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Arbeitsunfall – Schmerzensgeld trotz Haftungsausschluss?

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 6 Sa 374/18 – Urteil vom 27.03.2019

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 26.09.2018 – 4 Ca 737/18 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schmerzensgeld aufgrund eines Arbeitsunfalls.

Der 1969 geborene Kläger trat Anfang 2016 in die Dienste der Beklagten. Als Lagerarbeiter erzielte er zuletzt ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 1.080,00 EUR. Der Kläger ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Die Beklagte handelt u.a. mit Verpackungsmaterialien. Sie unterhält ein Lager, in dem sich bis zu fünf Meter hohe Regale befinden, in denen das Sortiment auf Euro-Paletten in unterschiedlich großen Kartons gelagert wird (vgl. Lichtbilder aus Polizeibericht vom 19.10.2017, Bl. 17, 18 d. A.). Im Lager arbeiteten der Kläger, Herr B., der auch Waren auslieferte, sowie – als Aushilfe – Herr I. G.. Die beiden Geschäftsführer arbeiteten, wenn sie im Betrieb waren, im Büro.

Zum Ein- und Auslagern der Waren stellt die Beklagte den Lagerarbeitern u.a. zwei Elektro-Hochhubwagen zur Verfügung (vgl. Abbildungen Bl. 16 und 83 d. A.). Mit den Hubwagen können die Euro-Paletten aus und in die Regale gehoben werden. Außerdem steht den Mitarbeitern eine Leiter zur Verfügung, mit der sie an die in den oberen Regelbereichen gelagerte Kartons gelangen können. Im Sommer 2017 schaffte die Beklagte einen Arbeitskorb an, in dem eine Person von einer anderen Person mittels des Hubwagens in die Höhe gehoben werden kann, um auf diese Weise leichter an weit oben gelagerte Kartons zu gelangen. Schließlich wird ein ca. 1,80 m langer Stock, der an einem Ende mit einem Haken versehen ist, benutzt, um Kartons aus dem Regal zu ziehen. Das Vorgehen ist auf Bl. 90 f. d. A. abgebildet.

Am 19.10.2017 arbeitete außer dem Kläger nur der Zeuge B. im Lager. Herr K. war im Büro tätig. Der Kläger wollte Ware aus einem Regal holen. Dazu positionierte er einen der beiden Elektro-Hochhubwagen vor einem Regal, stellte sich auf die etwa 20 cm breiten Gabelzinken des Hubwagens und betätigte mittels des eben beschriebenen Stocks (Lichtbild Bl. 21 d. A. aus Polizeibericht) die Hebevorrichtung (Lichtbilder Bl. 19 und 22 d. A. aus Polizeibericht). Den Arbeitskorb benutzte er nicht. Der Kläger verlor den Halt, stürzte in die Tiefe und zog sich schwerste Verletzungen zu. Nach dem Polizeibericht betrug die Fallhöhe 2 m. Zur Veranschaulichung der Unfallsituation wird auf die Lichtbilder des Polizeiberichts der Polizeistation T. (Bl. 16 ff. d. A., Bl. 23 ff. d. A. vom 20.10.2017) verwiesen. Wegen der Verletzungen des Klägers wird auf den Reha-Zwischenbericht des BG Klinikums H. vom 22.11.2017 (Anlage K 11 = Bl. 38 ff. d.A.) Bezug genommen.

Mit Anwaltsschreiben vom 13. und 26.02.2018 ließ der Kläger, der infolge der erlittenen Verletzungen seine Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, die Beklagte zur Zahlung von Schmerzensgeld auffordern. Die Beklagte reagierte nicht.

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger seine Schmerzensgeldforderung in Höhe von mindestens 120.000,00 EUR nebst Zinsen weiter. Die Beklagte könne sich nicht auf den Haftungsausschluss gemäß § 104 SGB VII berufen, denn sie habe den Arbeitsunfall vom 19.10.2017 vorsätzlich verursacht. Der Kläger hat behauptet, es sei bei seinem Eintritt im Betrieb üblich gewesen, die Hebevorrichtung des Hubwagens von der Gabel aus mit einem Stock zu bedienen. Die Beklagte habe auch ihn angewiesen, falls weniger als drei bis vier Mitarbeiter im Lager sind, die Hebevorrichtung des Hubwagens mit dem Stock zu bedienen, wie er es am 19.10.2017 getan hat. Die Anweisung lasse sich als Rückschluss dem Protokoll der Besprechung vom 25.03.2017 (Anlage K 1 = Bl. 15 d. A) entnehmen. Wenn es dort unter der Überschrift „DEPO“ in türkischer Sprache heiße

(1) 3-4 kisi varken A. a. sopayla calismamali,

sei das mit

(1) Wenn 3-4 Personen da sind, soll A. A. nicht mit dem Stockarbeiten,

zu übersetzen. So habe auch der vom Gericht beauftragte Dolmetscher K. den Satz übersetzt. Mit A. A. sei der Kläger gemeint gewesen.

