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Arbeitsplatzwegfall – Betriebsbedingte Kündigung – Darlegungslast des Arbeitgebers

LAG Rheinland-Pfalz, Az.: 5 Sa 271/16, Urteil vom 13.10.2016

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 19. Mai 2016, Az. 7 Ca 49/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Der Auflösungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und zweitinstanzlich über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

Die 1970 geborene Klägerin (verheiratet, zwei unterhaltsberechtigte Kinder) ist seit dem 07.11.2012 bei der Beklagten als Mitarbeiterin im Bereich Service/Kasse mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 27,6 Wochenstunden zu einem Bruttogehalt von monatlich € 2.013,23 beschäftigt. Die Beklagte betreibt einen Einkaufsmarkt für Elektrogeräte. Sie beschäftigt ca. 56 Arbeitnehmer; darunter auch den Ehemann der Klägerin. Mit Schreiben vom 30.12.2015, der Klägerin am 31.12.2015 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.01.2016. Dagegen wehrt sich die Klägerin mit ihrer am 15.01.2016 erhobenen Klage. Außerdem verlangt sie ihre Weiterbeschäftigung.

Die Beklagte begründet die Kündigung damit, dass sie im April 2015 die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, die Arbeitsbereiche Kasse, Information und Service (KIS) zusammenzulegen. Die Mitarbeiter seien dadurch flexibler einsetzbar, so dass der Arbeitsanfall mit weniger Personal bewältigt werden könne. Im Bedarfsfall könne sie auch Mitarbeiter aus dem Verkauf heranziehen. Sie habe den Eingangsbereich des Markes baulich so umgestaltet, dass die räumliche Trennung der Bereiche aufgehoben worden sei. Als Folge dieser Maßnahme habe sich der Arbeitskräftebedarf im Bereich KIS um etwa 120 Monatsstunden reduziert. Dementsprechend sei das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines Mitarbeiters entfallen. Sie habe eine Sozialauswahl zwischen 11 vergleichbaren Arbeitnehmern aus dem Bereich KIS durchgeführt, dabei habe sie der Betriebszugehörigkeit besonderes Gewicht beigemessen. Danach sei die Klägerin aufgrund der kurzen Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit sozial am wenigsten schutzwürdig. Die Arbeitnehmerin K. (geb. 1989) sei zwar kürzer (seit dem 01.02.2013) beschäftigt als die Klägerin, sie habe jedoch wegen ihrer Schwangerschaft gesetzlichen Sonderkündigungsschutz gehabt.

Die Klägerin bestreitet, dass durch die Umorganisation ein Stundendeputat von 120 pro Monat weggefallen sei. Als Anlage zu ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 13.04.2016 legte sie zu Beweiszwecken die Wochendienstpläne des Bereichs KIS für die 1. bis 12. Kalenderwoche 2016 vor. Die Klägerin rügt außerdem die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Die Arbeitnehmerin K. sei sozial stärker. Sie sei zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht schwanger gewesen. Frau K. habe ihr in einer WhatsApp-Nachricht am 23.03.2016 mitgeteilt, sie befinde sich in der 10. Schwangerschaftswoche. Zu Beweiszwecken legte die Klägerin in erster Instanz den Chat-Verlauf vom 23.03.2016 vor.

Arbeitsplatzwegfall - Betriebsbedingte Kündigung - Darlegungslast des Arbeitgebers
Symbolfoto: Bigedhar/Bigstock

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.12.2015 nicht beendet wird,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,

3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) und/oder zu 2) die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiterin in den Bereichen Service und Kasse weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 19.05.2016 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat unter Abweisung des Klageantrags zu 2) der Kündigungsschutzklage und dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben. Die betriebsbedingte Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Die Beklagte sei schon ihrer Darlegungslast im Hinblick auf den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses nicht nachgekommen. Sie habe lediglich pauschal behauptet, durch die Umorganisation im Bereich KIS habe sich der Personalbedarf um 120 Stunden verringert. Dieser Vortrag genüge nicht ansatzweise. Die Kündigung sei auch wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Die vergleichbare Arbeitnehmerin K. sei im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung am 31.12.2015 ausweislich ihrer WhatsApp-Nachricht vom 23.03.2016 nicht schwanger gewesen. Die Beklagte habe noch nicht einmal vorgetragen, wann ihr Frau K. die Schwangerschaft angezeigt habe.

