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Arbeitszeitenverlängerung mit Teilzeitbeschäftigten ohne Betriebsratszustimmung

ArbG Erfurt – Az.: 7 BV 26/20 – Beschluss vom 13.08.2021

1. Die Beteiligte zu 2. wird verpflichtet, es zu unterlassen, in der Filiale … entgegen Ziffer 2.2. a) der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit und Pausen“ Überstunden ohne vorherige Zustimmung des Beteiligten zu 1. oder deren Ersetzung durch Spruch der Einigungsstelle anzuordnen bzw. Überstunden zu dulden, mit Ausnahme der Notfälle im Sinne der BAG-Rechtsprechung und betrieblicher Notfälle und krankheitsbedingten Eilfällen mit sofortigem Handlungsbedarf und Nichterreichbarkeit des Beteiligten zu 1. nach Ziffer 2.2. a) und b) der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit und Pausen“.

2. Die Beteiligte zu 2. wird verpflichtet, es zu unterlassen, eine Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit mit Teilzeitbeschäftigten ohne Zustimmung des Beteiligten zu 1. oder deren Ersetzung durch Spruch der Einigungsstelle zu vereinbaren, mit Ausnahme der Notfälle i.S. der BAG-Rechtsprechung und betrieblicher Notfälle und krankheitsbedingten Eilfällen mit sofortigem Handlungsbedarf und Nichterreichbarkeit des Beteiligten zu 1. nach Ziffer 2.2. a) und b) der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit und Pausen“.

3. Der Beteiligten zu 2. wird für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 10.000 € angedroht.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Unterlassung bzw. Duldung von Überstunden sowie die Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeiten mit Teilzeitbeschäftigten ohne die Zustimmung des Beteiligten zu 1..

Der Beteiligte zu 1. ist der bei der Beteiligten zu 2., einer Supermarktkette mit Filialen an unterschiedlichen Standorten, für die Filiale … in E. gebildete 7-köpfige Betriebsrat. In der Filiale sind 116 Mitarbeiter beschäftigt. Standortleiter ist Herr F..

Bei der Beteiligten zu 2. existiert eine am 1. April 2020 in Kraft getretene Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit und Pausen“. Wegen des genauen Inhalts dieser Betriebsvereinbarung wird auf Bl. 17 – 22 d.A. Bezug genommen (im Folgenden BV).

Nach der BV erfolgt die Personaleinsatzplanung durch einen Dienstplan, der den Beschäftigten am Donnerstag bis spätestens 12:00 Uhr für 14 Tage im Voraus durch Aushang bekannt zu machen ist. Die Dienstpläne sind dem Beteiligten zu 1. bis dienstags 10:00 Uhr für die jeweils übernächste Kalenderwoche zur Genehmigung vorzulegen. Die Dienstpläne sind genehmigt, soweit der Beteiligte zu 1. diesen nicht bis dienstags um 16:00 Uhr widerspricht. Änderungen, die nach Bekanntgabe der Dienstpläne vorgenommen werden, sind von dem Beteiligten zu 1. zu genehmigen. Kurzfristige Änderungen auf Wunsch der Beschäftigten sind nach Rücksprache mit dem zuständigen Vorgesetzten möglich, wobei der Beteiligte zu 1. zu informieren ist.

Nach Ziffer 2.2 BV sind Überstunden, die über die dienstplanmäßig geplante Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden. Nach Ziffer 2.2 a sind Überstunden von der Beteiligten 2. beim Beteiligten zu 1. zu beantragen und bedürfen dessen Zustimmung. Nur bei dringenden, nicht vorhersehbaren betrieblichen Notfällen oder krankheitsbedingten Eilfällen mit sofortigem Handlungsbedarf und Nichterreichbarkeit des Beteiligten zu 1., steht der Beteiligten zu 2. das Recht zu, Überstunden unter Berücksichtigung der persönlichen und sozialen Belange des Beschäftigten auch ohne vorherige Zustimmung des Beteiligten zu 1. zu verlangen. In diesem Fall ist der Beteiligte zu 1. unverzüglich, spätestens jedoch am folgenden Werktag über die geleisteten Überstunden mündlich und schriftlich zu informieren. Bei krankheitsbedingten Eilfällen ist ein sofortiger Handlungsbedarf nur dann gegeben, wenn in Teilbereichen die Kunden*innen auch durch Mitarbeiterinnen aus anderen Bereichen nicht mehr bedient werden können. Solche Überstunden sind von den Beschäftigten, ohne vorherige Zustimmung des Beteiligten zu 1. freiwillig zu leisten. Hierzu können nur dienstplanmäßig anwesende Beschäftigte herangezogen werden. Ziffer 2.2 b enthält die Definition eines betrieblichen Notfalls im Sinne der vorgenannten Bestimmungen. Ein solcher tritt nur dann auf, wenn die Ereignisse ungewöhnlich, unvorhersehbar und plötzlich eintreten und daher Mehrarbeit nicht rechtzeitig beantragt werden kann. Kurzfristiger krankheitsbedingter Arbeitsausfall, Urlaubszeit oder Feiertage sind kein „betrieblicher Notfall“.

