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Arbeitsunfall – doppelten Vorsatz im Sinne §§ 104, 105 SGB VII

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 4 Sa 279/21 – Urteil vom 02.11.2021

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 24.02..2021, Az. 4 Ca 1561/20 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagten dem Kläger zum Ersatz materieller und immaterieller Schäden verpflichtet sind.

Der am 1967 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 01.02.2019 als Bauhelfer bei dem Beklagten zu 1., der eine Bauunternehmung betreibt, tätig. Der Beklagte zu 2. ist der Vater des Beklagten zu 1. und als „Bauleiter“ tätig. Der Kläger war in seinem Beruf seit 35 Jahren tätig.

Die Bauunternehmung des Beklagten zu 1. arbeitete auf einer Baustelle in E und erbrachte dort insbesondere Schalungsarbeiten und Ausgießarbeiten von Treppen mit Beton.

Am 19.02.2019 kam es zu einem schweren Arbeitsunfall auf der Baustelle. An diesem Tag waren neben dem Kläger noch zwei weitere Mitarbeiter, Herr V , der Sohn des Klägers, und Herr R , der Schwiegersohn des Klägers, tätig. Der Kläger entfernte die Verschalung einer Betontreppe einschließlich der Stützen. Ob dies auf Anweisung des Beklagten zu 2. geschah, steht zwischen den Parteien im Streit. Die Betontreppe stürzte in sich zusammen und begrub den Kläger unter sich. Der Kläger erlitt schwerste Verletzungen und musste sich mehrfach in vollstationäre Behandlung begeben. Er leidet weiterhin unter massiven Folgen des Arbeitsunfalles.

Im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Beklagten zu 1. wurde von der Staatsanwaltschaft K eine Stellungnahme des Amtes für Arbeitsschutz eingeholt. In dieser Stellungnahme heißt es, dass die Betontreppe nach der DIN 1045: 1988-07 nicht vor Ablauf einer Frist von 20 Tagen hätte ausgeschalt werden dürfen. In der Stellungnahme der Bezirksregierung heißt es zudem, dass den Grundpflichten des Arbeitgebers nach dem Arbeitsschutzgesetz seitens des Beklagten zu 1. nicht nachgekommen wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme wird auf dessen Abschrift (Bl.57 der Akte) Bezug genommen. Zudem wurde der Beklagte zu 2. im Rahmen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens als Zeuge vernommen. Während der Vernehmung sagte der Beklagte zu 2. aus, dass sein Sohn – der Beklagte zu 1. – am Vortag die Anweisung erteilt habe, die Bretter an der Stirnseite der Stufen zu entfernen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Aussage wird auf die deren Abschrift (Bl.64 der Akte) Bezug genommen.

Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft K gegen den Beklagten zu 1. wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde gemäß § 153 StPO eingestellt.

Arbeitsunfall - doppelten Vorsatz im Sinne §§ 104, 105 SGB VII
(Symbolfoto: ME Image/Shutterstock.com)

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihm die Beklagten als Gesamtschuldner zum Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Schäden aufgrund des Unfalls vom 19.02.2019 und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet seien. Der Kläger hat behauptet, dass der Beklagte zu 1. ihm am Abend des 18.02.2019 über Herrn V telefonisch habe ausrichten lassen, dass er am 19.02.2019 am Bauvorhaben in E arbeiten solle. Am 19.02.2019 sei gegen 11:00 Uhr der Beklagte zu 2. auf der Baustelle erschienen und habe den Kläger ausdrücklich angewiesen, die Verschalung der vierten Betontreppe einschließlich der Stützen zu entfernen. Der Kläger habe nachgefragt, ob er wirklich „alles“ also Verschalung inklusive der Stützen entfernen solle. Daraufhin habe der Beklagte zu 2. geantwortet: „Ja, alles.“. Da das Arbeitsverhältnis noch keine drei Wochen bestanden habe und der Kläger Ärger mit den Beklagten vermeiden wollte, habe er keine weiteren Fragen mehr gestellt und sei den Anweisungen des Beklagten zu 2. gefolgt. Kurz vor Abschluss der Arbeiten sei es dann zu dem folgenschweren Unfall gekommen. Der Kläger habe die Anweisung alles, also auch die Stufenbretter und die komplette Ausschalung an der vierten Betontreppe, zu entfernen auch nicht missverstanden, obwohl seine Deutschsprachkenntnisse nur rudimentär seien. Die Weisung sei klar gewesen. Der Beklagte zu 2. habe den Kläger angewiesen, die Betontreppe auszuschalen, obwohl er wusste, dass die Ausschalfristen noch lange nicht abgelaufen und der Beton somit nicht ausgehärtet gewesen sei. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass beide Beklagten in erheblichem Umfang gegen arbeitsschutzrechtliche Pflichten verstoßen und hinsichtlich des Unfalls mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt hätten. Es habe weder eine Gefährdungsbeurteilung stattgefunden noch eine Sicherheitsunterweisung. Eine Unterweisung sei zwingend erforderlich gewesen. Der Kläger und k einer der anderen am 19.02.2019 tätigen Mitarbeiter habe Deutsch verstanden. Die drei Arbeiter seien allein auf der Baustelle tätig gewesen, ohne einen Vorarbeiter. Aufgrund dieses Fehlverhaltens hätten die Beklagten den streitgegenständlichen Arbeitsunfall zumindest billigend in Kauf genommen und somit vorsätzlich herbeigeführt.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf den Unfall vom 19.02.2019 auf dem Bauvorhaben „W “ zurückzuführen sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;

