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Auflösung des Arbeitsverhältnisses – Abfindung


EntschädigungUnter welchen Voraussetzungen kann ein Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitnehmers gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung durch das Arbeitsgericht aufgelöst werden? Lesen Sie zu dieser Frage das anliegende Urteil des Arbeitsgerichts Solingen, welches sich mit einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses auseinandergesetzt hatte, nachdem es während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses zu sexuellen Belästigungen gekommen war.


Arbeitsgericht Solingen

Az: 3 Ca 530/15

Urteil vom 07.03.2016


Tenor

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird zum 17.04.2015 aufgelöst und die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 26.694 EUR als Abfindung zu zahlen. Im Übrigen wird der weitergehende Antrag zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 12,5 % und die Beklagte zu 87,5 %.

3. Der Streitwert beträgt 8.898 EUR.


Tatbestand

Der Kläger hat zunächst gegen eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung geklagt und beantragt nunmehr noch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

Der 26-jährige Kläger war bei der Beklagten seit dem 16.08.2006 als Werkzeugmechaniker gegen eine Vergütung in Höhe von 2.966,00 EUR brutto monatlich beschäftigt.

Sein früherer Vorgesetzter, Herr X., war Meister der Werkzeugtechnik. Im September 2013 hat der Kläger gegen die Beklagte Klage erhoben mit dem Ziel, dass diese Herrn X. entlassen sollte (Arbeitsgericht Solingen, 3 Ca 1356/13). Hintergrund des Verfahrens war der Vorwurf des Klägers, der damalige Vorgesetzte, Herr X., habe ihn auf einer gemeinsamen Dienstreise im April 2013 sexuell missbraucht. Des Weiteren hat er gegen seinen früheren Vorgesetzten X. Strafanzeige erstattet. Herr X. wurde sowohl erst- als auch zweitinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Verfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Die Beklagte hatte dem Kläger im Anschluss an den vermeintlichen Vorfall eine psychotherapeutische Behandlung finanziell ermöglicht. Den Mitarbeiter X. stellte sie zunächst von der Arbeit frei und bot ihm einen Aufhebungsvertrag an, den dieser jedoch ablehnte. Im Juli 2013 forderte die Beklagte daraufhin den Mitarbeiter X. wieder auf, die Arbeit aufzunehmen. Der Kläger war bis zum 16.09.2013 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 11.09.2013 hatte die Beklagte dem Kläger die Versetzung in eine andere Abteilung angeboten sowie eine Rückkehr in seinen bisherigen Bereich, sofern er dies wünsche und eine Stelle vakant sei.

Im Verfahren beim Arbeitsgericht Solingen 3 Ca 1356/13 führte die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 16.12.2014 (Bl. 145 ff. d. A., 3 Ca 1356/13) folgendes aus:

„Es scheint hier um einen Feldzug des Klägers gegen Herrn X. zu zu gehen, bis hin zur Existenzvernichtung.“

„Wir werden darlegen, dass der klägerseits behauptete Kernsachverhalt falsch und erfunden ist.“

„Es ist bemerkenswert, dass die klägerische Realitätsverweigerung und der Drang zur Unwahrheit sogar vor diesen offenkundigen Tatsachen nicht halt machen.“

„Der klägerische Sachvortrag ist auch hier falsch und wir gehen auch hier von möglicherweise strafrechtlich relevantem vorsätzlich falsch gemachtem Sachvortrag des Klägers aus.“

„Die gesamte und frei erfundene Geschichte des Klägers ist haarsträubend und abwegig: als würde über mehr als zwei Tage permanent über einen Scherz gesprochen und diesbezüglich nachgehakt.“

„Der Kläger will hier einfach eine „Story“ aufbauen. Eine erfundene Dramaturgie wird gesponnen, um dann den Zeugen X. als planvoll agierenden Sittlichkeitstäter darzustellen.“

