Übersicht:
- Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Ein aktueller Fall im Fokus
- Der Fall vor Gericht
- Arbeitsunfähigkeit während Freistellung: Landesarbeitsgericht weist Klage auf Überstunden- und Urlaubsvergütung ab
- Vorgeschichte und Freistellung während Kündigungsfrist
- Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
- Rechtliche Bewertung der Freistellung und Urlaubsgewährung
- Bedeutung unzureichender Darlegung der Erkrankung
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche rechtliche Wirkung hat eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung während der Freistellung?
- Was muss ein Arbeitnehmer tun, um seine Arbeitsunfähigkeit rechtssicher nachzuweisen?
- Wie wirkt sich eine Arbeitsunfähigkeit auf bestehende Überstunden während der Freistellung aus?
- Welche Unterschiede bestehen bei der Anrechnung von Urlaub und Überstunden während einer Arbeitsunfähigkeit?
- Unter welchen Umständen kann der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifeln?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
- Datum: 20.02.2024
- Aktenzeichen: 2 Sa 92/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren im Arbeitsrecht
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht
- Beteiligte Parteien:
- Kläger: Arbeitnehmer, Servicetechniker, der Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung fordert
- Beklagte: Arbeitgeber, der sich auf die im Arbeitsvertrag vereinbarte Ausschlussfrist beruft
- Um was ging es?
- Sachverhalt: Arbeitnehmer war seit dem 01.06.2017 als Servicetechniker beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthält eine Ausschlussfristklausel, nach der Ansprüche verfallen, wenn sie nicht fristgerecht schriftlich geltend gemacht werden. Es geht um die Forderung nach Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung.
- Kern des Rechtsstreits: Es wird strittig, ob die Ansprüche auf Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung trotz der vertraglich festgelegten Ausschlussfrist noch durchsetzbar sind.
- Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung des Klägers wurde auf dessen Kosten zurückgewiesen; die Revision wurde nicht zugelassen.
- Folgen: Der Kläger trägt die Kosten, und seine Forderungen auf Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung bleiben unberücksichtigt.
Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Ein aktueller Fall im Fokus

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist ein zentrales Dokument im Beschäftigungsverhältnis, wenn Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht zur Arbeit erscheinen können. Sie dient als Nachweis der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber und sichert wichtige Rechte und Pflichten wie den Anspruch auf Lohnfortzahlung. Der Beweiswert dieser ärztlichen Bescheinigung wird grundsätzlich als sehr hoch eingestuft.
Doch was passiert, wenn Arbeitgeber Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit haben? Die rechtlichen Grundlagen sehen vor, dass der Beweiswert einer ärztlichen Stellungnahme erschüttert werden kann, wenn konkrete Anhaltspunkte gegen die bescheinigte Erkrankung sprechen. Ein aktueller Fall zeigt die Komplexität dieser Thematik.
Der Fall vor Gericht
Arbeitsunfähigkeit während Freistellung: Landesarbeitsgericht weist Klage auf Überstunden- und Urlaubsvergütung ab
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat die Berufungsklage eines Servicetechnikers auf Zahlung von Überstunden– und Urlaubsvergütung zurückgewiesen. Der Kläger hatte nach seiner unwiderruflichen Freistellung während der Kündigungsfrist Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht und forderte die Auszahlung von drei Urlaubstagen sowie 41,5 Überstunden in Höhe von insgesamt 1.340,24 Euro brutto.
Vorgeschichte und Freistellung während Kündigungsfrist
Der seit Juni 2017 beschäftigte Servicetechniker kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 30. September 2022. Nach einem Auslandseinsatz wurde er am 12. September 2022 von seinem Arbeitgeber unwiderruflich unter Anrechnung von Urlaub und Überstunden von der Arbeitsleistung freigestellt. Am selben Tag legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die bis zum 16. September 2022 galt. Eine weitere Bescheinigung folgte für den Zeitraum bis zum 30. September 2022.
Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
Das Gericht sah den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als erschüttert an. Ausschlaggebend war unter anderem, dass zwei Teamkollegen des Klägers ebenfalls zum 30. September gekündigt hatten und für den Zeitraum der Freistellung ebenfalls Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlegten. Alle drei nahmen zum 1. Oktober 2022 eine neue Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber auf. Das Gericht wertete diese Umstände als Indiz gegen eine tatsächliche Erkrankung.
Rechtliche Bewertung der Freistellung und Urlaubsgewährung
Der Arbeitgeber kann im Rahmen seines Direktionsrechts einseitig Freizeitausgleich für geleistete Überstunden anordnen, wie das Gericht betonte. Eine nachträglich eintretende Arbeitsunfähigkeit macht die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs nicht hinfällig. Der Arbeitnehmer trägt das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung gewonnene Freizeit auch tatsächlich nutzen zu können.
Bei der Urlaubsgewährung gilt hingegen ein anderer Maßstab: Eine während des Urlaubs eintretende Arbeitsunfähigkeit verhindert grundsätzlich die Erfüllung des Urlaubsanspruchs. Dies setzt jedoch voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen ist. Da der Kläger trotz gerichtlicher Aufforderung keine konkreten Tatsachen zu Art, Schwere und Verlauf seiner Erkrankung vortrug, konnte er sich nicht auf eine Arbeitsunfähigkeit berufen.
Bedeutung unzureichender Darlegung der Erkrankung
Der Kläger blieb nach Ansicht des Gerichts konkrete Angaben zu seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen schuldig. Es fehlten Ausführungen zu Symptomen, ärztlichen Untersuchungen, verordneten Medikamenten oder Therapien. Auch die Widersprüche in seinen Aussagen wertete das Gericht zu seinen Lasten – einerseits habe ihm die Arbeit Halt gegeben, andererseits sei die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt worden, um ihn aus dem Arbeitsprozess herauszunehmen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht die zentrale Bedeutung von arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen bei der Geltendmachung von Ansprüchen wie Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung. Besonders wichtig ist die Einhaltung der im Arbeitsvertrag festgelegten Fristen zur schriftlichen Geltendmachung (hier: drei Monate nach Fälligkeit). Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nach Freistellung unter Anrechnung von Urlaub und Überstunden verhindert nicht die Wirksamkeit dieser betrieblichen Maßnahmen, wenn sie vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen wurden.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Als Arbeitnehmer müssen Sie Ihre Ansprüche auf Überstundenvergütung oder Urlaubsabgeltung innerhalb der vertraglich vereinbarten Ausschlussfristen geltend machen – auch wenn Sie krank werden. Prüfen Sie daher unmittelbar nach Erhalt Ihrer letzten Gehaltsabrechnung, ob alle Ihre Ansprüche korrekt abgegolten wurden. Eine später eintretende Arbeitsunfähigkeit ändert nichts an einer zuvor rechtmäßig erfolgten Freistellung unter Anrechnung von Urlaub und Überstunden. Beachten Sie besonders die Fristen in Ihrem Arbeitsvertrag, da Sie Ihre Ansprüche sonst vollständig verlieren können.
Benötigen Sie Hilfe?
Konflikte bei der Geltendmachung von Urlaubs- und Überstundenansprüchen?
Die Geltendmachung von Urlaubs- und Überstundenansprüchen kann zu unerwarteten Herausforderungen führen, insbesondere im Zusammenhang mit einer Freistellung. Das Zusammenspiel von Arbeitsunfähigkeit, fristgerechter Geltendmachung und der Beweislast kann schnell zu komplexen Situationen führen.
Wir unterstützen Sie bei der Prüfung Ihrer Ansprüche und helfen Ihnen, die notwendigen Schritte einzuleiten, um Ihre Rechte zu wahren. Unsere Expertise im Arbeitsrecht ermöglicht es uns, Ihre individuelle Situation umfassend zu analysieren und gemeinsam mit Ihnen eine passende Lösung zu erarbeiten. Nehmen Sie Kontakt auf, um Ihre Fragen zu klären.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche rechtliche Wirkung hat eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung während der Freistellung?
