Arbeitsunfähigkeit und Kurzarbeit: Einfluss auf den Urlaubsanspruch
Der vorliegende Fall beleuchtet die rechtlichen Fragestellungen rund um das Thema Arbeitsunfähigkeit in Kombination mit Kurzarbeit Null und dessen Auswirkungen auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch. Im Kern geht es darum, wie sich die kurzarbeitsbedingte Aufhebung der Arbeitspflicht an ganzen Arbeitstagen auf die Berechnung des Jahresurlaubs eines Arbeitnehmers auswirkt, insbesondere wenn dieser Arbeitnehmer während des Kurzarbeitszeitraums arbeitsunfähig erkrankt war.
Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Sa 179/21 >>>
✔ Das Wichtigste in Kürze
- treitpunkt: Wie sich Kurzarbeit und gleichzeitige Arbeitsunfähigkeit auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch auswirken.
- Gesetzlicher Mindesturlaub: 20 Tage bei einer 5-Tage-Woche pro Jahr.
- Zusätzlicher vertraglicher Urlaub: Neun Arbeitstage bei einer 5-Tage-Woche pro Jahr.
- Arbeitsgerichtsentscheidung: Klage abgewiesen, da Reduzierung der Arbeitspflicht durch Kurzarbeit trotz Arbeitsunfähigkeit möglich.
- Europarecht: Steht der Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht entgegen.
- Kernargument: Arbeitsunfähigkeit und Kurzarbeit „null“ sind nicht gleichzusetzen; Erholungsbedürfnis basiert auf tatsächlicher Arbeitsleistung.
- Revision: Wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Die Ausgangslage
Der Kläger, ein Arbeitnehmer, trat in den Rechtsstreit mit der Frage, wie sich seine Arbeitsunfähigkeit während der Phase der Kurzarbeit Null auf seinen Urlaubsanspruch auswirkt. Ein besonderer Aspekt dieses Falles war, dass der Kläger während der kurzarbeitsbedingten Aufhebung seiner Arbeitspflicht gleichzeitig arbeitsunfähig erkrankt war. Das Arbeitsgericht wies die Klage des Arbeitnehmers ab und argumentierte, dass die Reduzierung der Arbeitspflicht durch die Kurzarbeitsvereinbarung auch während der Arbeitsunfähigkeit des Klägers möglich sei. Hierbei wurde betont, dass das Europarecht dieser Ansicht nicht widerspreche.
Die rechtlichen Erwägungen
Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung ein und vertiefte seine Argumentation. Er war der Meinung, dass trotz der vereinbarten Kurzarbeit und aufgrund seiner gleichzeitigen Arbeitsunfähigkeit gesetzliche Urlaubsansprüche entstehen müssten. Er argumentierte, dass die durch Krankheit suspendierte Arbeitspflicht nicht erneut durch Kurzarbeit suspendiert werden könne. Das Bundesarbeitsgericht jedoch stellte klar, dass bei einer Änderung der Arbeitstage durch Kurzarbeit der gesetzliche Urlaubsanspruch entsprechend umzurechnen sei. Dies basiert auf dem Verständnis, dass der Urlaubsanspruch in Bezug auf die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit berechnet wird.
Die Tragweite des Urteils
Das Bundesarbeitsgericht betonte, dass Zeiten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit wie normale Arbeitstage behandelt werden sollten. Allerdings, wenn während dieser Zeiten zusätzlich Kurzarbeit „null“ aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung eintritt, wird der Arbeitsrhythmus des Arbeitsverhältnisses beeinflusst. In solchen Fällen wird die Verteilung der Arbeitszeit durch die Kurzarbeitsvereinbarung geändert. Daher sollte ein gleichzeitig arbeitsunfähiger Arbeitnehmer in Bezug auf den Urlaubsanspruch genauso behandelt werden wie ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsrhythmus durch eine Kurzarbeitsvereinbarung geändert wurde.
Die Bedeutung für die Praxis
Das Urteil verdeutlicht, dass das Erholungsbedürfnis eines Arbeitnehmers in Bezug auf den Urlaubsanspruch primär durch die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung und nicht durch externe Faktoren wie Krankheit bestimmt wird. Es hebt hervor, dass das Erholungsbedürfnis eines Arbeitnehmers, der Kurzarbeit „null“ und gleichzeitige Arbeitsunfähigkeit erlebt, nicht durch die Krankheit, sondern durch die fehlende Arbeitspflicht beeinflusst wird. Dieses Urteil bietet somit Klarheit in Bezug auf die Berechnung des Urlaubsanspruchs bei Kombination von Arbeitsunfähigkeit und Kurzarbeit.
