Automatischer Pausenabzug trotz hoher Belastung: Ein BAG-Urteil stärkt jetzt die Rechte von Ärzten im Krankenhaus. Doch was passiert, wenn die dringend benötigten Pausen der Arbeit zum Opfer fallen und dann auch noch automatisch von der Arbeitszeit abgezogen werden? Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 12. Februar 2025 (Az.: 5 AZR 51/24) bringt wichtige Klarheit und stärkt die Rechte von teilzeitbeschäftigten Ärzten. Es stellt fest, dass automatische Pausenabzüge nicht beweisen, dass eine Pause tatsächlich genommen wurde, und fordert Arbeitgeber auf, konkrete Nachweise zu erbringen, wenn sie solche Abzüge vornehmen. Das Urteil hat weitreichende Bedeutung für die Arbeitszeitgestaltung und Vergütung im Krankenhausbereich.
Übersicht:
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- BAG-Urteil automatischer Pausenabzug: Worum geht es genau?
- Der Fall: Eine Assistenzärztin kämpft um Lohn für Pausenzeiten
- Arbeitszeit und Pausenregelung im Krankenhaus – BAG-Urteil schafft Klarheit
- Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (5 AZR 51/24): Die Entscheidung im Detail
- Praktische Bedeutung für Ärzte und Krankenhäuser
- Weiterführende Aspekte und Ausblick
- Die wichtigsten Punkte auf einen Blick

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Thema: Vergütung automatisch abgezogener Pausenzeiten bei Teilzeitärzten im Krankenhaus.
- Kernfrage: Muss der Arbeitgeber automatisch abgezogene, aber tatsächlich nicht genommene Pausen bezahlen?
- Entscheidung des BAG: Automatischer Pausenabzug allein reicht nicht als Nachweis, dass Pausen tatsächlich genommen wurden.
- Folge: Krankenhäuser müssen beweisen, dass Mitarbeiter tatsächlich Pausen genommen haben oder zumindest konkrete Möglichkeiten dazu hatten.
- Auswirkungen für Ärzte: Teilzeitärzte können leichter Vergütung für nicht genommene Pausen durchsetzen.
- Wichtig für Arbeitgeber: Überprüfung und Anpassung von Zeiterfassungssystemen sowie Pausenregelungen erforderlich.
- Offen: Ob Teilzeitärzte bei solcher Mehrarbeit einen Überstundenzuschlag erhalten, muss noch geklärt werden.
BAG-Urteil automatischer Pausenabzug: Worum geht es genau?
Im Kern des Falles (BAG vom 12. Februar 2025, Az.: 5 AZR 51/24) stand die Frage: Muss ein Krankenhaus nicht genommene Pausenzeiten bezahlen, wenn diese automatisch vom Zeitkonto einer teilzeitbeschäftigten Assistenzärztin abgezogen wurden? Die Ärztin argumentierte, dass sie aufgrund der hohen Arbeitsbelastung schlicht keine Möglichkeit hatte, Pausen zu machen. Das Krankenhaus sah das anders. Das Bundesarbeitsgericht musste klären, wer was beweisen muss (die sogenannte Darlegungs- und Beweislast) und unter welchen Umständen nicht genommene Pausen als bezahlungspflichtige Arbeitszeit gelten – möglicherweise sogar als Überstunden mit Zuschlag.
Dieses Urteil hat weitreichende Bedeutung für tausende Ärztinnen und Ärzte, insbesondere in Teilzeit, aber auch für Krankenhäuser als Arbeitgeber. Es beleuchtet zentrale Aspekte des Arbeitsrechts wie Arbeitszeit, Pausenregelungen, Überstundenvergütung und die Pflichten bei der Arbeitszeiterfassung. Dieser Artikel erklärt die Hintergründe des Falls, die Entscheidung des BAG und die praktischen Auswirkungen für Betroffene.
Der Fall: Eine Assistenzärztin kämpft um Lohn für Pausenzeiten
Stellen Sie sich Frau Dr. Müller vor (Name geändert). Sie arbeitete von September 2017 bis August 2019 als Assistenzärztin in der Neurochirurgie eines kommunalen Krankenhauses. Ihr Arbeitsvertrag sah eine Teilzeitstelle mit 30 Stunden pro Woche vor. Das entspricht 75 % der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft. Ihr Dienstplan wies ihr feste Arbeitszeiten zu: Montag bis Freitag, jeweils von 07:30 Uhr bis 13:30 Uhr, also genau sechs Stunden pro Tag. Ihr monatliches Gehalt betrug zuletzt 4.768,25 Euro brutto. Für ihr Arbeitsverhältnis galt der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern (TV-Ärzte/VKA). Dieser Tarifvertrag verpflichtete sie auch zur Leistung von Mehrarbeit und Überstunden.