Gegen das am 17.06.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 24.06.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 09.08.2016 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie macht geltend, sie habe ihre Darlegungslast im Hinblick auf den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses erfüllt und detailliert zu ihrer Organisationsentscheidung vorgetragen. Vorgabe sei zunächst eine Einsparung von Arbeitskräften in den Bereichen KIS im Umfang von 120 Stunden gewesen, der ggf. in weiteren Schritten noch gesteigert werden soll. Sie habe auch erläutert, auf welche Weise (Umbaumaßnahmen, Zusammenlegung der Bereiche, begleitende Projektberatung) sie ihre Entscheidung umgesetzt habe. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass ihre unternehmerische Entscheidung gerade darin bestehe, den Arbeitsanfall künftig mit weniger Arbeitskräften im Umfang von 120 Stunden pro Monat zu bewältigen. Einer inhaltlichen gerichtlichen Überprüfung könne diese Entscheidung nicht unterzogen werden.

Die Kündigung sei nicht wegen eines Fehlers in der Sozialauswahl unwirksam. Sie sei ihrer Darlegungslast auch im Hinblick auf die Schwangerschaft der Arbeitnehmerin Kiefer nachgekommen. Das Arbeitsgericht habe den streitigen Vortrag der Klägerin übernommen, dass Frau K. am 23.03.2016 erst in der 10. Schwangerschaftswoche gewesen sei. Die WhatsApp-Nachricht sei in ihrer Aussagekraft und inhaltlichen Verwertbarkeit begrenzt. Die Vernehmung der Zeugin K. zur Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit der WhatsApp-Korrespondenz wäre zur Klärung eines Sonderkündigungsschutzes unabdingbar gewesen.

Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin sei ihr nicht zuzumuten. Die Klägerin habe erstinstanzlich als Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 13.04.2016 Wochen-dienstpläne, auch für die Monate Februar und März 2016, zur Akte gereicht, obwohl sie nach Ablauf der Kündigungsfrist am 31.01.2016 keinen Zutritt mehr zu ihren Verwaltungs- und Personalräumen haben sollte. Ihre internen Ermittlungen hätten zu dem Ergebnis geführt, dass sich die Klägerin die nicht betriebsöffentlich zugänglichen Unterlagen auf sonstige Weise beschafft haben müsse. Damit sei zu befürchten, dass sie auch weiterhin versuchen werde, Zugriff auf nicht frei zugängliche Daten zu nehmen. Außerdem sei das Verhältnis der Klägerin zu ihren Arbeitskollegen inzwischen so belastet, dass es nahezu unmöglich sei, einen Schichtplan unter ihrer Einbindung zu erstellen. Die Klägerin habe in ihren erstinstanzlichen Schriftsätzen teilweise persönlichste Daten ihrer Arbeitskollegen, die ihr in privaten Gesprächen mitgeteilt worden seien, angeführt, um die getroffene Sozialauswahl in Frage zu stellen. Die besondere Art und Weise der Beweisermittlung und -führung zur Schwangerschaft der Arbeitskollegin K. sei im Kollegenkreis auf Unverständnis gestoßen. Die Tatsache, dass die Klägerin ihre schwangere Kollegin ausgehorcht und als Zeugin benannt, zudem noch die Vorlage ihres Mutterpasses zu Beweiszwecken beantragt habe, obwohl Frau K. ihr Kind verloren habe, sei im Kollegenkreis mit Betroffenheit aufgenommen und als absoluter Vertrauensmissbrauch bewertet worden. Der Teamleiter habe der Geschäftsleitung ausdrücklich im Namen der Teamkollegen mitgeteilt, dass sie nicht mehr mit der Klägerin zusammenarbeiten wollen. Die ablehnende Haltung der Kollegen gegenüber einer weiteren Zusammenarbeit erschwere in erheblichem Maß jegliche Personalplanung und -einteilung.

