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Arbeitsunfall – Haftungsausschluss und Schadensersatzumfang

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 7 Sa 112/14 – Urteil vom 27.06.2014

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Az.: 2 Ca 1260/13 – vom 9. Januar 2014 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über dem Kläger infolge eines schweren Arbeitsunfalls entstandenen Fahrtkosten.

Der am … Januar 1950 geborene Kläger war bei der Beklagten als Lkw-Fahrer beschäftigt. Er erlitt am 16. November 2009 einen schweren Arbeitsunfall, bei dem seine linke Hand unter einem hydraulischen Wagenheber zerquetscht wurde. Dies führte zu einem nahezu vollständigen Funktionsverlust der linken Hand. Über diesen Unfall wurde der Unfalluntersuchungsbericht (Bl. 12 d. A.) gefertigt. In diesem heißt es auszugsweise:

„Bei technischen Arbeitsmitteln

Hersteller

nicht mehr lesbar

Type

Baujahr

GS-Zeichen?

Nein

ggf. Prüfstelle

ggf. Prüf-Nr

Ist die Betriebseinrichtung prüfpflichtig?

Ja

ggf. nach welcher Vorschrift?

BGV A1 § 2 Abs. (1) und

BetrSichV § 10 Abs. (2)

Wird ein Prüfbuch geführt?

Nein

Wann war die letzte Prüfung?“

Seit dem Unfall ist der Kläger arbeitsunfähig. Ab dem 29. Dezember 2009 bis zum 15. Mai 2011 erhielt der Kläger Verletztengeld. Vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2012 bezog er Arbeitslosengeld I (Bescheid der Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit Kaiserslautern vom 11. Januar 2012, Bl. 33 ff. d. A.) sowie eine Berufsunfähigkeitsrente. Seither erhält er Rentenbezüge.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 30. November 2012 hat der Kläger Ansprüche aus dem Arbeitsunfall gegenüber der Beklagten in einer Gesamthöhe von 41.047,39 € geltend gemacht. Er hat sodann am 3. Mai 2013 beim Landgericht Kaiserslautern Klage auf Zahlung der Differenz zwischen dem erhaltenen Verletztengeld und seinem Gehalt, Arbeitslosengeld zuzüglich Berufsunfähigkeitsrente und seinem Gehalt, Rentenbezügen und Gehalt, auf Ersatz entstandener Fahrtkosten und auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schadens erhoben. Das Landgericht Kaiserslautern hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 29. August 2013, Az. 3 O 326/13 (Bl. 89 ff. d. A.) an das Arbeitsgericht Kaiserslautern verwiesen.

Der Kläger hat – soweit im Berufungsverfahren noch von Bedeutung – vorgetragen,

bei der Beklagten handele es sich um einen prüfpflichtigen Betrieb, der die Arbeitsmittel einer regelmäßigen Kontrolle unterziehen müsse. Die erforderliche Prüfung sei bei dem Wagenheber noch nie vorgenommen worden. Die Beklagte habe den Wagenheber wahrscheinlich aus Altbeständen der US-Streitkräfte übernommen, als dieser dort ausgemustert worden sei. Der Wagenheber habe sich ohne sein Zutun gelöst, als er gerade dabei gewesen sei, an einem Fahrzeug die Unterbauung nach dem Reifenwechsel zu entfernen. Mit einem geprüften, fehlerfreien Wagenheber wäre dies nicht geschehen. Er sei Rechtshänder. Es sei jedoch seine linke Hand verletzt worden. Daher sei davon auszugehen, dass er den Wagenheber nicht selbst habe lösen können. Es sei auch nicht wirklich möglich, die linke Hand oben auf dem Griff zu haben und gleichzeitig die Verriegelung zu lösen.

Er war der Ansicht, ein Haftungsausschluss nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII sei nicht gegeben. Indem die Beklagte es unterlassen habe, den prüfpflichtigen Wagenheber der vorgeschriebenen Kontrolle zu unterziehen, habe sie billigend in Kauf genommen, dass mit dem nicht geprüften Arbeitsmittel Unfälle passieren könnten. Zudem sei seine Arbeitsleistung mit diesem ungeprüften Wagenheber angewiesen worden. Diese Anweisung in dem Bewusstsein, dass der hierzu benutzte Wagenheber noch nie überprüft worden sei und sich deswegen Verletzungserfolge ergeben könnten, reiche für die Annahme bedingten Vorsatzes aus. Die Beklagte habe den Wagenheber sogar in beschädigtem Zustand nach dem Unfall noch einsetzen lassen (Beweis: Zeuge N. N.). Hieraus sei ersichtlich, dass die Beklagte sogar ein weiteres Unglück in Kauf genommen hätte. Wenn mit einem Wagenheber gearbeitet werde, müsse zuweilen mit der Hand unter das Fahrzeug gegriffen werden, um Unterbauungen auf- und abzubauen. Daher sei es ausgesprochen wahrscheinlich, dass bei einem Unfall mit einem Wagenheber eine Handverletzung eintrete. Daher seien die Verletzungsfolge und der eingetretene Verletzungsschaden auch vom Vorsatz der Beklagten mitumfasst gewesen.