Diese Betriebsvereinbarung ist am 01. April 2020 in Kraft getreten.

Mit Schreiben vom 22. September 2020 beanstandete der Beteiligte zu 1. Verstöße gegen diese Betriebsvereinbarung. Er teilte dem Standortleiter mit, dass in der 39. Kalenderwoche zusätzlich zu den geplanten Mehrstunden 45 Mehrstunden in der Abteilung Food hinzugekommen seien. Er werde dazu aufgefordert, die Stundenerhöhungsanträge der Mitarbeiter zu bearbeiten, um das Aufkommen von Mehrarbeit zu unterbinden.

Trotz dieser Aufforderung kam es zur Ableistung weiterer Mehrarbeit über den genehmigten Dienstplanzeitraum hinaus. Dieses erfolgte vom 12. bis zum 16. Oktober 2020 durch Frau S. im Umfang von 1,63 Stunden, vom 12. bis 17. Oktober 2020 durch Frau S. im Umfang von 2,87 Stunden, am 14. Oktober 2020 durch Frau E. im Umfang von 1,5 Stunden, am 14. Oktober 2020 durch Frau C. im Umfang von 1,38 Stunden, im Zeitraum vom 28. September bis zum 02. Oktober durch Frau S. im Umfang von 1,79 Stunden, vom 21. bis zum 26. September 2020 durch Frau M. im Umfang von 1,02 Stunden, in der 44. Kalenderwoche kam es zu Überstunden im Sinne der BV durch Frau B. im Umfang von 1,54 Stunden, durch Frau G. im Umfang von 1,02 Stunden, durch Frau S. im Umfang von 2,9 Stunden und durch Frau S. im Umfang von 1,35 Stunden.

Weiter beantragte die Beteiligte zu 2. bei dem Beteiligten zu 1. unter dem 08. September 2020 die Zustimmung zu einer geplanten Erhöhung der vertraglich vereinbarten Stunden mit Frau K., einer Teilzeitbeschäftigten. Dieser Maßnahme widersprach der Beteiligte zu 1. und die Beteiligte zu 2. beantragte erneut die Zustimmung mit Schreiben vom 18. September 2020. Ohne die Zustimmung des Beteiligten zu 1. setzte die Beteiligte zu 2. den Beteiligten zu 1. mit Schreiben vom 29. September 2020 dann lediglich davon in Kenntnis, dass die Arbeitszeit von Frau K. in der Zeit vom 01. Oktober 2020 bis zum 28. Februar 2021 von bisher vertraglich vereinbarten 12 Stunden auf 19 Stunden erhöht wird. Mit Schreiben vom 02. Oktober 2020 wies der Beteiligte zu 1. auf sein ihm nach seiner Meinung zustehendes Mitbestimmungsrecht diesbezüglich hin.

Darüber hinaus beantragte die Beteiligte zu 2. am 17. November 2020 die Zustimmung des Beteiligten zu 1. zu einer vorübergehenden Stundenerhöhung für Frau C. von vertraglich vereinbarten 29 auf 38 Stunden pro Woche für den Zeitraum vom 15. November bis zum 31. Dezember 2020. Auch diesem Antrag widersprach der Beteiligte zu 1.. Daraufhin wurde er von der Beteiligten zu 2. lediglich davon in Kenntnis gesetzt, dass die beantragte Stundenerhöhung durchgeführt werde.