„Der Kläger fährt hier ganz klar eine massive Kampagne gegen den Zeugen X., eine Art von Rache, da er selbst, der Kläger, etwas getan hat, was mit seinem Selbstbild des Frauenschwarms nicht zusammen passt. Als er dann daraus kein Kapital schlagen konnte, ging es nur noch um die gesellschaftliche und berufliche Vernichtung des Herrn X..“

Die Klage im Verfahren 3 Ca 1356/13 ist nach Beweiserhebung erstinstanzlich abgewiesen worden. Der damalige Vorgesetzte X. hat als Zeuge erklärt, es sei unter Alkoholeinfluss zu einvernehmlichen sexuellen Kontakten gekommen. Das Arbeitsgericht Solingen war der Auffassung, dass zwar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsdarstellung des Klägers spreche, es aber für einen vollständigen Beweis nicht ausreiche und der Kläger die Beweislast trage. Während des anschließenden Berufungsverfahrens hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter X. einvernehmlich gegen Zahlung einer Abfindung beendet, worauf der Kläger die Berufung zurücknahm.

Mit Schreiben vom 17.04.2015 (Bl. 8 d. A.) hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.07.2015 gekündigt. Mit Schriftsatz vom 26.10.2015 (Bl. 57 d. A.) hat die Beklagte die Klageansprüche aus der Kündigungsschutzklage anerkannt. Mit Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 66 d. A.) hat der Kläger die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung beantragt. Im Termin am 27.10.2015 ist auf Antrag des Klägers ein Anerkenntnis-Teilurteil ergangen (Bl. 64 d. A.).

Mit einem weiteren Schreiben, das dem Kläger am 16.11.2015 zugegangen ist, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis nochmals fristlos, hilfsweise fristgerecht gekündigt. Diese Kündigung hat der Kläger nicht im Rahmen eines arbeitsrechtlichen Verfahrens angegriffen.

Der Kläger begründet seinen Auflösungsantrag damit, dass die Beklagte ihn mit allen Mitteln dafür bestrafe, dass er seine Rechte wahrgenommen habe. Die Beklagte habe im erstinstanzlichen Verfahren 3 Ca 1356/13 die Handlung des Vorgesetzten X. als nicht strafbare Handlung angesehen und ihm das Aufbauen einer Story und die Vernichtung des Herrn X. und damit unwahre Aussagen unterstellt. Nunmehr habe sie eine Kündigung ausgesprochen, die offensichtlich jeglicher Grundlage entbehre und ihm in der mündlichen Verhandlung eine weitere Straftat unterstellt. Sie mache es ihm unmöglich, in den Betrieb zurückzukehren.

Der Kläger beantragt zuletzt noch,

das Arbeitsverhältnis der Parteien wird zum 31.07.2015 aufgelöst und die Beklagte wird verurteilt, an ihn eine angemessene Abfindung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber zwölf Bruttomonatsgehälter betragen sollte.

Die Beklagte beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie meint, das Arbeitsverhältnis könne denklogisch nicht aufgelöst werden, da es nunmehr im November 2015 bereits beendet worden sei. Hintergrund der erneuten Kündigung sei gewesen, dass sie den Kläger nach Anerkennung des Klageanspruchs aufgefordert habe, wieder zur Arbeit zu erscheinen. Er sei aber unbekannt verzogen und habe sie nicht über den neuen Wohnsitz informiert. Deswegen seien Abmahnungen und die Kündigung der Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt worden.

Sie habe im vorherigen Verfahren nicht gewusst, wer was getan und wer Recht gehabt hätte. Sie habe sich daher moderierend und neutral verhalten immer auch mit dem Ziel, den Kläger zu unterstützen. Nicht nur der Kläger sondern auch sie und der frühere Mitarbeiter X. hätten Rechte. Sie habe letztlich als Unbeteiligte versucht, die Lage zu entschärfen. Verschärft worden sei die Lage durch das klägerische Verhalten, indem er den Geschäftsführer vor aller Öffentlichkeit beleidigt und seine Reputation in Frage gestellt habe.