Ihr Auflösungsantrag sei begründet. Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mit der Klägerin sei – aus den auch gegen den Weiterbeschäftigungsantrag vorgetragenen Gründen – nicht mehr zu erwarten.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 19.05.2016, Az. 7 Ca 49/15, abzuändern und die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber € 3.500,00 nicht überschreiten sollte, zum 31.01.2016 aufzulösen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung und den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

B.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Klageanträgen zu 1) und 3) zu Recht stattgegeben. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.12.2015 ist sozial ungerechtfertigt. Der zweitinstanzliche Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet. Die Beklagte ist zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin verpflichtet.

I.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.12.2015 zum 31.01.2016 iSv. § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt ist.

1. Die Kündigung ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

a) Dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG, die eine Kündigung „bedingen“, liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14 – Rn. 32 mwN). Ein kündigungsrechtlich relevanter Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann auch aus einer organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers folgen, die ökonomisch nicht zwingend geboten war. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur daraufhin, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Ohne Einschränkung nachzuprüfen ist hingegen, ob die fragliche Entscheidung faktisch umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer wirklich entfallen ist (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14 – Rn. 33 mwN).

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf eine Streichung von Stellen hinaus, die mit einer Umverteilung der den betroffenen Arbeitnehmern bisher zugewiesenen Aufgaben auf andere Arbeitnehmer einhergeht, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14 – Rn. 34 mwN).

b) Danach ist im Streitfall ein betrieblicher Grund, der eine Kündigung rechtfertigen könnte, nicht ersichtlich.

Die Beklagte beruft sich darauf, sie habe im April 2015 die Unternehmerentscheidung getroffen, die Bereiche Kasse, Information, Service (KIS) zusammenzulegen, um die Mitarbeiter flexibler einsetzen zu können. Es erscheint schon zweifelhaft, ob die Beklagte damit überhaupt hinreichend konkret dargelegt hat, wann genau diese Entscheidung und durch wen (Beschluss aller Geschäftsführer?) im Betrieb getroffen worden sein soll. Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, die von ihr behauptete Unternehmerentscheidung sei zeitlich und hinsichtlich der sie beschließenden Personen hinreichend konkretisiert, hilft das in der Sache nicht weiter. Denn es fehlt an nachprüfbaren Darlegungen, welche organisatorischen Maßnahmen die Beklagte im Einzelnen getroffen hat, die den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin als dringend erforderlich iSd. § 1 Abs. 2 KSchG einsichtig machen und damit als nachprüfbar erscheinen lassen.

