, wonach nur noch die Zeugen einzuvernehmen seien, die einer vorgefertigten richterlichen Auffassung zu entsprechen vermögen, sei abwegig.

Da der Kläger einen falschen Sachverhalt zugrunde lege, verfingen auch seine rechtlichen Erwägungen zur Unwirksamkeit der Kündigung nicht.

Selbst wenn das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 17. November 2016 mit deren Zugang am 16. November 2016 aufgelöst worden wäre, hätte es doch auf Grund der Eigenkündigung des Klägers zum 31. Dezember 2016 sein Ende gefunden, was im Rahmen der dann zur Entscheidung anfallenden Hilfswiderklage festzustellen sei. Der Kläger habe sich der von ihm unterzeichneten Eigenkündigung dadurch entäußert, dass er sie dem Zeugen E. übergeben habe. Die Eigenkündigung sei damit in ihren Machtbereich gelangt und ihr zugegangen.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen E., G., F., H., I., J. und K.. Weiter wurde der Kläger informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll des Kammertermins vom 4. Dezember 2018 (Bl. 470 – 509 d.A) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

B.

Die Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsgericht ist in dem angefochtenen Urteil zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17. November 2016 aufgelöst worden ist. Es ist auch weder durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten, noch durch eine Eigenkündigung des Klägers beendet worden. Daher war der Klage insgesamt stattzugeben.

Der (Hilfs-)Widerklageantrag der Beklagten, der lediglich das positive „Spiegelbild“ des (später präzisierten) ursprünglichen Antrags Ziffer 2 auf der Klageschrift darstellt, war unzulässig. Ihm steht das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) entgegen. Der (Hilfs-)Widerklageantrag stellt sich als spiegelbildliche positive Entsprechung des vom Kläger (zuletzt präzisiert) gestellten Antrags Ziffer 3 dar. Die (ebenfalls von der Beklagten beantragte) Abweisung des negativen Feststellungsantrags als unbegründet enthält zugleich die positive Feststellung des kontradiktorischen Gegenteils. Daher sperrt der negative Feststellungsantrag die Möglichkeit eines auf das gleiche Rechtsschutzziel gerichteten positiven Feststellungsbegehrens (vgl. MüKoZPO/Becker-Eberhard, 5. Auflage, § 261 ZPO Rn. 66). Vorliegend wurde die Klageschrift der Beklagten am 6. Dezember 2016 zugestellt. Diese hat ihre (Hilfs-)Widerklage erst mit Schriftsatz vom 13. Februar 2017 angebracht.

I.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. November 2016 mit ihrem Zugang am 18. November 2018 aufgelöst.

1. Die Wirksamkeit der Kündigung ergibt sich nicht bereits aus §§ 4, 7, 13 KSchG. Der Kläger hat die ihm am 18. November 2016 zugegangene Kündigung rechtzeitig mit seiner am 28. November 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage angegriffen.

2. Die Kündigung der Beklagten vom 17. November 2018 ist nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Beklagte konnte das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB nicht zur Überzeugung der Berufungskammer nachweisen.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 485/08 – Rn. 16 mwN).

Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern grundsätzlich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur Kündigung zu bilden. Der tätliche Angriff auf einen Arbeitskollegen ist eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, sondern hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und nicht durch Verletzungen Arbeitskräfte ausfallen. Der Arbeitgeber darf auch berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirkt, wenn er von einer Kündigung absieht. Insoweit handelt es sich noch um Folgen des Fehlverhaltens, für das der Arbeitnehmer einzustehen hat (vgl. BAG 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – Rn. 20 mwN, 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 14 mwN).

b) Der von der Beklagten geschilderte Angriff des Klägers auf den Zeugen E. könnte, auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, demnach einen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentlichen Kündigung darstellen. Nach der im Kammertermin am 4. Dezember 2018 durchgeführten Beweisaufnahme hat sich aber kein Sachverhalt zur hinreichenden Überzeugung der Berufungskammer ergeben, bei dem von einem tätlichen Angriff des Klägers auf den Zeugen E. auszugehen wäre.

c) Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden.

aa) Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich ua. aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. BGH 21. März 2018 – VII ZR 170/17 – Rn. 15 mwN). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinn sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Sie können sich auch aus Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften auch aus Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben (BGH 21. März 2018 – VII ZR 170/17 – aaO).

bb) Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen bestanden vorliegend Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Arbeitsgerichts zu den Abläufen am 16. November 2016, insbesondere hinsichtlich des von der Beklagten behaupteten tätlichen Angriffs des Klägers auf den Zeugen E..