Im Zeitraum von September 2018 bis August 2019 arbeitete Frau Dr. Müller regelmäßig länger als ihre vertraglich vereinbarten sechs Stunden pro Tag. Das Krankenhaus nutzte ein elektronisches Zeiterfassungssystem. Dieses System zog automatisch Pausenzeiten von der erfassten Anwesenheitszeit ab, wenn bestimmte Arbeitsdauern überschritten wurden – unabhängig davon, ob die Pause tatsächlich genommen wurde. Bei Frau Dr. Müller summierten sich diese automatisch abgezogenen, aber nach ihrer Aussage nicht genommenen Pausenzeiten auf insgesamt 59 Stunden und drei Minuten.
Das Krankenhaus bezahlte zwar die Arbeitszeit, die über die täglichen sechs Stunden hinausging (als sogenannte Mehrarbeit), zog aber die 59 Stunden Pausenzeit ab. Frau Dr. Müller war damit nicht einverstanden. Sie argumentierte, dass sie an den betreffenden Tagen durchgehend gearbeitet habe und die hohe Arbeitsbelastung in der Neurochirurgie es ihr unmöglich machte, Pausen zu nehmen. Sie forderte daher die Bezahlung dieser 59 Stunden und drei Minuten – und zwar nicht nur als normale Arbeitszeit, sondern als Überstunden, für die laut Tarifvertrag ein Zuschlag von 15 % fällig wird. Ihre Forderung belief sich auf 1.861,96 Euro brutto plus Zinsen.
Das Krankenhaus weigerte sich zu zahlen. Es argumentierte, Frau Dr. Müller habe nicht ausreichend dargelegt, dass sie tatsächlich durchgearbeitet habe und dass die zusätzliche Arbeit vom Krankenhaus angeordnet oder geduldet worden sei. Zudem verwies das Krankenhaus auf eine Betriebsvereinbarung (BV Arbeitszeit), die eine feste Pausenzeit von 12:00 Uhr bis 12:30 Uhr vorsah. In dieser Zeit hätte Frau Dr. Müller Pause machen können und müssen. Der automatische Pausenabzug sei daher korrekt gewesen.
Nachdem das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht Saarland die Klage von Frau Dr. Müller abgewiesen hatten, landete der Fall vor dem höchsten deutschen Arbeitsgericht – dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt.
Arbeitszeit und Pausenregelung im Krankenhaus – BAG-Urteil schafft Klarheit
Um die Entscheidung des BAG zu verstehen, ist es wichtig, einige rechtliche Grundlagen zu kennen, die im Krankenhausalltag eine große Rolle spielen.
Gesetzliche Pausenregelungen (§ 4 ArbZG)
Das deutsche Arbeitszeitgesetz (ArbZG) schreibt zwingend Ruhepausen während der Arbeitszeit vor. Der Zweck ist klar: Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer durch Erholung und Regeneration. Die Regeln sind eindeutig:
Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden steht dem Arbeitnehmer eine Pause von mindestens 30 Minuten zu.
Bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden sind es mindestens 45 Minuten Pause.
Diese Pausen können in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Wichtig ist: Pausen zählen nicht zur Arbeitszeit und werden daher in der Regel auch nicht bezahlt. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Einhaltung dieser Pausenzeiten sicherzustellen. Verstöße können mit empfindlichen Bußgeldern von bis zu 15.000 Euro geahndet werden.
Im Fall von Frau Dr. Müller war die Situation speziell: Ihre reguläre Arbeitszeit betrug genau sechs Stunden. Erst wenn sie länger arbeitete, entstand überhaupt ein Anspruch auf eine Pause.
Mehrarbeit vs. Überstunden: Der feine Unterschied im TV-Ärzte/VKA
Der Tarifvertrag TV-Ärzte/VKA, der für Frau Dr. Müller galt, unterscheidet genau zwischen Mehrarbeit und Überstunden. Diese Unterscheidung ist finanziell relevant:
Mehrarbeit (§ 9 Abs. 4 TV-Ärzte/VKA): Das sind die Arbeitsstunden, die teilzeitbeschäftigte Ärzte (wie Frau Dr. Müller mit ihren 30 Stunden) über ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus leisten, aber nur bis zur Grenze der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von Vollzeitärzten (in der Regel 40 Stunden). Für Mehrarbeit gibt es keinen Zuschlag.
