Übersicht:
- Bedeutung und Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Arbeitsrecht
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Arbeitgeber die Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifeln darf?
- Was muss ein Arbeitnehmer tun, wenn der Beweiswert seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wurde?
- Welche rechtlichen Folgen hat die erfolgreiche Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
- Wie kann ein Arbeitnehmer vorbeugen, dass der Beweiswert seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert wird?
- Welche Rolle spielt der behandelnde Arzt bei der Verteidigung gegen die Erschütterung des Beweiswerts?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
- Datum: 30.07.2024
- Aktenzeichen: 10 Sa 699/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren in einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Arbeitnehmer, der Anspruch auf Entgeltfortzahlung während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit geltend macht. Er argumentiert, dass der Beweiswert der von ihm vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht erschüttert sei.
- Beklagte: Der Arbeitgeber, der die Zahlung verweigert und behauptet, dass die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kein Beweiswert haben, da es sich um Gefälligkeitsatteste handeln könnte.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Der Kläger kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2023 und nahm im Vorfeld bezahlte Freizeit für Stellensuche. Er meldete sich im Mai 2023 krank und legte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die den Zeitraum bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses abdeckten. Der Arbeitgeber, die Beklagte, stellte zwar eine Lohnabrechnung aus, verweigerte letztlich aber die Zahlung mit der Begründung, die Bescheinigungen könnten gefälscht sein und seien von einem unpassenden Arzt ausgestellt worden.
- Kern des Rechtsstreits: Ob der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Klägers ausreichend ist, um einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu begründen, oder ob die Indizien der Beklagten diesen Beweiswert erschüttern.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg; die Klage wurde abgewiesen, und der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
- Begründung: Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wurde durch verschiedene Indizien erschüttert, darunter die Überschreitung des empfohlenen Zeitraums von zwei Wochen bei der Ausstellung, die zeitliche Koinzidenz mit der Kündigungsfrist und der Konflikt um den Freistellungsanspruch. Zudem lag keine ausreichende Darlegung durch den Kläger zu den Krankheitsursachen vor.
- Folgen: Der Kläger muss die Kosten des Verfahrens tragen, und das Urteil ist endgültig, da keine Revision zugelassen wurde. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und die Anforderungen an deren Schlüssigkeit im arbeitsrechtlichen Kontext.
Bedeutung und Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Arbeitsrecht

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist ein zentrales Dokument im Arbeitsrecht, das den Gesundheitszustand eines Arbeitnehmers dokumentiert. Sie dient als rechtlich relevanter Nachweis für Fehlzeiten und bildet die Grundlage für Ansprüche wie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Beweiswert dieser ärztlichen Bescheinigung ist nicht unantastbar. Unter bestimmten Umständen kann die Beweiskraft einer Krankmeldung erschüttert werden, was komplexe rechtliche und arbeitsmedizinische Fragen aufwirft. Dabei spielen Faktoren wie Dokumentationspflichten, der Verlauf der Erkrankung und mögliche Zweifel am Gesundheitszustand eine entscheidende Rolle.
Welche rechtlichen Konsequenzen eine solche Erschütterung haben kann und welche Anforderungen dabei an Arbeitgeber und Arbeitnehmer gestellt werden, zeigt der folgende konkrete Rechtfall.
Der Fall vor Gericht
Entgeltfortzahlung nach Konflikten um Freistellung zur Stellensuche verweigert
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat einem Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung für eine Krankschreibung verweigert, die sich über den gesamten letzten Monat seines gekündigten Arbeitsverhältnisses erstreckte. Der Arbeitnehmer hatte nach eigener Kündigung zum 30. Juni 2023 im April und Mai wiederholt bezahlte Freizeit für seine Stellensuche in Anspruch genommen.