➨ Arbeitsunfähigkeit während Kurzarbeit: Was bedeutet das für Ihren Urlaubsanspruch?
Die Kombination von Arbeitsunfähigkeit und Kurzarbeit kann zu Unsicherheiten in Bezug auf den Jahresurlaubsanspruch führen. Wenn Sie sich in einer ähnlichen Situation befinden oder Fragen zu diesem Thema haben, sind Sie nicht allein. Eine fundierte Ersteinschätzung Ihrer individuellen Situation kann Klarheit schaffen. Lassen Sie sich von uns beraten und profitieren Sie von unserer Expertise im Arbeitsrecht. Gemeinsam finden wir eine Lösung und klären Ihre Ansprüche. Nehmen Sie jetzt Kontakt auf und sichern Sie sich Ihre rechtliche Unterstützung.
✔ Kurzarbeit Null – kurz erklärt
Kurzarbeit Null bezeichnet eine Situation, in der die Arbeit für Beschäftigte vorübergehend vollständig eingestellt wird. Dies kann in Unternehmen auftreten, die aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten oder anderer außergewöhnlicher Umstände ihre Mitarbeiter nicht in vollem Umfang beschäftigen können. Während der Phase der Kurzarbeit Null erhalten die betroffenen Mitarbeiter Kurzarbeitergeld. Die Höhe dieses Kurzarbeitergeldes hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie zum Beispiel der Dauer der Kurzarbeit und ob der Mitarbeiter Kinder hat. Ein kürzlich gefälltes Urteil hat klargestellt, dass für Zeiträume, in denen aufgrund von Kurzarbeit Null nicht gearbeitet wird, grundsätzlich kein Urlaubsanspruch entsteht. Daher ist es für Arbeitgeber zulässig, den Urlaubsanspruch für jeden vollen Monat der Kurzarbeit Null um 1/12 zu kürzen.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 4 Sa 179/21 – Urteil vom 29.09.2022
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 22.06.2021 – 3 Ca 248 a/21 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, wie sich die kurzarbeitsbedingte Aufhebung der Arbeitspflicht an ganzen Arbeitstagen auf die Berechnung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs des Klägers aus dem Jahre 2020 auswirkt, wobei die Besonderheit besteht, dass der Kläger gleichzeitig für den Zeitraum der kurzarbeitsbedingten Aufhebung der Arbeitspflicht arbeitsunfähig erkrankt war.
Der Kläger trat am 1. Mai 2018 als Mitarbeiter in der Betriebsschlosserei in die Dienste der Beklagten ein. Er verdiente zuletzt 2.500,00 € brutto monatlich bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden, und zwar verteilt auf fünf Arbeitstage.
Zum Urlaub heißt es unter § 6 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26. April 2018:
„1. Der Mitarbeiter hat Anspruch auf einen gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen bezogen auf eine 5-Tage-Woche pro Kalenderjahr. Die Firma gewährt dem Mitarbeiter zusätzlich zu dem gesetzlichen Mindesturlaub einen vertraglichen Urlaub von weiteren neun Arbeitstagen bezogen auf eine 5-Tage-Woche pro Kalenderjahr.
…“
Der Kläger erkrankte arbeitsunfähig ausweislich einer am 19. März 2020 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 20. März 2020 bis zum 27. März 2020. Mit Folgebescheinigung vom 26. März 2020 attestierte der behandelnde Arzt dem Kläger mit einer Folgebescheinigung eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bis zum 12. April 2020. Dem schlossen sich weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit der Maßgabe an, dass der Kläger für das Jahr 2020 bis zum 31. Dezember 2020 arbeitsunfähig erkrankt war.
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des 31. Januar 2021.
Aufgrund der Corona-Pandemie bestand bei der Beklagten im Jahre 2020 nur noch eine erheblich verminderte Beschäftigungsmöglichkeit. Aus diesem Grund führte sie mit Wirkung vom 1. April 2020 in ihrem Betrieb Kurzarbeit ein.