Überstunden (§ 9 Abs. 5 TV-Ärzte/VKA): Das sind die Arbeitsstunden, die über die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitärzten hinausgehen und vom Arbeitgeber angeordnet wurden. Für Überstunden sieht § 11 Abs. 1 TV-Ärzte/VKA einen Zuschlag von 15 % pro Stunde vor.
Frau Dr. Müller leistete unstrittig Mehrarbeit, da sie als Teilzeitkraft über ihre 30 Stunden/Woche hinaus arbeitete. Die Frage war nun, ob die strittigen 59 Stunden (die automatisch als Pause abgezogen wurden) als bezahlungspflichtige Arbeitszeit anzusehen sind und ob diese sogar als Überstunden mit Zuschlag zu werten sind.
Die Rolle der Betriebsvereinbarung und der Zeiterfassung
Das Krankenhaus berief sich auf eine Betriebsvereinbarung „über flexible Arbeitszeiten“ (BV Arbeitszeit) aus dem Jahr 2016 (die allerdings Ende 2018 gekündigt wurde, ohne dass eine neue vereinbart wurde). Diese BV regelte Details zur elektronischen Zeiterfassung und zu den Pausen.
Ein Kernpunkt war § 3 Nr. 3 der BV:
Es gab eine Festpausenzeit von 12:00 Uhr bis 12:30 Uhr.
Wenn Beschäftigte ihre Pausen nicht elektronisch erfassten (also nicht „ausstempelten“ und wieder „einstempelten“), wurde bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden automatisch eine Pause von 30 Minuten abgezogen (gekennzeichnet als „PAA“). Tatsächlich gebuchte Pausen wurden als „PAD“ markiert.
Die BV sah auch vor: Wenn eine Pause aus dienstlichen Gründen nicht genommen werden konnte, musste der Beschäftigte dies begründen und vom Vorgesetzten bestätigen lassen, damit die Zeit gutgeschrieben wird.
Das Krankenhaus argumentierte: Durch die Festlegung der Pausenzeit von 12:00 bis 12:30 Uhr habe man der Ärztin wirksam eine Pause gewährt. Da sie die Nichtinanspruchnahme nicht gemeldet habe, sei der automatische Abzug korrekt.
Frau Dr. Müller hielt dagegen: Ihr regulärer Dienst endete um 13:30 Uhr. Ob sie länger als sechs Stunden arbeiten würde und damit eine Pause bräuchte, stand oft erst nach 12:30 Uhr fest. Dann war die Festpausenzeit aber schon vorbei. Die Regelung der BV habe ihre spezielle Situation als Teilzeitkraft mit einer 6-Stunden-Schicht nicht passend abgedeckt.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (5 AZR 51/24): Die Entscheidung im Detail
Das Bundesarbeitsgericht folgte in wesentlichen Punkten der Argumentation der Klägerin und hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf. Es stellte klar, dass die bisherige Beurteilung des Falls fehlerhaft war und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurück. Die zentralen Punkte der BAG-Entscheidung sind:
Kernpunkt 1: Nachweis der geleisteten Arbeitszeit (Darlegungslast)
Wer Geld für geleistete Arbeit einklagt, muss normalerweise beweisen, dass er diese Arbeit auch tatsächlich erbracht hat. Das gilt auch für Überstunden oder Mehrarbeit. Das BAG bestätigte hier seine ständige Rechtsprechung zur sogenannten abgestuften Darlegungs- und Beweislast:
- Stufe (Arbeitnehmer): Der Arbeitnehmer muss zunächst schlüssig darlegen, an welchen Tagen er von wann bis wann gearbeitet hat. Frau Dr. Müller hat dies getan, indem sie die vom Zeiterfassungssystem des Krankenhauses erfassten Anwesenheitszeiten vorgelegt und behauptet hat, während dieser Zeiten (mit Ausnahme der selbst gebuchten Pausen „PAD“) durchgehend gearbeitet zu haben. Damit hat sie ausreichend dargelegt, dass die 59 Stunden und drei Minuten, die als „PAA“ abgezogen wurden, tatsächlich Arbeitszeit waren.