Aufgrund der Verletzungen habe er vom 24. November 2009 bis zum 20. Juli 2012 fast jeden zweiten Tag zur Krankengymnastik gemusst. Hierzu kämen weiterhin Fahrten zur Unfallklinik Z, zu Ärzten, zum Krankenhaus und zur Ergotherapie. Für die hierdurch entstandenen Fahrtkosten (Fahrtennachweise zur Vorlage bei der Berufsgenossenschaft, Bl. 38 ff. d. A.) seien ihm 20 Cent pro Kilometer von der Berufsgenossenschaft gezahlt worden. Da er jedoch ein Auto fahre, bei dem dieser Betrag nicht ausreiche, um die angefallenen Kosten zu decken, stünden ihm darüber hinaus 17,8 Cent pro gefahrenen Kilometer zu. Den von der Berufsgenossenschaft erhaltenen Betrag abgezogen, verbleibe ein Restschaden in Höhe von circa 1.632,26 €.

Er habe schon im Jahr 2012 die Verhandlungen mit der Beklagten und deren Versicherung aufgenommen. Die Verhandlungen seien bis zur Klageerhebung gelaufen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 41.047,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2009 zu zahlen; festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den ihm in Folge des Unfalls vom 16. September 2009 entstandenen und zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Wagenheber sei zum Unfallzeitpunkt in einem ordnungsgemäßen und mangelfreien Zustand gewesen. Ursächlich für den Arbeitsunfall sei eine falsche Bedienung des Wagenhebers durch den Kläger gewesen. Eine Haftung von ihr, der Beklagten, scheitere jedenfalls am Haftungsausschluss gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Sie habe keinen Vorsatz hinsichtlich der Verletzungsfolgen und des Schadensumfangs gehabt. Hilfsweise hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 9. Januar 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht – zusammengefasst – ausgeführt, dem Kläger stehe aus dem Arbeitsunfall am 16. November 2009 kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu, weil deren Haftung für Personenschäden gemäß §§ 104 Abs. 1, 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen sei. Unstreitig liege ein Arbeitsunfall vor, den auch die zuständige Berufsgenossenschaft anerkannt habe. Die geltend gemachten Lohnausfälle seien auch Personenschäden im Sinn des § 104 SGB VII, für die der Haftungsausschluss gelte. Da der Haftungsausschluss bezwecke, den Arbeitgeber und den Arbeitskollegen von der Haftung wegen Personenschäden freizustellen, fielen unter diese Personenschäden nicht nur immaterielle Schäden (Schmerzensgeld), sondern auch Vermögensbeeinträchtigungen wegen Verletzung oder Tötung des Versicherten (BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002). Dieser Haftungsausschluss scheitere auch nicht aufgrund eines vorsätzlichen Verhaltens der Beklagten. Der Vorsatz des Schädigers müsse nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Deshalb sei es für die Begründung der Haftung nicht ausreichend, wenn der Schädiger nur vorsätzlich gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoße. Auch der Schadenseintritt müsse gewollt oder zumindest billigend in Kauf genommen worden sein. Derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachte, wolle in aller Regel aber nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern hoffe, dass diesem kein Unfall widerfahren werde. Die Kammer sehe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den schweren Unfall des Klägers bewusst in Kauf genommen habe. Soweit der Kläger behauptet habe, die Beklagte habe den Wagenheber sogar in beschädigtem Zustand nach dem Unfall einsetzen lassen, sei dieser Vortrag unsubstantiiert. Beweis habe die Beklagte nicht angeboten. Auch der Feststellungsantrag sei nicht begründet.

Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern (Bl. 104 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 4. Februar 2014 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 4. März 2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese mit am 16. April 2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 15. April 2014 innerhalb der durch Beschluss vom 1. April 2014 bis zum 22. April 2014 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet. Mit der Berufung wendet sich der Kläger allein gegen die Klageabweisung, soweit diese 1.632,26 € angefallene Fahrtkosten zu den ärztlichen Besuchen nebst Zinsen betrifft.

