Skip to content

Arbeitsvertragsauslegung – Bereitschaftsdienst am Wochenende Freizeitausgleich

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 1 Sa 334/18 – Urteil vom 15.01.2019

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 06.07.2018 – 4 Ca 314/18 – teilweise geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 646,16 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2018 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Der Kläger trägt 94 %, die Beklagte trägt 6 % der Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge).

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Der Kläger war vom 01.12.2016 bis zum 31.12.2017 als Assistent in der tierärztlichen Praxis der Beklagten zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.500,– EUR beschäftigt. § 3 des schriftlichen Arbeitsvertrags der Parteien lautet auszugsweise:

§ 3 Arbeitszeit

(1) Die Arbeitszeit beträgt durchschnittlich 40 Stunden unter Zugrundelegung einer Fünftagewoche. Bei außergewöhnlicher Inanspruchnahme ist ein angemessener Ausgleich zu gewähren. Eine abweichende Verteilung der Arbeitszeit ist zulässig und richtet sich nach betrieblichen Notwendigkeiten.

(3) Der Bereitschaftsdienst am Wochenende und an gesetzlichen Feiertagen wird durch 1 Tag Freizeit ausgeglichen. Die nächtliche Rufbereitschaft während der Woche außerhalb des Bereitschaftsdienstes am Wochenende wird mit 1 Tag(en) Freizeit abgegolten.

Die Ausgleichstage sind zeitnah nach Absprache zu nehmen.

In der Praxis der Beklagten wird am Samstag vormittags eine Notfallsprechstunde vorgehalten. Hierzu und zu Diensten nach Feierabend in der Woche wurde der Kläger regelmäßig eingeteilt. Für diese Heranziehungszeiten gewährte die Beklagte ihm insgesamt 29 freie Tage als Ausgleichstage.

Vom Bruttogehalt des Klägers für Dezember 2017 zog die Beklagte EUR 646,16 ab.

Diesen Betrag sowie die Vergütung für insgesamt 70 nicht gewährte Ausgleichstage macht der Kläger nunmehr geltend.

Hierzu hat er vorgetragen:

Nach seiner Auffassung sei § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags so zu verstehen, dass für einen nächtlichen Bereitschaftsdienst jeweils ein Tag Freizeit zu gewähren sei. Aus der Klausel ergebe sich auch nicht mit hinreichender Deutlichkeit, ob für das Ab- leisten einer Woche Rufbereitschaft ein freier Tag gewährt werde oder bereits bei Ableistung eines Tages Rufbereitschaft.

Im Übrigen seien sämtliche außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit von ihm geleisteten Dienste als Bereitschaftsdienst zu bewerten. Er sei bei der Einstellung angehalten worden, sich keine Wohnung in G… zu suchen, weil er nachts und am Wochenende schnell zur Klinik kommen müsse.

Die Beklagte bezeichne ihren Betrieb selbst als Tierklinik. Nach der Berufsordnung der Tierärztekammer müsse eine Klinik für Notfälle ständig dienstbereit sein. Dies sei nur der Fall, wenn der diensthabende Tierarzt in kürzest möglicher Zeit sie erreichen könne. Danach sei seine Tätigkeit als Bereitschaftsdienst zu qualifizieren.

Er habe an Samstagen durchschnittlich 10 Stunden und am Sonntag durchschnittlich sechs Stunden in der Klinik gearbeitet. Wenn er sich während der Dienstzeiten außerhalb der Klinik aufgehalten habe, sei er durchgehend telefonisch erreichbar gewesen.

Wegen der einzelnen von ihm abgeleisteten Dienste hat der Kläger eine nach Tagen geordnete Aufstellung zur Gerichtsakte gereicht (Anlage K 2, Bl. 8 f d. A.).

Weiter hat der Kläger behauptet, der Gehaltsabzug im Dezember 2017 sei unberechtigt. Er bestreite, dass ihm zu viele Urlaubstage gewährt worden seien.