Mit Schreiben vom 13. November 2020, wegen dessen Inhalts auf Bl. 25 der Akten Bezug genommen wird, lud der Vorsitzende des Beteiligten zu 1. die Betriebsratsmitglieder zur planmäßigen Betriebsrats-Sitzung am 16. November 2020 unter Mitteilung der Tagesordnung ein. Tagesordnungspunkt 6 der Einladung lautet wie folgt:

„Diskussion und Beschluss zur Beauftragung eines Fachanwalts zur Einleitung und Durchführung eines Beschlussverfahrens und eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zur Unterlassung mit bestimmungswidriger Maßnahmen (Erläuterung):

Der BR stellt fest, dass die Arbeitgeberseite ohne Zustimmung des BR die wöchentliche Arbeitszeit von Mitarbeitern befristet erhöht. So hat der BSPW. mit der Mitarbeiterin Frau A. K. eine Stundenerhöhung von 12 h/Woche auf 19 h/Woche mit Wirkung vom 01. Oktober 2020 bis zum 28. Februar 2021 vereinbart. Weiterhin hat der Arbeitgeber kurzfristig ohne Zustimmung des BR Mehrarbeit gegenüber Mitarbeitern angeordnet. In einem Fall hat der Arbeitgeber einen Mitarbeiter eingesetzt, obwohl dieser sich zu diesem Zeitpunkt im Urlaub befand. In sämtlichen Fällen liegen Verletzungen gegen Mitbestimmungsrechte aus § 871 Nr. 2,3 und ggf. 5 Betriebsverfassungsgesetz vor.“

Zu der Betriebsratssitzung vom 16. November 2020 erschienen nach dem zu den Akten gereichten Sitzungsprotokoll, wegen dessen Inhalts auf Bl. 26-29 der Aktenbezug genommen wird, alle 7 ordentlichen Betriebsratsmitglieder. Zu Tagesordnungspunkt 6 beschlossen sie mit 7 Ja-Stimmen die Einleitung eines Beschlussverfahrens sowie eines einstweiligen Verfügungsverfahrens mit dem Ziel der Unterlassung der im Tagesordnungspunkt genannten Maßnahmen. Weiter wurde beschlossen, die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten im vorliegenden Verfahren mit der Einleitung und Durchführung des Beschlussverfahrens und des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu beauftragen.

Im Zeitraum vom 05. Oktober bis zum 16. Oktober kam es in insgesamt 9 Fällen zur Ableistung von Arbeit über die genehmigte Arbeitszeit im Dienstplan hinaus im Umfang zwischen 30 und 90 Minuten. Wegen der insoweit vorgetragenen einzelnen Zeiten wird auf Bl. 102 der Akten Bezug genommen. Im Zeitraum vom 02. November bis zum 21. November erbrachten 6 Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen in 11 Fällen Arbeitsleistung über die im Dienstplan genehmigte Arbeitszeit hinaus im Umfang zwischen 17 und 75 Minuten je Einzelfall. Wegen der diesbezüglichen Angaben wird auf Bl. 103 d.A. Bezug genommen.

In der 50. Kalenderwoche (07. bis 13. Dezember 2020) erbrachten 5 Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen erneut in 11 Fällen Arbeitsleistung über die genehmigte Arbeitszeit hinaus im Umfang zwischen 16 und 94 Minuten je Einzelfall. Ein Arbeitnehmer erbrachte in dieser Kalenderwoche Mehrarbeit i.S.d. BV im Umfang von 152 Minuten.

Bezüglich dieses Arbeitnehmers trägt die Beteiligte zu 2. vor, dass die Mehrstunden dadurch zu Stande gekommen seien, dass er einen kurzfristig erkrankten Mitarbeiter ersetzt habe. Das Betriebsratsmitglied Frau N. sei entsprechend informiert worden.

In der 51. Kalenderwoche (14. bis 20. Dezember 2020) leisteten 4 Arbeitnehmer Mehrarbeit i.S.d. der BV in insgesamt 6 Fällen, ein Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung im Umfang von 150 Minuten über die genehmigte Arbeitszeit hinaus und eine Arbeitnehmerin im Umfang von 145 Minuten. Diesbezüglich führt die Beteiligte zu 2. aus, dass die Mehrstunden des Arbeitnehmers dadurch zu Stande gekommen seien, dass er kurzfristig einen kranken Mitarbeiter ersetzt habe. Der Betriebsrat sei entsprechend der Regelung in Ziffer 2.2 der BV informiert worden. Über die Mehrarbeitsstunden der Arbeitnehmerin sei der Beteiligte zu 1. unter Einhaltung der zuvor genannten Regelung in der Betriebsvereinbarung ebenfalls informiert worden.