Zur Begründung der Berufung macht der Kläger nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 135 ff. d. A.) zusammengefasst geltend,

der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2002 könne nur schwer in der heutigen Lebenssituation gefolgt werden. Der Haftungsausschluss des § 104 SGB VII wurzele im Sozialrecht, welches jedoch im Laufe der letzten Jahre immer wieder einem Wandel unterlegen habe.

Indem die Beklagte es unterlassen habe, den prüfpflichtigen Wagenheber der vorgeschriebenen Kontrolle zu unterziehen, habe sie billigend in Kauf genommen, dass mit dem nicht geprüften Arbeitsmittel Unfälle passieren können. Sein Vortrag, die Beklagte habe den Wagenheber sogar in beschädigtem Zustand nach dem Unfall habe einsetzen lassen, hätte weiter ausgeführt werden können, wenn er einen Hinweis des Gerichts erhalten hätte. Die Beklagte habe seinen Vortrag auch nicht bestritten. Im Fall des Bestreitens wäre die Benennung des Zeugen natürlich erfolgt.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 9. Januar 2014 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.632,26 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 3. Juni 2014, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 148 ff. d. A.) als rechtlich zutreffend. Sie ist der Ansicht, ungeachtet weiterer Umstände sei jedenfalls ihre Haftung gemäß § 104 SGB VII ausgeschlossen. Sie habe den Arbeitsunfall nicht verursacht, insbesondere habe sie auch keinen Vorsatz hinsichtlich der Verletzungsfolgen und des Schadensumfangs gehabt.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 27. Juni 2014 (Bl. 151 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

In der Sache hatte die Berufung des Klägers keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Nach der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts, auf die gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen wird, ist der vom Kläger in der Berufungsinstanz noch verfolgte Anspruch auf Ersatz weiterer Fahrtkosten nebst Zinsen nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung sind unbegründet. Die §§ 104, 105 SGB VII finden Anwendung. Nach diesen Vorschriften sind die Ansprüche eines Versicherten auf Ersatz des Personenschadens gegen den Unternehmer oder eine andere im Betrieb tätige versicherte Person grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmen gelten nur in den Fällen, dass der Unternehmer oder die andere im Betrieb tätige Person den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat oder der Versicherungsfall auf versichertem Weg (Wegeunfall) eingetreten ist.

Ein Versicherungsfall im Sinn des § 104 SGB VII liegt vor. Der Kläger hat bei Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit einen Unfall erlitten, den die zuständige Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall anerkannt hat.

Die von dem Kläger geltend gemachten, aufgrund des Unfalls entstandenen Fahrtkosten sind auch Personenschäden im Sinn der §§ 104, 105 SGB VII, für die der Haftungsausschluss des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII gilt. Eine Vermögensbeeinträchtigung ist dann ein Personenschaden, wenn sie durch die Verletzung oder Tötung eines Menschen verursacht wird; hierunter fällt nicht nur der immaterielle Schaden (Schmerzensgeld), sondern auch jeder mittelbare materielle Vermögensschaden als Folge der Körperverletzung (BGH, Urteil vom 8. März 2012 – III ZR 191/11 – NZS 2012, 546, Rz. 89). Der Haftungsausschluss bezweckt, den Arbeitgeber von der Haftung wegen Personenschäden insgesamt freizustellen (BAG, Urteil vom 22. April 2004 – 8 AZR 159/03 – NJW 2004, 3360, 3362). Hierzu zählen Benzin und Unterhaltungskosten seines Privat-Pkw für die Wahrnehmung von Terminen bei Ärzten, im Krankenhaus oder bei der Ergotherapie. Insoweit handelt es sich gerade nicht um Sach-, sondern vielmehr um Personenschäden, da diese erst und nur durch die Verletzung des Klägers verursacht worden sind (vgl. BAG, Urteil vom 22. April 2004 – 8 AZR 159/03 – NJW 2004, 3360, 3362).