Streitpunkt Freistellung und nachfolgende Krankmeldung
Nach sieben Freistellungstagen äußerte der Arbeitgeber am 7. Mai 2023 Bedenken über den Umfang der Freistellungen und verwies auf den Bedarf an Arbeitsleistung. Der Arbeitnehmer reagierte mit der Ankündigung, seine Rechte notfalls einzuklagen. Am 30. Mai 2023 meldete er sich krank und legte zwei aufeinanderfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die den Zeitraum vom 30. Mai bis zum 30. Juni 2023 – dem letzten Tag des Arbeitsverhältnisses – abdeckten.
Zweifel an der Beweiskraft der Krankmeldungen
Das Gericht sah mehrere Indizien, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschütterten. Die erste Bescheinigung überschritt mit 17 Tagen die in der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie vorgesehene Regelfrist von zwei Wochen. Zudem endete die attestierte Arbeitsunfähigkeit exakt mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses, wobei der Arbeitnehmer im Juli 2023 unstreitig ein neues Arbeitsverhältnis aufnahm.
Timing der Krankmeldung als strategische Entscheidung
In der Gesamtschau wertete das Gericht auch den zeitlichen Abstand zwischen dem Konflikt um die Freistellungen und der späteren Krankmeldung als belastendes Indiz. Eine unmittelbare Krankmeldung nach dem Streitgespräch hätte noch auffälliger gewirkt. Zudem hätte eine frühere Krankschreibung dazu geführt, dass die sechswöchige Entgeltfortzahlungsfrist bereits vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses abgelaufen wäre.
Beweislast liegt beim Arbeitnehmer
Da der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert war, hätte der Arbeitnehmer konkrete Tatsachen zu seiner Erkrankung darlegen müssen – etwa zu den gesundheitlichen Einschränkungen und ärztlichen Verordnungen. Da er dies unterließ, wies das Landesarbeitsgericht seine Klage auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 2.750 Euro brutto ab und änderte damit das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts.
Die Schlüsselerkenntnisse
„Das Urteil verdeutlicht, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch verschiedene Umstände erschüttert werden kann, insbesondere wenn mehrere verdächtige Indizien zusammentreffen. Als relevant wurden hier die zeitliche Passgenauigkeit der Krankschreibung zum Arbeitsende, ein vorheriger Konflikt um Freistellungen und die Überschreitung der üblichen Bescheinigungsdauer gewertet. Das Gericht macht deutlich, dass in solchen Fällen der Arbeitnehmer zu den konkreten Krankheitsursachen vortragen muss.“
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreichen, sollten Sie besonders vorsichtig sein, wenn diese zeitlich genau mit dem Ende Ihres Arbeitsverhältnisses zusammenfällt oder unmittelbar nach einem Konflikt mit dem Arbeitgeber ausgestellt wurde. In solchen Fällen könnte Ihr Arbeitgeber den Beweiswert der Krankschreibung anzweifeln. Achten Sie darauf, dass die Bescheinigung die übliche 14-Tage-Frist nicht überschreitet und lassen Sie sie von einem für Ihre Erkrankung zuständigen Facharzt ausstellen. Bei Zweifeln des Arbeitgebers müssen Sie bereit sein, genauere Angaben zu Ihrer Erkrankung zu machen, um Ihren Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu sichern.
Benötigen Sie Hilfe?
Krankschreibung im Konfliktfall: Schützen Sie Ihre Rechte!
Das Urteil zeigt, wie wichtig es ist, im Umgang mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen rechtlich abgesichert zu sein, besonders wenn Konflikte mit dem Arbeitgeber bestehen. Schon kleine Fehler können dazu führen, dass Ihr Anspruch auf Entgeltfortzahlung gefährdet ist. Gerade bei zeitkritischen Entscheidungen und Unsicherheiten im Zusammenhang mit einer Kündigung ist eine professionelle Beratung unerlässlich.
Wir unterstützen Sie dabei, Ihre Rechte als Arbeitnehmer zu wahren und im Krankheitsfall finanzielle Nachteile zu vermeiden. Mit unserer Expertise im Arbeitsrecht helfen wir Ihnen, Ihre Interessen gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen und rechtliche Fallstricke zu umgehen.