Der Kläger unterzeichnete dazu unter dem 23. März 2020 als Ergänzung zum Arbeitsvertrag eine Vereinbarung über Kurzarbeit. In dieser Vereinbarung heißt es:
„1. Zeitraum der Kurzarbeit
Das Arbeitsverhältnis wird im Zeitraum vom 01.04.2020 bis 31.12.2020 in Kurzarbeit fortgesetzt. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die vorzeitige Beendigung der Kurzarbeit mit einer Ankündigungsfrist von einer Woche einseitig zu erklären. Einer ggf. notwendigen Verlängerung der Kurzarbeit von bis zu sechs weiteren Monaten stimmt der Arbeitnehmer bereits jetzt zu. Diese Verlängerung der Kurzarbeit muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bis spätestens 15. Dezember 2020 mitgeteilt haben. Eine weitergehende Verlängerung bedarf einer Vereinbarung der Parteien.
2. Arbeitszeit während der Kurzarbeit
Während der Kurzarbeit beträgt die wöchentliche Arbeitszeit 0 Wochenstunden. Der Arbeitgeber kann die in Satz 1 vereinbarte Arbeitszeit durch einseitige Erklärung mit einer Ankündigungsfrist von 4 Tagen anheben oder bis Kurzarbeit „null“ absenken.
3. Verteilung der Arbeitszeit
Die in Ziffer 2.) vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit verteilt sich wie folgt: 0 Werktage á 0 Stunden. Die Verteilung der Arbeitszeit kann bei betrieblicher Notwendigkeit vom Arbeitgeber unter Beachtung billigen Ermessens verändert festgelegt werden.
4. Vergütung
Während der Kurzarbeit erhält der Arbeitnehmer für die Stunden der erbrachten Arbeitsleistung seine vertragliche Vergütung (Kurzlohn). Im Übrigen erhält der Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld. Kurzlohn und Kurzarbeitergeld werden vom Arbeitgeber monatlich abgerechnet und das sich aus Abrechnung ergebende Nettogehalt wird vom Arbeitgeber ausgezahlt. Wird während der Kurzarbeit Urlaub in Anspruch genommen, so wird der Urlaub berechnet als wäre unverkürzt gearbeitet worden.“
Für den Kläger bestand im gesamten Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 31. Dezember 2020 eine wöchentliche Arbeitszeit von „null Wochenstunden“.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis 31. Dezember 2020 gesetzliche Urlaubsansprüche erworben. Die Anordnung der Kurzarbeit stehe dem nicht entgegen. Jedenfalls führe seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit dazu, dass der Zeitraum vom 1. April bis 31. Dezember 2020 so zu behandeln sei, als seien in diesem Zeitraum Tage mit Arbeitspflicht angefallen. Dies ergebe sich sowohl aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als auch aus jener des Europäischen Gerichtshofs.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm 1.409,09 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. März 2021 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die einzelvertragliche Vereinbarung über Kurzarbeit mit „0 Wochenstunden“ in dem Zeitraum vom 1. April 2020 bis 31. Dezember 2020 führe dazu, dass in diesem Zeitraum keine gesetzlichen Urlaubsansprüche begründet wurden. Daran ändere auch nichts die gleichzeitige krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Reduzierung der Arbeitspflicht durch die Kurzarbeitsvereinbarung sei trotz der Arbeitsunfähigkeit des Klägers möglich gewesen. Das Europarecht stehe dem nicht entgegen. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Entscheidung wird Bezug genommen auf die dortigen Entscheidungsgründe.
Der Kläger hat gegen das ihm am 7. Juli 2021 zugestellte Urteil am 26. Juli 2021 Berufung eingelegt und diese am 7. Oktober 2021 nach entsprechender Fristverlängerung begründet.
Der Kläger wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag und ist insbesondere der Auffassung, dass aus europarechtlichen Gründen trotz der einzelvertraglich vereinbarten Kurzarbeit gesetzliche Urlaubsansprüche entstanden seien, und zwar weil er gleichzeitig arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Die infolge der arbeitsunfähigen Erkrankung suspendierte Arbeitspflicht könne nicht nochmals suspendiert werden. Zudem befinde sich eine – wie er – arbeitsunfähig erkrankte Person nicht in einer vergleichbaren Situation mit jener Person, deren Arbeitspflicht aufgrund einer Kurzarbeitsvereinbarung suspendiert werde.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 22.06.2021 – 3 Ca 248 a/21 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm 1.409,09 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. März 2021 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrages.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist statthaft und frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abgeltung von 15 Urlaubstagen in der zwischen den Parteien unstreitigen Höhe von 1.409.09 € brutto.
I. Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere auch hinreichend bestimmt gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Danach muss die Klageschrift unter anderem enthalten die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag. Dem wird die Klage gerecht. Ihr Gegenstand ist die Abgeltung von 15 Urlaubstagen, die nach Auffassung des Klägers entstanden sein sollen während des bestehenden Arbeitsverhältnisses in der Zeit zwischen dem 1. April 2020 und dem 31. Dezember 2020. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich insoweit um den gesetzlichen Urlaub handelt (20 Urlaubstage bei einer 5-Tage-Woche x 9 Monate : 12). Zwischen den Parteien ist wiederum rechnerisch unstreitig, dass der sich für 15 abzugeltende Urlaubstage rechnerisch ergebende Abgeltungsbetrag auf 1.409,09 € brutto beläuft.
II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Umfang des Urlaubsanspruchs war unter Berücksichtigung der kurzarbeitsbedingten Aufhebung der Arbeitspflicht an ganzen Arbeitstagen in der Zeit vom 1. April 2020 bis 31. Dezember 2020 zu berechnen. Dies folgt aus §§ 1, 3 Abs. 1, 4 BUrlG. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass der Kläger gleichzeitig in der Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 2020 arbeitsunfähig erkrankt war.
1. Nach den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG setzt der gesetzliche Urlaubsanspruch – dem Grunde nach – allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus. Er steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs ist nach § 3 Abs. 1 BUrlG zu berechnen. § 3 Abs. 1 BUrlG bestimmt die Zahl der Urlaubstage wiederum ausgehend vom Erholungszweck des gesetzlichen Mindesturlaubs in Abhängigkeit von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, zitiert nach juris, Rn. 8, 9).
2. Um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten, ist die Anzahl der Urlaubstage unter Berücksichtigung der für das Urlaubsjahr maßgeblichen Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage zu ermitteln. Maßgeblich ist grundsätzlich die im Arbeitsvertrag vorgesehene – regelmäßige – Verteilung der Arbeitszeit (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, zitiert nach juris, Rn. 10).
Bei einer – in der Regel aufgrund einzelvertraglicher Absprachen oder kollektivrechtlicher Bestimmungen – eintretenden Änderung der Arbeitstage mit Arbeitspflicht ist der gesetzliche Urlaubsanspruch unter Berücksichtigung der einzelnen Zeiträume der Beschäftigung und der auf sie entfallenden Wochentage mit Arbeitspflicht umzurechnen. Dieses Verständnis einer zeitabschnittsbezogenen Berechnung anhand der arbeitsvertraglich zu leistenden Arbeit hat in § 3 Abs. 1 BUrlG seinen Ausdruck gefunden und wird durch § 208 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 SGB IX bestätigt. Die Umrechnung erfolgt, indem die in § 3 Abs. 1 BUrlG genannten 24 Werktage durch die Zahl der Arbeitstage im Jahr bei einer 6-Tage-Woche geteilt und mit der Zahl der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitstage im Jahr multipliziert werden (24 Tage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht : 312 Werktage). Unter Umständen muss die Urlaubsdauer im Kalenderjahr mehrfach berechnet werden (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, Rn. 11).
3. Die Umrechnung des nach § 3 Abs. 1 BUrlG in Werktagen bemessenen gesetzlichen Urlaubsanspruch in Arbeitstage ist auch dann vorzunehmen, wenn die Arbeitspflicht wegen einer wirksam eingeführten Kurzarbeit an ganzen Tagen entfällt. Aus der Einführung von Kurzarbeit ergibt sich eine neue, die vertragliche Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bestimmende Verteilung der Arbeitszeit, die eine Neuberechnung der Urlaubstage nach sich zieht. Die Regelung in § 3 Abs. 1 BUrlG ist nicht dahin auszulegen, dass Arbeitstage, die aufgrund der kurzarbeitsbedingten Neuverteilung der Arbeitszeit ausgefallen sind, bei der Berechnung des Urlaubsumfangs Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen sind (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, zitiert nach juris, Rn. 14).
4. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, auf die die erkennende Berufungskammer Bezug nimmt, wurden wegen der wirksam eingeführten Kurzarbeit im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 31. Dezember 2020 mangels bestehender Arbeitspflicht keine gesetzlichen Urlaubsansprüche begründet. Dem steht nicht der Umstand entgegen, dass der Kläger gleichzeitig innerhalb dieses Zeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.
a. Richtig ist zwar zunächst der Hinweis des Klägers, dass an Tagen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nach § 1 EFZG eigentlich die Arbeitspflicht nicht nochmals suspendiert werden kann (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, Rn. 13, zitiert nach juris). Richtig ist auch, dass das Bundesarbeitsgericht unter Berücksichtigung europarechtlicher Anforderungen Zeiten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit wie Tage mit Arbeitspflicht behandelt. Das Bundesarbeitsgericht begründet dies damit, dass die – wie bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit – auf punktuellen Umständen beruhenden Arbeitsausfälle keinen prägenden Einfluss auf die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche – regelmäßige – Verteilung der Arbeitszeit haben, der arbeitsvertragliche Arbeitsrhythmus werde dadurch nicht berührt (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, zitiert nach juris, Rn. 13).
Dies trifft sicherlich zu, wenn die Arbeitspflicht allein wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit suspendiert wird. Treten zu Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit jedoch wie hier noch auf wirksamer einzelvertraglicher Vereinbarung beruhende Kurzarbeitszeiträume mit „Arbeitszeit null“ hinzu, so wird dadurch der arbeitsvertragliche Arbeitsrhythmus eben doch berührt. Für den Fall der Gesundung wäre der arbeitsvertragliche Arbeitsrhythmus berührt und es wären nicht allein punktuelle Umstände, auf die die Arbeitsausfälle beruhten. Im Gegenteil: Gerade durch die – wie hier – einzelvertragliche Vereinbarung über Kurzarbeit wurde die Verteilung der Arbeitszeit regelhaft geändert. Der gleichzeitig arbeitsunfähige Arbeitnehmer ist insoweit bezogen auf die Entstehung gesetzlicher Urlaubsansprüche so zu behandeln wie der nicht arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer, bei dem aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung ebenso der Arbeitsrhythmus regelhaft verändert wurde.
b. Dies steht auch im Einklang mit dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub und mit den Zielen der Kurzarbeit.
aa. Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG sowie der durch Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG unionsrechtlich gewährleistete Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen, zum anderen soll er über einen Zeitraum der Erholung, Entspannung und Freizeit verfügen. Dieser durch die Richtlinie 2003/88/EG vorgesehene Zweck beruht auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Fallen ganze Urlaubstage aufgrund von Kurzarbeit aus, verringert sich die durch die Erbringung der Arbeitsleistung bedingte Belastung. In diesem Fall steht es im Einklang mit dem Urlaubszweck, den Urlaubsumfang bei der Umrechnung von Werktagen in Arbeitstage an die herabgesetzte Arbeitspflicht des Arbeitnehmers anzupassen (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, Rn. 20, zitiert nach juris, Rn. 20).
An diesen Grundsätzen ändert auch nichts der Umstand, dass der Kläger während der vereinbarten Kurzarbeit gleichzeitig arbeitsunfähig erkrankte. Auch für ihn ist keine durch Erbringung der Arbeitsleistung bedingte Belastung eingetreten, für die ein Erholungsbedürfnis begründet wird. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit mag ihn belastet haben, die Belastung erfolgte aber nicht durch die Erbringung der Arbeitsleistung im Zeitraum vom 1. April bis 31. Dezember 2020.
bb. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es auch unerheblich, ob es sich bei den Arbeitstagen, die aufgrund von Kurzarbeit ausfielen, um frei planbare Tage handelte oder ob er damit rechnen musste, gegebenenfalls kurzfristig aus der Kurzarbeit wieder herausgenommen zu werden. Die diesbezüglichen Vereinbarungen in der Kurzarbeitsvereinbarung sind für die Berechnung des gesetzlichen Urlaubsanspruches nicht von Relevanz. Denn die „normale“ berufliche Inaktivität während eines Zeitabschnitts, in dem der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, ist von einer urlaubsbedingten Ruhepause zu unterscheiden. Der Urlaubsumfang ist nicht deshalb an die durch Kurzarbeit herabgesetzte Arbeitspflicht anzupassen, weil der Arbeitnehmer durch die arbeitsfreien Tage eine Kompensation für die Minderung des Urlaubs in Form einer zusätzlichen im Voraus frei plan- und gestaltbaren Freizeit erhält, sondern allein deshalb, weil sein Erholungsbedürfnis in Anbetracht der ausgefallenen Arbeit geringer ist als ohne Kurzarbeit. Das in Arbeitstagen ausgedrückte Erholungsbedürfnis steht in einem inneren Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, zitiert nach juris, Rn. 22). Daran ändert sich nichts, wenn der Arbeitnehmer gleichzeitig während der wirksam vereinbarten Kurzarbeit „null“ arbeitsunfähig erkrankt. Auch insoweit steht das Erholungsbedürfnis nicht in einem inneren Zusammenhang mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, sondern mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, die nicht besteht und folglich auch kein Erholungsbedürfnis begründen kann.