- Stufe (Arbeitgeber): Wenn der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast nachgekommen ist, muss der Arbeitgeber substantiiert erwidern. Das bedeutet, er muss konkret vortragen, warum der Arbeitnehmer doch nicht gearbeitet hat. Einfach nur zu bestreiten oder zu sagen „das wissen wir nicht“ (juristisch: Bestreiten mit Nichtwissen) reicht nicht aus.
Genau hier lag laut BAG ein Fehler des Krankenhauses und der Vorinstanz: Das Krankenhaus hatte nur pauschal bestritten, dass Frau Dr. Müller durchgearbeitet habe. Es argumentierte mit dem automatischen Pausenabzug und der Festpausenzeit.
Das BAG sagte deutlich:
Der automatische Pausenabzug („PAA“) beweist nicht, dass die Pause tatsächlich genommen wurde. Er spiegelt nur eine Systemeinstellung wider.
Der Arbeitgeber (das Krankenhaus) weiß oder muss wissen, welche Aufgaben er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und wann dieser arbeitet. Daher kann er nicht einfach mit Nichtwissen bestreiten, dass in den Pausenzeiten gearbeitet wurde. Er hätte konkret vortragen müssen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten Frau Dr. Müller tatsächlich Pausen gemacht haben soll oder welche Vorkehrungen getroffen wurden, um ihr die Pausen zu ermöglichen.
Da das Krankenhaus dies nicht ausreichend getan hat, gilt der Vortrag von Frau Dr. Müller, sie habe während der abgezogenen Zeiten gearbeitet, nach § 138 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) als zugestanden. Damit ist die erste Hürde für ihren Anspruch genommen: Die strittigen 59 Stunden gelten vorerst als geleistete Arbeitszeit.
Kernpunkt 2: Nachweis der Veranlassung durch den Arbeitgeber
Für die Bezahlung von Überstunden (und in gewissem Maße auch Mehrarbeit) reicht es nicht aus, nur die Arbeitsleistung nachzuweisen. Der Arbeitnehmer muss auch darlegen, dass diese zusätzliche Arbeit vom Arbeitgeber veranlasst wurde. Das bedeutet, die Überstunden müssen:
- angeordnet (ausdrücklich oder stillschweigend),
- gebilligt (nachträglich genehmigt),
- geduldet (wissentlich hingenommen) oder
- zur Erledigung der zugewiesenen Arbeit objektiv notwendig gewesen sein.
Auch hier trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast. Das BAG betonte jedoch, dass die Anforderungen daran nicht überspannt werden dürfen. Das Landesarbeitsgericht hatte von Frau Dr. Müller verlangt, für jeden einzelnen Tag genau darzulegen, welche Arbeiten sie während der Pausenzeiten erledigt hat und wer konkret angeordnet haben soll, dass sie keine Pause macht.
Das BAG hielt dies für zu streng:
Die Darlegung der Arbeitsleistung (Kernpunkt 1) und die Darlegung der Veranlassung können sich überschneiden. Wenn ein Arbeitnehmer detailliert seine Arbeitszeiten vorträgt und die betrieblichen Gründe für die Überschreitung der Normalarbeitszeit nennt (z.B. hohe Arbeitsdichte, Notfälle, Personalmangel), macht er damit oft schon deutlich, dass die Mehrarbeit zur Erledigung der Aufgaben notwendig und somit zumindest stillschweigend (konkludent) angeordnet oder geduldet war.
Frau Dr. Müller muss nicht für jede Minute Rechenschaft ablegen. Es genügt, wenn sie die typischen Abläufe und Belastungen auf der neurochirurgischen Station beschreibt, die dazu führten, dass Pausen nicht genommen werden konnten (z.B. laufende Operationen, Notfälle, Übergaben, Dokumentationspflichten).
Der Umstand, dass sie die in der (für sie kaum passenden) BV vorgesehene Meldung über nicht genommene Pausen nicht gemacht hat, schließt eine Duldung oder Billigung durch das Krankenhaus nicht automatisch aus.
Das BAG kritisierte auch, dass das Landesarbeitsgericht die Festpausenzeit der BV als Argument gegen die Klägerin gewertet hatte. Das BAG stellte fest:
Die BV-Regelung mit der Festpause von 12:00 bis 12:30 Uhr passte nicht zur regulären 6-Stunden-Schicht von Frau Dr. Müller, die um 13:30 Uhr endete. Ob sie eine Pause benötigte, entschied sich oft erst später.
