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Ausschlussfrist bei fristloser Verdachtskündigung

ArbG Wuppertal – Az.: 6 Ca 915/18 – Urteil vom 11.10.2018

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 10.04.2018 nicht aufgelöst ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Mitarbeiter im Team Facility Management bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

3. Es wird festgestellt, dass der Beklagten die mit Anschreiben vom 19.04.2018 geltend gemachte Forderung in Höhe von 1.913,62 EUR gegenüber dem Kläger nicht zusteht.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Streitwert: 11.313,62 EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten, einen Weiterbeschäftigungsanspruch sowie über eine Forderung der Beklagten.

Der am 00.00.0000 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 21.08.2000 als Hausmeister im Bereich Facility-Management, Belegwesen zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.350,00 EUR beschäftigt. Der Kläger ist mit einem GdB von 30 % gemäß Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 09.12.2016 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat.

Am 30.01.2018 fand die jährliche Jahresrechnungskontrolle der Telefonrechnungen der Beklagten mit Herrn Q. von der U. vor dem Hintergrund einer möglichen Kostenreduktion im Festnetzbereich statt. Dabei fiel auf, dass mehrere Verbindungen zu Glücksspiel-Hotlines abgerechnet wurden. Die von der Beklagten angeforderten Einzelgesprächsnachweise lagen am 05.02.2018 vor. Die Beklagte stellte fest, dass über zwei Nebenstellennummern unzählige Male die Rufnummer 00000-000000 in der Zeit vom 26.06.2017 bis einschließlich 09.08.2017 gewählt wurde. Bei dieser Nummer handelt es sich um eine Glückspiel-Hotline von S. O., die in der Zeit vom 26.06.2017 bis zum 20.08.2017 geschaltet war. Bei den beiden genutzten Telefonapparaten handelt es sich um tragbare Telefone, die grundsätzlich im „Hausmeisterraum“ stationiert sind. Dort befinden sich auch die Ladestationen. Über den Tag werden die Telefone gewöhnlich vom „Telefoninhaber“ mitgenommen. Der Kollege des Klägers, Herr T., war in den Monaten Juni bis August 2018 überwiegend arbeitsunfähig erkrankt und befand sich in der verbleibenden Zeit in einer Wiedereingliederung. Die komplette Durchsicht der Einzelgesprächsnachweise durch die Leiterin des Geschäftsbereichs Personal der Beklagten, Frau B., war am 13.02.2018 abgeschlossen. Die Nebenstellennummer -0000 war dem Kläger zugeordnet und die Nummer -0000 dem Mitarbeiter T.. Beide Telefone sind grundsätzlich im Hausmeisterraum stationiert. Aufgrund der krankheitsbedingten Ausfallzeiten des Kollegen T. stellte die Beklagte weitere Nachforschungen an. Die Auszubildende Frau B. fertigte eine Aufstellung über sämtliche in dem Zeitraum vom 26.06.2017 bis zum 09.08.2017 getätigten Anrufe an die Glücksspiel-Hotline mit den jeweiligen Anrufzeiten in Gegenüberstellung zu den Anwesenheitszeiten von Herrn T. und dem Kläger anhand der Einzelverbindungsnachweise und von Zeitnachweisen der Anwesenheiten des Herrn T. und des Klägers an. Die Auswertung war am 23.02.2018 abgeschlossen. Der Kläger war vom 26.02.2018 bis zum 09.03.2018 arbeitsunfähig erkrankt. Am 13.03.2018 fanden nacheinander Einzelgespräche mit Herrn T. und dem Kläger in der Personalabteilung der Beklagten in Anwesenheit von Frau B., Frau Q. und dem Betriebsratsvorsitzenden U. statt. Beide stritten ab, die Glücksspiel-Hotline angerufen zu haben. Daraufhin wurde am 13. und 14.03.2018 durch einen Mitarbeiter aus dem Geschäftsbereich Personal der Beklagten eine weitere Auswertung dahingehend vorgenommen, alle Zeiträume und Uhrzeiten, in denen Anrufe an die genannte Glücksspiel-Hotline getätigt wurden, mit den An- und Abwesenheitszeiten aller zutrittsberechtigten Mitarbeiter zu dem Hausmeisterraum abzugleichen. Am 14.03.2018 fand ein weiteres Gespräch zwischen dem Kläger und Frau B. im Beisein von Frau Q. und Herr U. statt. Der Kläger wurde mit dem Ergebnis der weiteren Ermittlungen konfrontiert. Er stritt weiterhin ab, die Glücksspiel-Hotline angerufen zu haben. Mit Schreiben vom 16.03.2018 hat die Beklagte die Zustimmung zur außerordentlichen Tat- und hilfsweise zur außerordentlichen Verdachtskündigung beim zuständigen Integrationsamt des Landschaftsverbands Rheinland beantragt. Am 04.04.2018 hat das Integrationsamt der Beklagten gegenüber den Eintritt der Fiktion bestätigt. Mit Anhörungsschreiben vom 04.04.2018 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat äußerte mit seiner abschließenden Stellungnahme am 09.04.2018 Bedenken hinsichtlich der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Die Schwerbehindertenvertretung, die mit Schreiben vom 04.04.2018 angehört worden ist, hat die beabsichtigte Kündigung gemäß Stellungnahme vom 06.04.20108 zur Kenntnis genommen und keine Stellungnahme abgegeben. Mit Schreiben vom 10.04.2018 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich.

