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Aufhebungsvereinbarung Arbeitsvertrag – Reichweite Erledigungsklausel

OLG Frankfurt – Az.: 26 U 14/21 – Urteil vom 27.07.2021

Die Berufung der Beklagten gegen das am 19. Februar 2021 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main mit dem Aktenzeichen 2-14 O 282/20 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die im Berufungsrechtszug entstandenen Kosten zu tragen.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts vom 19. Februar 2021 sowie dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Ausgleichsanspruch aus einer Aufhebungsvereinbarung geltend.

Die Beklagte ist eine in der Rechtsform einer GmbH organisierte Rechtsanwaltsgesellschaft. Die Klägerin war für die Beklagte seit dem Jahr 2013 als Rechtsanwältin mit festem Stundenumfang beruflich tätig. Dem Vertragsverhältnis lag zunächst ein Anwaltsdienstleistungsvertrag vom 28. Juni 2013, dann ein Anstellungsvertrag vom 31. Oktober 2014 und seit dem 15. Juli 2015 ein „Rechtsanwalts-Dienstleistungsvertrag“ zugrunde.

Für die Zeit vom 1. Dezember 2014 bis zum 15. Juli 2015 wurden von der Beklagten Beiträge zur Rentenversicherung für die Klägerin gemeldet.

Für die Tätigkeit als Rechtsanwältin war in § 3 Abs. 1 des „Rechtsanwalts-Dienstleistungsvertrags“ vom 24. Juli 2015 eine monatliche feste Vergütung von € 6.000,00 (zzgl. Umsatzsteuer) festgelegt. Zusätzlich erhielt die Klägerin nach § 3 Abs. 2 des Vertrags eine variable Vergütung zwischen 10 % und 30 % wegen der von ihr abgerechneten „und gegenüber dem jeweiligen Mandanten realisierbaren Stunden“. Die Parteien gingen in § 6 Abs. 1 des Vertrags übereinstimmend davon aus, dass das Vertragsverhältnis zwischen ihnen kein abhängiges Anstellungsverhältnis begründete, so dass die Klägerin die „Kosten für die eigene Kranken- und ggf. sonstige Sozialversicherung“ auf eigene Rechnung zu übernehmen hatte. Darüber hinaus wurde der Klägerin gemäß § 7 des Vertrags ein Dienstfahrzeug zur dienstlichen und angemessenen privaten Nutzung zur Verfügung gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrags vom 24. Juli 2015 wird auf die als Anlage K 2 (Bl. 31 ff. d. A.) zu den Akten gereichte Kopie Bezug genommen.

Seit Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 2013 zahlte die Beklagte die festen und variablen Vergütungen an die Klägerin nicht oder zeitlich verzögert, so dass es zu – zwischen den Parteien der Höhe nach zunächst streitigen – Zahlungsrückständen kam. Die Klägerin kündige schließlich am 4. Dezember 2018 den „Rechtsanwalts-Dienstleistungsvertrag“ vom 24. Juli 2015 mit Wirkung zum 30. Juni 2019.

Im Februar 2019 verständigten sich die Parteien sodann auf eine vorzeitige Beendigung des Vertragsverhältnisses zum 29. März 2019.

Am 25. Juli 2019 unterzeichneten die Parteien schließlich eine Aufhebungsvereinbarung. Dort heißt es in § 2 Abs. 3: „Zum Ausgleich sämtlicher Ansprüche der Rechtsanwältin gegen den Auftraggeber erhält diese eine einmalige Ausgleichszahlung in Höhe von € 60.000,00. Mit dieser Zahlung sind alle von der Rechtsanwältin erhobenen Forderungen auf Zahlungen von Honoraren, Schadensersatz, Zinsen etc. abgegolten. Die Zahlung ist zum 31. Juli 2019 fällig. […]“.

Ferner enthält die Vereinbarung in § 6 eine mit „Erledigungsklausel“ überschriebene Regelung. Diese lautet wie folgt: „Mit der Erfüllung vorstehender Regelungen sind sämtliche gegenseitige Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung erledigt. Dasselbe gilt für alle Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis und seiner Beendigung“.

Wegen des weiteren Inhalts der Aufhebungsvereinbarung wird auf die als Anlage K 11 (Bl. 92 ff. d. A.) zu den Akten gereichte Kopie Bezug genommen.