Arbeitsunfall - Schmerzensgeld trotz Haftungsausschluss?
(Symbolfoto: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Die Beklagte hat bestritten, den Kläger angewiesen zu haben, die Hebevorrichtung des Hubwagens mit dem Stock zu bedienen. Vielmehr sei dem Kläger diese Praxis, die er im Betrieb eingeführt habe, mehrfach aufgrund ihrer Gefährlichkeit untersagt worden, zuletzt am 02.10.2017 (durch Geschäftsführer G.) und in der vorletzten Oktoberwoche 2017 (durch Geschäftsführer S.). Der Kläger habe jedoch nicht auf die Beklagte gehört und die Praxis fortgesetzt. In der Besprechung vom 25.03.2017 sei ihm unter dem ersten Punkt das entsprechende Verhalten untersagt worden. Nur so könne die Ziffer 1 des Protokolls verstanden werden. Denn die Weisung hätte sich sonst an alle Mitarbeiter richten müssen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B. und S.. Wegen der Beweisbeschlüsse und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 05.09.2018 (Bl. 126 ff. d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei aufgrund des Haftungsausschlusses nach § 104 SGB VII nicht zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet. Die Beklagte habe nicht vorsätzlich gehandelt. Weder aus dem Protokoll der Besprechung vom 25.03.2017 (Anlage K 1 = Bl. 15 d.A) noch aus den Bekundungen der Zeugen B. und S. ergebe sich, dass die Beklagte den Kläger angewiesen hat, die Hebevorrichtung des Hubwagens mit dem Stock zu bedienen. Das Protokoll gebe eine solche Anweisung auch nicht für den Fall wieder, dass weniger als drei bis vier Personen anwesend sind. Beide Zeugen hätten bekundet, dem Kläger sei die von ihm eingeführte Praxis in der Vergangenheit immer wieder untersagt worden.

Gegen das dem Kläger am 01.10.2018 zugestellte Urteil hat er am 30.10.2018 Berufung eingelegt und diese am letzten Tag der bis zum 17.12.2018 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe mehrere Arbeitsschutzvorschriften nicht beachtet, nämlich § 12 Abs. 1 ArbSchG, §§ 3a, 6, 9 ArbStättV sowie §§ 6, 7 Abs. 1, 16 Abs. 1, 26 Abs.1 der Unfallverhütungsvorschriften BGV D 27. Dadurch habe sie ihre Schutzpflichten (§ 618 BGB, § 241 Abs. 2 BGB) verletzt und die Verletzung des Klägers billigend in Kauf genommen.

Auch wenn nach der Vernehmung der Zeugen durch das Arbeitsgericht nicht bewiesen sei, dass die Beklagte den Kläger ausdrücklich angewiesen hat, sich auf der Gabel des Fahrzeugs stehend mit Hilfe des Stocks in die Höhe zu befördern, habe sie dieses Verhalten des Klägers doch geduldet und nicht unterbunden. Das ergebe sich aus dem Protokoll der Besprechung vom 25.03.2017. Denn diese Vorgehensweise sei nur für den Fall untersagt worden, dass jedenfalls 3-4 Personen im Lager sind. Bei Anwesenheit weniger Personen habe die Beklagte das Verhalten dagegen geduldet, wenn nicht sogar angeordnet. Eine andere Erklärung sei nicht denkbar.

Der Beklagten seien die mit dem streitgegenständlichen Verhalten verbundenen Gefahren bewusst gewesen, sonst hätte sie es nicht ab einer bestimmten Mitarbeiterzahl untersagt. Aus der Duldung könne auf eine billigende Inkaufnahme der Gefahr geschlossen werden. Deshalb trage sie die Verantwortung für die schweren Verletzungen des Klägers. Wer so wichtige Unfallverhütungsvorschriften missachte, könne sich nicht darauf berufen, er habe den Unfall nicht kommen sehen.