Sprechen Sie uns an, um Ihre individuelle Situation zu besprechen und gemeinsam die beste Strategie für Ihr Anliegen zu entwickeln.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Arbeitgeber die Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifeln darf?
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) besitzt grundsätzlich einen hohen Beweiswert für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Wenn Sie als Arbeitgeber die Beweiskraft einer AU anzweifeln möchten, müssen Sie konkrete tatsächliche Umstände darlegen und im Streitfall beweisen, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung begründen.
Typische Verdachtsmomente
Der Beweiswert einer AU kann insbesondere in folgenden Situationen erschüttert werden:
- Wenn die AU passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst
- Bei einer Krankmeldung nach einer innerbetrieblichen Auseinandersetzung
- Wenn die AU ohne ärztliche Untersuchung ausgestellt wurde
- Bei auffällig häufigen oder kurzen Krankmeldungen, besonders zu Beginn oder Ende der Woche
- Bei genesungswidrigem Verhalten während der AU
- Wenn die AU von einem Arzt stammt, der durch häufige Ausstellung von Krankschreibungen auffällig geworden ist
Rechtliche Anforderungen
Wenn Sie als Arbeitgeber Zweifel an einer AU haben, reicht ein einfaches Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit nicht aus. Sie müssen objektiv greifbare Umstände nachweisen. Die Rechtsprechung stellt dabei keine überhöhten Anforderungen an Ihren Vortrag, da Ihre Erkenntnismöglichkeiten als Arbeitgeber eingeschränkt sind.
Folgen der erfolgreichen Erschütterung
Gelingt es Ihnen, den Beweiswert zu erschüttern, kehrt sich die Beweislast um. Der Arbeitnehmer muss dann konkret darlegen und beweisen, dass tatsächlich eine Erkrankung vorlag. Hierzu gehören:
- Detaillierte Angaben zu den vorliegenden Krankheiten
- Beschreibung der gesundheitlichen Einschränkungen
- Darlegung der ärztlich verordneten Verhaltensmaßregeln oder Medikamente
Der Arbeitnehmer kann dies beispielsweise durch eine Zeugenvernehmung des behandelnden Arztes nach Entbindung von der Schweigepflicht nachweisen.
Was muss ein Arbeitnehmer tun, wenn der Beweiswert seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wurde?
Wenn der Beweiswert Ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) erschüttert wurde, müssen Sie Ihre tatsächliche Arbeitsunfähigkeit selbst nachweisen. Dies bedeutet eine Umkehr der Beweislast – Sie tragen nun die volle Verantwortung für den Nachweis Ihrer Erkrankung.
Konkrete Darlegungspflichten
Sie müssen detailliert darlegen:
- Die Art und den Verlauf Ihrer konkreten Erkrankung
- Die spezifischen gesundheitlichen Einschränkungen
- Die Auswirkungen auf Ihre Arbeitsfähigkeit bezogen auf Ihre konkrete Tätigkeit
Ein bloßes Vorlegen der ärztlichen Diagnosen reicht dabei nicht aus. Sie müssen vielmehr substantiiert nachweisen, wie sich die Erkrankung auf Ihre Arbeitsfähigkeit ausgewirkt hat.
Beweismöglichkeiten
Der Nachweis kann durch verschiedene Maßnahmen erfolgen:
Sie können Ihren behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden, damit dieser als Zeuge aussagen kann. Der Arzt kann dann zu Diagnose, Krankheitsverlauf und den konkreten Auswirkungen auf Ihre Arbeitsfähigkeit befragt werden.
Zusätzlich können Sie weitere Beweismittel vorlegen, wie etwa:
- Detaillierte ärztliche Gutachten
- Dokumentation der Behandlung und Medikation
- Konkrete Verhaltensmaßregeln des Arztes
Bedeutung für die Entgeltfortzahlung
Gelingt Ihnen der Nachweis nicht, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern. Die Beweislast liegt nun vollständig bei Ihnen als Arbeitnehmer, und verbleibende Zweifel gehen zu Ihren Lasten.