2. die Beklagten zu verurteilen, ihm ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 40.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit als Gesamtschuldner zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben behauptet, dass es zu keiner Zeit ein Bestreben gegeben habe, Mitarbeiter zu gefährden oder sogar Verletzungen herbeizuführen. Keinesfalls hätten sie den Unfall und insbesondere die schweren Verletzungsfolgen für den Kläger billigend in Kauf genommen. Der Kläger habe während der Zeugenaussage im Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten zu 1. darauf hingewiesen, dass er zwar keine Ausbildung absolviert habe, aber zuvor in den 35 Jahren auf sehr vielen Baustellen gearbeitet habe und entsprechend angelernt worden sei. Er habe 40 bis 50 Betontreppen gebaut sowie die Betontreppe, die eingestürzt ist. Der Kläger habe weiter ausgeführt, dass nach seiner Kenntnis die Austrocknung von Fertigbeton ungefähr 15 Tage dauere. Die Beklagten haben die Meinung vertreten, dass der Kläger entsprechend seiner Behauptung über ausreichende Erfahrung im Bereich des Betonbaus verfügt habe. Der Kläger habe aufgrund seiner Erfahrung selbst erkennen können, dass die Betontreppe nicht ausgehärtet gewesen sein konnte. Er habe daher die von ihm behauptete Anweisung nicht ausführen dürfen. Zu den Anweisungen bezüglich der Betontreppe haben die Beklagten behauptet, dass der Beklagte zu 1. die Anweisung erteilt habe, die Randschalung und die Stufenbretter, nicht jedoch die Unterschalung der Treppe nebst Stützen zu entfernen. Der Beklagte zu 2. habe keine Anweisung erteilt, die Verschalung der Betontreppe einschließlich der Stützen zu entfernen. Diese Arbeit habe der Kläger auf eigene Veranlassung hin ausgeführt. Die Beklagten haben behauptet, dass der Kläger am 08.02.2019 eine Arbeitsschutzunterweisung erhalten habe. Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, dass aus dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren deutlich werde, dass ein Ausschluss der Haftung gemäß § 104 SGB VII und gemäß § 105 SGB VII vorliege. Es sei nur gegen den Beklagten zu 1. und gegen ihn lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt worden. Dies belege, dass kein Vorsatz gegeben sei.

Mit Urteil vom 24.02.2021 hat das Arbeitsgericht Siegburg die Klage des Klägers wegen der Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld abgewiesen. Der Haftungsausschluss von §§ 104 Abs. 1 und 105 Abs. 1 SGB VII greife ein. Ein vorsätzliches Handeln der Beklagten habe der Kläger nicht dargelegt. Der Beklagte zu 1. habe den Haftungsfall nicht vorsätzlich herbeigeführt. Allein die vorsätzliche Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften genügte nicht. Andere Pflichtverletzungen, insbesondere konkrete Handlungsanweisungen des Beklagten zu 1. habe der Kläger nicht vorgetragen. Ansprüche gegen den Beklagten zu 2. seien aufgrund des Haftungsausschlusses nach § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Auch in diesem Fall kommen Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche nur in Betracht, wenn dem Beklagten zu 2. ein vorsätzliches Handeln nachgewiesen werden kann. Selbst wenn unterstellt werde, dass der Beklagte zu 2. die vom Kläger behauptete Arbeitsanweisung zur Entfernung der Verschalung und der Stützen der Betontreppe erteilt hätte, sei aus der Arbeitsanweisung allein nicht zu schlussfolgern, dass der Beklagte zu 2. die Verletzung des Klägers billigend in Kauf genommen habe. Dafür gebe es entgegen der Auffassung des Klägers keine Anhaltspunkte. Es seien keine Tatsachen ersichtlich, aus denen man folgern könnte, dass der Beklagte zu 2. davon ausgegangen sei, dass die Betontreppe über dem Kläger zusammenbricht, diesen unter sich begräbt und schwer verletzt. Aus dem eigenen Vortrag des Klägers ergebe sich, dass er über 35 Jahre Erfahrung auf dem Bau, insbesondere im Hinblick auf Betontreppen, hatte. Dies hätten auch die Beklagten gewusst. Ausgehend von diesem Wissen, könne nicht unterstellt werden, dass der Beklagte zu 2. davon ausgegangen sei, dass ein über Jahrzehnte erfahrener Bauhelfer trotz etwaiger sprachlicher Schwierigkeiten eine Anweisung entweder völlig falsch versteht oder eine möglicherweise falsche Anweisung auch dann befolgt, wenn dies für ihn eine Lebensgefährdung bedeute.

Gegen das am 09.04.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.05.2021 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung – mit Schriftsatz vom 07.07.2021 begründet.