Des Weiteren trafen die Parteien die Vereinbarung, dass die Klägerin den von ihr genutzten Dienstwagen zu einem Preis von € 19.500 (brutto) von der Verkäuferin, der X GmbH, erwerben sollte. Der Kaufpreis wurde vereinbarungsgemäß nicht von der Klägerin, sondern von der Beklagten für die Rechnung der Klägerin direkt an die Verkäuferin am 18. November 2019 geleistet und von dem Ausgleichszahlungsanspruch der Klägerin unter § 2 Abs. 3 der Aufhebungsvereinbarung in Abzug gebracht.

Da weitere Zahlungen an die Klägerin nicht erfolgten, macht sie einen Betrag in Höhe von € 40.431,00 (€ 60.000,00 minus € 19.500,00 minus € 69,00) nunmehr klageweise geltend.

Die Beklagte hat mit Anwaltsschriftsatz vom 19. November 2020 die Aufrechnung mit einem von ihr behaupteten Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin in Höhe von € 49.988,53 für Beiträge zur Sozialversicherung erklärt und zugleich ein Zurückbehaltungsrecht an diesem Betrag bis „zur Rechtskraft eines Urteils im sozialgerichtlichen Verfahren“ geltend gemacht.

Hintergrund ist, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund anlässlich einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV die Tätigkeit der Klägerin bei der Beklagten – entgegen der übereinstimmenden Ansicht der Parteien – als abhängige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 31. Dezember 2016 qualifiziert hatte.

Mit Beitragsbescheid vom 26. Januar 2018 forderte die Deutsche Rentenversicherung Bund von der Beklagten die Nachzahlung von (Sozialversicherungs-)Beiträgen und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt € 64.125,25. Hiergegen erhob die Beklagte Widerspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Mit Bescheid vom 26. Juni 2019 reduzierte die Deutsche Rentenversicherung Bund die Nachforderungen auf insgesamt € 49.988,53. Den Widerspruch der Beklagten wies die Deutsche Rentenversicherung Bund mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2019 als unbegründet zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten des Widerspruchsbescheids wird auf die als Anlage zum Anwaltsschriftsatz der Beklagten vom 19. November 2020 zu den Akten gereichte Kopie (Bl. 145 ff. d. A.) verwiesen. Hieraufhin erhob die Beklagte vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage. Mit Urteil vom 12. April 2021 wies das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage zurück (Az. S 18 BA 83/19). Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die als Anlage zum Anwaltsschriftsatz der Beklagten vom 29. April 2021 zu den Akten gereichte Kopie (Bl. 233 ff. d. A.) Bezug genommen. Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr stehe aus § 2 Abs. 3 der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 noch ein Zahlungsanspruch in Höhe von € 40.431,00 zu. Gegenansprüche der Beklagten auf Übernahme der Sozialversicherungskosten bestünden hingegen nicht, da die Parteien in § 6 der Aufhebungsvereinbarung eine weite Gesamtabgeltungsklausel vereinbart hätten. Deren Geschäftsgrundlage sei mit Blick auf eine etwaige Sozialversicherungspflichtigkeit ihrer Tätigkeit auch nicht entfallen, da der Festsetzungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund bereits vom 26. Januar 2018 datiere. Das Risiko, dass sich im Nachhinein eine Regelung durch im Vorhinein nicht genau prognostizierbare Entwicklungen für eine Partei als nachteilig herausstellt, habe allein die Beklagte zu tragen. Die Beklagte habe somit das Risiko einer etwaigen Verpflichtung, Sozialversicherungsbeiträge für die Klägerin nachzahlen zu müssen, bei Abschluss der gegenständlichen Aufhebungsvereinbarung gekannt. Darüber hinaus scheitere der Anspruch der Beklagten auf Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge an § 28g SGB IV. Ein etwaiges Zurückbehaltungsrecht der Beklagten scheitere darüber hinaus daran, dass ein etwaiger Gegenanspruch der Beklagten noch nicht fällig sei. Erst mit endgültiger Veranlagung der Beklagten komme es zur Pflicht zur Zahlung der sozialversicherungsrechtlich geschuldeten Beiträge.

Am 5. November 2020 hat das Landgericht auf Antrag der Klägerin im schriftlichen Vorverfahren ein Versäumnisurteil gegen die Beklagte erlassen (Bl. 120 d. A.), mit dem die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 40.431,00 nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2019 zu zahlen.

Gegen dieses der Beklagten am 6. November 2020 zugestellte Versäumnisurteil hat diese mit einem am 19. November 2020 beim Landgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Einspruch eingelegt (Bl. 139 ff. d. A.).