Das Krankenhaus verhielt sich widersprüchlich: Einerseits wusste und billigte es, dass Frau Dr. Müller regelmäßig länger arbeitete. Andererseits traf es keine konkreten Anordnungen, wie und wann sie unter diesen Umständen ihre gesetzlich vorgeschriebene Pause nehmen sollte, obwohl die Pausenregelung der BV für sie nicht griff.
Der Arbeitgeber kann sich also nicht einfach auf eine formale Pausenregelung zurückziehen, wenn die betriebliche Realität und die individuelle Arbeitszeitgestaltung des Arbeitnehmers dieser Regelung entgegenstehen und der Arbeitgeber die Mehrarbeit hinnimmt.
[themifybox]Wichtig: Das BAG hat klargestellt: Ein automatischer Pausenabzug im Zeiterfassungssystem beweist nicht, dass die Pause tatsächlich genommen wurde. Der Arbeitgeber muss konkret darlegen, wann der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat und wie er die Pauseneinhaltung sichergestellt hat.[/themify_box]
§ 14 TV-Ärzte/VKA: Nur Arbeitsschutz, keine Beweislastumkehr
Frau Dr. Müller hatte auch argumentiert, dass § 14 des TV-Ärzte/VKA die Beweislast für die Vergütung von Mehrarbeit verändere. Diese Vorschrift regelt die Arbeitszeitdokumentation. Sie wurde zum 1. Juli 2019 geändert und fordert seitdem eine Erfassung, die „die gesamte Anwesenheit am Arbeitsplatz dokumentiert“, wobei die „gesamte Anwesenheit … abzüglich der tatsächlich gewährten Pausen als Arbeitszeit“ gilt.
Das BAG erteilte dieser Argumentation eine klare Absage:
§ 14 TV-Ärzte/VKA dient – sowohl in der alten als auch in der neuen Fassung – primär dem Arbeitsschutz (Kontrolle der Höchstarbeitszeiten, Pausenregelungen etc.).
Die Vorschrift regelt nicht die Vergütungspflicht und ändert auch nichts an den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast im Prozess um Überstundenvergütung.
Die Tarifvertragsparteien hätten eine Änderung der Beweislast für Vergütungsansprüche ausdrücklich regeln müssen, was sie nicht getan haben. Die Protokollerklärungen zu § 14 TV-Ärzte/VKA (nF) regeln zwar eine Beweislast für private Tätigkeiten während der Anwesenheit, aber gerade nicht für dienstlich veranlasste Überstunden.
Diese Klarstellung ist wichtig, da sie bestätigt, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung (die auch durch ein Urteil des EuGH und des BAG selbst generell für alle Arbeitgeber festgestellt wurde) nicht automatisch dazu führt, dass jede erfasste Anwesenheitszeit auch bezahlt werden oder der Arbeitgeber beweisen muss, dass keine Überstunden angefallen sind. Der Arbeitnehmer muss weiterhin darlegen, dass er gearbeitet hat und dies vom Arbeitgeber veranlasst war.
Praktische Bedeutung für Ärzte und Krankenhäuser
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat erhebliche praktische Konsequenzen für den Klinikalltag und darüber hinaus.
Was bedeutet das Urteil für teilzeitbeschäftigte Ärzte?
Für Ärztinnen und Ärzte, insbesondere in Teilzeit, bedeutet das Urteil eine deutliche Stärkung ihrer Position:
Sie können leichter Vergütung für nicht genommene Pausen verlangen, wenn diese aufgrund der Arbeitsbelastung nicht möglich waren und automatisch abgezogen wurden.
Die Hürden, die Veranlassung der Mehrarbeit durch den Arbeitgeber nachzuweisen, wurden gesenkt. Eine schlüssige Darstellung der betrieblichen Umstände und der Arbeitsdichte kann ausreichen.
Arbeitgeber können sich nicht mehr so leicht hinter pauschalen Behauptungen oder automatischen Systemabzügen verstecken. Sie müssen konkret Stellung beziehen.
Es bleibt aber wichtig: Auch wenn die Hürden niedriger sind, müssen Ärztinnen und Ärzte weiterhin aktiv ihre Ansprüche geltend machen und darlegen, warum sie keine Pause machen konnten. Eine eigene Dokumentation (z.B. kurze Notizen über die Gründe für die nicht genommene Pause) kann hier hilfreich sein, auch wenn sie rechtlich nicht zwingend erforderlich ist.