Grundsätzliche Beweiskraft der AU-Bescheinigung
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) hat auch während einer Freistellung einen hohen Beweiswert für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Wenn Sie während der Freistellung erkranken, müssen Sie dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen und spätestens nach drei Kalendertagen eine ärztliche Bescheinigung vorlegen.
Erschütterung der Beweiskraft
Der Beweiswert einer AU-Bescheinigung kann jedoch erschüttert werden, wenn bestimmte Umstände vorliegen:
- Die AU-Bescheinigung deckt exakt die Dauer der Kündigungsfrist ab
- Sie nehmen unmittelbar nach Ende der Freistellung eine neue Beschäftigung auf
- Die AU wurde ohne persönliche ärztliche Untersuchung ausgestellt
In diesen Fällen müssen Sie als Arbeitnehmer beweisen, dass tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vorlag. Dies können Sie beispielsweise durch eine Aussage des behandelnden Arztes nach Entbindung von der Schweigepflicht tun.
Entgeltfortzahlung bei Krankheit
Bei einer bezahlten Freistellung haben Sie im Krankheitsfall für maximal sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Nach Ablauf dieser Frist endet die Zahlungspflicht des Arbeitgebers – auch wenn die Freistellung noch länger andauert.
Besonderheiten bei unwiderruflicher Freistellung
Bei einer unwiderruflichen Freistellung ist besondere Vorsicht geboten: Nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung besteht kein Anspruch auf Krankengeld von der Krankenkasse, da das sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis mit dem Tag vor der Freistellung endet. Anders verhält es sich bei einer widerruflichen Freistellung – hier bleibt der Krankengeldanspruch bestehen.
Wenn Sie während der Freistellung erkranken, müssen Sie weiterhin alle Pflichten eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers erfüllen. Dazu gehört auch die Vorlage von Folgebescheinigungen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als zunächst bescheinigt andauert.
Was muss ein Arbeitnehmer tun, um seine Arbeitsunfähigkeit rechtssicher nachzuweisen?
Unverzügliche Anzeigepflicht
Als Arbeitnehmer müssen Sie Ihre Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer dem Arbeitgeber unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, mitteilen. Diese Mitteilung sollte idealerweise bei Betriebsbeginn oder vor Ihrer persönlichen Arbeitszeit erfolgen. Die Anzeige kann formlos erfolgen – telefonisch, per E-Mail oder mündlich.
Ärztlicher Nachweis
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, müssen Sie spätestens am darauffolgenden Arbeitstag eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Wichtig: Der Arbeitgeber kann die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch schon ab dem ersten Krankheitstag verlangen.
Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)
Seit dem 1. Januar 2023 gilt für gesetzlich Versicherte: Die Arztpraxis übermittelt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung elektronisch an die Krankenkasse. Der Arbeitgeber ruft diese Daten dann bei der Krankenkasse ab. Sie erhalten vom Arzt nur noch einen Papierausdruck für Ihre eigenen Unterlagen.
Besondere Fälle
Bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit über die ursprünglich bescheinigte Zeit hinaus müssen Sie:
- Eine neue ärztliche Bescheinigung (Folgebescheinigung) einholen
- Den Arbeitgeber erneut unverzüglich informieren
Bei Erkrankung im Ausland sind Sie verpflichtet:
- Die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer dem Arbeitgeber in der schnellstmöglichen Art mitzuteilen
- Ihre Adresse am Aufenthaltsort anzugeben
- Bei Rückkehr ins Inland den Arbeitgeber und die Krankenkasse unverzüglich über Ihre Rückkehr zu informieren
Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Nur wenn der Arbeitgeber ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit nachweisen kann, kann dieser Beweiswert erschüttert werden.
Wie wirkt sich eine Arbeitsunfähigkeit auf bestehende Überstunden während der Freistellung aus?
Eine Arbeitsunfähigkeit während einer Freistellung zum Überstundenabbau führt nicht zu einem erneuten Anspruch auf die Überstunden. Der Arbeitgeber muss durch Krankheit „verlorene“ Überstunden nicht nachgewähren.
