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Arbeitsunfall – Haftungsprivileg gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII

ArbG Dortmund – Az.: 10 Ca 3430/18 – Urteil vom 09.01.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 15.733,18 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die am … 1941 geborene und bei der Beklagten zu 1) als Reinigungskraft beschäftigte Klägerin begehrt mit der beim Landgericht Dortmund am 14.03.2018 eingereichten und am 01.10.2018 an das Arbeitsgericht Dortmund verwiesenen Klage wegen eines von der Berufsgenossenschaft anerkannten Arbeitsunfalles auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1) am 01.06.2017 von ihrer Arbeitgeberin der Beklagten zu 1), einem Gebäudereinigungsunternehmen, und einer Mitarbeiterin, der Beklagten zu 2), Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Zu dem Unfall kam es, als der junge Hund der Beklagten zu 2), den die Beklagte zu 2) schon als Welpen mit in den Betrieb brachte und der sich dort während ihrer Arbeit aufhält, die Klägerin, als sie von einer Reinigungsstelle auf das Betriebsgelände zurückkehrte, um Reinigungs- und Putzutensilien abzuholen, zur Begrüßung ansprang und die Klägerin daraufhin zu Fall kam.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass der Haftungsausschluss gemäß den §§ 104 SGB VII f. hier nicht greife.

Der Versicherungsfall sei nicht durch eine betriebliche Tätigkeit der Beklagten verursacht worden, weil der Hund keinerlei betriebliche Aufgaben zu erledigen gehabt hätte und es sich auch nicht um eine betriebliche Tätigkeit gehandelt habe, den Hund mit in den Betrieb zu nehmen bzw. ihn dort herumlaufen zu lassen. Es reiche zwar ein Zusammenhang mit einer betrieblichen Beschäftigung. Die Mitnahme des Hundes in den Betrieb, weil möglicherweise keine andere Aufsichtsmöglichkeit für die Überwachung und Pflege des Hundes über den gesamten Tag gegeben sei, stelle aber keinen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit her. Ein Unfall, der durch einen für die Arbeit nicht notwendigen Hund verursacht werde, könne das Haftungsprivileg nach § 104 SGB VII nicht auslösen.

Das Haftungsprivileg greife hier auch deshalb nicht, weil es sich um einen Wegeunfall gehandelt habe und nicht um einen Unfall bei einem Betriebsweg.

Sie träfe an dem Unfall auch kein Mitverschulden. Sie habe die gereinigten Putzutensilien nur abholen können durch Betreten des Betriebsgeländes, auf dem der Hund herumgelaufen sei und habe deshalb auch das Netz öffnen dürfen, das ausschließlich angebracht worden sei, um den Hund daran zu hindern, das Betriebsgelände zu verlassen, nicht aber, um ihr das Betreten des Betriebsgeländes zu verwehren.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, an sie als Gesamtschuldner ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.10.2017, hilfsweise seit Klagezustellung zu zahlen,

2. die Beklagten zu verurteilen, an sie als Gesamtschuldner 5.350,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.10.2017, hilfsweise seit Klagezustellung zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpachtet sind, ihr jeglichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Unfallgeschehen am 01.06.2017 auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1), … in … entstanden ist, sofern nicht ein Übergang auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte erfolgt ist,

4. die Beklagten zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 383,18 € nebst Zinsen in Hohe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.10.2017 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten vertreten die Ansicht, dass die Voraussetzungen für das Eingreifen des Haftungsprivilegs gegeben seien. Der Unfall sei im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit der Parteien passiert. Es handelt sich auch um keinen Wegeunfall, weil die Klägerin noch damit beschäftigt gewesen sei, die Putzutensilien im Betrieb abzuholen.

Im Übrigen habe die Klägerin den Unfall selbst verschuldet. Sie habe das Verhalten des jungen Hundes gekannt und habe dennoch das abgezäunte Betriebsgelände betreten und sogar noch den Hund durch ein „Hallo“ zur Begrüßung herangerufen. Jedenfalls habe sie sich auf die Verhaltensweise des Hundes einstellen müssen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Eine Haftung der Beklagten scheidet schon gemäß den §§ 104 f. SGB VII aus.

Unstreitig handelt es sich um einen von der Berufsgenossenschaft anerkannten Arbeitsunfall und damit um einen Versicherungsunfall der gesetzlichen Unfallversicherung i.S. der §§ 104, 105 SGB VII.

Arbeitsunfall - Haftungsprivileg gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII
(Symbolfoto: Von Kzenon/Shutterstock.com)

Der Versicherungsfall wurde nicht vorsätzlich und auch nicht auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt.

Der Unfall passierte nicht auf dem Hin- oder Rückweg von der Arbeit, sondern auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1), auf dem die Klägerin sich von einer Reinigungsstelle kommend aufhielt, um gereinigte Putzutensilien abzuholen. Erst danach hat sie den Heimweg angetreten.

Einschlägig könnte allenfalls § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII sein, wonach eine versicherte Tätigkeit auch das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung ist, wenn dies auf Veranlassung des Unternehmers erfolgt. Die Tätigkeit nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII ist jedoch gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII nicht vom Haftungsprivileg ausgenommen.

Für die Beklagte zu 2) gilt das Haftungsprivileg gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII.