Der Kläger beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 26.09.2018, Az: 4 Ca 737/18, dem Kläger und Berufungskläger zugestellt am 01.10.2018, wird abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, EUR 120.000,00 aber nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.03.2018.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Beweisaufnahme habe bestätigt, dass die Beklagte den Kläger nicht angewiesen habe, sich auf die Gabel des Hubwagens zu stellen, dessen Bedienelemente mit dem Stock zu bedienen und sich so in die Höhe zu befördern. Die Zeugen B. und S. hätten vielmehr bekundet, dass die Beklagte ein solches Verhalten weder gewünscht noch toleriert habe. Der Zeuge B. habe ausgesagt, dass es auch in der Besprechung am 25.03.3017 darum gegangen sei, das missbilligte Verhalten des Klägers zu unterbinden. Der Zeuge S. habe bekundet, dass er den Kläger noch im Oktober 2017 gewarnt habe.

Die Thematisierung in der Besprechung am 25.03.2017, die Anschaffung des Arbeitskorbs und die Rügen seitens der Geschäftsführer sprächen auch dagegen, dass die Beklagte das Verhalten des Klägers geduldet hat. Die vom Kläger bemühten Bestimmungen der Unfallverhütungsvorschrift BGV D 27 seien nicht einschlägig, da es sich bei dem vom Kläger benutzten Fahrzeug nicht um einen Gabelstapler, sondern um einen Hubwagen gehandelt habe. Anders als für Gabelstapler werde für Hubwagen kein Befähigungsnachweis verlangt, eine Unterweisung reiche aus.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt, insbesondere die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. In der Berufungsverhandlung ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung des Zeugen B.. Wegen des Beweisbeschlusses und der Aussage des Zeugen wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ist zulässig. Das Rechtsmittel ist dem Beschwerdewert nach statthaft, § 64 Abs. 2 b) ArbGG. Der Kläger hat seine Berufung auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet, § 66 Abs.1 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO.

II. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld.

1. Die Beklagte haftet dem Kläger nicht auf Schmerzensgeld gemäß §§ 823, 847 BGB, denn ihre Ersatzpflicht ist gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift haftet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für Personenschäden, die ein Versicherungsfall verursacht hat, nur, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt hat. Die Norm bezieht sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen

Rechts einschließlich der Gefährdungshaftung (vgl. BAG 30.10.2003 – 8 AZR 584/02 -). Schmerzensgeldansprüche fallen unter den Begriff der immateriellen Schäden und sind mithin Personenschäden im Sinne von § 104 SGB VII (vgl. BAG 10.10.2002 – 8 AZR 103/02). Hintergrund der Haftungsbeschränkung ist, dass an die Stelle der privatrechtlichen Haftung bei Arbeitsunfällen die sozialversicherungsrechtliche Gesamthaftung der Berufsgenossenschaft tritt. Somit steht dem Geschädigten ein stets solventer Anspruchsverpflichteter zur Verfügung. Außerdem können Konflikte zwischen den Arbeitsvertragsparteien im Zusammenhang mit zivilrechtlichen Haftungsfragen vermieden werden. Deshalb bestehen gegen die Haftungsprivilegierung nach § 104 SGB VII trotz gleichzeitigem Ausschluss von Schmerzensgeldansprüchen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. z.B. BAG 19.08.2004 – 8 AZR 349/03).

2. Entgegen der Ansicht der Berufung hat das Arbeitsgericht zutreffend angenommen, dass verantwortliche Vertreter der Beklagten den Arbeitsunfall vom 19.10.2017 nicht vorsätzlich herbeigeführt haben.

a) Unstreitig handelte es sich bei dem Unfall, den der Kläger am 19.10.2017 im Betrieb der Beklagten erlitten hat, um einen Versicherungsfall iSv. § 104 SGB VII. Als solcher ist er ein Arbeitsunfall, § 7 Abs. 1 SGB VII.

b) Die Haftungsbeschränkung entfällt nur dann wegen Vorsatzes, wenn der Handelnde den Arbeitsunfall gewollt oder für den Fall seines Eintritts gebilligt hat. Danach genügt es nicht, dass ein bestimmtes Verhalten, das für den Unfall ursächlich war, gewollt und gebilligt wurde, wenn der Unfall selbst nicht gewollt und nicht gebilligt wurde. Die vorsätzliche Herbeiführung eines Versicherungsfalls muss auch den konkreten Verletzungserfolg erfassen. Erforderlich ist neben der haftungsbegründenden Kausalität (Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall) die haftungsausfüllende Kausalität (Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Personenschaden). Das bedeutet, dass der erforderliche Vorsatz sich nicht allein auf die Herbeiführung des Unfalls, sondern auch auf die Unfallfolge, mithin den Personenschaden erstrecken muss (vgl. BAG 19.02.2009 – 8 AZR 188/08; BGH 08.03.2012 – III ZR 191/11).