Rechtliche Grundsätze
Die Freistellung zum Überstundenabbau ist als reine Arbeitszeitverlegung zu verstehen. Sobald der Arbeitgeber die Freistellung erklärt, ist der Anspruch auf Überstundenausgleich erfüllt. Eine später eintretende Arbeitsunfähigkeit ändert daran nichts.
Voraussetzungen für die Wirksamkeit
Damit die Freistellung wirksam ist, muss der Arbeitgeber die Zeiten der Arbeitsbefreiung vor der Erkrankung festgelegt und bekannt gegeben haben. Wenn der Arbeitgeber bei der Planung der Freistellung bereits von einer Arbeitsunfähigkeit wusste oder damit rechnen musste, ist ein Freizeitausgleich nicht möglich.
Begründung der Rechtslage
Der Arbeitnehmer trägt das Risiko, die durch Überstundenleistung gewonnene Freistellung nicht nach seinen Vorstellungen nutzen zu können. Dies unterscheidet sich vom gesetzlichen Urlaub, bei dem eine Erkrankung zur Gutschrift der Urlaubstage führt. Bei Überstunden gibt es weder einen besonderen Erholungszweck noch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für den Krankheitsfall.
Wenn Sie Überstunden angesammelt haben und während einer angeordneten Freistellung erkranken, werden die Überstunden dennoch als ausgeglichen betrachtet. Dies gilt auch dann, wenn Sie die gewonnene Freizeit krankheitsbedingt nicht wie gewünscht nutzen können.
Welche Unterschiede bestehen bei der Anrechnung von Urlaub und Überstunden während einer Arbeitsunfähigkeit?
Bei der Anrechnung von Urlaub und Überstunden während einer Arbeitsunfähigkeit gelten grundlegend unterschiedliche rechtliche Regelungen.
Urlaubstage bei Arbeitsunfähigkeit
Urlaubstage werden bei nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit nicht verbraucht. Nach § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet. Wenn Sie also während Ihres Urlaubs erkranken, bleiben diese Urlaubstage erhalten und können zu einem späteren Zeitpunkt genommen werden.
Überstunden bei Arbeitsunfähigkeit
Bei Überstunden gilt eine andere Rechtslage: Überstunden werden auch dann abgebaut und verbraucht, wenn während der Freistellung zum Überstundenabbau eine Arbeitsunfähigkeit eintritt. Der Grund dafür ist, dass es bei Überstunden weder einen besonderen Erholungszweck noch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für den Krankheitsfall gibt.
Rechtliche Begründung der Unterscheidung
Die unterschiedliche Behandlung basiert auf folgenden Grundsätzen:
Bei Urlaub steht der gesetzlich vorgesehene Erholungszweck im Vordergrund. Wenn Sie während des Urlaubs erkranken, kann dieser Erholungszweck nicht erreicht werden.
Bei Überstunden hingegen verzichtet der Arbeitgeber durch die Anordnung des Überstundenabbaus auf Ihre Arbeitsleistung. Die Arbeitsleistung wurde bereits im Voraus erbracht, weshalb ein späterer Ausgleich nicht erforderlich ist.
Praktische Auswirkungen
Wenn Sie für einen bestimmten Zeitraum Überstunden abbauen und in dieser Zeit erkranken, tragen Sie das Risiko, die durch Überstundenleistung gewonnene Freistellung nicht nach Ihren Vorstellungen nutzen zu können. Eine Nachgewährung der durch Krankheit „verlorenen“ Überstunden ist nicht möglich. Dies verstößt auch nicht gegen das Entgeltfortzahlungsgesetz, da die Arbeitsleistung bereits im Voraus erbracht wurde.
Unter welchen Umständen kann der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifeln?
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) besitzt grundsätzlich einen hohen Beweiswert. Ein einfaches Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen reicht für eine erfolgreiche Anfechtung nicht aus.