In den 52. und 53. Kalenderwoche (21. Dezember 2020 bis 03. Januar 2021) erbrachten insgesamt 4 Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen in 9 Fällen Arbeitsleistung über die genehmigte Arbeitszeit hinaus. Eine dieser Mitarbeiterinnen erbrachte Arbeitsleistung im Umfang von 187 Minuten über die genehmigte Arbeitszeit hinaus. Diesbezüglich führt die Beteiligte zu 2. aus, dass sie einen kurzfristig erkrankten Kollegen ersetzt habe und der Beteiligte zu 1. unter Einhaltung der Regelung in Ziffer 2.2 der BV informiert worden sei.

Der Beteiligte zu 1. ist der Rechtsauffassung, dass die Beteiligte zu 2. sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG verletzt habe, in dem er gegen die Regelungen der BV verstoßen habe. Zwar sehe die BV auch einseitige Anordnungsmöglichkeiten im Hinblick auf Mehrarbeit bzw. Überstunden vor, diese seien aber nur bei dringenden Eilfällen mit sofortigem Handlungsbedarf und Nichterreichbarkeit des Beteiligten zu 1. gegeben. Nur in diesen Fällen stehe der Beteiligten zu 2. das Recht zu, Überstunden unter Berücksichtigung der persönlichen und sozialen Belange der betroffenen Beschäftigten auch ohne vorherige Zustimmung des Beteiligten zu 1. zu verlangen. Diese Voraussetzungen seien aber nicht gegeben.

Soweit die Beteiligte zu 2. die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit mit teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen vorübergehend verlängert habe, bestehe ebenfalls ein Mitbestimmungsrecht des Beteiligten zu 1. aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Hierin liege eine vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit im Sinne der vorgenannten Vorschrift.

Das vorliegende Verfahren sei aufgrund des Beschlusses des Betriebsrates vom 16. November 2020 ordnungsgemäß eingeleitet. Die ordnungsgemäße Beschlussfassung sei hinreichend vorgetragen worden. Das pauschale Bestreiten der Beteiligten zu 2. sei nicht geeignet, diesen Vortrag zu entkräften. Darüber hinaus sei nicht notwendig, dass der Beschluss des Beteiligten zu 1. den konkreten Wortlaut des im vorliegenden Verfahren gestellten Antrag enthalte. Es sei ausreichend, dass sich der Beschluss auf den insoweit relevanten Lebenssachverhalt beziehe.

Darüber hinaus bestehe auch die für den Antrag erforderliche Wiederholungsgefahr. Eine solche folge bereits aus der einmaligen Verletzung eines Mitbestimmungsrechts in einem konkreten betrieblichen Anlassfall. Vorliegend habe die Beteiligte zu 2. jedoch darüber hinaus in eindrucksvoller Weise den Nachweis einer Wiederholungsgefahr ermöglicht, in dem ab der Kalenderwoche 41 im Jahr 2020 weiterhin gegen die mitbestimmten Dienstpläne verstoßen worden sei.

Der Beteiligte zu 1. stellt folgende Anträge:

1. Die Beteiligte zu 2. wird verpflichtet, es zu unterlassen, in der Filiale …. entgegen § 2.2 lit a) der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit und Pausen“ Überstunden ohne vorherige Zustimmung des Beteiligten zu 1. oder deren Ersetzung durch Spruch der Einigungsstelle anzuordnen bzw. Überstunden zu dulden, mit Ausnahme der Notfälle im Sinne der BAG-Rechtsprechung und betrieblicher Notfälle und krankheitsbedingten Eilfällen mit sofortigem Handlungsbedarf und Nichterreichbarkeit des Beteiligten zu 1. nach § 2.2 a) und b) der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit und Pausen“.

2. Die Beteiligte zu 2. wird verpflichtet, es zu unterlassen, eine Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit mit Teilzeitbeschäftigten ohne Zustimmung des Beteiligten zu 1. oder deren Ersetzung durch Spruch der Einigungsstelle zu vereinbaren, mit Ausnahme der Notfälle i.S. d. BAG-Rechtsprechung und betrieblicher Notfälle und krankheitsbedingten Eilfällen mit sofortigem Handlungsbedarf und Nichterreichbarkeit des Beteiligten zu 1. nach § 2.2 a) und b) der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit und Pausen“.

3. Der Beteiligte zu 2. wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Ordnungsgeld von bis zu 10.000 EUR angedroht.