Der Begriff des Personenschadens ist auch nicht einschränkend dahingehend zu interpretieren, dass hiervon nur Schäden erfasst sind, für die dem Geschädigten kompensatorische Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen. Die gesetzliche Unfallversicherung verlagert den Schadensausgleich bei Arbeitsunfällen aus dem individualrechtlichen in den sozialrechtlichen Bereich. Die zivilrechtliche Haftung des Unternehmers für fahrlässiges Verhalten bei Personenschäden gegenüber dem Arbeitnehmer wird durch die öffentlich-rechtliche Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung abgelöst (§ 104 SGB VII). Die gesetzliche Regelung dient zum einen dem Schutz des Geschädigten durch Einräumung eines vom Verschulden unabhängigen Anspruchs gegen einen leistungsfähigen Schuldner. Der Geschädigte muss weder ein Verschulden des Schädigers nachweisen noch sich ein eigenes Verschulden auf seine Ansprüche anrechnen lassen. Diese werden vielmehr ohne Verzögerung durch langwierige und mit einem Prozessrisiko behaftete Auseinandersetzungen mit dem Schädiger von Amts wegen festgestellt. Zum anderen dienen die Enthaftung des Unternehmers, der durch seine Beiträge die gesetzliche Unfallversicherung mitträgt und für den dadurch auch das Unfallrisiko kalkulierbar wird, und die Enthaftung der Betriebsangehörigen dem Betriebsfrieden. Hinzukommt, dass die Betriebsgemeinschaft auch eine Gefahrengemeinschaft darstellt. Wer heute als Geschädigter auf Leistungen der Unfallversicherung verwiesen wird, kann morgen schon derjenige sein, dem die Enthaftung für Fahrlässigkeiten zugute kommt. Diese Kombination stellt einen gerechten Ausgleich in der Gefahrengemeinschaft dar. Dass sich das den §§ 104, 105 SGB VII zu Grunde liegende Prinzip mal zugunsten des Geschädigten, mal zu dessen Lasten auswirken kann, ist dabei systemimmanent, da die Anspruchsvoraussetzungen und die Leistungen im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht und im sozialrechtlichen Unfallversicherungsrecht nicht deckungsgleich sind. Dessen ungeachtet ist dieses System, auch soweit es im Einzelfall zu einer Benachteiligung des Geschädigten führt, verfassungsgemäß (BGH, Urteil vom 8. März 2012 – III ZR 191/11 – NZS 2012, 546, 547, Rz. 10; BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2009 – 1 BvR 3505/08 – NZA 2009, 509, 510 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 7. November 1972 – 1 BvL 4 und 17/71, 1 BvR 355/71 – NJW 1973, 502 ff. und BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschluss vom 8. Februar 1995 – 1 BvR 753/94 – NJW 1995, 1607, beide zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 636 Abs. 1 S. 1 und 637 Abs. 1 RVO, insoweit als sie den bürgerlich-rechtlichen Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens [Schmerzensgeld] ausgeschlossen haben). Der Umstand, dass nach dem Vortrag des Klägers nicht seine vollständigen Fahrtkosten von der gesetzlichen Unfallversicherung übernommen worden sind, begründet daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2012 – III ZR 191/11 – NZS 2012, 546, 547, Rz. 12).

Die Beklagte hat den Unfall des Klägers nicht vorsätzlich im Sinn von § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII herbeigeführt. Selbst wenn ihrer gesetzlichen Vertreterin oder gegebenenfalls Erfüllungsgehilfen (§ 278 S. 1 BGB, vgl. hierzu BAG, Urteil vom 28. April 2011 – 8 AZR 769/09 – NZA-RR 2012, 290, 292 f., Rz. 41 ff.) bekannt gewesen sein sollte, dass der vom Kläger verwendete Wagenheber nicht geprüft war, lässt dies nicht den Schluss auf eine (bedingt) vorsätzliche Herbeiführung des Arbeitsunfalls zu.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 22. April 2004 – 8 AZR 159/03 – NJW 2004, 3360, 3364 m. w. N.) ist Vorsatz das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs. Der Handelnde muss den rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Der Erfolg muss von dem Handelnden billigend in Kauf genommen worden sein. Nicht erforderlich ist, dass der Erfolg gewünscht oder beabsichtigt worden ist. Dem Arbeitnehmer ist ein Ausschluss von den Schadensersatzansprüchen nicht mehr zuzumuten, wenn er durch ein vorsätzliches Verhalten des Arbeitgebers, also durch ein besonders zu missbilligendes Verhalten, geschädigt worden ist. Eine Privilegierung des Arbeitgebers muss deshalb gegenüber dem geschädigten Arbeitnehmer in einem solchen Fall ausscheiden (BAG, Urteil vom 28. April 2011 – 8 AZR 769/09 – NZA-RR 2012, 290, 292). Dabei genügt es nicht, dass sich der Vorsatz nur auf die Verletzungshandlung bezieht, sondern dieser muss sich auch auf den Verletzungserfolg, den Personenschaden erstrecken (vgl. nur BGH, Urteil vom 8. März 2012 – III ZR 191/11 – NZS 2012, 546, 548, Rz. 14 m. w. N.). Für den Ausschlusstatbestand des Vorsatzes ist der den Anspruch stellende Geschädigte darlegungs- und beweisbelastet (BeckOK SozR/Stelljes, SGB VII, § 104 Rn. 38 m. w. N.).