(1) Diese ergeben sich zunächst daraus, dass das Arbeitsgericht seinen ursprünglichen Beweisbeschluss vom 7. August 2018, ohne ihn ausdrücklich aufzuheben, nur teilweise durchgeführt hat. Das Arbeitsgericht hat im Kammertermin vom 7. August 2018 einen Beweisbeschluss gefasst, nach dem über die Behauptungen der Beklagten zu dem körperlichen Angriff des Klägers auf Zeugen E. Beweis durch die Vernehmung der Zeugen J., H., I., F., G. und E. erhoben werden sollte sowie durch informatorische Anhörung des Klägers nach § 141 ZPO (vgl. Protokoll des Kammertermins vom 7. August 2018, Bl. 191 d.A.). Das Arbeitsgericht hat dann aber lediglich die Zeugen E., F. und H. vernommen. Eine Vernehmung der weiteren Zeugen, insbesondere des Zeugen G. und auch eine informatorische Anhörung des Klägers erfolgte hingegen nicht. Hiernach bestanden Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der lediglich auf drei Zeugenaussagen gestützten Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts.

Zwar hat der Kläger erstinstanzlich sich widersprechende Angaben dazu gemacht, was der Zeuge G. ggf. wahrgenommen haben konnte. Er hat jedoch stets vorgetragen, dass der Zeuge G. als erster, also vor den vom Arbeitsgericht vernommenen Zeugen F. und H., zu Herrn E. und dem Kläger hinzukam. Dies spricht dafür – wovon wohl auch der ursprüngliche Beweisbeschluss des Arbeitsgerichts ausgegangen ist – dass dieser Zeuge (abgesehen von den „Kontrahenten“ selbst) am ehesten Angaben dazu machen kann, was zwischen dem Kläger und Herr E. vorgefallen ist. Wenn Zeugen vernommen werden, die nach eigenen Angaben und dem unstreitigen Vortrag beider Parteien erst später zu der Auseinandersetzung hinzugekommen sind, erscheint es zur Ermöglichung vollständiger Sachverhaltsfeststellungen und zur Beurteilung aller Aussagen unumgänglich, auch den Zeugen zu hören, der als erster hinzugestoßen ist. Dies ist nicht gesehen.

Ebenso erscheint es wesentlich, auch den Kläger jedenfalls nach § 141 ZPO anzuhören. Dies dürfte vor dem Hintergrund, dass während der eigentlichen Auseinandersetzung im Betriebsleiterbüro nur der Kläger und der der Beklagten als ihr Arbeitnehmer nahestehende Zeugen E. anwesend waren, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich sein (vgl. BAG 22. Mai 2007 – 3 AZN 1155/06 – Rn. 17 mwN). Dies ist ebenfalls in der ersten Instanz nicht geschehen.

(2) Zum anderen konnte nach dem Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung auf Zeugen G. nicht (mehr) verzichtet werden. Der entsprechende Vortrag war nach den im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Präklusionsvorschriften auch zulässig und beachtlich. Nach § 67 Abs. 4 ArbGG müssen neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, soweit sie nach § 67 Abs. 2 und 3 ArbGG zulässig sind und erstinstanzlich nicht zu Recht als verspätet zurückgewiesen worden sind, in der Berufungsbegründung vorgebracht werden. Unabhängig von späteren Änderungen seines Vortrags in der Berufungsinstanz hat der Kläger bereits in der Berufungsbegründung vorgetragen, der Zeuge G. habe – als erster hinzukommend – den Kläger und Herrn E. so vorgefunden, dass Herr E. den ihm körperlich unterlegenen Kläger von oben in die der Tür gegenüberliegende Ecke des Betriebsleiterbüros schob, während dieser vergeblich versuchte, diesen Angriff abzuwehren. An diesem Vortrag hat er unbeschadet der sonstigen Änderungen seines Vortrags festgehalten.

d) Bei Würdigung der vom Landesarbeitsgericht erhobenen Beweise in Form der Zeugenaussagen sowie der Anhörung des Klägers verbleiben unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen für die Berufungskammer hinsichtlich der von der Beklagten behaupteten Version der Ereignisse am 16. November 2016 rechtserhebliche Zweifel.