c) Entgegen der Auffassung des Klägers fehlen Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Beklagte oder die für sie handelnden Personen den Versicherungsfall vom 19.10.2017 vorsätzlich herbeigeführt haben. Die Personenschäden des Klägers wurden nicht im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen.

aa) Vorsatz in diesem Sinne ist das bewusste Herbeiführen oder Vereiteln eines rechtswidrigen Erfolgs. Der Handelnde muss den Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens ist in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit nicht schon ausreichend, den möglicherweise eintretenden Erfolg zu sehen oder dass es dem Betreffenden gleichgültig ist, ob ein derartiger Erfolg eintritt („…es wird schon nichts passieren“). Bedingter Vorsatz liegt vielmehr nur vor, wenn der möglicherweise eintretende Erfolg in Gestalt des eingetretenen Personenschadens für den Fall seines Eintritts auch gebilligt, jedenfalls aber in Kauf genommen wird (vgl. BAG 08.12.1970 – 1 AZR 81/70 -). Nicht notwendig muss der Erfolg auch gewünscht oder beabsichtigt werden, er kann sogar unerwünscht sein.

bb) Von Vorsatz im vorgenannten Sinne wäre danach auszugehen, wenn Vertreter der Beklagten den Kläger ausdrücklich angewiesen hätten, die Hebevorrichtung des Hubwagens mit dem Stock zu bedienen und sich auf diese Weise in die Höhe zu heben, um an Kartons in den Regalen zu gelangen. Denn damit hätte die Beklagte das letztlich zum Unfall führende objektiv gefährliche Verhalten, einen möglichen Absturz von der Gabel des Hubwagens und Verletzungen durch den Aufprall zumindest billigend in Kauf genommen. Die Beklagte hat zwar in beiden Rechtszügen deutlich gemacht, dass auch sie ein solches Verhalten für äußerst gefährlich hält. Der Kläger hat aber nicht beweisen können, dass die Beklagte ihn oder die Lagermitarbeiter allgemein angewiesen hat, die Hebevorrichtung des Hubwagens mit dem Stock zu bedienen. Die im ersten Rechtszug durchgeführte Beweisaufnahme hat diese Behauptung des Klägers nicht bestätigt. Gegen die entsprechende Würdigung des Arbeitsgerichts wendet sich der Kläger in der Berufung nicht.

cc) Auch gegenüber dem Arbeitgeber, der von einem objektiv gefährlichen Verhalten seines Arbeitnehmers weiß, und dennoch untätig bleibt, kann der Vorwurf vorsätzlichen Verhaltens (Unterlassens) erhoben werden. Unstreitig haben die Geschäftsführer der Beklagten mehrfach beobachtet, wie der Kläger die Hebevorrichtung des Hubwagens mittels des Stocks bedient hat, um sich zur Arbeit an den Regalen in die Höhe zu heben. Diese Praxis wurde zudem unstreitig auf der Mitarbeiterbesprechung am 25.03.2017 erörtert. Die Beklagte wusste also, dass sich der Kläger in objektiv gefährlicher Weise verhielt. Der Kläger hat aber nicht beweisen können, dass die Beklagte dieses Verhalten geduldet hat.

Das Protokoll der Sitzung vom 25.03.2017 belegt nicht, dass die Geschäftsführer der Beklagten mit dem streitgegenständlichen Verhalten des Klägers grundsätzlich einverstanden waren und es ihm nur für den Fall untersagen wollten, dass 3-4 Mitarbeiter im Lager sind. Selbst wenn der Text unter der Überschrift „Depot“ mit „1. Wenn 3 – 4 Personen da sind, soll A. A. nicht mit dem Stock arbeiten“ übersetzt wird, folgt daraus nicht zwingend, dass bei Anwesenheit von weniger als drei Personen der Stock eingesetzt werden darf. Denn diese klare Aussage findet sich im Protokoll nicht. Das hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt.

Der in der Berufungsverhandlung vernommene Zeuge B. hat nicht bestätigt, dass die Beklagte die fragliche Praxis geduldet hat. Nach der Vernehmung des Zeugen ist die Kammer vielmehr vom Gegenteil überzeugt. Zur Besprechung vom 25.03.2017 hat der Zeuge ausgesagt, dass es dort ganz wesentlich um Sicherheitsfragen gegangen sei. Zum einen sei angesprochen worden, dass der Stock nicht benutzt werden soll, um sich hochzufahren, und zum anderen, dass die Paletten mit den schweren Kartons unten gelagert werden. Der Zeuge hat weiter bekundet, dass die Paletten heruntergeholt werden sollen, auch wenn das etwas länger dauere. Es sei aber sicherer und Sicherheit gehe vor. Nach Aussage des Zeugen sollte also auf diese arbeitsintensivere Weise gearbeitet werden, anstatt – aus Bequemlichkeit – den Stock zu benutzen, um sich hochzufahren. Aus der Schilderung des Zeugen ergibt sich, dass die Geschäftsführer der Beklagten die Nutzung des Stocks thematisiert und aus Sicherheitsgründen untersagt haben. Das Protokoll der Besprechung ist vor diesem Hintergrund zu lesen und zu verstehen.