Der Medizinische Dienst der Krankenkassen kann auf Veranlassung des Arbeitgebers eine gutachterliche Stellungnahme zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholen. Diese Überprüfung muss unverzüglich nach Vorlage der ärztlichen Feststellung über die Arbeitsunfähigkeit erfolgen.
Welche rechtlichen Folgen hat die erfolgreiche Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
Beweislastumkehr
Wenn der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) erfolgreich erschüttert hat, kehrt sich die Beweislast um. Der Arbeitnehmer muss dann konkrete Tatsachen darlegen und beweisen, die den Schluss auf eine tatsächlich bestehende Arbeitsunfähigkeit zulassen.
Anforderungen an den Nachweis
Der Arbeitnehmer muss zur Beweisführung:
- Detaillierte Angaben zur Art und zum Verlauf der Erkrankung machen
- Konkrete Symptome und gesundheitliche Beeinträchtigungen beschreiben
- Behandlungsmethoden und Medikation darlegen
- Den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden und als Zeugen benennen
Mögliche Konsequenzen
Gelingt dem Arbeitnehmer der Nachweis nicht, hat dies weitreichende Folgen:
Entgeltfortzahlung: Der Arbeitgeber kann die Entgeltfortzahlung für den streitigen Zeitraum verweigern. Bereits geleistete Zahlungen können unter Umständen zurückgefordert werden.
Arbeitsrechtliche Konsequenzen: Bei nachgewiesener vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit drohen:
- Eine Abmahnung
- In schweren Fällen eine außerordentliche Kündigung
Bedeutung für die Praxis
Die erfolgreiche Erschütterung des Beweiswerts bedeutet nicht automatisch den Verlust des Entgeltfortzahlungsanspruchs. Vielmehr eröffnet sie dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, seine Arbeitsunfähigkeit auf andere Weise nachzuweisen. Die Anforderungen an diesen Nachweis sind jedoch deutlich höher als bei einer unerschütterten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Wie kann ein Arbeitnehmer vorbeugen, dass der Beweiswert seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert wird?
Persönliche ärztliche Untersuchung sicherstellen
Als Arbeitnehmer sollten Sie stets eine persönliche ärztliche Untersuchung wahrnehmen. Online-Krankschreibungen oder Bescheinigungen ohne unmittelbaren Arztbesuch schwächen den Beweiswert Ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erheblich. Der behandelnde Arzt muss sich einen persönlichen Eindruck von Ihrem Gesundheitszustand verschaffen können.
Zeitliche Aspekte beachten
Achten Sie auf die zeitliche Komponente Ihrer Krankmeldung. Vermeiden Sie insbesondere:
- Eine Arbeitsunfähigkeit, die exakt mit der Kündigungsfrist zusammenfällt
- Rückdatierungen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung um mehr als zwei Tage
- Auffällige Häufungen von Krankmeldungen an bestimmten Wochentagen oder um Feiertage herum
Dokumentation und Kommunikation
Bei längerer Erkrankung sollten Sie:
Ihre Krankheitssymptome sorgfältig dokumentieren. Dies hilft Ihnen, im Zweifelsfall den Krankheitsverlauf nachvollziehbar darzulegen. Informieren Sie Ihren Arbeitgeber rechtzeitig über Ihre Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer.