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, das Versäumnisurteil vom 5. November 2020 aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, das Versäumnisurteil vom 5. November 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, ihr stehe gegen die Klägerin ein Anspruch auf Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge zu. Die Aufhebungsvereinbarung knüpfe erkennbar an die gemeinsame Qualifikation der Tätigkeit der Klägerin als freiberufliche Rechtsanwältin im Rahmen einer beruflichen Zusammenarbeit an. Es könne nicht sein, dass die Beklagte wirtschaftlich doppelt belastet werde. Denn die Vergütungen, die gemäß § 2 Abs. 3 der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 zur Zahlung anstünden, vergüteten auch diejenigen sozialversicherungsrechtlichen Beiträge, die nach § 6 des „Rechtsanwalts-Dienstleistungsvertrags“ von der Klägerin selbst zu tragen seien. Soweit in der Aufhebungsvereinbarung vereinbart worden sei, mit ihrer Erfüllung seien sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung erledigt, sei diese Regelung „ungültig“, da die gemeinsame Geschäftsgrundlage für diese Erledigungsklausel weggefallen sei.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat mit dem angegriffenen Urteil vom 19. Februar 2021 das Versäumnisurteil aufrechterhalten (Bl. 189 ff. d. A.).

Zur Begründung hat das Landgericht u. a. ausgeführt, dass die Ausgleichsforderung der Klägerin nicht durch Aufrechnung der Beklagten erloschen sei. Eine aufrechenbare Gegenforderung stünde der Beklagten nicht zu. Insbesondere habe sie keinen Anspruch auf Erstattung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zur Renten- und Arbeitslosenversicherung. Ein Arbeitgeber könne von einem ausgeschiedenen Arbeitnehmer nicht die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen verlangen, deren Abzug vom Arbeitslohn vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses von ihm unterlassen worden sei. Deshalb könne es auch dahinstehen, ob das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ein freies Dienstverhältnis oder eine abhängige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sei. Im ersterem Fall entstehe kein Sozialversicherungsbeitrag und in letztgenanntem Fall könne der Arbeitnehmer die Erstattung nicht rückwirkend von dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer verlangen. Eine Doppelbelastung des Arbeitgebers sei mit Blick auf den Schutzzweck des § 28g SGB IV sozialversicherungsrechtlich gewollt.

Auch spreche die zwischen den Parteien in § 6 des Aufhebungsvertrags vom 25. Juli 2019 vereinbarte Erledigungsklausel gegen einen Ausgleichsanspruch. Eine Gesamterledigungsklausel habe die Funktion, nach Beendigung eines Vertragsverhältnisses zwischen ehemaligen Vertragsparteien klare Verhältnisse zu schaffen und zukünftige Streitigkeiten zu verhindern. Das beinhalte auch solche Ansprüche, an die die Parteien nicht gedacht hätten, weshalb die Erledigungsklausel weit auszulegen sei. Eine Anpassung der Vertragsklausel komme auch nicht in Betracht, da dies den Zweck der §§ 28d ff. SGB IV vereiteln würde. Das gelte unabhängig davon, ob die Vertragsparteien sich bei Begründung des Vertragsverhältnisses in einem Rechtsirrtum befunden haben. Denn die §§ 28d ff. SGB IV regelten die Erstattung rückständiger Arbeitnehmeranteile abschließend. Eine enge Auslegung der vertraglichen Abgeltungsklausel würde die vorgenannten Normen andernfalls aushebeln. Sofern der Gegenanspruch der Beklagten doch bestünde, könne dieser nicht zurückbehalten werden, da nicht erkennbar sei, woraus er sich konkret zusammensetze. Der Gegenanspruch bestehe deshalb weder dem Grund noch der Höhe nach.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das angegriffene Urteil vom 19. Februar 2021 (Bl. 189 ff. d. A.) verwiesen.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigen am 24. Februar 2021 (Bl. 201 d. A.) zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem hier am 10. März 2021 eingegangenen Anwaltsschriftsatz vom selben Tage Berufung eingelegt (Bl. 205 f. d. A.). Die Beklagte hat die Berufung mit Anwaltsschriftsatz vom 6. April 2021 (B. 211 ff. d. A.) begründet, der hier per beA noch am selben Tage eingegangen ist.