Die Beklagte hat erwidert:

§ 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrages sei eindeutig: Für die nächtliche Rufbereitschaft an den fünf Wochentagen erhalte der Kläger einen Tag Freizeit. Der Kläger differenziere – unstreitig – in seiner Aufstellung nicht zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. Daher sei die Klage nicht schlüssig. Die geleisteten Dienste habe sie durch Freizeit ausgeglichen. Die Ableistung von Bereitschaftsdiensten in der Woche bestreite sie. Auch nach der Notfallsprechstunde am Wochenende habe der Kläger nicht in der Klinik anwesend sein müssen. Im Übrigen gebe es keine Anspruchsgrundlage für einen Zahlungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Dem Kläger sei geraten worden, sich eine Wohnung in N… zu suchen, weil dies bei Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst günstiger sei. Die Berufungsordnung der Tierärztekammer sei nicht Gegenstand des Arbeitsvertrags der Parteien.

Sie habe dem Kläger 28 Urlaubstage gewährt, obwohl diesem vertraglich nur 24 Urlaubstage zugestanden hätten. Zur Erstattung des hierfür gezahlten Urlaubsentgelts sei der Kläger verpflichtet.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Wegen des Ausgleichs für nicht gewährte Tage sei die Klage unschlüssig. Der Kläger habe trotz entsprechender Auflage des Gerichts nicht vorgetragen, für welche Tage er welchen Ausgleich verlange.

Auch der Abzug im Dezemberlohn sei zu Recht erfolgt, da der Kläger nicht substantiiert bestritten habe, dass ihm 28 Urlaubstage gewährt worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das am 02.08.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.08.2018 Berufung eingelegt und diese am 25.09.2018 begründet.

Er wiederholt seinen Vortrag aus erster Instanz und führt ergänzend aus:

Alle von ihm in der Klage aufgeführten und geltend gemachten Dienste seien als Bereitschaftsdienst einzuordnen, da seine Inanspruchnahme so hoch gewesen sei, dass sie der Qualifizierung der Zeiten als Rufbereitschaft entgegenstehe. Der Berufungsbegründung hat der Kläger als Anlage eine Aufstellung beigefügt und hierzu behauptet, aus dieser seien die von ihm geleisteten Arbeitsstunden ersichtlich.

Auch der Lohnabzug durch die Beklagte sei unberechtigt. Er sei ab dem 11.12.2017 arbeitsunfähig erkrankt gewesen, ebenso am 19. und 20.10.2017. Am 02.03.2017 habe er keinen Urlaub genommen. Zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit für die Zeit ab dem 27.11.2017 bis zum 29.12.2017 hat der Kläger die Kopie einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Gerichtsakte gereicht.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 06.07.2018, Az.: 4 Ca 314/18, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von brutto 11.116,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Dezember 2017 auf einen Betrag von EUR 10.469,96 und auf einen Betrag von EUR 646,16 seit dem 2. Januar 2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt aus:

Der Kläger differenziere weiterhin nicht zwischen Zeiten der Rufbereitschaft und des Bereitschaftsdienstes. Er mache es sich auch zu einfach, wenn er jetzt behaupte, er habe nur Bereitschaftsdienst geleistet. Dies finde in der vertraglichen Vereinbarung der Parteien keine Grundlage.

Die inhaltliche Richtigkeit der im Berufungsverfahren zur Gerichtsakte gereichten Stundenaufstellung bestreite sie mit Nichtwissen. Der Kläger trage den Inhalt dieser Anlage auch nicht ordnungsgemäß vor.

Dem Kläger seien irrtümlich 39 Urlaubstage gewährt worden, die die Beklagte im Einzelnen benennt. Hierzu führt sie aus, sie sei wegen einer Aufstellung des Klägers, die im September geendet habe, irritiert gewesen und habe nicht rechtzeitig erkannt, dass dem Kläger für die Zeit vom 09. bis 31.12.2017 keine 15 Urlaubstage mehr zugestanden hätten. Tatsächlich sei ihr Erstattungsanspruch wesentlich höher.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung des Klägers ist nur zum Teil begründet. Den vom Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruch zur Abgeltung 70 nicht gewährter freier Tage hat das Arbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Der Anspruch besteht nicht. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht allerdings erkannt, dass dem Kläger kein weiterer Zahlungsanspruch für Dezember 2017 zuzüglich Zinsen zusteht. Im Einzelnen gilt Folgendes:

A. Dem Kläger steht kein Zahlungsanspruch zum Ausgleich nicht gewährter 70 freier Tage in Höhe von EUR 10.469,96 brutto zu. Die Voraussetzungen eines entsprechenden Abgeltungsanspruchs sind vom Kläger nicht schlüssig dargelegt worden.