Eine Tatsache ist erwiesen, wenn das Gericht von der Wahrheit der behaupteten Tatsache überzeugt ist. Für die von § 286 ZPO geforderte Überzeugung des Tatrichters bedarf es keiner absoluten oder unumstößlichen Sicherheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises. Es ist vielmehr (nur) erforderlich, dass eine Gewissheit besteht, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 865/13 – Rn. 44 mwN). Ein bloßes Für-Wahrscheinlich-Halten reicht für die erforderliche Überzeugung nicht aus (vgl. Musielak/Voit ZPO, 15. Auflage, § 286 ZPO Rn. 18 f.). Die Berufungskammer konnte nicht zu der hiernach erforderlichen Überzeugung gelangen, dass der Kläger seinen Vorgesetzen Herrn E. angegriffen hat, indem er ihn im Betriebsleiterbüro entweder vor der Ablage (Hauspost) oder vor dem Faxgerät am Hals gegriffen oder in anderer Weise attackiert hat.

aa) Die Zeugen haben zu der Auseinandersetzung im Betriebsleiterbüro im Wesentlichen folgende Angaben gemacht (wobei hinsichtlich der umfangreichen Aussagen insgesamt auf das Protokoll der Beweisaufnahme vom 4. Dezember 2018 zu verweisen ist):

Der Zeuge E. hat angegeben, er habe die (Eigen-)Kündigung für den Kläger am Computer geschrieben und ausgedruckt. Er habe sie ihm vorgelegt und dieser habe sie unterschrieben. Dann habe der Kläger sie dem Zeugen wieder gegeben. Als der das Schreiben auf für das Personalbüro auf das Fax legen wollte, sei ihm der Kläger „an den Hals gesprungen“, habe ihn „herumgezogen“ und ihn „in die Ecke gedrückt“ und ihm das Kündigungsschreiben abgenommen. Ihm sei – als Asthmatiker – die Luft „weggewesen“ und er habe dann nur noch geschrien. Dann seien die Zeugen F. und G. ihm zu Hilfe gekommen und hätten den Kläger weggezogen.

Der Zeuge G. hat ausgesagt, er sei durch Geräusche und Schreie aus dem Büro auf die dortigen Vorgänge aufmerksam geworden und sei schauen gegangen. So sehen können, wie Herr E. den Kläger „geschubst“ habe. Dann habe der Kläger „zurückgeschubst“. Beide hätten gestanden, einen Angriff des Klägers in der Weise, dass er den Zeugen am Hals gegriffen hätte, habe er nicht gesehen. Er sei dazwischen gegangen, um Herrn A. zu blockieren. Zur Position der Zeugin H. erklärte er zunächst wörtlich: „Ich meine, sie befand sich beim Büro, nein, ich meine, sie befand sich beim Kassenbereich“. Im weiteren Verlauf der Aussage blieb er – auch auf Vorhalt der anderslautenden Aussagen anderer Zeugen und auch bei einer zweiten Befragung – dabei, dass sich Frau H. im Zeitpunkt der Auseinandersetzung nicht vor dem Betriebsleiterbüro befand. Präzise Angaben, ob sie sich tatsächlich zu diesem Zeitpunkt im Kassenbereich befand, hat er in der weiteren Aussage dann nicht mehr getätigt, sondern ausgeführt, normalerweise reinigten sie (die Zeuginnen H. und K.) um diese Zeit die Salattheke oder kümmerten sich um Getränke oder Kaffee oder Süßigkeiten oder sie seien im Kassenbereich.

Der Zeuge F. hat angegeben, er habe eine lautstarke Auseinandersetzung gehört und sei direkt zum Betriebsleiterbüro geeilt. Dort habe Herr G. vor dem Kläger gestanden und er habe sich mit Frau H. vor Herrn E. gestellt. Herr E. habe sich in der Ecke des Betriebsleiterbüros befunden. Der Kläger habe an der der Tür gegenüberliegenden Wand gestanden. Der Zeuge F. hat erklärt, er habe sich „aus Reflex“ vor den Zeugen E. gestellt. Weiter hat er angegeben, sich an Einzelheiten der Auseinandersetzung nicht mehr erinnern zu können. Erstinstanzlich hatte der Zeuge F. ausgesagt, er habe gesehen, wie der Kläger Herrn E. „an die Gurgel gegangen“ sei (Bl. 192 d.A).

Die Zeugin H. hat ausgesagt, es sei während der Unterredung zwischen dem Kläger und Herrn E. im Betriebsleiterbüro plötzlich sehr laut geworden. Sie sie hingegangen und habe „Hallo Hallo“ gerufen und habe gesehen, wie der Kläger den Zeugen E. am Hals packte. Sie habe (von ihrer Position vor dem Büro) gesehen, wie der Zeuge E. das vom Kläger unterschriebene (Eigen-)Kündigungsschreiben in die Ablage zur Hauspost legen wollte und dann – so wörtlich – „war plötzlich was“ und dann habe der Kläger den Zeugen E. am Hals gepackt und ihn in die Ecke bzw. an die der Tür gegenüberliegende Wand des Betriebsleiterbüros gedrückt. Sie habe hierbei wohl im Türrahmen gestanden.