Der Kläger verfolgt sein ursprüngliches Begehren weiter. Er wiederholt im Wesentlichen den erstinstanzlichen Vortrag. Das Arbeitsgericht habe sich nicht mit dem Vortrag des Klägers auseinandergesetzt. Der Kläger behauptet, dass am 19.02.2019 ausschließlich ungelernte Arbeiter vor Ort gewesen seien, die kein Deutsch sprechen. Deswegen seien die Arbeitsanweisungen des Beklagten zu 1. am Tag zuvor über Herrn V erfolgt, der als Dolmetscher fungiert habe. Es sei am 18.02.2019 keine Anweisung gegeben worden, die Betontreppen zu entschalen. Die Anweisung habe der Beklagte zu 2. am 19.02.2019 gegen 11:00 Uhr erteilt. Es komme darauf an, dass die Arbeitnehmer die Anweisungen, die ihnen von anderssprachigen Vorgesetzten erteilt werden, verstehen. Es sei den Beklagten zu diesem Zeitpunkt klar gewesen, dass die Betontreppe nicht ausgehärt war und die Statik/Konstruktion nicht in Ordnung war. Zudem haben die Beklagten die Betontreppe nacharbeiten lassen und gegen alle arbeitsschutzrechtlichen Pflichten verstoßen. Es habe keine Unterweisung über die Gefährdungen auf der Baustelle gegeben, kein Hinweis auf die Ausschalfristen. Der Beklagte zu 2. habe den Kläger „mal eben so und ganz nebenbei“ angewiesen, die Verschalung inklusive Stützen zu entfernen. Der Kläger ist der Meinung, dass ein ähnlich gelagerter Fall vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – 6 Sa 374/18 berücksichtigt werden müsse. Die Übertragung der Entscheidung auf den vorliegenden Fall bedeute, dass der Beklagte zu 2. den Personenschaden des Klägers zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Dies müsse sich der Beklagte zu 1. zurechnen lassen. Bezüglich der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften sei die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.06.2018 – Az.: 8 AZR 471/12 zu berücksichtigen. Die diversen Fehlverhalten der Beklagten mögen für sich und einzeln betrachtet keinen Vorsatz begründen, in ihrem kumulativen Zusamm enwirken aber ohne jeden Zweifel.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 24.02.2021, Az. 4 Ca 1651/20, abzuändern und

1. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf den Unfall vom 19.02.2019 auf dem Bauvorhaben „A “ zurückzuführen sind, soweit die Ansprüche nicht auf die Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;

2. die Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 40.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.07.2021 als Gesamtschuldner zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, dass die Berufung bereits unzulässig sei. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 02.09.2021 – Az.: 11 Sa 145/21. Der Kläger habe den doppelten Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Versicherungsfalls nicht dargelegt. Entgegen seiner Erfahrung versuche der Kläger sich als Hilfsarbeiter ohne Erfahrung darzustellen. Der Kläger sei aufgrund jahrelanger Tätigkeit im Baugewerbe eine Fachkraft im Betonbau. Zum 19.02.2019 behaupten die Beklagten, dass nur Arbeiten auszuführen waren, die für ungelernte Arbeiter geeignet waren. Wegen der vom Kläger vorgetragenen rudimentären Deutschkenntnisse der am 19.02.2019 anwesenden Mitarbeiter sei es kaum möglich gewesen, dass der Beklagte zu 2. die ausführliche Arbeitsanweisung an den Kläger – wie von ihm behauptet – erteilt habe. Der Beklagte zu 2. habe die Anweisung nicht erteilt. Wegen der Verständigung sei, wie vom Kläger vorgetragen, die Arbeitsanweisung am 18.02.2019 erteilt worden. Wegen der Überwachung der Arbeiter habe der Beklagte zu 1. den Beklagten zu 2. zur Baustelle gesendet, um die Arbeiter zu überwachen. Überwachen bedeute allerdings nicht, dass jede Minute eine Aufsicht erfolgen müsse. Es sei keine Anweisung erfolgt, die Stützpfeiler der Treppe zu entfernen. Die Betontreppe sei nicht auf Veranlassung der Beklagten nachgearbeitet worden. Sie hätten auch keine Kenntnis von den statischen / konstruktiven Unsicherheit der Betontreppe am 19.02.2019 gehabt. Diese Bedenken seien erst nach dem Unfall entstanden. Die Arbeiter auf der Baustelle seien von den Anweisungen abgewichen, was zu dem schicksalhaften Unfall geführt hätte. Die Beklagten sind der Meinung, dass der Verstoß gegen die arbeitsschutzrechtlichen Pflichten keine unmittelbare Auswirkung auf den notwendigen doppelten Vorsatz habe. Gegen den Vorsatz spreche, dass am 19.02.2019 drei im Baugewebe erfahr ene Arbeitnehmer tätig gewesen sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, noch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Die Berufung ist zulässig.

In der Berufungsbegründung muss für jeden der Streitgegenstände eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügende Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Die aufgrund § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG anwendbare Vorschrift des § 520 Abs. 3Satz 2 Nr. 2 ZPO erfordert eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Der Berufungsführer hat die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Er muss sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des Urteils befassen, wenn er dieses bekämpfen will. Formelhafte Wendungen und die bloße Bezugnahme oder Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens genügt nicht (LAG Köln, Urteil vom 31. August 2016 – 11 Sa 829/15 – Rn. 14, juris). Der Kläger hat in der Berufungsbegründung dargelegt, in welchen Punkten das Arbeitsgericht den Sachverhalt aus seiner Sicht falsch bewertet hat. Nach den Hinweisen bzw. dem Beschluss im Prozesskostenhilfeverfahren hat der Kläger sich mit den Argumenten der Kammer auseinandergesetzt. Welche Aspekte für die Unzulässigkeit der Berufung führen, ließen die Beklagten offen.

