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Aufhebungsvertrag mit schwangerer Arbeitnehmerin – unwirksamer Urlaubsverzicht

ArbG Berlin, Az.: 4 Ca 4394/16

Urteil vom 15.09.2016

I.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Urlaubsabgeltung in Höhe von insgesamt 2.114,97 Euro (zweitausendeinhundertvierzehn 97/100) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 08.04.2016 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 7 % und dem Beklagten zu 93 % auferlegt.

III.

Der Wert des Streitgegenstandes für dieses Urteil wird auf 2.164,35 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Aufhebungsvertrag mit schwangerer Arbeitnehmerin - unwirksamer Urlaubsverzicht
Symbolfoto: Milkos/Bigstock

Die Parteien streiten über eine Forderung der Klägerin auf Zahlung von Urlaubsabgeltung.

Die Klägerin war bei dem Beklagten aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 29.04.2014 ab dem 28.04.2014 als Rechtsanwaltsfachangestellte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden gegen ein monatliches Gehalt in Höhe von 1.175,00 EUR brutto beschäftigt.

Nachdem der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11.06.2014 gekündigt hatte, teilte ihm die Klägerin mit, dass sie schwanger sei. Für den Zeitraum vom 03.07.2014 bis zum 13.12.2014 bestand ein ärztliches Beschäftigungsverbot. Vom 14.12.2014 an galt für die Klägerin das 6-wöchige Beschäftigungsverbot des § 3 Abs. 2 MuSchG. Im Januar 2015 kam das Kind der Klägerin zur Welt. Unmittelbar im Anschluss daran nahm die Klägerin Elternzeit bis zum 12.01.2016. Eine während der Schwangerschaft der Klägerin mit Datum vom 18.12.2014 ausgesprochene Kündigung des Beklagten wurde im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens vom Arbeitsgericht Berlin für unwirksam erklärt.

Mit Datum vom 13.01.2016 kündige der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum Ablauf des 31.03.2016. Vom 13.01.2016 an war die Klägerin arbeitsunfähig krank.

Mit Datum vom 18.02.2016 schlossen die Parteien folgenden Aufhebungsvertrag:

„Das zwischen den Parteien gemäß Arbeitsvertrag vom 29.04.2014 bestehende Arbeitsverhältnis wird im beiderseitigen Einvernehmen mit Wirkung zum 19.02.2016 aufgehoben.

Der Arbeitgeber weist die Arbeitnehmerin ausdrücklich darauf hin, dass mit Abschluss dieses Aufhebungsvertrages sozialversicherungsrechtliche Nachteile drohen, insbesondere wegen der Nichtbeachtung der Kündigungsfrist, und das mit einer Sperre bei der Bundesagentur für Arbeit zu rechnen ist.

Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass Urlaub in Natura gewährt und genommen worden ist.

Mit Erfüllung dieses Aufhebungsvertrages sämtliche wechselseitige Ansprüche der Parteien aus dem beendeten Arbeitsverhältnis abgegolten und erledigt.“

Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Aufhebungsvertrages wird auf die Anlage K 3 (Bl. 10 d. A.) verwiesen.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 16.03.2016 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten eine Forderung auf Abgeltung von insgesamt 41 Urlaubstagen geltend. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage K 5 (Bl. 12 – 13 d. A.) verwiesen.

Mit Schreiben vom 22.03.2016 wies der Beklagte die Forderung der Klägerin zurück. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage K 6 (Bl. 14 d. A.) verwiesen.

Mit ihrer am 01.04.2016 bei Gericht eingegangen, dem Beklagten am 08.04.2016 zugegangenen Klage hat die Klägerin daraufhin den vorliegenden Rechtsstreit eingeleitet.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte sei verpflichtet, ihr den nicht verbrauchten Erholungsurlaub aus den Urlaubsjahren 2014, 2015 und (anteilig) 2016 abzugelten. Nachdem sie zunächst die Abgeltung von 19 Tagen Resturlaub aus dem Urlaubsjahr 2014, von 20 Urlaubstagen aus dem Jahr 2015 und von 2 Tagen aus dem Urlaubsjahr 2016, insgesamt also Urlaubsabgeltung für 41 Tage in Höhe von insgesamt 2.275,98 EUR brutto beansprucht hatte, macht sie nach teilweiser Klagerücknahme für das Urlaubsjahr 2014 nur noch Urlaubsabgeltung für 17 Urlaubstage, insgesamt also für 39 Urlaubstage geltend.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie Urlaubsabgeltung in Höhe von insgesamt 2.164,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, Ansprüche der Klägerin auf Urlaubsabgeltung seien durch den Aufhebungsvertrag entfallen. Hierzu trägt der Beklagte vor, die Klägerin habe ihm mit E-Mail vom 11.02.2016 mitgeteilt, dass sie einen Aufhebungsvertrag wünsche. Mit E-Mail vom 17.02.2016 habe sie ihm eine Auflistung ihres Resturlaubsanspruchs übermittelt, den sie seinerzeit mit 23 Urlaubsantragen angegeben habe. Daraufhin habe er, der Beklagte, sich mit der Klägerin telefonisch in Verbindung gesetzt und ihr mitgeteilt, dass er nicht bereit sei, einen Aufhebungsvertrag abzuschließen, sofern die Klägerin noch Urlaubsabgeltungsansprüche geltend mache. Die Klägerin habe jedoch trotzdem einen Aufhebungsvertrag auch unter der Prämisse abschließen wollen, dass eine Urlaubsabgeltung nicht geleistet werde. Dementsprechend habe er, der Beklagte, der Klägerin mit Schreiben vom 18.02.2016 den Aufhebungsvertrag übersandt. Die entsprechende Vereinbarung sei dann von beiden Parteien unterzeichnet worden.