Mit der Berufung rügt die Beklagte u. a., das Landgericht habe die zeitliche sowie sachliche Reichweite der Erledigungsklausel (§ 6) des zwischen den Parteien abgeschlossenen Aufhebungsvertrags verkannt. Diese sei nur auf das Rechtsanwaltsdienstleistungsverhältnis im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis zum 29. März 2019 bezogen, nicht jedoch auf das Vertragsverhältnis davor. Die Bedingung für den Ausschluss der Ansprüche sei auch noch nicht gegeben, da diese erst mit Erfüllung der Aufhebungsvereinbarung eintrete, welche aber noch nicht erfolgt sei. Weiterhin sei § 6 der Aufhebungsvereinbarung auch nicht als Gesamterledigungsklausel zu verstehen. Jedenfalls stehe der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht zu, solange noch nicht abschließend geklärt sei, wie die Klägerin aus sozialrechtlicher Sicht zu behandeln gewesen sei. Werde sie als Arbeitnehmerin gewertet, könne die Beklagte mit den nachgeforderten Sozialversicherungsbeiträgen zudem die Aufrechnung erklären.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung der Beklagten wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 6. April 2021 (Bl. 211 ff. d. A.) verwiesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Januar 2021 [sic!], Az. 2-14 O 282/20, abzuändern, das Versäumnisurteil vom 5. November 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung der Klägerin wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 12. Mai 2021 (Bl. 252 ff. d. A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (vgl. § 513 Abs. 1 ZPO).

Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin aus § 2 Abs. 3 der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 einen Anspruch auf Leistung der vereinbarten Ausgleichszahlung gegen die Beklagte in Höhe von € 40.431,00 hat, während der Beklagten kein aufrechenbarer Anspruch gegen die Klägerin zusteht.

Der zwischen den Parteien nicht streitige Anspruch der Klägerin aus § 2 Abs. 3 der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 ist fällig. Den Fälligkeitstermin haben die Parteien in der Aufhebungsvereinbarung auf den 31. Juli 2019 bestimmt.

Die dieser Entscheidung des Landgerichts zugrundeliegende Vertragsauslegung ist nicht zu beanstanden.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zur Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von € 49.988,53.

Gemäß der Erledigungsklausel in § 6 der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 sind nämlich mit „der Erfüllung vorstehender Regelungen sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung erledigt. Dasselbe gilt für alle Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis und seiner Beendigung“.

Vor dem Hintergrund dieser Regelung steht der Beklagten selbst dann kein Anspruch auf Erstattung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zur Renten- und Arbeitslosenversicherung mehr zu, wenn man zugunsten der Beklagten annimmt, dass ein solcher Anspruch vor Abschluss der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 bestand.

Gem. § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (vgl. etwa BAG, Urteil vom 03.05.2006 – 10 AZR 310/05 -, NZA-RR 2006, 582, 584). Maßgeblich für die Auslegung eines Vertrages ist dabei der ganze Vertragsinhalt. Ähnlich wie bei der Gesetzesauslegung sind auch bei Rechtsgeschäften der sprachliche Zusammenhang und die Stellung der Formulierung im Gesamtzusammenhang des Textes zu berücksichtigen (vgl. nur BGH, Urteil vom 19.03.1957 – VIII ZR 74/56 -, BGHZ 24, 39; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.04.2018 – 8 U 243/16 -, juris; Urteil vom 29.03.2019 – 8 U 218/17 -, NZI 2019, 668, 670; Ellenberger, in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 133, Rdnr. 14).

In diesem Rahmen sind Ausgleichsklauseln im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen. In einem Aufhebungsvertrag wollen die Parteien in der Regel das Vertragsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig, ob sie daran dachten oder nicht (vgl. etwa BAG, Urteil vom 31.07.2002 – 10 AZR 513/01 -, NZA 2003, 100, 103; Urteil vom 28.07.2004 – 10 AZR 661/03 -, NZA 2004, 1097, 1098; OLG Stuttgart, Urteil vom 12.11.2019 – 1 U 247/18 -, GmbHR 2020, 1018, 1020). Jede andere Auslegung würde den angestrebten Vergleichsfrieden in Frage stellen. Der beurkundete Vergleichswille wäre wertlos, wenn die Vergleichsverhandlungen sogleich Quelle neuer, über den beurkundeten Inhalt hinausgehender Ansprüche und damit neuen Parteistreits sein könnten (vgl. etwa BAG, Urteil vom 31.07.2002 – 10 AZR 513/01 -, NZA 2003, 100, 103).

