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Aufhebungsvertrag – Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung

ArbG Gießen – Az.: 4 Ca 135/21 – Urteil vom 09.09.2021

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 26.103,90 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit eines zwischen ihnen im Jahre 2019 geschlossenen Aufhebungsvertrages.

Der am … … 1959 geborene Kläger war seit dem 01. August 1985 bei der Beklagten zuletzt als Area Sales Professional/Vertriebsbeauftragter mit Zuordnung zum Standort A beschäftigt. Im Rahmen von Vollzeittätigkeit erzielte der Kläger zuletzt einen monatlichen Bruttoverdienst von 8.701,30 Euro.

In den vergangenen Jahren hatte der Kläger massive gesundheitliche Probleme sowohl psychischer als auch physischer Art. Vor diesem Hintergrund kam es am 13. September 2016 zu einem Personalgespräch zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten, dem Zeugen B. Im Rahmen dieses Personalgesprächs wurde eine Reduzierung der Arbeitszeit des Klägers auf 50 % besprochen. In einem unter dem Datum des 15. September 2016 verfassten Protokoll zu diesem Personalgespräch wurde eine „Vereinbarung zur Reduzierung der Arbeitszeit auf 50 %“ beschrieben. Danach sollte die Arbeitszeit des Klägers mit Wirkung zum 01. Oktober 2016 um 50 % reduziert werden. Am Ende des Protokolls heißt es: „Diese Vereinbarung ist befristet bis 31.12.2019“. Wegen weiterer Einzelheiten des Protokolls vom 15. September 2016 wird auf die Kopie desselben (Bl. 11 und 12 der Akte) verwiesen. Mit Wirkung ab 01. Oktober 2016 reduzierte der Kläger seine Arbeitszeit auch auf 50 %. Unter dem Datum des 25. Januar 2017 verfasste die Beklagte ein Schreiben an den Kläger, in welchen dem Kläger in Abänderung seines Arbeitsvertrages die Beschäftigung als Teilzeitmitarbeiter ab 01. Januar 2017 bestätigt wird. Als monatlicher Verdienst wird in dem Schreiben ein Betrag von 3.056,72 Euro angegeben. Ein Hinweis auf eine Befristung der Teilzeitbeschäftigung findet sich in dem Schreiben nicht. Unter dem Datum des 02. Februar 2017 erklärte der Kläger sein Einverständnis mit dem Schreiben. Wegen weiterer Einzelheiten des Schreibens vom 25. Januar 2017 wird auf die Kopie desselben (Bl. 13 und 14 der Akte) verwiesen.

Im Juni 2019 erkrankte der Kläger erneut. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte bis Mitte Oktober 2019. Mit Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales C vom 2. August 2019 (Bl. 17-21 der Akte) wurde beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt. Während der Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Jahre 2019 und auch danach fanden mehrere Personalgespräche zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten, dem Zeugen B, statt. In diesen ging es um eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Unter dem Datum des 25. November 2019 schlossen die Parteien schließlich einen Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Ablauf des 29. Februar 2020 enden sollte. Des Weiteren wurde vereinbart, dass der Kläger wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung in Höhe von 80.990,50 Euro brutto erhält. Wegen weiterer Einzelheiten des Aufhebungsvertrages vom 25. November 2019 wird auf die Kopie desselben (Bl. 34-38 der Akte) verwiesen.