Hinzu kommt, dass nach der Aussage des Zeugen, der Kläger in einem Fall dabei war, als der Zeuge wegen der streitgegenständlichen Nutzung des Stocks von einem Geschäftsführer angeschrien worden ist. Der Geschäftsführer S. habe ihn, den Zeugen, „fertiggemacht“ mit den Worten, „du sollst die Kartons nicht mit dem Stock herunterholen, das ist gefährlich. Wenn etwas passiert, bist du behindert. Keiner soll den Stock benutzen. Du musst die Palette runternehmen und so arbeiten“. Auch das spricht dagegen, dass die Beklagte das gefährliche Verhalten geduldet hat.

Die Aussage des Zeugen B. ist glaubhaft. Er hat, wenn auch nur gelegentlich, im Lager gearbeitet und weiß daher um die dortigen Verhältnisse. An der Besprechung am 25.03.2017 hat er unstreitig teilgenommen, so dass er sich zu den erörterten Themen äußern kann.

Ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen haben sich für die Kammer nicht ergeben. Ein eigenes Interesse des Zeugen am Ausgang des Prozesses ist nicht erkennbar. Der Zeuge arbeitet schon seit geraumer Zeit nicht mehr für die Beklagte. Dafür, dass er dem Kläger mit seiner Aussage Schaden zufügen wollte, gibt es keine Anhaltspunkte. Er schien dem Kläger eher wohlgesonnen. Denn er wandte sich bei seiner Vernehmung mehrmals an den Sohn des Klägers und bedauerte das Schicksal des Klägers. Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen spricht nicht, dass er sich bezüglich verschiedener Daten und zeitlicher Abfolgen nicht sicher war oder sich nicht erinnern konnte. Zu bedenken ist, dass die Vorgänge teilweise länger als zwei Jahre zurückliegen. Nachvollziehbar ist deshalb, dass sich der Zeuge besser an solche Vorfälle erinnern konnte, die ihn betrafen und berührten. Das gilt zum einen für die Besprechung vom 25.03.2017, auf der verschiedene den Zeugen angehende Punkte erörtert wurden, zum anderen für die lautstarke Zurechtweisung durch den Geschäftsführer wegen der Nutzung des Stocks. Der Zeuge konnte nachvollziehbar schildern, warum ihn die Zurechtweisung in Anwesenheit des Klägers geärgert und dass er deshalb an diesem Tag seine Arbeit vorzeitig beendet hat.

Gegen die vom Kläger behauptete Duldung und Billigung der gefährlichen Praxis seitens der Beklagten spricht schließlich die Anschaffung des Arbeitskorbs für den Hochhubwagen, den die Beklagte ihren Mitarbeitern, auch dem Kläger, ab Ende September 2017 zur Verfügung gestellt hat. Der Lieferschein trägt das Datum 28.09.2017. Selbst wenn die Beklagte es zuvor geduldet haben sollte, dass der Kläger sich ungesichert auf der Gabel des Hubwagens stehend in die Höhe befördert hat, ist sie dem entgegengetreten, als und indem sie den Arbeitskorb zur Verfügung gestellt hat. Damit kam klar und unmissverständlich zum Ausdruck, dass diese Sicherung bei Hubvorgängen benutzt werden soll. Zu welchem Zweck sollte der Korb sonst angeschafft worden sein? Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Arbeitskorb sei für bestimmte Arbeitsvorgänge ungeeignet gewesen. Für solche Vorgänge konnte die Palette mit dem Hubwagen aus dem Regal gehoben und der Karton am Boden abgeladen werden.

dd) Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Beklagte gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen hat. Auch wenn ihr und den für sie verantwortlich handelnden Personen eine vorsätzliche Missachtung von Unfallvorschriften vorgeworfen werden könnte, rechtfertigt dies nicht die Annahme einer vorsätzlichen Unfallverursachung (vgl. BAG 10.10.2002 – 8 AZR 103/02 -; 02.03.1989 – 8 AZR 416/87 -). Insbesondere ergibt sich aus einem möglichen Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften nicht, dass damit auch die Unfallfolge, hier die Verletzungen des Klägers, billigend in Kauf genommen wird.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Kläger die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung, § 72 Abs. 2 ArbGG.

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