Die Zeugin I. hat angegeben sie sei „durch die laute Diskussion“ auf die Vorgänge im Betriebsleiterbüro aufmerksam geworden und habe sich, um etwas sehen zu können, daher in die Nähe des Wärmeschranks begeben. Sie habe gesehen, die der Kläger den Zeugen E. angegriffen habe. Er habe ihn am Hals gepackt und in die Ecke gedrängt. Dann habe sie aber schon nichts mehr sehen können, weil ganz viele Leute im Büro gewesen seien. Die Zeugin H., der Zeuge G. und – so glaube sie – auch der Zeuge F. hätten sich näher am Büro befunden als sie. Frau H. habe sich vor bzw. „eigentlich“ im Betriebsleiterbüro befunden. Auf die Frage, wie die Zeugin I. dennoch die Vorgänge im Büro zwischen dem Kläger und dem Zeugen E. wahrnehmen konnte hat sie angegeben, zunächst, als es die Diskussionen gegeben habe, habe man noch ganz gut sehen können. Der Angriff habe vor dem Faxgerät stattgefunden und wenn die Tür offen sei, könne man sehen, wer vor dem Faxgerät und damit in der Sichtachse der Türöffnung stehe. Sie habe allerdings nicht gesehen, dass der Zeuge E. ein Schreiben hatte bzw. faxen wollte. Auf Vorhalt der Aussage des Zeugen G. zum Standort der Zeugin H. bekräftige die Zeugin I., sie meine, Frau H. habe vor dem Büro gestanden, weil sie die Bestellungen gemacht habe.

Die Zeugin J. hat angegeben sich in der „Spülküche“ befunden zu haben. Von der Auseinandersetzung im von dort nicht einsehbaren Betriebsleiterbüro hat sie nach ihrer Aussage nur Geräusche („einen Schrei, laut wie aus einer Höhle“) mitbekommen.

Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung im Wesentlichen seinen zuletzt schriftsätzlich getätigten Vortrag bestätigt. Der Zeuge E. habe ihm am Wärmeschrank ein Klemmbrett mit der vorbereiteten Eigenkündigung übergeben. Er (der Kläger) sei damit in das Betriebsleiterbüro gegangen und habe „die Hand so bewegt, als würde er unterschreiben“. Daraufhin sei Herr E. in das Büro gekommen und habe versucht, das vom Kläger zerknüllte Schreiben an sich zu bringen. Der Kläger habe gesessen und den Bauch des Zeugen E. in den weißen, weiten Küchenklamotten „im Gesicht gehabt“. Er habe nicht aufstehen können, weil der Zeuge E. über ihm gewesen sei und ihn auf dem Bürostuhl gegen die hinter ihm befindliche, halb geöffnete Tür geschoben habe, so dass diese „geklackt“ habe. Als er dann aufgestanden sei, seien zunächst Herr G. und dann Herr F. hinzugekommen. Er habe den Zeugen E. nicht angegriffen und nicht am Hals gepackt.

Gemäß dem im Kammertermin am 4. Dezember 2018 gefassten Beweisbeschluss wurde die Zeugin K. zu der Behauptung des Klägers gehört, Frau H. habe sich während der Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und Herrn E. im Kassenbereich aufgehalten und nicht unmittelbar vor dem Büro des Herrn E.. Sie hat angegeben, die Zeugin H. habe sich zu diesem Zeitpunkt mit ihr im Kassenbereich befunden, da sie (die Zeugin K.) die Zeugin H. dort einarbeiten sollte. Von der Auseinandersetzung selbst hat die Zeugin K. nach ihren Angaben nichts mitbekommen.

bb) Nach den oben dargelegten Grundsätzen konnte die Berufungskammer nicht zu der erforderlichen Überzeugung gelangen, dass der Kläger seinen Vorgesetzen Herrn E. angegriffen hat, indem er ihn im Betriebsleiterbüro entweder vor der Ablage (Hauspost) oder vor dem Faxgerät am Hals gegriffen oder in anderer Weise attackiert hat.