Der Beklagte ist ferner der Ansicht, die Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen durch die Klägerin sei zumindest treuwidrig. Er sei dem Wunsch der Klägerin, das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der regulären Kündigungsfrist am 31.03.2016 zu beenden, entgegengekommen unter der Voraussetzung, dass die Klägerin als Gegenleistung auf Urlaubsabgeltungsansprüche verzichte. Dies sei die Grundlage des Aufhebungsvertrages gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 02.06.2016 und 15.09.2016 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

1.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Abgeltung von insgesamt 39 Urlaubstagen. Der Anspruch ergibt sich aus § 7 Abs. 4 BUrlG i.V.m. § 17 MuSchG und § 17 Abs. 2 BEEG.

1.1.

Die Klägerin hat sich im vorliegenden Rechtsstreit darauf beschränkt, den ihr gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG zustehenden gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen bzw., bei einer 5-Tage-Woche, von 20 Arbeitstagen geltend zu machen. Von den ihr für das Urlaubsjahr 2014 zustehenden 20 Urlaubstagen hat die Klägerin nach eigenem Vorbringen 3 Urlaubstage verbraucht, so dass zu Beginn des Beschäftigungsverbots noch ein Anspruch auf 17 Urlaubstage bestanden hat. Der Beklagte ist diesem Vortrag der Klägerin nicht entgegengetreten, so dass er gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen ist. Diese 17 Urlaubstage hat die Klägerin weder im Urlaubsjahr 2014 noch bis zur Geburt ihres Kindes im Januar 2015 verbrauchen können, weil sich an das individuelle ärztliche Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG das 6-wöchige Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs. 2 MuSchG unmittelbar angeschlossen hat. Der Urlaubsanspruch aus 2014 ist deshalb gemäß § 17 MuSchG nicht mit Ablauf des 31.03.2015 verfallen. Er ist auch danach im gesamten Urlaubsjahr 2015 nicht verfallen, weil sich an die Beschäftigungsverbote gemäß § 3 MuSchG die Elternzeit nach §§ 15, 16 BEEG unmittelbar angeschlossen hat. Gemäß § 17 Abs. 2 BEEG verfällt Erholungsurlaub während der Elternzeit nicht, sondern ist vom Arbeitgeber nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren. Dementsprechend konnte weder der Resturlaub aus dem Urlaubsjahr 2014 noch der im Urlaubsjahr 2015 entstandene Erholungsurlaub verfallen. Er blieb der Klägerin vielmehr bis zum Ende der Elternzeit am 12.01.2016 erhalten und hätte dann, wenn das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbestanden hätte, im Urlaubsjahr 2016 oder im Urlaubsjahr 2017 verbraucht werden müssen.

Die Klägerin konnte den ihr noch zustehenden Resturlaub aus 2014 von 17 Arbeitstagen und den (Mindest-)Urlaub aus 2015 von weiteren 20 Urlaubstagen allerdings bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19.02.2016 nicht mehr verbrauchen, weil sie unmittelbar im Anschluss an ihre Elternzeit, nämlich vom 13.01.2016 an, bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krank war. Da die Klägerin neben dem Resturlaub aus 2014 (17 Tage) und dem (Mindest-)Urlaub aus 2015 (20 Tage) auch den anteiligen Urlaub für Januar 2016, der sich gemäß §§ 1, 3, 5 Abs. 1 c), 5 Abs. 2 BUrlG auf 2 Urlaubstage belief, bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 19.02.2016 nicht verbrauchen konnte, hat sie gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für insgesamt 39 Urlaubstage.