III. Die Klage ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Kläger gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung oder Zahlung von Schmerzensgeld hat. Die Ansprüche sind aufgrund der sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierungen des § 104 Abs. 1 SGB VII und des § 105 SGB ausgeschlossen.

1. Schadenersatzansprüche des Klägers können sich grundsätzlich aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB oder wegen unerlaubter Handlung aus § 823 Abs. 1 BGBG ergeben.

Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger nach § 280 Abs. 1 BGB Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Nach § 823 Abs. 1 BGB ist dem anderen zum Schadensersatz verpflichtet, wer vorsätzlich oder fahrlässig u.a. den Körper oder die Gesundheit eines anderen widerrechtlich verletzt (BAG, Urteil vom 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – NZA 2020. 745, 747).

Der Beklagte zu 1. muss sich die Handlungen des Beklagten zu 2. als Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGBG bzw. als Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 BGB zurechnen lassen.

Der Arbeitgeber haftet dem geschädigten Arbeitnehmer gegenüber gemäß § 278 S. 1 BGB für schuldhaft begangene Rechtsverletzungen, die für ihn als Erfüllungsgehilfen eingesetzte Mitarbeiter oder Vorgesetzte begehen. Dabei ist es jedoch erforderlich, dass die schuldhafte Handlung des als Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers handelnden Mitarbeiters in einem engen sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben steht, die der Arbeitgeber ihm als Erfüllungsgehilfen zugewiesen hat. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Erfüllungsgehilfe gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers konkretisiert bzw. wenn er ihm gegenüber Weisungsbefugnis besitzt (BAG, Urteil vom 28. April 2011 – 8 AZR 769/09 – Rn. 46, juris). Der Beklagte zu 2. hat für den Beklagten zu 1. gearbeitet und ist zu Erteilung von Weisungen berechtigt gewesen.

2. Allerdings ist eine etwaige Ersatzpflicht des Beklagten zu 1. gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII und des Beklagten zu 2. gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Bei dem Unfall am 19.02.2019 handelt es sich um einen Arbeitsunfall im Sinne von § 8 SGB VII und damit um einen Versicherungsfall im Sinne von § 7 SGB VII. Die Beklagten haben den Versicherungsfall nicht vorsätzlich herbeigeführt.

a. Der Beklagte zu 1. betreibt das Bauunternehmen.

Nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben. Unternehmer im Sinne des Unfallversicherungsrechts sind die in § 136 Abs. 3 SGB VII genannten Stellen, für den gewerblichen Bereich also die natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personenvereinigung oder -gemeinschaft, der das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht, mithin derjenige, der das Geschäftswagnis, das Unternehmerrisiko, trägt (ErfK/Rolfs, 21. Aufl. 2021 Rn. 11, SGB VII § 104 Rn. 11). Der Beklagte zu 1. handelt unter Telgheider Bauunternehmung.

Unternehmer ist insbesondere die natürliche oder juristische Person oder die rechtsfähige Personenvereinigung oder -gemeinschaft, der das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Danach ist eine juristische Person selbst Unternehmer und nicht ihre gesetzlichen Vertreter; diesen kann das Haftungsprivileg ggf. nach § 105 SGB VII zugutekommen. Bei OHG und GbR sind die Gesellschafter Unternehmer i.S.d. § 104 SGB VII, soweit sie am Gewinn und Verlust teilnehmen (Schaub ArbR-HdB/Koch, § 61. Arbeitsunfall Rn. 57). Das Haftungsprivileg gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII kommt dem Beklagten zu 1. zugute. Selbst wenn der Haftungsausschluss nicht gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII greifen sollte, so wäre dieser gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII gegeben.

b. Im Hinblick auf den Vortrag des Klägers im Kammertermin scheinen folgende grundsätzliche Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zum Haftungsprivileg geboten.

Hintergrund des Haftungsprivilegs zugunsten des Arbeitgebers gegenüber dem Schadensersatzverlangen eines Beschäftigten ist, dass bei einem Arbeitsunfall die gesetzliche Unfallversicherung eintritt, in die die Unternehmer Beiträge zu zahlen haben und dafür im Gegenzug im Regelfall – außer wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeiführen – von der Haftung befreit sind.

aa. Die gesetzliche Unfallversicherung verlagert den Schadensausgleich bei Arbeitsunfällen aus dem individualrechtlichen in den sozialrechtlichen Bereich. Die zivilrechtliche Haftung des Unternehmers für fahrlässiges Verhalten bei Personenschäden gegenüber dem Arbeitnehmer wird nach § 104 SGB VII durch die öffentlich-rechtliche Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung abgelöst. Mit dieser Ablösung einher geht nach § 105 SGB VII eine entsprechende Haftungsfreistellung aller Betriebsangehörigen bei Betriebsunfällen.