Die Beteiligte zu 2. beantragt: Die Anträge werden zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 2. ist der Auffassung, dass die Anträge des Beteiligten zu 1. bereits unzulässig seien, da sich aus dem vorgelegten Protokoll der Betriebsratssitzung vom 16. November 2020 nicht ergebe, dass die Verfahrensbevollmächtigten mit der Führung des Verfahrens mit den gestellten Anträgen ordnungsgemäß beauftragt wurden. Der im Protokoll dokumentierte Beschluss sei nicht identisch mit den Anträgen in dem vorliegenden Verfahren. Darüber hinaus genüge das Protokoll auch nicht den Anforderungen des § 34 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Auch aus der Einladung vom 13. November 2020 sei als Tagesordnungspunkt nicht die Einleitung eines Verfahrens mit den konkret gestellten Anträgen benannt worden. Die Ladung aller Mitglieder unter Mitteilung der Tagesordnungspunkte sei jedoch wesentliche Voraussetzung für das ordnungsgemäße zu Stande kommen eines Betriebsratsbeschlusses. Aus dem vorgelegten Sitzungsprotokoll sei nicht ersichtlich, dass die Tagesordnung wirksam geändert worden sei. Daran scheitere bereits die Zulässigkeit des vorliegenden Verfahrens. Darüber hinaus sei eine Wiederholungsgefahr nicht erkennbar. Daher ermangele es an einem Rechtsschutzbedürfnis.

Abgesehen davon, sei die von den Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmerinnen über die im Dienstplan festgelegte Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit von der Beteiligten zu 2. in einer Vielzahl von Fällen nicht angewiesen worden. Es handele sich jeweils um individuelles Fehlverhalten der einzelnen Mitarbeiter. Mit den Mitarbeitern seien Einzelgespräche geführt und dieses Vorgehen für die Zukunft untersagt worden. Lediglich hinsichtlich einiger der genannten Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen seien die Mehrstunden dadurch zu Stande gekommen, dass sie kurzfristig einen kranken Arbeitnehmer haben ersetzen müssen. Entsprechend der Regelung in Ziffer 2.2 der BV sei dann der Beteiligte zu 1. auch informiert worden.

Ein Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Beteiligten zu 1. liege nicht vor.

Auch durch befristete Erhöhung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit mit Arbeitnehmern werde ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht berührt, solange diese keine mitbestimmungspflichtige Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG darstelle. Eine diesbezügliche Mitbestimmung sei erst zu bejahen, wenn die Stundenerhöhungen länger als einen Monat dauerten und zudem mindestens 10 oder mehr Wochenstunden betrügen. Ein Mitbestimmungsrecht bestehe bei befristeten Stundenerhöhungen von Teilzeitbeschäftigten unterhalb dieser Grenze nicht. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, dass der Beteiligte für sich in Anspruch nehme, greife nicht bereits bei einer geringen Arbeitszeiterhöhung von weniger als 10 Stunden in der Woche. Darüber hinaus führe die Erhöhung der Arbeitszeit in einem geringen Maß nicht zu einer Veränderung, die den Einzelnen oder das Kollektiv in einer Weise berühre, dass eine Zustimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG erforderlich sei. Demgemäß berühre die unerhebliche Aufstockung der Arbeitszeit von weniger als 10 Stunden in der Woche nicht die in der Filiale beschäftigten Arbeitnehmer nachteilig. Daher sei für den Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kein Raum. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der von dem Beteiligten zu 1. angeführten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. April 2007 (1 ABR 47/06). Hierin werde lediglich ausgeführt, dass die befristete Verlängerung der mit Teilzeitbeschäftigten vereinbarten Arbeitszeit regelmäßig eine vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit mit kollektivem Bezug darstelle, dieses sei aber bei den hier relevanten unerheblichen Arbeitszeiterhöhungen nicht der Fall. Darüber hinaus fehle der kollektive Bezug bei individuellen Regelungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Anträge des Beteiligten zu 1. sind zulässig. Sie sind hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Auch das streitbefangene Unterlassen der Duldung richtet sich darauf, die Beteiligte zu 2. anzuhalten, mögliche und zumutbare Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass sich dem Anlassfall gleiche Überschreitungen der im Dienstplan festgelegten Arbeitszeiten wiederholen. Eine nähere Konkretisierung dieser Maßnahmen kann und muss im Erkenntnisverfahren nicht verlangt werden (BAG, Urteil vom 28. Juli 2020, Az. 1 ABR 18/19).