Voraussetzungen für die Erschütterung des Beweiswertes
Der Arbeitgeber muss konkrete Tatsachen darlegen und beweisen, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. Dabei werden keine überhöhten Anforderungen an den Vortrag des Arbeitgebers gestellt, da seine Erkenntnismöglichkeiten naturgemäß eingeschränkt sind.
Typische Erschütterungsgründe
Folgende Umstände können den Beweiswert einer AU erschüttern:
- Eine zeitliche Koinzidenz zwischen AU und wichtigen arbeitsrechtlichen Ereignissen, insbesondere wenn die Krankschreibung passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst
- Verstöße gegen die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie bei der Ausstellung der AU, etwa wenn die Bescheinigung ohne persönliche ärztliche Untersuchung erfolgte
- Eine vorherige Ankündigung des Arbeitnehmers, nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen, ohne dabei eine Krankheit zu erwähnen
- Widersprüchliches Verhalten des Arbeitnehmers während der Arbeitsunfähigkeit
Rechtliche Folgen der Erschütterung
Gelingt die Erschütterung des Beweiswertes, kehrt sich die Beweislast um. Der Arbeitnehmer muss dann substantiiert darlegen und beweisen, dass tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vorlag. Dies kann durch:
- Detaillierte Angaben zu den konkreten Krankheitssymptomen
- Informationen über die erhaltene Behandlung
- Dokumentation der verschriebenen Medikamente
- Eine Aussage des behandelnden Arztes nach Entbindung von der Schweigepflicht erfolgen
Der Arbeitgeber darf die Entgeltfortzahlung jedoch nicht willkürlich verweigern, sondern muss stichhaltige Gründe für seine Zweifel haben.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Beweiswert
Der Begriff bezieht sich auf den nachweislichen Wert einer Erklärung oder eines Dokuments im gerichtlichen Verfahren. Er gibt an, inwiefern der vorgelegte Beweis als glaubwürdig und stichhaltig angesehen wird und somit das Gericht bei der Urteilsfindung unterstützt. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird beispielsweise als hoch eingestuft, solange keine stichhaltigen Zweifel an ihrer Richtigkeit bestehen. Gesetzliche Grundlagen hierzu ergeben sich aus den allgemeinen Beweisvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO).
Beispiel
Ein Arzt legt eine Bescheinigung vor, die aufgrund fehlender Widersprüche einen hohen Beweiswert besitzt und somit dem Arbeitgeber als ausreichender Nachweis der Erkrankung dient.
Unwiderrufliche Freistellung
Dieser Begriff bezeichnet eine arbeitsrechtliche Regelung, bei der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung entbindet, ohne diese Entscheidung später rückgängig machen zu können. Damit ist die Freistellung endgültig und der Arbeitnehmer muss nicht, auch nicht plötzlich, zur Erbringung seiner Arbeitsleistung zurückkehren. Die unwiderrufliche Freistellung erfolgt häufig im Rahmen der Kündigungsfrist, um Konflikte zu vermeiden und offene Ansprüche zu regeln – rechtlich abgesichert etwa durch Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes und arbeitsvertragliche Vereinbarungen.
Beispiel
Ein Arbeitnehmer, der während seiner Kündigungsfrist freigestellt wird, erhält den Befehl, nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen, und diese Entscheidung bleibt dauerhaft bestehen.
Direktionsrecht
Das Direktionsrecht gibt dem Arbeitgeber das Recht, innerhalb der Schranken des Arbeitsvertrags und geltender Gesetze, die Arbeitsbedingungen einseitig zu gestalten. Es umfasst die Weisungsbefugnis zur Gestaltung von Arbeitszeit, Arbeitsort sowie in bestimmten Fällen auch die Anordnung von Freizeitausgleich. Diese Regelung basiert auf dem Weisungsrecht des Arbeitgebers, welches sich etwa aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und arbeitsvertraglichen Vereinbarungen ergibt. Dabei muss das Direktionsrecht stets im Rahmen der Arbeitsgesetze sowie des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgeübt werden.
Beispiel
Ein Arbeitgeber kann seinen Mitarbeitern anordnen, Überstunden durch Freizeit auszugleichen, solange die Vorgaben des Direktionsrechts beachtet werden.