Dass die Beklagte zu 2) ihren Hund während ihrer Arbeit auf dem Betriebsgelände hat laufen lassen, kann noch als betriebliche Tätigkeit angesehen werden, weil zur betrieblichen Tätigkeit auch zu zählen ist, was mit ihr im Zusammenhang steht und mit der betrieblichen Tätigkeit verbunden ist. Dabei kann nicht darauf abgestellt werden, ob das Verhalten, das zum Arbeitsunfall geführt hat, zwingend mit der betrieblichen Tätigkeit verbunden ist. Denn letztlich ist jedes schuldhafte Verhalten, das zu einem Arbeitsunfall führt, nicht zwingend mit der betrieblichen Tätigkeit verbunden. Andernfalls wäre es kein schuldhaftes Verhalten. Vielmehr muss nach Sinn und Zweck der §§ 104, 105 SGB II jedes Verhalten als betriebliche Tätigkeit gelten, zu dem es bei und anlässlich der betrieblichen Tätigkeit kam und zu dem es nicht nur willkürlich gelegentlich der betrieblichen Tätigkeit gekommen ist. Dass die Beklagten den Hund auf das Betriebsgelände ließen, hat seinen Grund allein darin, dass die Beklagte zu 2) als Hundehalterin während dieser Zeit bei der Beklagten zu 1) ihre Arbeit verrichtete. Der Sachverhalt ist insofern vergleichbar mit dem Fall, dass ein Arbeitnehmer zur Arbeit persönliche Gegenstände mitbringt, die er zwar nicht für die Arbeit benötigt, bezüglich derer er aber ein nachvollziehbares Interesse hat, sie mit zur Arbeit zu bringen, z.B. weil er sie auf dem Weg zur Arbeit eingekauft hat oder er sie vielleicht unmittelbar nach der Arbeit bevor er wieder nach Hause kommt benötigt, wie z.B. Sportsachen. Es können aber auch Gegenstände sein, die er mit sich führen will, weil er glaubt, dass sie auf diese Weise am besten aufgehoben sind. Stellt er diese Gegenstände z.B. so im Betrieb ab, dass ein anderer Mitarbeiter darüber stolpert und hinfällt, so steht dieser Unfall unzweifelhaft mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitnehmers im Zusammenhang. Denn ohne seine betriebliche Tätigkeit wäre der Unfall nicht denkbar. Denn dann hätte keine Veranlassung bestanden, die Gegenstände in den Betrieb zu bringen.

Nichts anderes kann aber gelten, wenn der Arbeitgeber oder ein Arbeitnehmer seinen Hund mit in den Betrieb bringt. Dies ist auch keineswegs unüblich und wird auch häufig nicht beanstandet. Viele werden die Anwesenheit eines Hundes auch als angenehme Abwechslung empfinden, die einem guten Betriebsklima dient.

Die Klägerin kann den hier vorliegenden Sachverhalt nicht mit einem Fall aus der Rechtsprechung vergleichen, in dem ein Arbeitnehmer, ohne dass dazu ein adäquater Anlass bestand, allein um seinen Kollegen zu erschrecken, mit einem Gabelstapler auf diesen zugefahren ist oder in dem ein Arbeitnehmer bewusst Bleigewichte in einen Raum geschleudert hat, in dem sich auch Mitarbeiter aufhielten. Dies waren beides Verhaltensweisen, die völlig sinnlos und in keiner Weise durch die betriebliche Tätigkeit veranlasst waren, sondern allein dazu dienten, eine Gefährdung herbeizuführen und sich daraus einen Spaß zu machen. Es handelte sich dort um ein völlig unangemessenes Verhalten, das in keiner Weise geschah, um die betriebliche Tätigkeit mit anderen berechtigten Belangen vereinbaren zu können, wie dies hier der Fall ist. Es ist nachvollziehbar, dass eine Arbeitgeberin oder eine Arbeitnehmerin einen Hund hält und nicht lange allein lassen will und dennoch arbeiten möchte. Die Beklagten trifft insofern nicht mal ein Verschulden. Die Klägerin kannte den Hund. Dieser war keineswegs bösartig. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass sie selbst eine besondere Gefährdung gesehen und darum gebeten hat, den Hund von ihr fernzuhalten. Insofern gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen man viel eher einen Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit verneinen könnte wie z.B., wenn ein Arbeitnehmer sein privates Handy mit in den Betrieb nimmt, dort einen privaten Anruf während der Arbeit tätigt und dann durch seine Untätigkeit einen Unfall herbeiführt. Selbst in diesen Fällen ist ein Haftungsausschluss nach dem Sinn und Zweck der §§ 104, 105 SGB VII aber zu bejahen.

Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil ein Hund ein Lebewesen ist und dieses durch sein Verhalten den Unfall herbeigeführt hat. Es ist allein auf die Beklagten abzustellen und deren Rolle bezüglich des Unfalls.

Schließlich gilt auch nicht deshalb etwas anderes, weil § 833 BGB eine Gefährdungshaftung des Hundehalters vorsieht. Es gibt keinen Grund, das Haftungsprivileg nur für diejenigen vorzusehen, die ein Verschulden trifft, aber nicht für diejenigen, die kein Verschulden trifft.

Die §§ 104, 105 SGB II möchten die Rechtsfolgen einer Haftung ausschließen und sie tun dies, indem sie ausschließlich danach differenzieren, ob der Arbeitsunfall und der Schaden vorsätzlich herbeigeführt wurde oder nicht.

Dies zeigt sogar, dass das Haftungsprivileg umso mehr gelten soll, umso weniger ein Verschulden vorliegt oder sogar überhaupt kein Verschulden vorliegt. (Vergleiche zur Bejahung des Haftungsprivilegs gemäß den §§ 104, 105 SGB VII auch bei einer Gefährdungshaftung zuletzt OLG Celle, 14 W 34/18 mit Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung).

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