1.2.

Bei der Berechnung der Höhe des Urlaubsabgeltungsanspruchs ist von dem Bruttomonatsgehalt in Höhe 1.175,00 EUR und einer 30-Stunden-Woche, verteilt auf 5 Arbeitstage, auszugehen. Daraus ergibt sich ein Tagessatz in Höhe von (1.175,00 EUR x 3 Monate : 65 Arbeitstage = 54,23 EUR brutto/Arbeitstag). Multipliziert mit 39 Urlaubstagen ergibt sich ein Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 2.114,97 EUR brutto.

2.

Diesem Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin steht der Aufhebungsvertrag der Parteien vom 18.02.2016 nicht entgegen.

2.1.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nicht durch die als Tatsachenvergleich zu wertende Klausel im Aufhebungsvertrag, wonach zwischen den Parteien Einigkeit bestehe, dass Urlaub in Natura gewährt und genommen worden sei, ausgeschlossen. Denn diese Klausel ist unwirksam.

2.1.1.

  1. den im Aufhebungsvertrag der Parteien enthaltenen Vertragsklauseln handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB i.V.m. § 310 Abs. 3 BGB. Bei der Klägerin handelt es sich um eine Arbeitnehmerin. Arbeitnehmer sind Verbraucher im Sinne der §§ 305 ff. BGB. Der Beklagte hat der Klägerin die Klauseln des Aufhebungsvertrags einseitig gestellt. Das ergibt sich insbesondere auch aus seinem eigenen Vortrag. Denn der Beklagte hat dargelegt, er habe der Klägerin den Entwurf des Aufhebungsvertrags übermittelt. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Einfluss auf die Formulierung des Aufhebungsvertrags gehabt hat, sind nicht ersichtlich. Die Vertragsklauseln gelten deshalb gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB als vom Beklagten gestellt. Dementsprechend ist gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB für die Anwendung der §§ 305 c) Abs. 2, 306 und 307 – 309 BGB unerheblich, ob der Beklagte die Vertragsklauseln des Aufhebungsvertrags nur gegenüber der Klägerin oder auch gegenüber Dritten verwendet hat.

2.1.2.

Die Klausel „Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass Urlaub in Natura gewährt und genommen worden ist.“ benachteiligt die Klägerin unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der durch sie abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Klausel steht dem Grundgedanken der §§ 17 MuSchG und 17 Abs. 2 BEEG diametral entgegen. Sinn und Zweck dieser Vorschriften ist es, zu verhindern, dass einer schwangeren Arbeitnehmerin sowie einer Arbeitnehmerin/einem Arbeitnehmer in Elternzeit Nachteile hinsichtlich ihres Erholungsurlaubs entstehen. Das Gesetz will Mutterschaft und Elternzeit schützen und verhindern, dass Arbeitnehmer quasi „bestraft“ werden, weil sie Kinder in die Welt setzen und großziehen. Genau dazu würde aber die Klausel im Aufhebungsvertrag, wonach der Erholungsurlaub in Natura gewährt und genommen worden sei, führen. Diese als Tatsachenvergleich zu wertende Vereinbarung hätte zur Konsequenz, dass die Klägerin aller Ansprüche auf Erholungsurlaub, die sich während ihrer Schwangerschaft und ihrer Elternzeit angesammelt haben, verlustig gehen würde. Die Klausel ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam.

2.2.

Unwirksam ist auch die Vertragsklausel, wonach mit Erfüllung dieses Aufhebungsvertrags sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem beendeten Arbeitsverhältnis abgegolten und erledigt sein sollen. Zwar steht einem Verzicht auf Urlaubsabgeltung im Gegensatz zu dem Verzicht auf den Urlaub selbst grundsätzlich weder § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG noch §§ 17 MuSchG, 17 Abs. 2 BEEG entgegen, weil es sich bei dem Urlaubsabgeltungsanspruch nicht (mehr) um ein Surrogat des Urlaubsanspruchs handelt, sondern um einen reinen Geldanspruch (BAG vom 14.05.2013 – 9 AZR 844/11, BAGE 145, 107 = NZA 2013, 1098). Im vorliegenden Fall gibt es aber zwei Besonderheiten, die zu einem anderen Ergebnis führen. Zum einen hat die Klägerin auf den Urlaubsabgeltungsanspruch bereits am 18.02.2016 und damit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses verzichtet. Es ist zumindest fraglich, ob ein solcher Verzicht auf einen noch gar nicht entstandenen Urlaubsabgeltungsanspruch mit Sinne und Zweck von § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG vereinbar ist. Dies kann aber letztlich dahinstehen, weil der sich aus der im Aufhebungsvertrag enthaltenen Ausgleichsquittung ergebende Verzicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch jedenfalls aus einem anderen Grund unwirksam ist. Ein solcher Verzicht kann nämlich nur dann wirksam erklärt werden, wenn der Arbeitnehmer nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich die Möglichkeit gehabt hat, die Abgeltung des ihm zustehenden gesetzlichen Mindesturlaubs in Anspruch zu nehmen (BAG vom 14.05.2013 – 9 AZR 844/11 -, a.a.O.). Diese Möglichkeit hat die Klägerin im hier zu entscheidenden Fall nicht gehabt. Denn der von ihr erklärte Verzicht auf Urlaubsabgeltung wäre mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19.02.2016 wirksam geworden. Die Parteien haben den Verzicht der Klägerin auf Urlaubsabgeltung nicht nach Beendigung, sondern vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Ihrer Vereinbarung steht deshalb Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/IG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04. November 2003 über bestimmte Akte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9) entgegen (vgl. BAG vom 14.05.2013 – 9 AZR 844/11 -, a.a.O. <Juris Rn. 16 m.w.N.>).