Zwar hält die Berufungskammer die Angaben des Klägers zu den Abläufen nicht für glaubhaft. Diese waren nicht nur im Verlauf des Verfahrens wechselnd und widersprüchlich, auch die zuletzt vorgebrachte Version enthält Widersprüche und schwer nachvollziehbare Angaben. Nach dem Eindruck im Kammertermin am 04. Dezember, in dem der Kläger seine Schilderung teilweise in einfachem, aber verständlichem Deutsch machte, können diese Widersprüche nicht allein auf Sprachschwierigkeiten zurückzuführen sein. Soweit der Kläger sich in türkischer Sprache äußerte, vermag diese Erklärung gar nicht zu tragen.

Auch konnte der Kläger auf etliche naheliegende Fragen keine nachvollziehbaren Antworten geben. Es blieb offen, warum der Kläger so tun sollte, als würde er die Eigenkündigung unterschreiben. Die Erklärung, er habe sehen wollen, wie der Zeuge E. reagiere, erscheint der Berufungskammer lebensfremd. Der weiteren Frage, wie der Zeuge G. in das Büro gelangen konnte, wenn der Eingang nach der Schilderung des Klägers durch den gegen die Tür geschobenen Stuhl hätte blockiert sein müssen, ist der Kläger ausgewichen. Er antwortete zunächst, es handele sich um ein kleines Büro, in das nicht drei, vier Leute reinkommen könnten und erst auf nochmalige Nachfrage „irgendwie“. Ebenso antwortete er auf die Frage, wie er in der vom ihm geschilderten Ausgangssituation (Herr E. über ihm) aufstehen konnte, und erst ausweichend mit einer Wiederholung der Schilderung des Angriffs, um dann lapidar zur erklären, er habe „auf einmal“ die Gelegenheit gehabt, aufzustehen, bevor bzw. während Herr G. den Raum betrat. Indem der Kläger angab, er sei aufgestanden, passte seine Schilderung (nun) zu der Situation, die der Zeuge G. beschrieben hatte, der – nach allen Aussagen – als erster dazu kam und aussagte, er habe die Herrn E. und den Kläger stehend vorgefunden. Wenig nachvollziehbar erscheint im Rahmen der Schilderung der Vorgeschichte des Vorfalls auch, dass der Zeuge E. den Kläger fragen sollte, warum Frau K. gekündigt habe. Nach dem Vortrag des Klägers hatte Herr E. sie ja – bewusst – in die Eigenkündigung gedrängt. Auch bestehen gewisse Zweifel daran, dass während der vormittäglichen Arbeit hierzu eine zwanzigminütige Unterredung beim Kaffee stattfindet, die beendet wird, weil der Kläger seinen Vorgesetzen auffordert, zurück an die Arbeit zu gehen.

Allein aus der Tatsache, dass die Kammer die Schilderung des Klägers, in der er allein das „unschuldige Opfer“ ist, nicht für glaubhaft hält, folgt aber nicht, dass im Umkehrschluss die Version der Beklagten zutreffen müsste. Aus den weiteren Zeugenaussagen ergaben sich Widersprüche und Ungereimtheiten. Auch unter Berücksichtigung und Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen konnte das Gericht nicht zu der nach § 286 ZPO erforderlichen Überzeugung gelangen, das ein tätlicher Angriff des Klägers auf den Zeugen E. stattfand.