Verhalten während der Arbeitsunfähigkeit
Während Ihrer Krankschreibung sollten Sie:
- Keine Tätigkeiten ausüben, die Zweifel an Ihrer Arbeitsunfähigkeit wecken könnten
- Bei Aufforderung durch den Arbeitgeber einer Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung nachkommen
- Bei ernsthaften Zweifeln des Arbeitgebers bereit sein, Ihren behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden
Medizinische Nachweise
Stellen Sie sicher, dass:
- Alle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ordnungsgemäß und vollständig ausgestellt sind
- Bei längerer Krankheit Folgebescheinigungen rechtzeitig vorgelegt werden
- Bei schwerwiegenden Erkrankungen zusätzliche medizinische Unterlagen verfügbar sind, die Ihre Arbeitsunfähigkeit belegen können
Welche Rolle spielt der behandelnde Arzt bei der Verteidigung gegen die Erschütterung des Beweiswerts?
Der behandelnde Arzt nimmt eine zentrale Beweisposition ein, wenn der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wurde.
Ärztliche Zeugenaussage als Hauptbeweismittel
Wenn Sie als Arbeitnehmer den vollen Beweis für Ihre Arbeitsunfähigkeit erbringen müssen, können Sie sich auf das Zeugnis Ihres behandelnden Arztes berufen. Dafür müssen Sie den Arzt allerdings von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Der Arzt kann dann als Zeuge im Prozess aussagen und die Arbeitsunfähigkeit bestätigen.
Bedeutung der ärztlichen Dokumentation
Eine sorgfältige ärztliche Dokumentation stärkt die Beweiskraft erheblich. Der Arzt sollte dabei folgende Aspekte dokumentieren:
- Die konkreten Krankheitssymptome und Diagnosen
- Die festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen
- Die verordneten Behandlungsmaßnahmen und Medikamente
- Die Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit
Mitwirkungspflichten des Arztes
Der Arzt ist verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien einzuhalten. Bei Verstößen gegen diese Richtlinien kann er sogar schadenersatzpflichtig werden. Der Arzt muss insbesondere:
Eine persönliche Untersuchung des Patienten durchführen. Eine rein telefonische Krankschreibung ist nicht ausreichend. Die Diagnose muss nach spätestens sieben Tagen konkretisiert werden – eine bloße Symptombeschreibung reicht dann nicht mehr aus.
Bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung kann der Arzt durch seine Dokumentation und Zeugenaussage maßgeblich dazu beitragen, die Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen und den erschütterten Beweiswert wiederherzustellen.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Entgeltfortzahlung
Eine gesetzlich garantierte Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber im Krankheitsfall. Nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) hat ein Arbeitnehmer für maximal sechs Wochen Anspruch auf 100% seines regulären Arbeitsentgelts, wenn er unverschuldet durch Krankheit arbeitsunfähig wird. Danach springt die Krankenversicherung mit Krankengeld ein. Wichtig ist, dass die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig gemeldet und nachgewiesen wird. Beispiel: Ein Arbeitnehmer wird wegen einer Grippe für zwei Wochen krankgeschrieben und erhält in dieser Zeit weiterhin sein volles Gehalt.
Beweiswert
Die rechtliche Qualität und Überzeugungskraft eines Beweismittels vor Gericht. Bei einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gilt zunächst eine hohe Beweiskraft (§ 7 EFZG), die jedoch durch konkrete Umstände erschüttert werden kann. Dazu gehören zeitliche Auffälligkeiten, Widersprüche oder das Verhalten des Arbeitnehmers. Nach einer Erschütterung muss der Arbeitnehmer seine tatsächliche Erkrankung detailliert nachweisen. Beispiel: Eine Krankschreibung genau bis zum letzten Arbeitstag mit sofortiger Arbeitsaufnahme beim neuen Arbeitgeber kann den Beweiswert erschüttern.
Beweislast
Die rechtliche Pflicht einer Partei, die für sie günstigen Tatsachen zu beweisen. Bei Arbeitsunfähigkeit muss zunächst der Arbeitnehmer seine Erkrankung durch ärztliche Bescheinigung nachweisen (§ 5 EFZG). Will der Arbeitgeber den Beweiswert erschüttern, muss er dafür konkrete Indizien vorlegen. Nach erfolgreicher Erschütterung geht die Beweislast wieder auf den Arbeitnehmer über, der dann detailliert seine Erkrankung belegen muss. Beispiel: Ein Arbeitnehmer muss nach Anzweiflung seiner Krankschreibung konkrete Behandlungsunterlagen vorlegen.
Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie
Eine verbindliche Vorgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses für Ärzte zur Feststellung und Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit. Sie regelt unter anderem die Dauer der Erstbescheinigung (in der Regel maximal 14 Tage) und die Kriterien zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit. Die Richtlinie dient als wichtige Orientierung für Gerichte bei der Bewertung von Krankschreibungen. Verstöße gegen diese Richtlinie können den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mindern. Beispiel: Eine ohne erneute Untersuchung ausgestellte Folgebescheinigung über mehrere Wochen widerspricht der Richtlinie.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG §§ 3-3a): Das Entgeltfortzahlungsgesetz regelt die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeitnehmer. Es bestimmt, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, auch während einer Arbeitsunfähigkeit den Lohn für bis zu sechs Wochen weiterzuzahlen, sofern die Arbeitsunfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen wird. Das Gesetz schützt Arbeitnehmer vor Einkommensverlusten bei Krankheit.
Im vorliegenden Fall beträgt das Arbeitsverhältnis bis zum 30. Juni 2023, und der Kläger meldete sich arbeitsunfähig krank. Die Entgeltfortzahlung gemäß EntgFG ist daher relevant, da der Kläger Anspruch auf sein Gehalt für den Krankheitszeitraum hat.
- Richtlinie über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit (Gemeinsamer Bundesausschuss – G-BA): Diese Richtlinie legt die Standards für die Ausstellung und Bewertung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen fest. Sie bestimmt, welche medizinischen Gutachten erforderlich sind und wie die Arbeitsunfähigkeit beurteilt wird, um Missbrauch zu verhindern.
Die Beklagte argumentiert, dass die vorgelegten Bescheinigungen keinen ausreichenden Beweiswert haben, da sie von einem Diabetologen ausgestellt wurden und der Zeitraum über 14 Tage hinausging. Die Richtlinie des G-BA ist somit zentral für die Bewertung der Aussagekraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Fall.
- Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG § 5 Abs. 4): Diese Vorschrift bezieht sich auf die maximale Dauer der Entgeltfortzahlung und besondere Regelungen bei längeren Krankheitszeiten. Sie kann beeinflussen, wie Krankmeldungen über einen bestimmten Zeitraum hinaus behandelt werden.
Im vorliegenden Fall überschreitet die erste Bescheinigung den vierzehntägigen Zeitraum, was von der Beklagten als Argument genutzt wird, dass der Beweiswert erschüttert sei. § 5 Abs. 4 EntgFG ist somit direkt relevant für die Bewertung der Krankmeldungen des Klägers.
- Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG § 286): Dieses Gesetz regelt die Beweislast im arbeitsrechtlichen Verfahren. Es bestimmt, wer welche Tatsachen beweisen muss und wie die Beweiswürdigung erfolgt.
Das Landesarbeitsgericht musste den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beurteilen. Die Regelungen des ArbGG § 286 sind daher entscheidend für die Entscheidung, ob die Bescheinigungen als ausreichender Nachweis anerkannt werden.
- Kündigungsschutzgesetz (KSchG § 1): Das Kündigungsschutzgesetz schützt Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Kündigungen und regelt die Bedingungen, unter denen eine Kündigung rechtmäßig ist. Es umfasst auch Regelungen zur Freistellung und zum Verhalten während der Kündigungsfrist.
Im Fall des Klägers gab es Auseinandersetzungen über bezahlte Freizeit zur Stellensuche während der Kündigungsfrist und die anschließende Krankmeldung. Das KSchG ist daher relevant, um zu beurteilen, ob die Freistellungen und die Kündigung rechtmäßig erfolgt sind und ob dies Auswirkungen auf den Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Niedersachsen – Az.: 10 Sa 699/23 – Urteil vom 30.07.2024
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