bb. Die gesetzliche Regelung dient zum einen dem Schutz des Geschädigten durch Einräumung eines vom Verschulden unabhängigen Anspruchs gegen einen leistungsfähigen Schuldner. Der Geschädigte muss weder ein Verschulden des Schädigers nachweisen noch sich ein eigenes Mitverschulden auf seine Ansprüche anrechnen lassen. Diese werden, vielmehr ohne Verzögerung durch langwierige und mit einem Prozessrisiko behaftete Auseinandersetzungen mit dem Schädiger, von Amts wegen festgestellt. Zum anderen dienen sowohl die Enthaftung des Unternehmers, der durch seine Beiträge die gesetzliche Unfallversicherung mitträgt und für den dadurch auch das Unfallrisiko kalkulierbar wird, als auch die Enthaftung der Betriebsangehörigen dem Betriebsfrieden. Selbst wenn der Haftungsausschluss, der nicht für Vorsatz und für Sachschäden gilt, nicht schlechthin den Frieden im Betrieb garantieren kann, so ist er doch geeignet, Anlässe zu Konflikten einzuschränken. Dass sich das der §§ 104, 105 SGB VII zugrunde liegende Prinzip einmal zugunsten des Geschädigten, ein anderes Mal zu dessen Nachteil auswirken kann, ist dabei systemimmanent, da die Anspruchsvoraussetzungen und die Leistungen im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht und die im sozialrechtlichen Unfallversicherungsrecht nicht deckungsgleich sind.

cc. § 104 Abs.1 SGB VII umfasst den Ersatz des Personenschadens insgesamt.

(1) Ein Personenschaden ist der Schaden, den der Verletzte in seiner körperlichen oder seelischen Unversehrtheit erleidet und der zu einer zivilrechtlichen Entschädigungspflicht führt; gleichzeitig muss ein Gesundheitsschaden als ein den Versicherungsfall konstituierendes Merkmal eingetreten sein.

(2) Ersatzansprüche der in den §§ 104 – 107 SGB VII genannten Art sind alle Ansprüche vertraglicher oder deliktischer Natur, die auf Ersatz des Personenschadens gerichtet sind und auf ein Geschehen gestützt werden, das einen Versicherungsfall darstellen kann.

(3) Da der Haftungsausschluss bezweckt, den Arbeitgeber (§ 104 SGB VII) – und den Arbeitskollegen (§ 105 SGB VII) – von der Haftung wegen Personenschäden insgesamt freizustellen, fallen unter die Personenschäden nicht nur immaterielle Schäden (Schmerzensgeld), sondern auch Heilbehandlungskosten und Vermögensschäden wegen der Verletzung oder Tötung des Versicherten. Diese Kosten werden durch die Unfallversicherung nach dem Haftungsersetzungsprinzip abgedeckt.

dd. Die Regelung des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII ist verfassungsgemäß. Soweit bestimmte Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht übernommen bzw. bestimmte Schadenspositionen durch die gesetzliche Unfallversicherung nicht ausgeglichen werden, ändert dies nichts daran, dass der Haftungsausschluss verfassungskonform ist. Eine Deckungsgleichheit der Leistungen ist nicht erforderlich (vgl. BAG, Urteil vom 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – NZA 2020. 745, 747 – 749).

c. Eine Einschränkung des Haftungsausschlusses liegt nicht vor.

aa. Der Haftungsausschluss nach § 104 Abs. 1 SGB VII entfällt nicht bereits dann, wenn ein bestimmtes Handeln, das für den Unfall ursächlich gewesen ist, gewollt und gebilligt wurde. Für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ist vielmehr ein „doppelter Vorsatz“ erforderlich. Der Vorsatz des Schädigers muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen (BAG, Urteil vom 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – Rn. 46, juris).

Der Vorsatz enthält ein „Wissenselement“ und ein „Wollenselement“. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz bezieht, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Die Annahme eines bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. Die objektive Erkennbarkeit der Tatumstände reicht nicht aus. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen vor, wenn der Handelnde darauf vertraut, der Schaden werde nicht eintreten (BAG, Urteil vom 20.06.2013 – 8 AZR 471/12 – Rn. 24, juris).

bb. Eine Einschränkung des Haftungsausschlusses ist unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers nicht gegeben. Im Folgenden wird der Vortrag des Klägers unterstellt.

(1). Die Einteilung von ungelernten Arbeitnehmern ohne die Überwachung durch einen Vorarbeiter oder Bauleiter begründet den Vorsatz bezüglich des Verletzungserfolges – der Schädigung des Klägers – nicht. Der Beklagte zu 1. müsste es bei der Einteilung der Arbeitnehmer für die Baustelle zunächst für möglich gehalten haben, dass die Arbeitnehmer sich durch Arbeiten selber gefährden und dass es zu einem Unfall kommen kann. Dies kann ohne die Darlegung weiterer Umstände nicht angenommen werden. Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Kläger (KassKomm/Ricke, 115. EL Juli 2021, SGB VII § 104 Rn. 20). Entsprechend hat es ihm oblegen, den Vorsatz darzulegen.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1. seine Beschäftigten nicht gefährden wollte. Zudem wären mit einem Unfall die Verzögerung der Fertigstellung der Baustelle und die daraus resultierenden Schwierigkeiten verbunden. Es ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1. seine Zeitpläne bei den Bauvorhaben einhalten und umsetzen will.

Nach dem Vortrag des Klägers kann mit der vorstehenden Annahme der Vorsatz weder begründet noch abgelehnt werden. Damit ist der Kläger nach seinem eigenen Vortrag der Darlegungslast in diesem Punkt nicht nachgekommen.