Nach dem Wortlaut des § 6 Satz 1 der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 sind mit „der Erfüllung vorstehender Regelungen“ (dazu sogleich) „sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung erledigt“. Dasselbe gilt nach § 6 Satz 2 der Aufhebungsvereinbarung „für alle Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis und seiner Beendigung“.

Entgegen der Ansicht der Beklagten bezieht sich der Begriff „Vertragsverhältnis“ in § 6 der Aufhebungsvereinbarung nicht lediglich auf das Rechtsanwaltsdienstleistungsverhältnis auf der Grundlage des „Rechtsanwalts-Dienstleistungsvertrags“ vom 24. Juli 2015. Nach den oben genannten Grundsätzen spricht im Streitfall vielmehr alles dafür, die Erledigungsklausel in § 6 nicht nur auf etwaige gegenseitige Ansprüche aus dem „Rechtsanwalts-Dienstleistungsvertrags“ vom 24. Juli 2015, sondern auch auf etwaige Ansprüche aus früheren vertraglichen Vereinbarungen der Parteien zu erstrecken. Es wäre geradezu widersinnig, wenn die Parteien mit der Erledigungsklausel in § 6 einerseits Rechtsfrieden in Bezug auf etwaige Ansprüche aus dem zuletzt zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnis herstellen, andererseits aber etwaige Ansprüche aus früheren vertraglichen Vereinbarungen der Parteien davon ausgenommen werden sollen. Hinzu kommt noch, dass die Parteien mit der umfassenden Aufhebungsvereinbarung ersichtlich ihre Rechtsbeziehungen abschließend regeln wollten.

Daher sind durch die Erledigungsklausel alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien erledigt, also auch diejenigen Ansprüche, die aus den dem Vertrag vom 24. Juli 2015 vorgelagerten Vereinbarungen der Parteien herrühren.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kann diese sich auch nicht darauf berufen, dass die Bedingung der Erledigungsklausel in § 6 der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 („mit der Erfüllung vorstehender Regelung“) noch nicht eingetreten sei.

In dem Berufen auf die fehlende eigene (Rest-)Zahlung des von der Beklagten nach § 2 Abs. 3 geschuldeten Ausgleichsbetrages liegt nämlich ein bewusst pflicht- und vertragswidriges Eingreifen in den Gang der Bedingung und damit eine treuwidrige Vereitelung des Bedingungseintritts im Sinne des § 162 Abs. 1 BGB (in diesem Sinne für einen insoweit vergleichbaren Fall etwa auch BGH, Urteil vom 13.02.1989 – II ZR 110/88 -, NJW-RR 1989, 802, 802 f.; vgl. ferner OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 12.06.2015 – 8 U 93/12 -, juris, Rdnr. 40). Daher muss die Beklagte sich in Bezug auf die Erledigungsklausel in § 6 der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 so behandeln lassen, als hätte auch sie ihre Verpflichtungen aus dieser Aufhebungsvereinbarung erfüllt.

Der Einwand der Beklagten, es sei den Parteien nicht zuzumuten gewesen, in der Aufhebungsvereinbarung die Frage nach etwaigen Ausgleichsansprüchen in Bezug auf die Beitragsnachforderungen der Deutschen Rentenversicherung Bund zu regeln, ist nicht stichhaltig. Die von der Beklagten insoweit in Bezug genommene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts betrifft – anders als hier – keinen Fall der Vertragsgestaltung, sondern die Frage, ob es Parteien zur Vermeidung eines Rechtsverlusts in einer bestimmten Situation zugemutet werden kann, Freistellungsansprüche gegenseitig geltend zu machen und diese ggf. sogar gerichtlich zu verfolgen (vgl. BAG, Urteil vom 14.11.2018 – 5 AZR 301/17 -, DStR 2019, 1218, 1221).

Unzutreffend ist auch die These der Beklagten, es habe „für die Parteien kein Bedarf [bestanden], eine Regelung bezüglich der Tragung der Sozialversicherungsbeiträge in die Aufhebungsvereinbarung aufzunehmen“ (S. 8 der Berufungsbegründung, Bl. 218 d. A.). Das Gegenteil ist richtig. Die Parteien kannten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 25. Juli 2019 die Rechtsauffassung der Deutschen Rentenversicherung Bund zur Frage der Beitragspflicht. Der Beitragsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund datiert vom 26. Januar 2018. Über den Widerspruch der Beklagten war zum Zeitpunkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung noch nicht entschieden. Daher handelte es sich in Bezug auf etwaige Ausgleichsansprüche der Beklagten gegen die Klägerin in Ansehung der etwaigen Beitragspflicht der Beklagten nicht um „unbekannte” Ansprüche, von deren Einbeziehung niemand hätte ausgehen dürfen, sondern um eine beiden Parteien angesichts des Beitragsbescheids der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 26. Januar 2018 bekannte Problematik. Ob die Parteien in den jeweiligen Verhandlungsstadien konkret daran gedacht haben, ist dabei unerheblich (vgl. etwa BAG, Urteil vom 31.07.2002 – 10 AZR 513/01 -, NZA 2003, 100, 103).