Der Kläger macht insoweit geltend, er habe der Beklagten mit Schriftsatz vom 30.09.2015 die neue Adresse mitgeteilt. Die Beklagte habe sich gerade nicht neutral verhalten. Dies ergebe sich aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 16.12.2014. Die eigenen Vorwürfe habe sie in keinster Weise untermauert.

Die Akte des Arbeitsgerichts 3 Ca 1356/13 ist beigezogen worden. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Parteienschriftsätze sowie den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der zulässige Antrag des Klägers ist überwiegend begründet.

A.

Über den noch rechtshängigen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses war im Rahmen eines Schlussurteils zu entscheiden. Über den Kündigungsschutzantrag war zulässigerweise im Rahmen eines Teilanerkenntnisurteils entschieden worden. Zwar wird überwiegend geltend gemacht, dass über den Kündigungsschutzantrag und den Auflösungsantrag nur einheitlich entschieden werden könne, das BAG macht aber jedenfalls eine Ausnahme im Falle eines Anerkenntnisteilurteiles (BAG, 29.01.1981, 2 AZR 1055/78).

B.

Der Auflösungsantrag ist dem Grunde und überwiegend auch der Höhe nach begründet.

I. Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitert der Auflösungsantrag nicht bereits daran, dass das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits beendet war.

1. Nach § 9 Abs. 2 KschG ist für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozialgerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Bei einer außerordentlichen Kündigung hat das Gericht gem. § 13 Abs 1 Satz 4 KSchG für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde. Eine gerichtliche Auflösung kommt allerdings nur in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis zu einem gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Zeitpunkt noch bestanden hat. Hat das Arbeitsverhältnis zwar erst nach dem gesetzlich festgesetzten Zeitpunkt, aber schon vor Erlass des Auflösungsurteils geendet, steht dies einer gerichtlichen Auflösung nicht entgegen (BAG, 23.02.2010 – 2 AZR 554/08). Allerdings ist in einem solchen Fall ein anderer als der sonst vorgesehene Beurteilungszeitpunkt maßgeblich. Die Prognose ist anhand der bis zur Beendigung eingetretenen Umstände zu erstellen und auf den Zeitpunkt zwischen dem Termin, zu dem die Kündigung gewirkt hätte, wenn sie sozial gerechtfertigt wäre, und dem Beendigungszeitpunkt zu erstrecken.

2. Vor diesem Hintergrund geht der Auflösungsantrag des Klägers nicht ins Leere. Zum gesetzlich vorgeschriebenen Zeitpunkt gem. § 13 Abs 1 Satz 4 KSchG bestand das Arbeitsverhältnis noch. Die nachfolgende Kündigung ist erst Mitte November 2015 ausgesprochen worden.

II. Der Antrag ist im Grunde nach begründet.

1. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 KschG ist für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei einer außerordentlichen Kündigung der Zeitpunkt festzulegen, zu dem diese ausgesprochen wurde. Dies ist vorliegend der 17.04.2015. Hiervon kann nicht abgewichen werden, auch wenn der Kläger einen anderen Zeitpunkt in seinem Antrag nennt (ähnlich zu § 9 KSchG BAG 21.06.2012, 2 AZR 694/11).

2. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KschG hat das Gericht das durch eine sozialwidrige Kündigung nicht beendete Arbeitsverhältnis durch Urteil aufzulösen, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Dafür muss kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegen, der dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar machen würde. Es reicht aus, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit unzumutbar ist. Dafür wiederum genügt nicht allein die Sozialwidrigkeit der Kündigung. Es bedarf vielmehr zusätzlicher, vom Arbeitnehmer darzulegender Umstände. Diese müssen im Zusammenhang mit der Kündigung oder doch dem Kündigungsschutzprozess stehen. Auflösungsgründe können sich demnach aus den Modalitäten der Kündigung als solcher und aus weiteren Handlungen des Arbeitgebers ergeben, die mit der Kündigung einhergehen (vgl. etwa BAG, 11.07.2013 – 2 AZR 241/12). Ein die Unzumutbarkeit dieses § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG begründeter Umstand kann darin liegen, dass ein Kündigungsschutzverfahren über eine offensichtlich sozialwidrige Kündigung seitens des Arbeitgebers mit einer solchen Schärfe geführt worden ist, dass der Arbeitnehmer mit einem schikanösen Verhalten des Arbeitgebers und anderer Mitarbeiter rechnen muss, wenn er in den Betrieb zurückkehrt. Das Arbeitsverhältnis kann ferner aufzulösen sein, wenn feststeht, dass sich der Arbeitgeber ungeachtet der im Kündigungsschutzprozess vertretenen Rechtsauffassung des Gerichts auf jeden Fall von ihm trennen will und offensichtlich beabsichtigt, mit derselben oder einer beliebigen anderen Begründung solange Kündigungen auszusprechen, bis er sein Ziel erreicht hat (vgl. BAG, 27.03.2003 – 2 AZR 9/02).

3. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Kammer der Auffassung, dass dem Kläger die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch bis zum Beendigungszeitpunkt Mitte November 2015 unzumutbar war.

a) Die Stellungnahme der Beklagten einschließlich entsprechender Vorwürfe mit Schriftsatz vom 16.12.2014 reichen allerdings als Auflösungsgrund nicht aus. Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob die Vorwürfe einen wichtigen Grund i. S. des § 626 Abs. 1 BGB dargestellt hätten. Wäre es dem Kläger aufgrund der mit dem Schriftsatz erhobenen Vorwürfe vom 16.12.2014 nicht zumutbar gewesen das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, so hätte er unter Beachtung der zweiwöchigen Kündigungsfrist nach § 626 Abs 2 BGB das Arbeitsverhältnis außerordentlich kündigen sowie Schadensersatz nach § 628 BGB geltend machen können. Der Auflösungsantrag gem. §§ 9, 10, 13 KSchG kann nicht dazu dienen, Umstände, die vor der sozialbedingten Kündigung liegen, nunmehr zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses heranzuziehen.

b) Allerdings ist unter Berücksichtigung des damaligen Vortrags der Beklagten, der Kündigung vom 17.04.2015 sowie das Verhalten der Beklagten im Rahmen dieses Kündigungsschutzverfahrens nach Auffassung der Kammer davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis und das Vertrauensverhältnis der Parteien unheilbar zerrüttet und dem Kläger die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten war.

aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat sie sich im vorangegangenen Verfahren 3 Ca 1356/13 keineswegs durchgängig neutral und auch mit dem Ziel der Unterstützung des Klägers verhalten. Dabei ist der Beklagten zuzugestehen, dass sie nach Kenntnis des vermeintlichen Vorfalls eine neutrale Position eingenommen hatte. Spätestens allerdings mit Schriftsatz vom 16.12.2014 hatte sie diese neutrale Position aufgegeben. Sie hatte den Sachvortrag des früheren Mitarbeiters X. uneingeschränkt übernommen und den Vortrag des Klägers als unwahr und falsch dargestellt. Damit hat sie sich eindeutig auf die Seite ihres damaligen Mitarbeiters X. geschlagen.

Der Beklagten wäre auch ein anderes Verhalten möglich gewesen. Wie bereits im Termin am 19.01.2016 erläutert, hätte die Beklagte im Rahmen ihrer Stellungnahme ihre neutrale Position deutlich machen können. Sie hätte den Vortrag des Klägers mit Nichtwissen bestreiten können. Sie hätte zudem im Rahmen ihres Schriftsatzes klarstellen können, dass auf Nachfrage der Mitarbeiter X. einen anderen Sachverhalt geschildert hat. Diesen hätte sie sich nicht zu eigen machen müssen. Sie hätte vielmehr auch den Sachverhaltsvortrag des Mitarbeiters X. darstellen und deutlich machen können, dass sie nicht wisse und auch womöglich auch nicht wissen könne, welche Sachverhaltsschilderung denn zutreffe. Dies hat sie aber nicht gemacht. Sie hat nicht nur die Sachverhaltsschilderung des früheren Mitarbeiters X. als eigenen Vortrag übernommen, sondern zugleich auch den Vortrag des Klägers als unwahr, falsch und erlogen bezeichnet. Sie hat dem Kläger, obwohl sie es gerade nicht wusste, eine Vernichtungskampagne bzw. einen Feldzug gegen den Mitarbeiter X. unterstellt. Damit hat sie leichtfertig, ohne entsprechende Absicherung erhebliche Anschuldigungen gegenüber dem Kläger erhoben, die nicht mehr durch ein berechtigtes Interesse im Rahmen des damaligen laufenden Verfahrens gedeckt waren.