(2). Dass die drei eingeplanten Arbeitnehmer der deutschen Sprache nicht mächtig sind, begründet den Vorsatz des Beklagten zu 1. bezüglich der Schädigung des Klägers nicht. Soweit die eingeplanten Arbeitnehmer miteinander kommunizieren können, kann nicht von einer Gefährdung und vor allem nicht davon ausgegangen werden, dass eine Person verletzt wird. Für diese Annahme fehlt es an der Darlegung weiterer Umstände für den Vorsatz des Beklagten zu 1.. Dies bezieht sich auf die Verständigung der drei Arbeiter am 19.02.2019 während ihrer Tätigkeiten im Bauvorhaben. Bezogen auf die Anweisungen des Beklagten zu 1. ist nach Vortrag des Klägers davon auszugehen, dass seine Arbeitsanweisung am 18.02.2019 mittels der Übersetzung von Herrn V erteilt worden ist. Damit hätte der Beklagte zu 1. nach Vortrag des Klägers sich so verhalten, dass keine Sprachbarriere bestand. Selbst wenn dem Beklagten zu 1. am 19.02.2019 bewusst gewesen wäre, dass der Beklagte zu 2. eine dem Kläger nicht verständliche weitere Arbeitsanweisung erteilt, fehlt es am Vortrag des Klägers dazu, dass der Beklagte zu 1. damit eine Verletzung des Klägers billigend in Kauf nahm.

(3). Die Arbeitsanweisung des Beklagten zu 1. vom 18.02.2019, lässt nicht auf einen Vorsatz des Beklagten zu 1. bezüglich der Schädigung des Klägers schließen. Der Kläger trägt selbst vor, dass der Beklagte zu 1. die Anweisung, die Treppe zu entschalen nicht erteilt hat.

(4). Der Verstoß gegen arbeitsschutzrechtliche Pflichten begründet den Vorsatz bezüglich der Schädigung des Klägers nicht.

Allein Verstöße gegen Verkehrssicherungspflichten oder etwa Unfallverhütungsvorschriften indizieren im Hinblick auf den Verletzungserfolg keinen Vorsatz. Selbst derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, will regelmäßig nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern hofft, dass diesem kein Unfall widerfahren werde (BAG v. 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – Rn. 51, juris). Diesen Grundsatz berücksichtigt auch das vom Prozessbevollmächtigen des Klägers zitierte Urteil des LAG Schleswig-Holstein.

„Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Beklagte gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen hat. Auch wenn ihr und den für sie verantwortlich handelnden Personen eine vorsätzliche Missachtung von Unfallvorschriften vorgeworfen werden könnte, rechtfertigt dies nicht die Annahme einer vorsätzlichen Unfallverursachung (vgl. BAG 10.10.2002 – 8 AZR 103/02 -; 02.03.1989 – 8 AZR 416/87). Insbesondere ergibt sich aus einem möglichen Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften nicht, dass damit auch die Unfallfolge, hier die Verletzungen des Klägers, billigend in Kauf genommen wird.“ (LAG Schleswig-Holstein v. 27.03.2019 – 6 Sa 374/18 – Rn. 44, juris)

Soweit der Kläger meint, dass der dargelegte Grundsatz nicht verfange, führt dies nicht dazu, dass der Vorsatz des Beklagten zu 1. vom Kläger dargelegt worden ist. Wie der Kläger ausgeführt hat, kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2013 stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an (BAG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 8 AZR 471/12 – Rn. 28, juris). Im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast hätte der Kläger diese konkreten Umstände darlegen müssen.

(5). Auch bei Berücksichtigung aller jeweils vom Kläger benannten Umstände des Einzelfalls kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass diese nicht auf den Vorsatz des Beklagten zu 1. bezüglich der Schädigung des Klägers schließen lassen.

Der Kläger verweist hierzu auf die Einteilung von drei ungelernten Arbeitnehmern, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, die fehlende Einteilung eines Vorarbeiters oder Bauleiters zur Überwachung, das Fehlen eines Dolmetschers für Arbeitsanweisungen und die Verletzung der Sicherheitsvorschriften, sowie die behauptete Arbeitsanweisung des Beklagten zu 2. und die Kenntnis der Beklagten, dass die Betontreppe weder ausgehärtet noch deren Statik in Ordnung gewesen ist.

Die Kumulation der einzelnen Punkte in der Gesamtschau führt nicht dazu, dass der Beklagte zu 1. die Schädigung des Klägers vorausgesehen und dies in Kauf genommen hat.

Für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens ist in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit nicht schon ausreichend, den möglicherweise eintretenden Erfolg zu sehen oder, dass es dem Betreffenden gleichgültig ist, ob ein derartiger Erfolg eintritt („…es wird schon nichts passieren“). Bedingter Vorsatz liegt vielmehr nur vor, wenn der möglicherweise eintretende Erfolg in Gestalt des eingetretenen Personenschadens für den Fall seines Eintritts auch gebilligt, jedenfalls aber in Kauf genommen wird (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27. März 2019 – 6 Sa 374/18 – Rn. 35, juris).

Der Beklagte zu 1. hätte bei der Einteilung von den drei ungelernten Arbeitnehmern, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, die Schädigung des Klägers erkennen können müssen. Wie ausgeführt hat der Kläger keine Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass es wegen dieser Einteilung zu einer Schädigung des Klägers kommen wird. Auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat erklärt, dass die einzelnen Umstände jeweils für sich nicht zu einem bedingten Vorsatz führen. Die Wertung des Klägers berücksichtigt, müsste beim Hinzutreten der weiteren Umstände ab einer bestimmten Kumulation für den Beklagten zu 1. erkennbar gewesen sein, dass es zur Schädigung des Klägers kommen wird. Dies soll nach Auffassung des Klägers bei dem Zusammentreffen sämtlicher Umstände der Fall gewesen sein. Zu diesen Umständen sollen nach Vortrag des Klägers neben der Einteilung der drei ungelernten Arbeitnehmern die Einteilung der Arbeitnehmer ohne einen Vorarbeiter oder Bauleiter zur Überwachung, das Fehlen eines Dolmetschers für Arbeitsanweisungen, das Verletzen der Sicherheitsvorschriften, sowie die behauptete Arbeitsanweisung des Beklagten zu 2. und die Kenntnis der Beklagten, dass die Betontreppe weder ausgehärtet, noch deren Statik in Ordnung gewesen ist.