Demgemäß genügt die gegebenenfalls vorsätzliche Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften allein nicht, um ein vorsätzliches Handeln zu anzunehmen (BAG, Urteil vom 28. April 2011 – 8 AZR 769/09 – NZA-RR 2012, 290, 293, Rz. 50; vom 10. Oktober 2002 – 8 AZR 103/02 – NJW 2003, 1890, 1891; LAG Köln, Urteil vom 29. September 1994 – 6 Sa 763/94 – NZA 1995, 470; BeckOK SozR/Stelljes, SGB VII, § 104 Rn. 24).

Die Geschäftsführerin der Beklagten oder etwa ein von dem Kläger nicht näher bezeichneter Erfüllungsgehilfe hat den erheblichen Personenschaden des Klägers jedenfalls nicht billigend in Kauf genommen. Der bedingte Vorsatz unterscheidet sich hierbei von der bewussten Fahrlässigkeit dadurch, dass der bewusst fahrlässig handelnde Täter darauf vertraut, der als möglich vorausgesehene Erfolg werde nicht eintreten, und aus diesem Grund die Gefahr in Kauf nimmt, während der bedingt vorsätzlich handelnde Täter sie deshalb in Kauf nimmt, weil er, wenn er sein Ziel nicht anders erreichen kann, es auch durch das unerwünschte Mittel verwirklichen will (BGH, Urteil vom 8. März 2012 – III ZR 191/11 – NZS 2012, 546, 548, Rz. 14). Vorsatz ist nur dann zu bejahen, wenn der Schädiger den als möglich vorgestellten Erfolg in seinen Willen aufnimmt und mit ihm für den Fall seines Eintritt einverstanden ist (BAG, Urteil vom 18. April 2002 – 8 AZR 348/01 – AP Nr. 122 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers m. w. N.). Die Einstellung, es werde schon nichts passieren, begründet lediglich den Vorwurf der groben (bewussten) Fahrlässigkeit. Selbst wenn seitens der Beklagten dem Kläger bewusst ein nicht geprüfter Wagenheber zur Verfügung gestellt worden sein sollte, ist dennoch davon auszugehen, dass die Verantwortlichen bei der Beklagten darauf vertraut haben, dass der Kläger hierdurch nicht verletzt wird. Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitgeberin auch um den Preis der schwerwiegenden Handverletzung eines gesunden und leistungsfähigen Mitarbeiters und seiner daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit Kosten sparen oder ein anderes Ziel erreichen wollte, liegen nicht vor.

Auch aus einem erneuten Einsatz des Wagenhebers nach dem Arbeitsunfall des Klägers kann nach Ansicht der Kammer nicht gefolgert werden, dass die Verantwortlichen der Beklagten bereits im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls (bedingten) Vorsatz (auch) im Hinblick auf den Verletzungserfolg hatten.

Schließlich hat der Kläger ebenfalls nicht substantiiert zur Höhe des ihm entstandenen Schadens vorgetragen. Er hat sich zur Anspruchsbegründung darauf beschränkt, allgemein vorzutragen, er habe in der Zeit vom 24. November 2009 bis zum 20. Juli 2012 infolge der Verletzungen diverse Wege zur Unfallklinik Z, zu Ärzten, zum Krankenhaus und zur Ergotherapie zurücklegen müssen. Hinsichtlich der Ermittlung der Anzahl der zurückgelegten Kilometer hat der Kläger nur auf die Fahrtennachweise zur Vorlage bei der Berufsgenossenschaft (Bl. 38 ff. d. A.) Bezug genommen. Hinsichtlich der Höhe der ihm entstandenen Fahrtkosten hat er lediglich darauf hingewiesen, dass er ein Auto fahre, bei dem der von der Berufsgenossenschaft ersetzte Betrag von 20 ct pro Kilometer nicht ausreiche, um die angefallenen Kosten zu decken. Die Beklagte hat die geltend gemachte Schadenshöhe bestritten.

Die Berufung des Klägers hatte daher keinen Erfolg.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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