bb) Auch wenn die Sozialwidrigkeit einer Kündigung allein nicht als Auflösungsgrund dienen kann, so ist im vorliegenden Fall doch zu beachten, dass die Beklagte die ausgesprochene fristlose Kündigung im April 2015 schriftsätzlich nicht ansatzweise begründet hat. Sie hat lediglich im Rahmen der Güteverhandlung erklärt, Hintergrund der Kündigung sei, dass der Kläger im strafrechtlichen Verfahren gegen den früheren Mitarbeiter X. auf Nachfrage dessen Anwältin im Verfahren der II. Instanz dem Geschäftsführer der Beklagten eine Falschaussage unterstellt habe. Die Kündigung ist bis zum Erlass des rechtskräftigen Anerkenntnisteilurteils nicht begründet worden. Auch anschließend liegt ein konkreter Sachvortrag der Beklagten nicht vor. Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 18.01.2016 die Betriebsratsanhörung als Anlage vorgelegt hat, ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, sich den möglichen Sachvortrag einer Partei aus vorgelegten Anlagen herauszusuchen. Anlagen dienen dazu, vorherigen Sachvortrag zu belegen.

cc) Die Kammer ist der Auffassung, dass dem Kläger die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch der fristlosen Kündigung, die nicht ansatzweise begründet worden ist, sowie den zuvor im Dezember 2014 erhobenen Vorwürfen und Unterstellungen nicht zumutbar war. Die Beklagte misst offenbar mit zweierlei Maß. Die Beklagte hat den Kläger mit Schriftsatz vom 16.12.2014 falschen vorsätzlichen Sachvortrag und strafrechtlich relevantes Verhalten vorgeworfen, ohne allerdings selbst Konsequenzen zu ziehen, indem sie etwa das Arbeitsverhältnis damals gekündigt hätte. Nunmehr wird lediglich mündlich pauschal vorgeworfen, der Kläger habe dem Geschäftsführer eine Falschaussage unterstellt. Deswegen hat die Beklagte dem Kläger fristlos gekündigt, ohne allerdings diesen Vorwurf im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses auszuführen und zu untermauern. Die Beklagte hat auch nicht erklärt, aus welchen Gründen sie ihre zunächst neutrale Position aufgegeben und sich auf Seiten des Herrn X. begeben hat. Vor diesem Hintergrund ist die Kammer der Auffassung, dass es aus Sicht des Klägers nachvollziehbar ist, dass eine Verbindung mit Erhebung der Klage im Verfahren 3 Ca 1356/13 nicht ausgeschlossen werden kann.

Auch der Vortrag der Beklagten zur erneuten Kündigung im November 2015 ist unzutreffend. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schriftsatz vom 26.11.2015 vorgeworden, er sei unbekannt verzogen und habe sie nicht über den neuen Wohnsitz informiert. Dies ist aber offensichtlich unrichtig. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 30.09.2015 (Bl. 50 d. A.) seine neue Anschrift mitgeteilt. Abschriften sind auch an die Beklagte rausgegangen.

dd) Bei einer Gesamtbetrachtung konnte der Kläger nicht mehr davon ausgehen, dass nach einer Rückkehr in den Betrieb das Arbeitsverhältnis unbelastet und fair fortgesetzt werden konnte.