Die Formulierungen im Antrag sind auch hinsichtlich eines „Notfalls“ hinreichend bestimmt. Welche Situation als „Notfall“ im Sinne der Anträge zu verstehen sein soll ist durch die Bezugnahme auf die hinlänglich geklärte Rechtsprechung und die zu den Akten gereichte Betriebsvereinbarung hinreichend bestimmt.

Das Verfahren wurde auch ordnungsgemäß eingeleitet.

Die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens und die Beauftragung eines Rechtsanwalts bedürfen eines ordnungsgemäßen Beschlusses des Betriebsrates. Ist die Beschlussfassung unterblieben oder fehlerhaft erfolgt, ist der für den Betriebsrat gestellte Antrag als unzulässig abzuweisen (BAG, Beschluss vom 04. November 2015, Az.: 7 ABR 61/13).

Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen. Die 7 ordentlichen Mitglieder des Betriebsrates haben unter Übermittlung der Tagesordnung mit dem Tagesordnungspunktes 6, der sich auf die Einleitung des vorliegenden Verfahrens bezog, eine Ladung zur Betriebsratssitzung vom 16. November 2020 erhalten. In dieser Sitzung wurde ausweislich der zu den Akten gereichten Niederschrift die Einleitung des vorliegenden Verfahrens und die Beauftragung der im vorliegenden Verfahren bevollmächtigten Rechtsanwälte einstimmig durch die ordentlichen Betriebsratsmitglieder beschlossen. In dem Beschluss über die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens müssen die in dem Verfahren zu stellenden Anträge ebensowenig wie in der Tagesordnung der Sitzung im Einzelnen formuliert sein. Es ist ausreichend, wenn der Gegenstand, über den in dem Beschlussverfahren eine Klärung herbeigeführt werden soll und das angestrebte Ergebnis bezeichnet sind.

Diesen Anforderungen genügt sowohl die mitgeteilte Tagesordnung als auch der in der Sitzung getroffene Beschluss. Soweit die Beteiligte zu 2. sich darauf beruft, das Sitzungsprotokoll entspreche nicht den Anforderungen des § 34 BetrVG, berührt das nicht die Wirksamkeit des gefassten Beschlusses, da es sich bei dieser Vorschrift lediglich um eine bloße Ordnungsregel handelt.

Dem Antrag fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

Erforderlich ist ein berechtigtes Interesse an der Inanspruchnahme der Gerichte. Da es sich vorliegend nicht lediglich um die Klärung abstrakter Rechtsfragen im Hinblick auf bereits abgeschlossener Maßnahmen handelt, sondern um die zukünftige Entgegennahme Duldung oder Anordnung von Überstunden, für die die Beteiligte zu 2. ein Mitbestimmungsrecht im Wesentlichen in Abrede stellt, ist vorliegend das Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Grundsätzlich indiziert eine Verletzungshandlung in der Vergangenheit die für einen allgemeinen Unterlassungsanspruch notwendige Wiederholungsgefahr (BAG, Beschluss vom 20. März 2018, Az. 1 ABR 70/60, juris).

Der Antrag zu 1. ist auch begründet. Der Unterlassungsanspruch des Beteiligten zu 1. folgt aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG.

Dem steht nicht die Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit und Pausen“ entgegen. Diese enthält keine abschließende Regelung des mitbestimmungspflichtigen Tatbestands.

Aus den genannten Vorschriften der Betriebsverfassung ergibt sich ein Unterlassungsanspruch des Beteiligten zu 1., wenn der Arbeitgeber ohne Wahrung der in dieser Vorschrift vorgesehenen zwingenden Mitbestimmung vorübergehende Verkürzungen oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit oder das Überschreiten des festgelegten Endes oder des Beginns der Arbeitszeit entweder anordnet oder auch nur duldet, indem er sie entgegennimmt und vergütet.