I. Der Kläger kann die Vergütung für 70 nicht gewährte freie Tage nicht als Abgeltungsanspruch zum Ausgleich für Bereitschaftsdienste in der Zeit vom 01.12.2016 bis zum 31.12.2017 verlangen. Entgegen seiner Auffassung hat der Kläger nicht durchgehend bei der Beklagten Bereitschaftsdienst geleistet. Vielmehr hat er die nächtlichen Arbeitsleistungen in der Woche in der von der Beklagten angeordneten Rufbereitschaft erbracht.

1. Unstreitig ist, dass der Kläger am Wochenende Bereitschaftsdienst geleistet hat. Zwar hat die Beklagte ausgeführt, der Kläger sei nach der Notfallsprechstunde am Samstag nicht verpflichtet gewesen, in der Klinik zu bleiben. Die Beklagte hat aber die Wochenenden uneingeschränkt als Bereitschaftsdienst vergütet und dem Kläger für 10 Wochenenddienste 10 freie Tage gewährt.

Damit ist der Ausgleichsanspruch des Klägers für die Bereitschaftsdienste am Wochenende auch erfüllt. § 3 Abs. 3 Satz 1 regelt insofern unmissverständlich, dass der Bereitschaftsdienst am Wochenende durch einen Tag Freizeit ausgeglichen wird. Das lässt sich nur dahin verstehen, dass für ein Wochenende Bereitschaftsdienst ein freier Tag gewährt wird. Das entspricht im Ergebnis einer Faktorisierung der Arbeitszeit am Wochenende mit dem Faktor 0,5. Das entspricht auch in anderen Bereichen der tatsächlichen Übung. So regelt etwa § 9 Abs. 1 Satz 2 TVöD, dass Bereitschaftszeiten zur Hälfte als tarifliche Arbeitszeit gewertet (faktorisiert) werden.

Rechtliche Bedenken dagegen, dass der Bereitschaftsdienst niedriger vergütet wird als Vollarbeit, bestehen nicht (Schaub-Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Auflage, § 45, Rn. 51 mit Nachweisen zur entsprechenden ständigen Rechtsprechung des BAG).

2. Für drei gesetzliche Feiertage, an denen der Kläger Bereitschaftsdienst geleistet hat, ist sein Ausgleichsanspruch durch Gewährung entsprechender weiterer freier Tage ebenfalls erfüllt worden.

3. Während der Woche hat der Kläger entgegen seiner Auffassung keinen Bereitschaftsdienst geleistet, sondern war in Rufbereitschaft tätig.

a) Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, um, sobald es notwendig ist, seine Arbeit aufzunehmen (Schaub-Linck, a.a.O., § 45, Rn. 50 m.w.N.). Rufbereitschaft ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer sich nicht an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle bereithalten, sondern nur jederzeit erreichbar sein muss, um seine beruflichen Aufgaben auf Abruf unverzüglich wahrnehmen zu können. Der Arbeitnehmer kann sich innerhalb eines zuvor vereinbarten Gebiets an einem Ort seiner Wahl aufhalten, der dem Arbeitgeber anzuzeigen ist oder von dem aus er über „Piepser“ oder „Handy“ jederzeit erreichbar ist (Schaub-Linck, a.a.O., Rn. 52). Wird der Arbeitnehmer während der Rufbereitschaft zur tatsächlichen Arbeitsleistung herangezogen, hat er Anspruch auf die vertraglich oder tariflich für Vollarbeit vorgesehene Vergütung, ggf. zuzüglich der einschlägigen Zulagen. Der Arbeitnehmer erbringt in dieser Zeit eine andere Form der Leistung als die durch eine Rufbereitschaftszulage abgegoltene (Schaub-Linck, a.a.O., Rn. 53).

b) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger während der Woche Rufbereitschaft geleistet und nicht Bereitschaftsdienst. Er musste sich nicht an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten.