Kündigungsfrist
Die Kündigungsfrist ist der Zeitraum zwischen der Abgabe der Kündigung und dem tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnisses. Sie sorgt dafür, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ausreichend Zeit haben, sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzustellen und gegebenenfalls Ersatz zu suchen. Die Regelungen dazu finden sich beispielsweise im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Arbeitsvertrag. Durch die Einhaltung der Kündigungsfrist wird gewährleistet, dass bestehende Ansprüche und Pflichten geordnet abgewickelt werden können.
Beispiel
Wird ein Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen beendet, muss der Arbeitnehmer noch diesen Zeitraum arbeiten, bevor das Arbeitsverhältnis endgültig endet.
Anspruch auf Lohnfortzahlung
Dieser Anspruch sichert Arbeitnehmern die Zahlung ihres Lohns, auch wenn sie wegen Krankheit nicht arbeiten können. Das Gesetz verpflichtet den Arbeitgeber zur Fortzahlung des Gehalts für einen festgelegten Zeitraum, sofern die Arbeitsunfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen wird – Grundlage hierfür ist insbesondere das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Der Anspruch dient dem Schutz der Arbeitnehmer in Krisenzeiten und gewährleistet, dass sie finanziell abgesichert sind, solange sie arbeitsunfähig sind.
Beispiel
Erkrankt ein Arbeitnehmer und legt er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, erhält er seinen Lohn in der Regel für bis zu sechs Wochen ohne Unterbrechung weiter ausgezahlt.
Freizeitausgleich
Freizeitausgleich bezeichnet den Anspruch eines Arbeitnehmers, geleistete Überstunden oder Mehrarbeit durch zusätzliche Freizeit anstelle von Geldzahlungen kompensieren zu lassen. Dieses Instrument ist Teil der Arbeitszeitausgleichsregelungen und dient dazu, die Arbeitsbelastung auszugleichen. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers spielt hierbei eine Rolle, da dieser den Freizeitausgleich anordnen kann, sofern dies mit den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und gesetzlichen Bestimmungen, wie dem Arbeitszeitgesetz, in Einklang steht.
Beispiel
Hat ein Mitarbeiter Überstunden angesammelt, kann sein Arbeitgeber entscheiden, dass er diese Stunden in Form von zusätzlichem Urlaub abfeiert, anstatt eine finanzielle Überzahlung zu leisten.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Dieser Paragraph definiert den Arbeitsvertrag und die gegenseitigen Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Im vorliegenden Fall ist der Kläger als Servicetechniker bei der Beklagten beschäftigt, was die Grundlage für die geltend gemachten Ansprüche bildet.
- Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) § 7 Abs. 4: Regelt die Abgeltung von Urlaub, wenn dieser nicht genommen werden kann. Der Kläger fordert die Auszahlung verbleibender Urlaubstage, was direkt unter diesen Paragraphen fällt, da die Beklagte die Urlaubstage nicht gewährt hat.
- Arbeitszeitgesetz (ArbZG) § 3: Bestimmt die zulässige Arbeitszeit und die Vergütung von Überstunden. Der Kläger beansprucht die Auszahlung von Überstunden, die gemäß diesem Gesetz ordnungsgemäß vergütet werden müssen.
- § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Definiert die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren für Ansprüche. Die im Arbeitsvertrag festgelegten Ausschlussfristen müssen im Einklang mit dieser gesetzlichen Verjährungsfrist stehen, um wirksam zu sein.
- Mindestlohngesetz (MiLoG) § 3 Abs. 4: Schließt Ansprüche nach dem MiLoG von vertraglichen Ausschlussfristen aus. Dies ist relevant, da der Arbeitsvertrag des Klägers solche Ausschlussfristen vorsieht, die jedoch für Mindestlohnansprüche nicht gelten und somit den Anspruch des Klägers auf Überstunden- und Urlaubsabgeltung unterstützen.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 2 Sa 92/23 – Urteil vom 20.02.2024
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