Der Vortrag der Beklagten, sie habe durch das „Projekt Umbau 2015“ den Eingangsbereichs ihres Einkaufsmarkes umgebaut, um die räumliche Trennung der Bereiche KIS aufzuheben, genügt nicht, um den behaupteten Rückgang des Beschäftigungsbedarfs um 120 Monatsstunden darzulegen. Deshalb musste das Arbeitsgericht dem Beweisantrag auf Ortsbesichtigung nicht nachgehen. Auch die von der Beklagten vorgetragene Einarbeitung der Mitarbeiter aus dem Bereich KIS mit Unterstützung einer auswärtigen Projektleiterin, lässt keinen Rückschluss auf einen Rückgang des Arbeitsvolumens um 120 Monatsstunden zu. Dasselbe gilt für den Vortrag, dass den Arbeitnehmern in einem Teamgespräch am 23.07.2015 das „Konzept eines neuen Miteinander“ erläutert worden sei. Diese Umstände haben auf den ersten Blick keinen erkennbaren Einfluss auf das innerhalb der geschuldeten Arbeitszeit zu bewältigende Arbeitsvolumen. Woher die Beklagte die Erkenntnis nimmt, dass es als Folge der dargelegten Maßnahmen zu einem Überhang an Arbeitskräften im Umfang von etwa 120 Stunden kommt, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar. Der pauschale Hinweis der Beklagten darauf, dass sie nunmehr nicht mehr jeweils einen Mitarbeiter in jedem getrennten Bereich benötige, die Besetzung der Kassen werde zudem nicht mehr im bisherigen Umfang aufrechterhalten, ersetzt nicht die konkrete Darstellung, wie sich die Arbeitsaufgaben nach dem bisherigen und nach dem neuen Organisationskonzept verteilen sollen. Die Beklagte hätte die tatsächlichen Grundlagen ihrer Behauptung im Einzelnen aufzeigen müssen. Hierauf hat sie bereits das Arbeitsgericht hingewiesen. Die Beklagte hat auch in zweiter Instanz nicht dargelegt, in welchem Umfang sich die Arbeit konkret reduziert und wie im Einzelnen die als verbleibend prognostizierte Arbeit bewerkstelligt werden soll. Insbesondere hätte sie darlegen müssen, wie sie die Arbeitszeit der Mitarbeiter im Bereich KIS bisher verteilt hat, um die Besetzung der Kassen, der Information und des Serviceschalters innerhalb der Öffnungszeiten des Marktes zu gewährleisten. Sodann hätte sie erläutern müssen, welche Arbeitszeit sie bisher veranschlagt hat und aufgrund welcher konkreten Tatsachen das zu bewältigende Arbeitsvolumen um 120 Monatsstunden entfallen sei. Mit der von der Beklagten gegebenen Begründung könnte ebenso die Notwendigkeit der Entlassung von zwei, drei oder x-beliebig vielen Angestellten gerechtfertigt werden. Das ist mit § 1 Abs. 2 KSchG nicht zu vereinbaren.

2. Die Kündigung vom 30.12.2015 ist auch deshalb unwirksam ist, weil die Beklagte bei der Auswahl der Klägerin soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat.

a) Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung, selbst wenn dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG vorliegen sollten, gleichwohl sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, bestehende Unterhaltspflichten und eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG verlangt vom Arbeitgeber die „ausreichende“ Berücksichtigung der dort aufgeführten Auswahlkriterien. Dem Gesetzeswortlaut ist nicht zu entnehmen, wie die genannten sozialen Gesichtspunkte zueinander ins Verhältnis zu setzen sind. Keinem Kriterium kommt eine Priorität gegenüber den anderen zu. Vielmehr sind stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern und deren „Sozialdaten“ zu berücksichtigen und abzuwägen. Dabei braucht der Arbeitgeber nicht die „bestmögliche“ Sozialauswahl vorgenommen zu haben. Ebenso wenig ist entscheidend, ob das Arbeitsgericht dieselbe Auswahl getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich die sozialen Erwägungen hätte anstellen und die sozialen Grunddaten hätte gewichten müssen. Der dem Arbeitgeber einzuräumende Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer sich mit Erfolg auf einen Auswahlfehler berufen können (vgl. BAG 29.01.2015 – 2 AZR 164/14 – Rn. 11 mwN).

b) Die Beklagte hat bei der Auswahl der Klägerin den ihr zukommenden Wertungsspielraum überschritten. Die Arbeitnehmerin K. ist 19 Jahre jünger als die Klägerin, die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit, der die Beklagte bei der Auswahl nach eigenem Bekunden Priorität eingeräumt hat, ist – wenn auch nur – drei Monate kürzer. Die Klägerin ist verheiratet und gegenüber zwei schulpflichtigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Die Arbeitnehmerin K. war im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung am 31.12.2015 ledig und kinderlos. Die Klägerin war daher im individuellen Vergleich mit Frau K. sozial deutlich schutzbedürftiger.