Der Beteiligte zu 1. hat eine ganz erhebliche Vielzahl von Überschreitungen der mitbestimmten Arbeitszeit durch eine Vielzahl von Arbeitnehmern im Betrieb der Beteiligten zu 2. dargelegt. Zwar beruft sich die Beteiligte zu 2. darauf, dass diese teilweise erheblichen Überschreitungen der mitbestimmten Arbeitszeit ohne ihre Veranlassung, gegen ihren Willen und in Form eines individuellen Fehlverhaltens der Mitarbeiter erfolgt sei, ohne konkret vorzutragen, wann und mit wem diese Arbeitnehmer ein entsprechendes Personalgespräch geführt haben und in welcher Form die Beteiligte zu 2. konkret versucht hat weiteres Vorgehen der Arbeitnehmer für die Zukunft zu untersagen. Nach ihrem eigenen Vorbringen hat die Beteiligte zu 2. in 4 Fällen Arbeitnehmer mit ihrem Wissen eingesetzt, um kurzfristig erkrankte Mitarbeiter zu ersetzen. Hierüber wurde der Beteiligte zu 1. lediglich informiert, seine Zustimmung wurde im Vorfeld jedoch nicht eingeholt. Die Beteiligte zu 2. legt auch nicht dar, dass es sich bei diesen Fällen um einen krankheitsbedingten Eilfall mit sofortigem Handlungsbedarf im Sinne von Ziffer 2.2 der BV handelte, da in Teilbereichen der Filiale Kundinnen auch durch Mitarbeiterinnen aus anderen Bereichen nicht mehr persönlich bedient werden konnten. Auch ist nicht ersichtlich, dass die zur Vertretung herangezogenen Beschäftigten dienstplanmäßig anwesende Beschäftigte gewesen sind. Ziffer 2.2 b BV stellt ausdrücklich klar, dass kurzfristiger krankheitsbedingter Arbeitsausfall kein „betrieblicher Notfall“ im Sinne der Betriebsvereinbarung ist. Er ist es ebenso wenig im Sinne der ständigen Rechtsprechung.

Aufgrund dieser unstreitigen Verstöße gegen das Mitbestimmungsrecht des Beteiligten zu 1. bzw. die mit ihm vereinbarte BV, steht dem Beteiligten zu 1. der von ihm geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

Der Antrag zu 2. ist ebenfalls begründet.

Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2. hat der Beteiligte zu 1. bei einer Vereinbarung der Beteiligten zu 2. mit Teilzeitbeschäftigten über zusätzliche Leistungen mit zu bestimmen. Die Kammer folgt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 24. April 2007, Az. 1 ABR 47/06. Eine solche befristete Verlängerung der mit Teilzeitbeschäftigten vereinbarten Arbeitszeit ist unabhängig von dem Umfang, in dem diese den vertraglich geschuldeten zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung überschreitet, eine vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Dieses führt das Bundesarbeitsgericht in der genannten Entscheidung konkret aus. Dem steht nicht die von der Beteiligten zu 2. zitierte Entscheidung zur Frage, wann eine mitbestimmungspflichtige Einstellung vorliegt, entgegen. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten nach § 99 BetrVG einerseits und in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG andererseits betreffen andere Regelungsgegenstände und sind mit anderen Konfliktlösungsmechanismen ausgestattet. Sie stehen selbstständig nebeneinander (BAG, Beschluss vom 19. Juni 2001, Az. 1 ABR 43/00, juris).

Auch ein kollektiver Tatbestand liegt im Hinblick auf die Erhöhung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit vor. Bei einem zusätzlichen Arbeitsbedarf ist immer die Frage zu regeln, ob und in welchem Umfang zur Abdeckung dieses Arbeitsbedarfs Überstunden geleistet werden sollen oder ob die Neueinstellung eines Arbeitnehmers zweckmäßiger wäre. Weiter ist zu entscheiden, wann und von wem mehr gearbeitet werden sollen. Diese Regelungsprobleme bestehen unabhängig von der Person und den individuellen Wünschen eines einzelnen Arbeitnehmers. Dementsprechend sind nur solche Vereinbarungen mitbestimmungsfrei, die ausschließlich den individuellen Besonderheiten einzelner Arbeitsverhältnisse Rechnung tragen und deren Auswirkung sich gerade auf dieses Arbeitsverhältnis des einen Arbeitnehmers beschränkt, was vorliegend nicht der Fall ist, (LAG München, Beschluss vom 21. März 2019, Az.: 4 TaBV 57/18).

Auch der Antrag zu 3. ist zulässig und begründet. Der Arbeitgeberin kann das Ordnungsgeld bei Verstoß gegen die Unterlassungspflicht nach § 85 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 890 ZPO bereits im vorliegenden Beschlussverfahren angedroht werden (Hessisches LAG, Beschluss vom 21. April 2016, Az.: 5 TaBV 196/15, juris).

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