Mit seiner am 06. Mai 2021 bei Gericht eingegangenen Klage macht der Kläger die Unwirksamkeit des vorgenannten Aufhebungsvertrages geltend.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe das Gebot fairen Verhandelns verletzt, weshalb der Aufhebungsvertrag unwirksam sei. Er behauptet in diesem Zusammenhang, im Rahmen der Personalgespräche im Jahre 2019 habe ihm der Zeuge B unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass man ihn loswerden und das Leben schwermachen wolle, wenn er einem Aufhebungsvertrag nicht zustimme; man könne ihn im Betrieb nicht gebrauchen und würde einen Weg finden, ihn raus zu ekeln. Der Kläger behauptet in diesem Zusammenhang, ihm sei angedroht worden, dass er künftig jeden Tag nach D fahren und dort mit seinem Vorgesetzten in einem Büro arbeiten müsse; wenn man irgendetwas fände, werde es eine Abmahnung geben. Der Kläger behauptet weiter, auch der Betriebsarzt habe ihm im Rahmen eines Telefonats nahegelegt, der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzustimmen. Der Kläger ist außerdem der Auffassung, die ihm zugesagte Abfindung in Höhe von knapp 81.000 Euro sei viel zu niedrig bemessen; wenn bei der Beklagten üblicherweise pro Jahr der Beschäftigung ein Bruttomonatsverdienst zur Berechnung einer Abfindung zugrunde gelegt werde, hätte der Abfindungsbetrag unter Berücksichtigung der Vollzeittätigkeit des Klägers ca. 300.000,00 Euro betragen müssen. Insoweit trägt der Kläger vor, im Rahmen des Gesprächs am 13. September 2016 sei die Reduzierung seiner Arbeitszeit auf 50 % ausdrücklich nur bis zum 31. Dezember 2019 befristet worden; mit dem Schreiben vom 25. Januar 2017 sei dem Kläger lediglich die Verteilung der Arbeitszeit sowie die Zusammensetzung seines Monatseinkommens mitgeteilt worden; eine unbefristete Arbeitszeitreduzierung sei dadurch nicht vereinbart worden.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 25. November 2019 zum 29. Februar 2020 beendet wurde, sondern unverändert über den 29. Februar 2020 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die Initiative, über eine Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu sprechen, sei vom Kläger ausgegangen; dabei habe der Kläger ursprünglich nur eine Abfindung in Höhe von 30.000,00 Euro gefordert; später habe er diese Forderung auf 80.000,00 Euro erhöht. Zur Berechnung der letztlich an den Kläger gezahlten Abfindungssumme von 80.990,50 Euro trägt die Beklagte vor, zur Berechnung dieser Abfindungssumme sei das vom Kläger während der Teilzeit erhaltene Bruttomonatsentgelt zugrunde gelegt worden; dieser Betrag sei mit dem bei der Beklagten üblichen Faktor von 1,0 pro Beschäftigungsjahr multipliziert worden; der sich danach rechnerisch ergebende Betrag von 125.065,85 Euro sei dann auf dasjenige Bruttoentgelt reduziert worden, das bis zum frühestmöglichen Renteneintritt des Klägers auf Teilzeitbasis hätte gezahlt werden müssen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Sitzungsniederschriften vom 01. Juni 2021 und 09. September 2021 (Bl. 43 und 74 der Akte) sowie auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Aufhebungsvereinbarung vom 25. November 2019 rechtswirksam mit Ablauf des 29. Februar 2020 aufgelöst worden.

Aufhebungsvertrag – Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung
(Symbolfoto: Tiko Aramyan/Shutterstock.com)