Vor diesem Hintergrund hätte es nahegelegen, etwaige Ausgleichsansprüche der Beklagten gegen die Klägerin in Ansehung der etwaigen Beitragspflicht der Beklagten von der Erledigungsklausel explizit auszunehmen, wenn bei den Vertragsparteien denn ein entsprechender übereinstimmender Wille tatsächlich bestanden hätte.

Nach alledem kann auch keine Rede davon sein, dass die Geschäftsgrundlage der Aufhebungsvereinbarung weggefallen sein könnte. Da die Position der Deutschen Rentenversicherung Bund zur Frage der Beitragspflicht den Parteien der Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juli 2019 bekannt gewesen ist, fehlt es bereits an einer schwerwiegenden Veränderung der Umstände im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB. Es kommt noch hinzu, dass keineswegs feststeht, dass die Parteien die Erledigungsklausel bei sicherer Kenntnis, dass die Rechtsansicht der Deutschen Rentenversicherung Bund zutreffend ist, nicht mit ihrem derzeitigen Inhalt geschlossen hätten.

Es mag daher zwar sein, dass die Beklagte ein Interesse daran gehabt hätte, etwaige Ausgleichsansprüche in Ansehung der etwaigen Beitragspflicht der Beklagten von der Erledigungsklausel auszunehmen. Dieses besondere Interesse hat die Beklagte aber nicht in einer für die Klägerin erkennbaren Weise zum Ausdruck gebracht. Sie muss daher den Inhalt der von ihr formulierten Vereinbarung so gegen sich gelten lassen, wie er dem Wortlaut und dem erkennbaren Sinn entspricht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 31.01.1990 – VIII ZR 280/88 -, NJW 1990, 2546, 2548).

Es kann auch keine Rede davon sein, dass hier ein übereinstimmender Wille der Vertragsparteien im Sinne der von der Beklagten präferierten Auslegung bestand, der dem Vertragswortlaut oder einer anderweitigen Auslegung vorginge (vgl. etwa BGH, Urteil vom 29.03.1996 – II ZR 263/94 -, NJW 1996, 1678, 1679). Im Gegenteil: Die Beklagte hat zuletzt noch einmal ausdrücklich betont, dass ein übereinstimmender Wille der Parteien hinsichtlich der Erledigungsklausel im Hinblick auf die Beitragsnachforderungen der Deutschen Rentenversicherung Bund nicht bestand (S. 2 des Anwaltsschriftsatzes vom 29. Juni 2021, Bl. 280 d. A.).

Vor diesem Hintergrund kommt es auf alle anderen Streitfragen, die zwischen den Parteien diskutiert worden sind (etwa zur Auslegung von § 28g Satz 4 SGB IV), nicht mehr an.

Auch die Entscheidung des Landgerichts zum Zinsanspruch der Klägerin ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte befindet sich aufgrund der Regelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 der Aufhebungsvereinbarung seit dem 1. August 2019 in Verzug.

Der Anwaltsschriftsatz der Beklagten vom 29. Juni 2021 gibt keine Veranlassung für eine Wiedereröffnung der Verhandlung (§ 156 Abs. 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711 ZPO.

Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Sie wirft keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf. Es handelt sich vielmehr um eine von den tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalls geprägte Sache.

Die Zulassung der Revision ist im Streitfall auch nicht zur „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Dieser Zulassungsgrund ist insbesondere dann gegeben, wenn das Berufungsgericht von einer Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, namentlich des Bundesgerichtshofes, abweicht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn das Berufungsgericht ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit dem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten Rechtssatz nicht deckt (vgl. BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZR 75/02 -, NJW 2002, 2295; Beschluss vom 27.03.2003 – V ZR 291/02 -, NJW 2003, 1943, 1945; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.10.2013 – 15 U 127/13 -, juris). Eine so verstandene Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes findet im Streitfall nicht statt.

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