Es darf nicht zu Lasten der Klägerin berücksichtigt werden, dass ihr Ehemann bei der Beklagten in Vollzeit beschäftigt ist. Dies kann allenfalls dazu führen, dass bei der Klägerin eine Unterhaltspflicht aufgrund Doppelverdienstes weniger stark zu gewichten wäre. Hingegen darf nach den gesetzlichen Vorgaben ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren Ehemann nicht zu ihren Lasten berücksichtigt werden (vgl. BAG 29.01.2015 – 2 AZR 164/14 – Rn. 23 mwN).

c) Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, war die Beklagte verpflichtet, die Arbeitnehmerin K. in den Personenkreis für die soziale Auswahl einzubeziehen, weil sie am 31.12.2015 keinen Sonderkündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz genoss.

Zwar sind Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung nicht beendet werden kann, grundsätzlich nicht in eine Sozialauswahl einzubeziehen. Fehlt dem Arbeitgeber die rechtliche Möglichkeit gegenüber einem Arbeitnehmer wirksam eine betriebsbedingte Kündigung zu erklären, so kann ein gekündigter Arbeitnehmer nicht mit Erfolg geltend machen, nicht sein Arbeitsverhältnis, sondern das einem besonderen Kündigungsschutz unterliegende Arbeitsverhältnis eines ansonsten vergleichbaren Arbeitnehmers hätte gekündigt werden müssen. Gesetzliche Kündigungsverbote gehen dem allgemeinen Kündigungsschutz als spezialgesetzliche Regelungen vor (vgl. BAG 17.11.2005 – 6 AZR 118/05 – Rn. 17).

Die Beklagte hat auch in zweiter Instanz nicht in prozessual ausreichender Weise dargelegt, dass Frau K. im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung am 31.12.2015 schwanger war. Nach § 9 Abs. 1 MuSchG ist eine ohne behördliche Zustimmung (dazu § 9 Abs. 3 MuSchG) ausgesprochene Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig. Es ist erforderlich, dass dieser Zustand objektiv besteht. Nach den Informationen, die der Klägerin aufgrund der WhatsApp-Nachricht ihrer Arbeitskollegin vom 23.03.2016 vorliegen, befand sich Frau K. an diesem Tag (Mitte der 12. Kalenderwoche) in der zehnten Schwangerschaftswoche. Danach liegen gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass am 31.12.2015 keine Schwangerschaft bestand.

Entgegen der Ansicht der Beklagten musste das Arbeitsgericht keinen Beweis durch Vernehmung von Frau K. als Zeugin oder Einholung eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens über das Vorliegen einer Schwangerschaft am 31.12.2015 einholen. Es wäre vielmehr Sache der Beklagten gewesen, vorzutragen, wann ihr Frau K. die Schwangerschaft sowie den voraussichtlichen Entbindungstermin mitgeteilt hat. Es hätte genügt, wenn die Beklagte von Frau K. gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 MuSchG die Vorlage des Zeugnisses eines Arztes oder einer Hebamme über die Schwangerschaft und den voraussichtlichen Entbindungstag verlangt hätte. Ein derartiges Zeugnis hat die Beklagte – auch zweitinstanzlich – nicht vorgelegt. Hinzu kommt, dass § 9 Abs. 1 MuSchG den Bestand des Kündigungsschutzes davon abhängig macht, dass dem Arbeitgeber die Schwangerschaft im Zeitpunkt der Kündigung bekannt war oder die Mitteilung grundsätzlich innerhalb zweier Wochen nachgeholt wird. Zu ihrem Kenntnisstand und zum Zugang der Mitteilung über die Schwangerschaft hätte sich die Beklagte substantiiert erklären müssen. Dies hat sie auch zweitinstanzlich versäumt.

II.

Der zweitinstanzliche Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet. Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber berechtigt ist, den Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu stellen, liegen im Streitfall nicht vor.

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und ihn zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht erwarten lassen. Nach Satz 3 dieser Vorschrift kann der Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden.

Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt nach der Konzeption des Gesetzes nur ausnahmsweise in Betracht. Auflösungsgründe für den Arbeitgeber iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insb. nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (vgl. BAG 19.11.2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 60).

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Auflösungsantrag der Beklagten unbegründet. Die Beklagte macht zum einen geltend, dass die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit Wochendienstpläne, auch für die Monate Februar und März 2016, zur Gerichtsakte gereicht hat, die sie sich nach Ablauf der Kündigungsfrist in „sonstiger Weise“ beschafft haben müsse. Damit sei zu befürchten, dass sie auch weiterhin versuchen werde, Zugriff auf nicht frei zugängliche Daten zu nehmen. Außerdem sei die Tatsache, dass die Klägerin ihre schwangere Arbeitskollegin ausgehorcht und als Zeugin benannt, zudem noch die Vorlage ihres Mutterpasses zu Beweiszwecken beantragt habe, obwohl Frau K. ihr Kind verloren habe, im Kollegenkreis mit Betroffenheit aufgenommen und als absoluter Vertrauensmissbrauch bewertet worden. Die Teamkollegen lehnten eine weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin ab. Damit sei die Personalplanung und -einteilung erheblich erschwert. Es sei nahezu unmöglich einen Schichtplan unter Einbindung der Klägerin zu erstellen.

Diese Umstände sind nicht geeignet, den Auflösungsantrag der Beklagten zu begründen. Die Beklagte verkennt, dass gerade im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung zu berücksichtigen ist, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen bzw. dem Gericht vorlegen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (vgl. BAG 23.02.2010 – 2 AZR 554/08 – Rn. 32; BVerfG 11.04.1991 – 2 BvR 963/90 – zu C II 3 der Gründe). Ein wirkungsvoller gerichtlicher Rechtsschutz setzt voraus, dass der Rechtsuchende im gerichtlichen Verfahren, ohne Rechtsnachteile befürchten zu müssen, jene Handlungen vornehmen kann, die nach seiner von gutem Glauben bestimmten Sicht geeignet sind, sich im Prozess zu behaupten.

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann es der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen, dass sie sich – von wem und wie auch immer – Wochendienstpläne beschafft hat, um im Kündigungsschutzprozess zu belegen, dass der Beschäftigungsbedarf im Bereich KIS auch ihrer Sicht nicht zurückgegangen sei. Auch die Beschaffung von Informationen über den Beginn der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin Kiefer – durch Ausfragen der Kollegin in einem WhatsApp-Chat – war zur Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte nicht verwerflich. Bei der Sozialauswahl war die Schwangerschaft der Kollegin bei Kündigungszugang von entscheidender Bedeutung.

Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist auch nicht aus Rücksicht auf die Arbeitskollegen der Klägerin geboten, die nach dem Vortrag der Beklagten nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten wollen. Dabei kann dahinstehen, wie der Kollegenkreis der Klägerin vom Inhalt ihrer erstinstanzlichen Schriftsätze zur Sozialauswahl erfahren hat. Wenn die Klägerin, die nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG insoweit die Darlegungslast trifft, im Rechtsstreit Umstände darlegt, die aus ihrer Sicht zu einer fehlerhaften Sozialauswahl führen, kann die Empörung der vergleichbaren Arbeitnehmer darüber, dass sie in Schriftsätzen als sozial stärker benannt worden sind, kein schutzwürdiges Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung der Klägerin begründen.

III.

Da die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage obsiegt und der zweitinstanzliche Auflösungsantrag der Beklagten keinen Erfolg hat, kann sie nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 (GS 1/84) verlangen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterbeschäftigt zu werden. Wie bereits (oben unter II) zum Auflösungsantrag ausgeführt, den die Beklagte auf dieselben Gründe stützt, die sie gegen den Weiterbeschäftigungsanspruch vorbringt, liegen keine Umstände vor, aus denen sich ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung der Klägerin ergeben könnte.

C.

Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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