Dieser hat zwar seine erstinstanzliche Aussage bestätigt, die auch – im Wesentlichen – dem Vortrag der Beklagten entspricht. Die Aussage war detailreich, allerdings insbesondere bezüglich der Vorgeschichte des Vorfalls. Die Schilderung des eigentlichen Angriffs war im Vergleich auffallend knapp. Nach der Aussage des Zeugen E. erfolgte der Angriff vollkommen unvermittelt als der Zeuge das Schreiben faxen wollte. Dies steht im Widerspruch zu allen anderen Zeugenaussagen, die durchgehend eine laute verbale Auseinandersetzung vor der körperlichen Auseinandersetzung schildern. Auch die Zeugin H. hat angegeben, es sei – vor dem von ihr geschilderten Angriff – plötzlich „sehr laut“ geworden, weswegen sie „hingegangen“ sei. In sich widersprüchlich ist auch die Angabe des Zeugen E., ihm sei „die Luft weggewesen“ und er habe dann geschrien. Hinsichtlich des Orts des geschilderten Angriffs steht seine Aussage auch im Widerspruch zu der Aussage der Zeugin H., die angab, der Angriff habe sich vor der Ablage abgespielt. Dies ist – gerade an diesem Kernpunkt – besonders auffallend, weil die Aussagen der Zeugin H. und des Zeugen E. ansonsten sehr weitgehende Übereinstimmungen, auch in Details („dann haben sie den Stuhl getauscht“, „Asthmatiker“) aufwiesen. Auffallend ist weiterhin, dass der Zeuge E. bei seiner Schilderung des Angriffs und der zu Hilfe Eilenden bei mehrfacher Erläuterung immer nur Herrn G. und Herrn F. erwähnt hat, nicht aber Frau H.. Allerdings hat er ausgesagt, dass sich Frau H. im Zeitpunkt des Vorfalles vor dem Büro befand, um die Bestellungen zu bearbeiten. Der Zeuge F. hat – deutlich zurückhaltender als bei seiner erstinstanzliche Aussage – den streitigen Angriff auf den Zeugen E. nicht mehr schildern können. Er gab an, sich an Einzelheiten nicht mehr zu erinnern. Unabhängig davon, wie glaubhaft dies unter Berücksichtigung seiner erstinstanzlichen Angaben erscheint, hat er angegeben, sich „aus Reflex“ vor den Zeugen E. gestellt zu haben, was weitgehend in Einklang mit der Aussage des Zeugen G. steht, der angegeben hat, der Zeuge F. habe den Zeugen E. an der Hand genommen. Beides spricht gegen die völlig passive Rolle, die der Zeuge E. nach seiner Aussage eingenommen haben will. Schließlich ist bei der Würdigung der Aussage zu berücksichtigen, dass der Zeuge E. nach wie vor Arbeitnehmer der Beklagten ist und mit Blick auf die vom Kläger erhobenen Vorwürfe unabhängig von deren Berechtigung ein weitergehendes Eigeninteresse daran hat, seine Rolle in möglichst positivem Licht erscheinen zu lassen. Hierfür sprechen auch Details der Aussage, so hat nach Angaben der Zeugin H. der Zeuge E. „das Kündigungsschreiben formuliert oder beim Formulieren geholfen“, während der Zeuge E. von einem Diktat des Klägers gesprochen hat. Insgesamt verbleiben für die Berufungskammer rechtserhebliche Zweifel, ob sich die Vorgänge so wie vom Zeugen geschildert abgespielt haben.

Auch aus den Aussagen der anderen Zeugen lässt sich für die Berufungskammer nicht mit der erforderlichen Gewissheit ein bestimmter, widerspruchfreier Geschehensablauf rekonstruieren.

Der Zeuge G., der nach allen Aussagen als erster hinzukam, hat – anders als die anderen Zeugen – einen Angriff des Klägers auf den Zeugen E. nicht bestätigt. Er hat vielmehr angegeben, der Zeuge E. habe – als der Zeuge G. das Geschehen einsehen konnte – den Kläger „geschubst“, der dann „zurückgeschubst“ habe. Bestätigt hat er, wie die anderen Zeugen außer dem Zeugen E., eine vorhergehende laute verbale Auseinandersetzung im Betriebsleiterbüro. Soweit der Zeuge G. angegeben hat, dass sich Frau H. im Zeitpunkt dieser Auseinandersetzung nicht vor dem Betriebsleiterbüro befand, verkennt die Kammer nicht, dass der Zeuge G. in seiner ersten Antwort zunächst angab, die Zeugin habe sich vor dem Büro befunden, um dies sofort zu korrigieren. An dieser Version hat er dann, auch auf mehrfache Nachfragen und Vorhalte und auch im Rahmen einer weiteren Vernehmung festgehalten. Dies führt für die Kammer jedenfalls zu Zweifeln über die Position der Zeugin H., die in ihrer erstinstanzlichen Aussage auch Schwierigkeiten hatte, den von ihr geschilderten Vorfall zeitlich einzuordnen und zwischen 10:00 Uhr und 12:15 Uhr schwankte. Für die Version des Zeugen G. spricht aus Sicht der Kammer auch, dass es schwer nachzuvollziehen ist, wie die Zeugin H. nach ihren Angaben vor dem Büro bzw. im Türrahmen, nach den Angaben der Zeugin B sogar „eigentlich“ im Büro stehen kann, während sich – nach ihrer Aussage – tumultartige Szenen im Büro abspielen und nicht nur eine, sondern zwei Personen an ihr vorbei in das Büro den Kontrahenten zur Hilfe eilen, während sie selbst sich zugleich nach ihrer Aussage ebenfalls weiter in Richtung des Büro bzw. in das Büro hinein bewegt.