5. Dies steht auch mit Unionsrecht im Einklang. Weder Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG noch Art. 31 Abs. 2 GRC verlangen es, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub unter Einbeziehung der vollständig aufgrund von Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitstage zu berechnen und diese damit einen Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung gleichzustellen (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, zitiert nach juris, Rn. 34).
a. Die Kammer verkennt insoweit nicht, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH, 08.11.2012 – C-229/11 und C-230/11 – Heimann und Toltschin) ausgeführt hat, der Kurzarbeiter befinde sich nicht in einer mit arbeitsunfähig erkrankten Personen vergleichbaren Situation. Denn der allein von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer könne sich während der Kurzarbeit ausruhen oder Freizeittätigkeiten nachgehen.
b. Der Europäische Gerichtshof hat noch nicht ausdrücklich dazu Stellung genommen, ob bei gleichzeitiger Suspendierung der Arbeitspflicht durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und Kurzarbeit „null“ Unionsrecht verlangt, dass für diesen Mitarbeiter unionsrechtliche und damit gesetzliche Urlaubsansprüche entstehen.
c. Nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt zu übertragen. Auch der Kläger, der gleichzeitig krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist und sich aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung in Kurzarbeit „null“ befindet, ist nicht mit einem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation, sondern mit dem Kollegen, der sich für den selben Zeitraum in Kurzarbeit „null“ befindet. Denn für beide gilt, dass sie sich wegen der einzelvertraglich oder kollektivvertraglich nicht nur punktuellen Veränderung der Arbeitspflicht in einer mit einem Teilzeitbeschäftigten vergleichbaren Situation befinden. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu bereits im Urteil vom 30. November 2021 – 9 AZR 225/21 – ausgeführt, der Gerichtshof der Europäischen Union halte die Lage eines in Kurzarbeit befindlichen Arbeitnehmers mit der eines Teilzeitbeschäftigten für vergleichbar (BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21 –, zitiert nach juris, Rn. 37). Der Kläger kann sich daher gerade nicht mit einem allein arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer vergleichen, sondern muss sich mit den Arbeitnehmern vergleichen, die vergleichbar mit ihm ebenfalls eine wirksame Vereinbarung über Kurzarbeit „null“ geschlossen haben. Der Umstand, dass er gleichzeitig krankheitsbedingt arbeitsunfähig war, ändert nichts daran, dass unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eine Vergleichbarkeit mit einem Teilzeitbeschäftigten besteht („vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer“).
Tritt Kurzarbeit zur Arbeitsunfähigkeit hinzu, so bleibt der Arbeitsausfall insoweit planbar, als der etwaige Wegfall der Arbeitsunfähigkeit während der Kurzarbeit nicht zum Aufleben der Arbeitspflicht führen wird. Hinzukommt, dass auch ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer regelmäßig ein Interesse an der Einführung der Kurzarbeit zur Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes hat (zutreffend Wenning, NZA 2022, S. 904/905).
d. Die Kammer übersieht nicht, dass möglicherweise die streitgegenständliche Frage ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verlangen könnte. Nach Art. 267 Abs. 2 AEUV kann das nationale Gericht des Ausgangsverfahrens eine etwa für entscheidungserheblich gehaltene Frage das Unionsrecht vorlegen, muss dies aber nicht tun, sofern es nicht das letztinstanzliche Gericht ist (vgl. Erf.-K-Schlachter Art. 267 AEUV, Rn. 22). Da die erkennende Kammer die Revision zugelassen hat, hat es ihr Ermessen dahin ausgeübt, von einer Vorlage angesichts der zu erwartenden revisionsrechtlichen Entscheidung abzusehen.
Nach alledem ist die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.