3.

Die Klägerin handelt auch nicht treuwidrig, wenn sie sich auf die Unwirksamkeit der vorstehend genannten Vereinbarungen im Aufhebungsvertrag vom 18.02.2016 beruft. Es liegt kein Fall widersprüchlichen Verhaltens im Sinne eines „venire conta factum proprium“ vor. Nicht jedes widersprüchliche Verhalten ist rechtsmissbräuchlich. Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu. Widersprüchliches Verhalten ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn die andere Seite auf ein Verhalten vertrauen durfte und ihre Interessen vorrangig schutzwürdig erscheinen. Der Urheber des widersprüchlichen Verhaltens muss erkennen können, dass die Gegenpartei sein Verhalten als vertauensbegründend werten durfte. Auf ein schuldhaftes Verhalten kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist, ob für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BAG vom 11.11.2014 – 3 AZR 404/13, BB 2015, 253 <Juris 2. Orientierungssatz und Rn. 31 m.w.N.>). Im vorliegenden Fall hält die Kammer die Einlassung des Beklagten, der Verzicht der Klägerin auf Urlaubsabgeltung sei die Gegenleistung für sein Entgegenkommen gegenüber dem Wunsch der Klägerin, das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu beenden, nicht für überzeugend, § 286 ZPO. Denn der Beklagte hat durch den Ausspruch von zwei Kündigungen während der Schwangerschaft der Klägerin und einer dritten Kündigung unmittelbar nach dem Ende der Elternzeit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er das Arbeitsverhältnis so schnell wie möglich beenden will. Dieser Wunsch dürfte umso größer gewesen sein, als die Klägerin direkt nach dem Ende der Elternzeit arbeitsunfähig erkrankt war, so dass aus Sicht des Beklagten zumindest sehr fraglich war, ob die Klägerin vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist noch einmal arbeitsfähig werden würde. Nach Auffassung der Kammer war das Interesse des Beklagten an der alsbaldigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumindest nicht wesentlich geringer das Interesse der Klägerin, die eine neue Arbeitsstelle antreten wollte. Hatten aber beide Seiten ein etwa gleichstarkes Interesse an der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, dann hätte die Klägerin durch das negative Schuldanerkenntnis im Aufhebungsvertrag und den sich daraus ergebenden Verzicht auf Urlaubsabgeltung unterm Strich „draufgezahlt“. Schon aus diesem Grund ist das Vertrauen des Beklagten darin, dass die Klägerin wegen der Vereinbarung im Aufhebungsvertrag keine Ansprüche auf Urlaubsabgeltung geltend machen werde, nicht schutzwürdig.

4.

Der Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung hat sich auch nicht gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG im Urlaubsjahr 2015 um 11/12 verkürzt. Nach dieser Vorschrift kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um 1/12 kürzen. Eine solche Kürzung setzt aber voraus, dass sie vom Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer während des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses erklärt wird. Denn die Regelung in § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG setzt voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat (BAG vom 19.05.2015 – 9 AZR 725/13 -, NZA 2015, 989 <Juris Leitsatz und Rn. 13>). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Der Beklagte hat selbst nicht behauptet, die entsprechende Erklärung gegenüber der Klägerin vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegeben zu haben.

5.

Die Nebenentscheidung über den Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 291, 247 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 ZPO.

Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.

6.

Für die Klägerin ist das Rechtsmittel der Berufung nicht gegeben, da sie durch das Urteil lediglich in Höhe eines Betrags von 49,38 EUR beschwert ist. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG sind nicht erfüllt.

 

 

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