aa) Der in der Berufungsbegründung wiederholte Vortrag des Klägers, ihm sei im Bewerbungsgespräch gesagt worden, es werde erwartet, dass er in N… und auf keinen Fall in G… wohnen werde, ansonsten würde es mit seiner Anstellung nichts werden, begründet nicht die Annahme, die Arbeitszeiten des Klägers in der Woche seien als Bereitschaftsdienst zu qualifizieren. Schon nach dem Vortrag des Klägers ist ihm weder in diesem Gespräch noch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt gesagt worden, er müsse sich in der Woche nach Dienstschluss während der Rufbereitschaft an einem bestimmten Ort aufhalten. Eine Anweisung der verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten an den Kläger, etwa des Inhalts, dass er nach Dienstschluss zu Hause sein müsse, behauptet der Kläger nicht und ist auch erkennbar nicht erfolgt. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass er ständig telefonisch erreichbar gewesen sei, begründet dies gerade nicht die Annahme, dass er im Bereitschaftsdienst tätig gewesen sei. Ständige telefonische Erreichbarkeit ist gerade ein Merkmal der Rufbereitschaft. Das wäre selbst dann nicht anders zu bewerten, wenn dem Kläger von der Beklagten eine Dienstwohnung gestellt worden wäre, die sich etwa direkt neben der Klinik befunden hätte. Selbst dann wäre es der Beklagten unbenommen gewesen, gegenüber dem Kläger entweder Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft anzuordnen. Entscheidend ist, ob sie dem Kläger seinen Aufenthaltsort vorgibt oder nicht.

bb) Die vom Kläger vorgetragene Erwartungshaltung der Beklagten vor Abschluss des Arbeitsvertrags ersetzt keine konkreten Anweisungen der Beklagten zum Aufenthaltsort im bestehenden Arbeitsverhältnis. Auch aus der Berufsordnung der Tierärztekammer folgt nichts für die Auffassung des Klägers. Soweit dort geregelt ist, dass eine Klinik für Notfälle ständig dienstbereit sein müsse und diese Voraussetzung vorliege, wenn der diensthabende Tierarzt die Klinik in kürzest möglicher Zeit erreichen kann, besagt das dazu, ob diese Erreichbarkeit über die Anordnung eines Bereitschaftsdienstes oder einer Rufbereitschaft gewährleistet wird, nichts. Auch bei Anordnung von Rufbereitschaft muss der Kläger sich in kürzest möglicher Zeit zu seinem Arbeitsplatz begeben.

cc) Schließlich ergibt sich auch aus der vom Kläger angeführten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.02.2018 (C 518/15 – Matzak) nichts Anderes. Anders als im vorliegenden Fall musste der Kläger sich im vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall aufgrund einer Anweisung seines Arbeitgebers an seinem Wohnsitz aufhalten (vgl. Rnrn. 63 – 65 der Entscheidung).

II. Der vom Kläger geltend gemachte Zahlungsanspruch folgt auch nicht als Abgeltungsanspruch für nicht gewährte freie Tage der Rufbereitschaft. Den entsprechenden Anspruch des Klägers zum Ausgleich seiner Rufbereitschaftszeiten hat die Beklagte ebenfalls erfüllt.

1. Dem Kläger steht gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 seines Arbeitsvertrags pro Woche Rufbereitschaft ein Tag Freizeit als Ausgleich zu. Das ergibt eine Auslegung des Arbeitsvertrags des Klägers, die einer Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vorgeht (ErfKomm-Preis, 19. Auflage, 2019, §§ 305 – 310 BGB, Rn. 31).

a) Hierfür spricht bereits deutlich der Wortlaut von § 3 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrags. Danach wird die nächtliche Rufbereitschaft während der Woche – und nicht an einem Wochentag in der Woche – mit einem Tag Freizeit abgegolten. Das legt das Verständnis der Regelung nahe, dass pro Woche nächtlicher Rufbereitschaft ein Tag Freizeitausgleich gewährt wird.

b) Vor allem spricht für dieses Verständnis aber der systematische Zusammenhang von § 3 Abs. 3 Satz 2 mit Satz 1 sowie der Sinn und Zweck der Vergütung der Rufbereitschaft.