Der Aufhebungsvertrag vom 25. November 2019 ist nicht wegen eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns durch die Beklagte unwirksam. Die von der Klägerseite zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 07. Februar 2019 (6 AZR 75/18) passt nicht auf die hier gegebene Konstellation. Bei dem vom Bundesarbeitsgericht postulierten Gebot fairen Verhandelns handelt es sich im Zusammenhang mit der Verhandlung eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages um eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht im Sinne der §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB (vergleiche: BAG vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18 – Orientierungssatz – zitiert nach juris). Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages kann eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt und oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird, wobei es nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation geht. Es geht vielmehr um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses (BAG a. a. O. – Rz. 34). Dabei ist eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit noch nicht gegeben, nur weil der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt. Auch eine Ankündigung des Unterbreitens einer Aufhebungsvereinbarung ist nicht erforderlich. Eine Verhandlungssituation ist vielmehr erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken, geschehen. Denkbar ist auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse. Die Nutzung eines Überraschungsmoments kann ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung). Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu bewerten und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen (vergleiche: BAG a. A. O. – Rz. 34). Bei Anlegung des vorgenannten Maßstabes ist nicht zu erkennen, dass im konkreten vorliegenden Fall die Beklagte das Gebot fairen Verhandelns verletzt hat. Dies gilt auch, wenn der vom Kläger hier geleistete Vortrag vollständig als wahr unterstellt wird. Denn in der hier gegebenen Konstellation haben die Parteien auch nach dem Vortrag des Klägers über einen längeren Zeitraum und in mehreren Personalgesprächen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages verhandelt. Unter diesem Aspekt kann hier jedenfalls nicht von einer Überrumpelung gesprochen werden. Der Kläger hatte vielmehr über einen sehr langen Zeitraum Gelegenheit über den Abschluss des Aufhebungsvertrages und dessen Konditionen nachzudenken. Nach dem Vortrag des Klägers hat ihm die Beklagte damit gedroht, im Falle des Nichtabschlusses eines Aufhebungsvertrages die Arbeitsbedingungen deutlich unangenehmer zu gestalten und den Kläger in besonderem Maße zu beobachten. Damit hat die Beklagte die Vertragsverhandlungen mit dem Kläger möglicherweise nicht gerade angenehm gestaltet. Sie hat damit aber keine solche psychische Drucksituation geschaffen, die eine freie und überlegte Entscheidung des Klägers erheblich erschwert oder sogar unmöglich gemacht hätte. Warum es dem Kläger über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder gar Monaten nicht möglich gewesen sein soll, eine durchdachte Entscheidung über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses und deren Konditionen zu treffen, ist in keiner Weise nachvollziehbar. Dass die auf psychischen Ursachen beruhenden gesundheitlichen Probleme des Klägers dazu führen, dass dieser zu einer abgewogenen Entscheidung im eigenen Interesse nicht mehr fähig ist, ist ebenfalls nicht erkennbar. Jedenfalls hätte nach dem Vorgesagten ein entsprechend erhebliches psychisches Problem des Klägers für die Beklagte „objektiv erkennbar“ sein müssen. Hierfür fehlt aber jedweder nachvollziehbare Vortrag. Sollten entsprechend gravierende gesundheitliche Einschränkungen beim Kläger vorliegen, dürfte er im Übrigen für die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit im Vertrieb wohl dauerhaft nicht mehr geeignet sein.

Die vom Kläger vorgetragenen angeblichen Drohungen des Vorgesetzten mit unangenehmen Arbeitsbedingungen wären allenfalls unter dem Aspekt einer widerrechtlichen Drohung im Sinne des § 123 BGB zu berücksichtigen. Ob die vom Kläger beschriebenen Drohungen seines Vorgesetzten tatsächlich als widerrechtlich zu bewerten sind, kann hier dahingestellt bleiben. Denn wäre der Kläger durch widerrechtliche Drohung zum Abschluss des Aufhebungsvertrages bewegt worden, hätte er gemäß § 124 BGB binnen Jahresfrist die Anfechtung erklären müssen. Der Kläger hat jedoch bis heute keine Anfechtungserklärung abgegeben. Die vorzitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist keinesfalls so zu verstehen, dass die §§ 123, 124 BGB im Arbeitsrecht durch das Gebot fairen Verhandelns abgelöst werden mit der Folge, dass die Unwirksamkeit eines dem Arbeitnehmer nicht genehmen Aufhebungsvertrages bis zur Grenze der nach 3 Jahren eintretenden Verjährung geltend gemacht werden kann. Das Bundesarbeitsgericht hat vielmehr in einer besonders außergewöhnlichen Konstellation, in der gerade kein Anfechtungsgrund gegeben war, die Unwirksamkeit des dort geschlossenen Aufhebungsvertrages auf die Verletzung des Gebots fairen Verhandelns gestützt.

Der hier zwischen den Parteien geschlossene Aufhebungsvertrag ist schließlich auch nicht wegen irgendwie gearteter unfairer Konditionen unwirksam. Der Kläger erhält mit einer Abfindung in Höhe von über 80.000,00 Euro nicht gerade ein Handgeld zum Abschied. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger zuletzt tatsächlich nur noch in Teilzeit gearbeitet hat, ist jedenfalls die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der Abfindung nicht als in besonderem Maße unfair zu bezeichnen.

Als unterlegene Partei sind dem Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 3 ZPO, 42 Abs. 2 GKG. Gemäß § 42 Abs. 2 GKG werden hier 3 Bruttomonatsverdienste des Klägers zugrunde gelegt. Da der Kläger davon ausgeht, dass ihm im Falle des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses eine Vollzeittätigkeit zusteht, wird hier der während der Vollzeittätigkeit erzielte Bruttomonatsverdienst berücksichtigt.

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