Pflichten für Arbeitgeber: Was Krankenhäuser jetzt beachten müssen
Für Krankenhäuser und andere Arbeitgeber im Gesundheitswesen (und potenziell auch in anderen Branchen mit ähnlichen Problemen) ergeben sich aus dem Urteil klare Handlungserfordernisse:
Überprüfung der Arbeitszeiterfassungssysteme: Automatische Pausenabzüge sind rechtlich problematisch, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Pausen auch tatsächlich genommen werden können und genommen werden. Systeme sollten idealerweise die tatsächliche Pausennahme erfassen.
Aktives Pausenmanagement: Arbeitgeber müssen nicht nur Pausenzeiten festlegen, sondern auch organisatorisch sicherstellen, dass die Mitarbeiter ihre Pausen tatsächlich nehmen können. Das bedeutet vorausschauende Personalplanung, klare Vertretungsregelungen und eine Arbeitsorganisation, die Freiräume für Pausen schafft. Dies gilt besonders für Teilzeitkräfte, deren Pausenanspruch oft erst im Laufe des Arbeitstages entsteht.
Sensibilisierung der Führungskräfte: Vorgesetzte müssen darauf achten, dass Pausenregelungen eingehalten werden und dürfen Mehrarbeit oder das Ausfallenlassen von Pausen nicht einfach stillschweigend dulden, wenn sie dies nicht auch bezahlen wollen.
Klare Kommunikation und Prozesse: Es sollte klare Verfahren geben, wie Mitarbeiter melden können, wenn sie ihre Pause aus dienstlichen Gründen nicht nehmen konnten, und wie diese Zeiten dann korrekt erfasst und vergütet werden. Die Regelung in der BV im entschiedenen Fall war für die Teilzeitärztin nicht passend.
Finanzielle Risiken: Krankenhäuser müssen damit rechnen, dass Mitarbeiter vermehrt Ansprüche auf Bezahlung nicht genommener Pausen geltend machen. Eine rückwirkende Korrektur falsch gehandhabter Pausenabzüge kann teuer werden.
Typische Szenarien im Klinikalltag
Das Urteil ist besonders relevant in Situationen, die im Krankenhaus häufig vorkommen:
- Laufende Operationen: Ein Chirurg kann eine OP nicht einfach für eine Pause unterbrechen.
- Notfälle: Bei einem akuten Notfall muss das verfügbare Personal sofort handeln, Pausenpläne werden über den Haufen geworfen.
- Hohe Patientendichte / Personalmangel: Wenn die Station unterbesetzt ist oder ein unerwartet hohes Patientenaufkommen herrscht, bleibt oft keine Zeit für eine Pause.
- Unaufschiebbare Dokumentation oder Übergaben: Wichtige administrative Aufgaben müssen oft direkt im Anschluss an Patientenkontakte erledigt werden und können Pausen verzögern oder verhindern.
In all diesen Fällen können Ärzte nun gestärkt argumentieren, dass die nicht genommene Pause als Arbeitszeit zu vergüten ist, wenn der Arbeitgeber nicht nachweisen kann, dass die Pause dennoch möglich gewesen wäre oder er entsprechende Vorkehrungen getroffen hat.
Weiterführende Aspekte und Ausblick
Das BAG hat in seinem Urteil auch auf zwei weitere wichtige Themen hingewiesen, die das Landesarbeitsgericht bei seiner erneuten Entscheidung berücksichtigen muss:
Diskriminierung bei Überstundenzuschlägen für Teilzeitkräfte
Frau Dr. Müller forderte für die strittigen 59 Stunden den Überstundenzuschlag von 15 %. Nach dem TV-Ärzte/VKA steht dieser Zuschlag aber eigentlich nur für „echte“ Überstunden zu, also Arbeit über die Vollzeitgrenze hinaus. Für Mehrarbeit (Arbeit der Teilzeitkraft bis zur Vollzeitgrenze) sieht der Tarifvertrag keinen Zuschlag vor.