Die Zeugin H. hat ihre erstinstanzliche Aussage weitgehend bestätigt, dennoch konnte die Berufungskammer nicht zu einer iSd § 286 ZPO ausreichenden Überzeugung gelangen, dass sich die Vorgänge wie von ihr geschildert abgespielt hätten. Auffallend war, wie bereits ausgeführt, der weitgehende Gleichlauf mit der Aussage des Zeugen E., gerade auch in Details. Beide haben z.B. angegeben, am Ende sei der Zeuge E. ausgerutscht, aufs Knie gefallen und sofort wieder aufgestanden. Diese Details haben die Zeugen F. und G., die ebenfalls unmittelbar nach Ende der Auseinandersetzung dabei waren, nicht – auch auf entsprechende Nachfrage – geschildert. Vor diesem Hintergrund ist die Abweichung gerade im Kernbereich der streitigen Frage, nämlich aus welcher Position und wo der geschilderte Angriff des Klägers erfolgt sein soll, umso auffallender. Nach Aussage der Zeugin H. erfolgte er – wie ursprünglich von der Beklagten schriftsätzlich geschildert – vor der Ablage „für die Hauspost“. Der Zeuge E. hingegen schilderte den Angriff vor dem Faxgerät, also am anderen Ende des kleinen Büros, wobei er sich nach seiner Schilderung zunächst näher zur Tür befand als Herr A.. Schließlich hatte das Arbeitsgericht bei der Würdigung der Glaubwürdigkeit der Zeugin wesentlich darauf abgestellt, dass sie nicht mehr in einem vertraglichen Näheverhältnis zur Beklagten stand. Dies trifft zwischenzeitlich nicht mehr zu. Unabhängig davon, wie man die Wiedereinstellung der Zeugin im Anschluss an ihre erstinstanzliche Aussagen werten will, war sie im Zeitpunkt ihrer zweiten Aussage wieder bei der Beklagten beschäftigt und daher nicht mehr als „neutrale“ Zeugin im Sinne des Arbeitsgerichts zu werten. Zudem hat sie ihre Loyalität insbesondere gegenüber dem Zeugen E. als seine „rechte Hand“ und als „stellvertretende Betriebsleiterin“ selbst hervorgehoben. Weiter bestehen nach der Aussage des Zeugen G. und nach ihren erstinstanzlichen Schwierigkeiten bei der zeitlichen Einordnung des Vorfalls jedenfalls Zweifel daran, ob sie sich im Zeitpunkt der vom Zeugen E. geschilderten Auseinandersetzung tatsächlich vor dem Büro aufhielt und nicht früher oder später oder nur üblicherweise. Dies auch vor dem Hintergrund, dass sie selbst geschildert hat, dass sich der Kläger am 16. November 2016 mehrfach im Betriebsleiterbüro mit dem Zeugen E. besprach.

Die Aussage der Zeugin K. konnte diese Zweifel weder ausräumen noch verstärken. Die Zeugin K. hat ausgesagt, sie habe bis gegen 13.30 Uhr mit Frau H. gemeinsam an der Kasse gearbeitet, die Bestellungen habe Frau H. früher, „so gegen 10:00 oder halb 10 Uhr“ vor dem Betriebsleiterbüro bearbeitet. Allerdings bestehen auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Zeugin. Sie steht – als Lebensgefährtin seines Bruders – dem Kläger nahe und hat dies auch in einem vom Kläger vorgelegten Schreiben an die Beklagte vom 20. November 2016 (Bl. 183 d.A.) zum Ausdruck gebracht. Die Erklärung der Zeugin, was sie in diesem Schreiben mit einer „Kurzschlussreaktion des Herrn A.“ gemeint hat, war wenig überzeugend. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob die Glaubwürdigkeit der Zeugin durch – ggf. zu wiederlegende – Behauptungen über eine Einarbeitung von Frau H. an der Kasse (weiter) zu erschüttern wäre, unerheblich. Ein Schriftsatznachlass zu dieser Frage war daher nicht erforderlich.

Schließlich hat zwar die Zeugin I. die Aussagen des Zeugen E. und der Zeugin H., dass der Kläger Herrn E. angegriffen habe bestätigt, nach ihrer Aussage vor dem Faxgerät, also insoweit in Überstimmung mit dem Zeugen E. und im Widerspruch zur Zeugin H.. Diese Aussage erscheint der Berufungskammer aber nicht glaubhaft, weil insoweit Zweifel verbleiben, ob die Zeugin I. überhaupt Details wahrnehmen konnte, da nach ihrer Aussage ihr Frau H. im Weg hätte stehen müssen. Die Zeugin I. gab an, „eigentlich“ habe sich Frau H. im Büro befunden. Nach der Aussage der Zeugin H. befand sie sich, als Herr G. hinzukam wohl bereits „im Türrahmen“. Die Erläuterung der Zeugin I., sie habe zunächst, als es die Diskussionen gab, noch ganz gut sehen können, im Anschluss an den Angriff aber nicht mehr, erschienen der Berufungskammer nicht nachvollziehbar und auch nicht glaubhaft. Zudem lässt sich die Beschreibung der Positionen der Kontrahenten im Zeitpunkt des geschilderten Angriffs vor dem Faxgerät – abgesehen von dem Widerspruch zur Aussage der Zeugin H. – nur schwer in Einklang bringen mit den Angaben zu der Position, in der die Zeugen G. und F. die beiden nach ihren Angaben vorfanden.