Auch weitere Umstände des Einzelfalls sind zu berücksichtigen. Der Kläger ist seit 35 Jahren im Betonbau und Betontreppenbau tätig gewesen, der Beklagte zu 2. soll in Eile gewesen seien und den Kläger „mal eben so und ganz nebenbei“ in einer Sprache angewiesen haben, derer der Kläger nicht mächtig gewesen sein soll.

Im Rahmen des Berufungsverfahrens hat der Kläger ausgeführt, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg den Arbeitsschutz ad absurdum führe. Das Arbeitsgericht habe dem Beklagten zu 2. zu Gute gehalten, dass er habe davon ausgehen können, dass der Kläger als einfacher Bauarbeiter, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, der Anweisung des Beklagten zu 2. nicht Folge leisten wird.

Diese weiteren Umstände und allgemeine Erwägungen sprechen gegen die Annahme eines bedingten Vorsatzes des Beklagten zu 1.. Der Beklagte zu 1. hätte erkennen müssen, dass der im Betonbau erfahrene Kläger eine „mal eben so und ganz nebenbei“ erteilte Arbeitsanweisung in einer ihm fremden Sprache so versteht und ausführt, dass er sich in Lebensgefahr bringt. Die Erfahrung des Klägers und die erkennbar ohne deutliches Abwägen erteilte Arbeitsanweisung, die auch für den Kläger erkennbar offensichtlich eine Lebensgefahr bedeutet hat, sprechen gegen die Erkennbarkeit für den Beklagten zu 1.. Der Beklagte zu 1. hätte erkennen müssen, dass der Kläger eine solche Arbeitsanweisung ausführen würde. Davon ist nicht auszugehen. Entsprechend geht die Kammer davon aus, dass das „Wissenselement“ nicht gegeben ist. Zudem hätte das „Wollenselement“ vorliegen müssen, der Beklagte zu 1. die Schädigung des Klägers in Kauf nehmen müssen. Anhaltspunkte dafür sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat keine Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass der Beklagte zu 1. den Kläger verletzen wollte oder die Schädigung gebilligt hat.

Vielmehr sind neben den dramatischen Folgen für den Kläger auch die negativen Auswirkungen für die Firma zu bedenken. Es widerspräche jeder kaufmännischen Vernunft, einen Arbeitsunfall mit seinen negativen Auswirkungen billigend in Kauf zu nehmen. Dazu zählen das negative Bild in der Öffentlichkeit, damit verbundenen eine mögliche Verschlechterung der Auftragslage, die problematische Abwicklung des laufenden Bauauftrages, das zukünftige Verhalten anderer Arbeitnehmer auf den Baustellen und die Auseinandersetzungen mit Aufsichtsstellen und der Staatsanwaltschaft, sowie den Sozialversicherungsträger. Entgegen der Auffassung des Klägers sind auch diese Aspekte im vorliegenden Fall einschlägig. Umstände, die den bedingten Vorsatz begründen, hat der Kläger auch zweitinstanzlich nicht dargelegt.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat wegen fahrlässiger und nicht vorsätzlicher Körperverletzung gegen den Beklagten zu 1. ermittelt.

Entgegen der Auffassung des Klägers spricht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 27. März 2019 – 6 Sa 374/18 nicht für das Vorliegen eines Vorsatzes des Beklagten zu 1.. Wie der Kläger zutreffend ausführte, sind die Umstände des jeweiligen Rechtsstreits zu berücksichtigen. Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein hat ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen.

d. Ansprüchen des Klägers gegenüber dem Beklagten zu 2. steht der Haftungsausschluss gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII entgegen.

aa. Nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben.

Die vorsätzliche Herbeiführung des Personenschadens hat der Kläger nicht dargelegt und ein solcher liegt nicht vor.

Es ist erforderlich, dass sich Wissen und Wollen des Schädigers nicht nur auf die Handlung und deren Erfolg erstrecken, sondern auch auf den konkreten Schadensumfang (ErfK/Rolfs, 21. Aufl. 2021 Rn. 12, SGB VII § 104 Rn. 12).

Vorsatz ist das bewusste Herbeiführen oder Vereiteln eines rechtswidrigen Erfolgs. Der Handelnde muss den Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens ist in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit nicht schon ausreichend, den möglicherweise eintretenden Erfolg zu sehen oder dass es dem Betreffenden gleichgültig ist, ob ein derartiger Erfolg eintritt („…es wird schon nichts passieren“). Bedingter Vorsatz liegt vielmehr nur vor, wenn der möglicherweise eintretende Erfolg in Gestalt des eingetretenen Personenschadens für den Fall seines Eintritts auch gebilligt, jedenfalls aber in Kauf genommen wird. Nicht notwendig muss der Erfolg auch gewünscht oder beabsichtigt werden, er kann sogar unerwünscht sein (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27. März 2019 – 6 Sa 374/18 – Rn. 35, juris)

bb. Die am Unfalltag nach Behauptung des Klägers erfolgte Anweisung des Beklagten zu 2. an den Kläger, die Verschalung an der Treppe inklusive Stützen zu entfernen, begründet den Vorsatz bezüglich der Schädigung des Klägers nicht.