Hier kommt das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten ins Spiel (§ 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz – TzBfG). Dieses Gesetz besagt, dass Teilzeitkräfte nicht schlechter behandelt werden dürfen als Vollzeitkräfte, es sei denn, es gibt sachliche Gründe dafür. Das BAG hat bereits in anderen Urteilen (z.B. Urteil vom 5. Dezember 2024, Az. 8 AZR 370/20) und unter Berücksichtigung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteile vom 29. Juli 2024, Az. C-184/22 und C-185/22) entschieden, dass es diskriminierend sein kann, wenn Teilzeitkräfte für die gleiche Mehrleistung (die erste Stunde über ihre Vertragszeit hinaus) keinen Zuschlag erhalten, während Vollzeitkräfte für ihre erste Überstunde einen Zuschlag bekommen.
Das Landesarbeitsgericht muss nun prüfen, ob die Regelung im TV-Ärzte/VKA hier möglicherweise gegen das Diskriminierungsverbot verstößt und Frau Dr. Müller deshalb doch Anspruch auf den Zuschlag hat, auch wenn ihre Mehrarbeit die Vollzeitgrenze nicht überschritten hat. Dies könnte weitreichende Folgen für Tarifverträge haben, die ähnliche Unterscheidungen treffen.
Die Bedeutung der Arbeitszeiterfassung nach dem EuGH und BAG
Das Urteil steht auch im Kontext der generellen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Der EuGH (Urteil vom 14. Mai 2019, Az. C-55/18 – CCOO) und in dessen Folge das BAG (Beschluss vom 13. September 2022, Az. 1 ABR 22/21) haben festgestellt, dass Arbeitgeber in Deutschland verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der gesamten täglichen Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter einzuführen.
Diese Pflicht zur Erfassung dient zwar primär dem Arbeitsschutz, liefert aber natürlich auch die Datenbasis für Vergütungsfragen. Das aktuelle Urteil (5 AZR 51/24) stellt jedoch klar: Die reine Erfassung der Anwesenheit löst nicht automatisch alle Streitigkeiten über die Bezahlung. Die Grundsätze der Darlegungslast für geleistete Arbeit und deren Veranlassung gelten weiterhin. Die erfassten Daten können aber für beide Seiten – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – wichtige Beweismittel im Streitfall sein.
Die wichtigsten Punkte auf einen Blick
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (5 AZR 51/24) zur Vergütung nicht genommener Pausen bei einer teilzeitbeschäftigten Assistenzärztin ist ein wichtiges Signal für mehr Fairness im Arbeitsalltag von Krankenhäusern. Die Kernaussagen sind:
- Gestärkte Rechte für Teilzeitärzte: Das Urteil erleichtert es, Bezahlung für Pausenzeiten zu fordern, die aufgrund hoher Arbeitsbelastung nicht genommen werden konnten.
- Abgestufte Darlegungslast bestätigt: Der Arbeitnehmer muss schlüssig vortragen, wann er gearbeitet hat. Der Arbeitgeber muss dann konkret und substantiiert erwidern – pauschales Bestreiten oder Verweis auf Automatismen reicht nicht.
- Automatischer Pausenabzug kein Beweis: Ein systemseitiger Abzug von Pausenzeiten belegt nicht, dass die Pause tatsächlich genommen wurde.
- Anforderungen an Nachweis der Veranlassung gesenkt: Der Arbeitnehmer muss nicht jede Minute der Mehrarbeit begründen. Eine plausible Darstellung der betrieblichen Notwendigkeit oder Duldung kann ausreichen.
- § 14 TV-Ärzte/VKA betrifft nur Arbeitsschutz: Die tarifliche Pflicht zur Arbeitszeitdokumentation ändert nichts an der Beweislastverteilung bei Vergütungsstreitigkeiten.
- Pflichten für Arbeitgeber: Krankenhäuser müssen ihre Pausenregelungen und Zeiterfassungssysteme überprüfen und aktiv für die Einhaltung der Pausenzeiten sorgen.
- Diskriminierungsfrage offen: Das Landesarbeitsgericht muss noch prüfen, ob der Ausschluss von Überstundenzuschlägen für Mehrarbeit von Teilzeitkräften diskriminierend ist.
Das Urteil wird voraussichtlich dazu führen, dass Arbeitgeber ihre Prozesse zur Arbeitszeit- und Pausenerfassung genauer unter die Lupe nehmen müssen. Für Arbeitnehmer, insbesondere im Gesundheitswesen, bietet es eine verbesserte Grundlage, um ihre berechtigten Ansprüche auf Vergütung für geleistete Arbeit durchzusetzen. Es bleibt abzuwarten, wie das Landesarbeitsgericht Saarland den Fall nun abschließend entscheiden wird.