Bei der vom Kläger bevorzugten Lesart würde der deutlich belastendere Bereitschaftsdienst für zwei Tage am Wochenende mit einem Tag Freizeitausgleich genauso vergütet wie ein Tag nächtliche Rufbereitschaft in der Woche, bei der der Kläger zusätzlich noch für den Fall der Aufnahme der Arbeit das volle Entgelt für die geleistete Tätigkeit verlangen könnte. Das ist völlig unangemessen und auch ansonsten völlig unüblich. Der Kläger verkennt, dass mit der Bereitschaftsdienstvergütung in § 3 Abs. 3 Satz 1 auch seine tatsächlichen Arbeitszeiten während des Bereitschaftsdienstes abgegolten sind, während die Rufbereitschaftszulage gerade nicht die in die Rufbereitschaft fallenden Einsätze vergütet, sondern nur die Bereitschaft des Arbeitnehmers, in Rufbereitschaft tätig zu sein.

3. Bei 68 Tagen nächtlicher Rufbereitschaft, so unwidersprochen der Vortrag der Beklagten in der Berufungserwiderung, ist der Ausgleichsanspruch des Klägers durch Gewährungen von 14 freien Tagen erfüllt worden.

III. Schließlich folgt ein Zahlungsanspruch des Klägers auch nicht als Abgeltungsanspruch für in der nächtlichen Rufbereitschaft geleistete Vollarbeitszeit.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist es grundsätzlich so, dass der Kläger für die während der Rufbereitschaft in der Woche geleisteten Arbeitsleistungen Anspruch auf Vergütung hat. Diese ist jedoch nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Kläger macht in diesem Verfahren keine Vergütung für tatsächliche Arbeitsleistungen geltend. Entsprechende Arbeitsleistungen werden auch nicht durch die von ihm im Berufungsverfahren eingereichte Anlage nachgewiesen. Diese enthält schlicht die Zeiten seiner Anwesenheit in der Klinik, ohne dass zu erkennen ist, wann es sich um Zeiten der Rufbereitschaft oder sonstige Zeiten gehandelt hat.

B. Die Klage ist allerdings begründet, soweit der Kläger restliche Vergütung in Höhe von 614,16 EUR brutto zuzüglich der geltend gemachten Zinsen beansprucht.

I. Der Hauptanspruch des Klägers folgt aus § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Der Kläger war ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigung in der Zeit vom 01. bis 29.12.2017 arbeitsunfähig erkrankt. Beim 30. und 31.12.2017 handelt es sich um ein arbeitsfreies Wochenende des Klägers. Da die Arbeitsunfähigkeit am 29.11.2017 begonnen hatte, war der Entgeltfortzahlungszeitraum noch nicht abgelaufen.

II. Gegenüber diesem Anspruch hat die Beklagte nicht wirksam mit ihrem Rückforderungsanspruch wegen überzahlten Urlaubsentgelts aufgerechnet, § 389 Abs. 1 BGB. Dabei kann offenbleiben, ob der Beklagten überhaupt ein entsprechender Rückforderungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zustand.

Die Aufrechnung der Beklagten ist nämlich bereits unzulässig. Gegenüber einer Bruttoforderung ist die Aufrechnung generell ausgeschlossen (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg vom 20.11.2013 – 21 Sa 866/13 – Juris, Rn. 127 m.w.N.).

Nach § 394 Satz 1 BGB ist eine Aufrechnung gegen eine Forderung nur zulässig, soweit diese der Pfändung unterliegt. Nach § 850 Abs. 1 ZPO ist Arbeitseinkommen nur nach Maßgabe der §§ 850 a – i ZPO pfändbar. Nach § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO sind bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens u.a. die Beträge nicht mitzurechnen, die unmittelbar aufgrund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind. Aufgerechnet werden kann daher stets nur gegen den pfändbaren Nettobetrag des Arbeitseinkommens. Eine Aufrechnung gegen den Bruttobetrag ist unzulässig (LAG Berlin-Brandenburg, a.a.O. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts).

Die Aufrechnung wird auch nicht dadurch zulässig, dass die Beklagte hier mit einer Bruttoforderung aufrechnet (LAG Berlin-Brandenburg, a.a.O., LAG Nürnberg, NZA RR 1999, 626).

Im Übrigen wäre die Aufrechnung auch unbegründet. Nach der vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung konnte ihm die Beklagte für die Zeit ab dem 15.12.2017 keinen Urlaub gewähren, so dass dem Kläger jedenfalls noch der von ihm geltend gemachte Resturlaubsanspruch von vier Urlaubstagen zustand.

III. Zinsen stehen dem Kläger auf diese Forderung gemäß den §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB jedenfalls ab dem 02.01.2018 zu.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!