Nach Meinung des Klägers begründen die Gesamtumstände den bedingten Vorsatz des Beklagten zu 2.. Nach Vortrag des Klägers war der Beklagte zu 2. in Eile und habe „mal eben so und ganz nebenbei“ die Anweisung erteilt, ohne den Kläger zu unterweisen. Es soll noch zu einem Wortwechsel zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2. gekommen sein. Der Kläger soll gefragt haben, ob wirklich alles entfernt werden solle. Der Beklagte zu 2. soll gesagt haben, „ja alles“! Obwohl die Deutschkenntnisse des Klägers „rudimentär“ sein sollen, habe es kein Missverständnis gegeben. Zumindest sei das Missverständnis zu Lasten der Beklagten zu werten. Zudem habe der Statiker die Arbeiten an der Betontreppe beanstandet. Es sei bekannt gewesen, dass die Konstruktion der Betontreppe nicht in Ordnung gewesen und deshalb nachbearbeitet worden sei. Außerdem sollen die Fristen für das Aushärten der Betontreppe nicht eingehalten worden sein.

Zu den Gesamtumständen zählt auch, dass der Kläger seit 35 Jahren im Betonbau und Betontreppenbau tätig gewesen ist. Hierauf hat das Arbeitsgericht Siegburg in seiner Entscheidung zu Recht hingewiesen.

Das zuvor Ausgeführte unterstellt, der Beklagte zur 2. habe in Kenntnis der Nachbearbeitung der Betontreppe auf Grund einer Beanstandung der Statik und des nicht ausgehärteten Betons die Anweisung erteilt, die Betontreppe zu entschalen; dies begründet den Vorsatz bezüglich der Schädigung des Klägers nicht. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 2. davon ausging, dass die Betontreppe über dem Kläger zusammenbrechen, diesen begraben und sehr schwer verletzen würde.

Gegen das in Kauf nehmen der Schädigung des Klägers spricht, dass nach dem Vortrag des Klägers die Betontreppe nachgearbeitet worden wäre; also wäre es zu einer Nachbesserung gekommen. Außerdem soll der Beklagte zu 2. in „Eile“ gewesen sein und „mal eben so und ganz nebenbei“ die Anweisung erteilt haben. Der Beklagte zu 2. hätte also ohne vertieftes Nachdenken eine weitere Aufgabe für die Arbeiter gesucht und die Aufgabe erteilt.

Dass der im Betonbau erfahrene Kläger eine „mal eben so und ganz nebenbei“ erteilte Arbeitsanweisung in einer ihm fremden Sprache so versteht und ausführt, die ihn offensichtlich in Lebensgefahr bringt, ist für den Beklagten zu 2. nicht erkennbar. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Siegburg ausgeführt, dass der Beklagte zu 2. nicht davon ausgehen musste, der Kläger aufgrund seiner 35-jähren Erfahrung im Betonbau einer so „nebenbei“ erteilten Anweisung, diese ausführt und sich damit in Lebensgefahr begibt.

Außerdem hätte der Beklagte zu 2. zur Erfüllung des „Wollenselements“ die Schädigung des Klägers in Kauf nehmen müssen. Anhaltspunkte dafür sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat keine Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass der Beklagte zu 2. ihn verletzen wollte oder die Schädigung gebilligt hat. Nach der Darlegungs- und Beweislast hätte der Kläger Umstände hierzu darlegen müssen. Selbst wenn die Kammer der Argumentation des Klägers folgt, dass wegen des Zusammentreffens alle Umstände der Beklagte zu 2. Kenntnis von der Gefährdung und Verletzung des Klägers gehabt haben sollte, wäre lediglich das „Wissenselement“ erfüllt. Woraus sich die Billigung der schweren Verletzungen des Klägers ergeben soll, blieb offen. Vielmehr sprechen auch hier die allgemeinen Erwägungen zu den Folgen des Unfalls gegen ein billigendes Inkaufnehmen und für ein Vertrauen darauf, es werde schon gutgehen. Neben den negativen Folgen für den Kläger hätte der Beklagte zu 2. auch gegen jede Vernunft gehandelt, wenn er die negativen Auswirkungen solcher Arbeitsunfälle für die Firma seines Sohnes und seine Tätigkeit in Kauf genommen hätte. Zu den negativen Auswirkungen für den Beklagten zu 2. zählen Auseinandersetzungen mit Aufsichtsstellen und der Staatsanwaltschaft. Aus den Umständen kann dem Beklagten zu 2. nicht unterstellt werden, dass er eine Körperverletzung zu Lasten des Klägers begehen wollte. Entgegen der Auffassung des Klägers spielen diese Aspekte eine Rolle. Selbst wenn diese Aspekte unberücksichtigt bleiben, hätte der Kläger das „Wollenselement“ nicht dargelegt.

e. Zur Frage der Gesamtschuld bedarf es wegen des Ergebnisses unter a. und b. keiner Ausführungen.

IV. Der Kläger hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

V. Es bestand kein Grund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

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