Nichts anderes ergibt sich auch aus dem Vortrag der Beklagten mit Schriftsatz vom 23.02.2016. Er enthält bereits keinen konkreten Tatsachenvortrag. Der Kläger soll Betriebsrat und Geschäftsleitung im Rahmen eines Facebookeintrags beleidigt haben. Dies stellt lediglich eine Wertung dar. Der als Anlage, im Übrigen schlecht lesbare Ausdruck, ersetzt keinen Tatsachenvortrag. Anlagen dienen als Beleg für eigenen Tatsachenvortrag. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts ist, sich den möglichen Sachvortrag einer Partei aus vorgelegten Anlagen herauszusuchen (siehe oben). Aus dem Ausdruck ergeben sich zudem weder die Autorenschaft des Klägers noch das Datum des Eintrags. Anscheinend soll es sich um einen Eintrag Mitte Februar handeln. Zu diesem Zeitpunkt war das Arbeitsverhältnis aber in jedem Fall bereits beendet. Wie bereits ausgeführt ist die Prognose anhand der bis zur Beendigung eingetretenen Umstände zu erstellen und auf den Zeitpunkt zwischen dem Termin, zu dem die Kündigung gewirkt hätte, wenn sie sozial gerechtfertigt wäre, und dem Beendigungszeitpunkt zu erstrecken. Insoweit kommt es auch nicht auf die Erwiderung des Klägers mit Schriftsatz vom 03.03.2016 an. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist daher nicht anzuordnen.

4. Der Auflösungsantrag ist allerdings nicht der Höhe nach vollständig begründet.

a) Gemäß § 10 Abs. 1 ist als Abfindung ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen. Lediglich bei älteren Arbeitnehmern, die eine längere Betriebszugehörigkeit aufweisen, kann gem. § 10 Abs. 2 KSchG eine höhere Abfindung bis zu 15 bzw. 18 Monatsverdiensten festsetzen.

b) Zu den im Rahmen des Ermessen zu berücksichtigen Umstände zählen zunächst die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Arbeitnehmers. Daneben können weitere Sozialdaten des Arbeitnehmers, aber auch die Sanktionsfunktion der Abfindung berücksichtigt werden. Des Weiteren kann eine spätere Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Höhe der Abfindung berücksichtigt werden (KR/Spilger, § 9 KSchG, Rn. 35).

c) Nach Auffassung der Kammer ist die spätere Beendigung des Arbeitsverhältnisses in zweifacher Hinsicht zu berücksichtigen: Zum einen sind die ansonsten fälligen Annahmeverzugslöhne berücksichtigungsfähig, zum anderen ist zu beachten, dass das Arbeitsverhältnis ohnehin zu einem späteren Zeitpunkt beendet worden wäre.

Vor diesem Hintergrund ist die Kammer der Auffassung, dass im vorliegenden Fall ein Abfindungsbetrag in Höhe von neun Gehältern ermessensgerecht ist. Zugunsten des Klägers ist eine nahezu neunjährige Betriebszugehörigkeit berücksichtigt worden. Da der Kläger relativ jung ist und somit seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt positiv zu beurteilen sind, kam nach Auffassung der Kammer keine Abfindung am oberen Rand der Regelung nach § 10 Abs. 1 KSchG in Betracht. Des Weiteren hat die Kammer berücksichtigt, dass das Arbeitsverhältnis ohnehin Mitte November 2015 beendet worden wäre. Bis zu diesem Zeitpunkt, jedenfalls bis Ende Oktober 2015 hätte die Beklagte aufgrund der Sozialwidrigkeit der Kündigung vom April 2015 aber Annahmeverzug zahlen müssen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 ZPO, 46 Abs. 2 ArbGG. Dem Kläger sind ein Teil der Kosten aufzuerlegen, da seinem Antrag hinsichtlich der Höhe der Abfindungssumme nicht voll entsprochen worden ist (vgl. BAG, 26.06.1986 – 2 AZR 522/85).

D.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 61 Abs. 1 ArbGG und entspricht drei Gehältern.


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