Die Zeugin J. konnte aufgrund ihres Aufenthaltsortes in der „Spülküche“ keine weiterführenden Angaben zu Beweisthema machen. Zweifel an ihrem Aufenthaltsort bestehen nicht. Keiner der anderen Zeugen hat ausgesagt, Frau J. in einem Bereich gesehen zu haben, in dem sie Näheres hätte mitbekommen können.

Im Rahmen der Gesamtwürdigung hat sich nach all dem kein hinreichend zweifelsfreies Bild der Vorgänge, insbesondere nicht eines Angriffs des Klägers ergeben.

II.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. November 2016 zum 31. März 2017 aufgelöst. Vorliegend kann die Berufungskammer nicht vom Vorliegen eines Grundes für eine verhaltensbedingte Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 KSchG ausgehen.

1. Zwar können Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern einen ausreichenden Grund für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung darstellen (vgl. BAG 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 –zu B I 2 a der Gründe mwN).

2. Vorliegend kann die Berufungskammer unter Berücksichtigung und Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme (vgl. oben I 2 b) nicht davon ausgehen, dass eine tätlicher Angriff des Klägers auf den Zeugen E. stattgefunden hat.

III.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde auch nicht durch eine Kündigung des Klägers vom 16. November 2016 zum 31. Dezember 2016 aufgelöst. Insoweit war auch dem (zuletzt präzisierten) Antrag Ziffer 3. stattzugeben.

1. Die Berufungskammer konnte nicht zu der Überzeugung gelangen, dass der Kläger eine Eigenkündigung zum 31. Dezember 2016 unterschrieben und dem Zeugen E. übergeben hat. Die tatsächlichen Vorgänge zwischen dem Zeugen E. und dem Kläger lassen sich unter Berücksichtigung und Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme für die Berufungskammer nicht in einer Weise nachvollziehen, die zu einer hinreichenden Überzeugung iSd. § 286 ZPO für einen bestimmten Geschehensablauf führen kann (vgl. oben I 2 b). Dies gilt auch hinsichtlich der von der Beklagten behaupteten Unterzeichnung und Übergabe eines (Eigen-)Kündigungsschreibens durch den Kläger.

Zwar hat der Zeuge E. und ebenso die Zeugin H. ausgesagt, dass der Kläger eine Eigenkündigung unterschrieben und dem Zeugen E. übergeben habe. Jedoch konnte die Berufungskammer aus diesen Aussagen (vgl. oben I 2 b) unter Berücksichtigung der weiteren Zeugenaussagen, der Anhörung des Klägers und des gesamten Inhalts der Verhandlungen nicht zu der erforderliche Überzeugung gelangen, dass sich diese Vorgänge tatsächlich so abgespielt haben. Die weiteren Zeugen haben zu einer Eigenkündigung des Klägers bzw. zu einem Blatt Papier, dass dieser oder der Zeuge E. in der Hand gehabt haben müsste, keine Angaben machen können. Auch die Zeugin I., die ansonsten weitgehend die Aussage des Zeugen E. und der Zeugin H. bestätigt hat, hat keine Angaben dazu machen können, ob Herr E. ein Blatt Papier (ggf. die Kündigung) in der Hand hatte. Sie sagte, sie habe nicht gesehen, dass Herr E. ein Schreiben hatte, sondern nur, dass Herr E. vor dem Faxgerät stand (wo er sich nach Aussage der Zeugin H. im Zeitpunkt des vermeintlichen Angriffs nicht befand).

2. Auf die Frage, ob durch die Übergabe einer Eigenkündigung an den seinerseits für die Beklagte nicht kündigungsberechtigten Betriebsleiter Herrn E. bereits der Zugang dieser Willenserklärung bewirkt werden konnte, kommt es daher nicht an.

C.

Die Beklagte hat nach § 91 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Zulassung der Revision ist mangels Vorliegens gesetzlicher Gründe nicht veranlasst (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

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