Mit seiner am 13.04.2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. Mit Schriftsatz vom 08.05.2018 macht er einen Weiterbeschäftigungsantrag geltend und begehrt die Feststellung, dass der Beklagten die geltend gemachte Forderung in Höhe von 1.913,62 EUR nicht zusteht.

Der Kläger ist der Auffassung, die ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten sei unwirksam. Ein wichtiger Grund liege nicht vor. Die Zwei-Wochen-Frist sei nicht eingehalten worden. Er bestreitet die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats sowie die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung.

Der Kläger beantragt,

1.es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 10.04.2018 nicht aufgelöst worden ist.

2. die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Mitarbeiter im Team Facility Management bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

3. es wird festgestellt, dass der Beklagten die mit Anschreiben vom 19.04.2018 geltend gemachte Forderung in Höhe von 1.913,62 EUR gegenüber dem Kläger nicht zusteht.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Kündigung sei wirksam. Die Recherche habe ergeben, dass über den Apparat mit der Durchwahl -0000 in dem Zeitraum vom 26.06.2017 bis zum 20.08.2017 1.487 Mal die Glücksspiel-Hotline von S. O. gewählt wurde und über den Apparat mit der Nummer -0000 in dem genannten Zeitraum 1.269 Mal. Außer dem Kläger sei keiner der zutrittsberechtigten Mitarbeiter/innen zu jedem Zeitpunkt, zu dem ein Anruf getätigt worden sei, in dem Betrieb der Beklagten anwesend gewesen. Nur der Kläger sei zu allen Anrufzeiten zugegen gewesen. Alle anderen Mitarbeiter/innen hätten gefehlt, seien zumindest teilweise aufgrund von Krankheit oder Urlaub oder am frühen Morgen, zu Zeiten, zu denen die Anrufe getätigt worden sind, noch gar nicht im Betrieb anwesend gewesen. Es sei kein Anruf außerhalb der Anwesenheitszeit des Klägers getätigt worden. Der letzte Anruf sei am 09.08.2017 erfolgt. Ab dem 10.08.2017 sei die Hotline nicht weiter gewählt worden und der Kläger ab dem 10.08.2018 aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit nicht anwesend gewesen. Es spreche viel dafür, dass sämtliche Anrufe an die Glücksspiel-Hotline von S. O. durch den Kläger getätigt worden seien. Zumindest sei davon auszugehen, dass die Anrufe an die Glücksspiel-Hotline zu Zeiten, als nur der Kläger und (noch) kein weiterer Kollege des Klägers aus dem Team Facility Management anwesend gewesen sei, nur vom Kläger getätigt sein könnten. Hierbei handele es sich um 109 Anrufe. Die insgesamt 109 getätigten Anrufe am 21.07.2017, 28.07.2017, 31.07.2017, 04.08.2017, 07.08.2017 und 08.08.2017 seien vom Kläger geführt worden. Dies hätten die weiteren Nachforschungen durch Überprüfung der Einzelverbindungsnachweise und der Zeitnachweise der Mitarbeiter ergeben. Es bestehe der dringende Verdacht, dass der Kläger die insgesamt 2.756 Anrufe an die Glücksspiel-Hotline getätigt habe. Ein Anruf koste 0,50 EUR inklusive Mehrwertsteuer, Daraus ergebe sich ein durch den Kläger verursachter Schaden in Höhe von 1.378,00 EUR. Der Kläger habe für die Dauer der Telefonate, die sich insgesamt auf 4 Stunden und 30 Minuten belaufe, keine Arbeitsleistung erbracht. Hinzu würden noch die Zeiten für das Wählen und die Dauer, die es brauche, bis der Anruf aufgebaut werde, kommen. Der Kläger sei am 13.03.2018 ausführlich zu dem Vorwurf, dass er von seinem dienstlichen Telefonapparat die Glücksspiel-Hotline von S. O. angerufen haben solle, angehört worden. Zu Beginn dieses Gesprächs sei ihm dieser Vorwurf konkret mitgeteilt und ihm gesagt worden, dass es sich um ein Anhörungsgespräch handele. Ihm wurde genau geschildert, dass diese Nummer von seiner Nebenstellennummer insgesamt 1.487 Mal gewählt worden sei und von der Herrn T. zugeordneten Nebenstellennummer 1.269 Mal. Er sei konkret gefragt worden, ob er diese Anrufe getätigt habe. Mit dem Ergebnis der weiteren Nachforschungen, dem Abgleich zwischen den Daten und Uhrzeiten der an die Glücksspiel-Hotline getätigten Anrufe und die An- bzw. Abwesenheitszeiten der in Frage kommenden Mitarbeiter sowie dem Ergebnis, dass für insgesamt 109 Anrufe nur er in Frage komme, sei der Kläger in dem Gespräch am 14.03.2018 konkret konfrontiert worden. Der Kläger habe durch seine Pflichtverletzung das Vertrauen der Beklagten unwiederbringlich zerstört. Die Ermittlungen seien erst am 23.02.2018 abgeschlossen worden. Aufgrund der Erkrankung des Klägers sei eine frühere Anhörung des Klägers nicht möglich gewesen. Der Betriebsrat sei mit Schreiben vom 04.04.2018 ordnungsgemäß angehört worden. Dem Betriebsrat und ebenso der Schwerbehindertenvertretung seien die Einzelverbindungsnachweise sowie die Zeitnachweislisten vorgelegt worden. Bei Übergabe des Anhörungsschreibens sei darüber hinaus der Kündigungssachverhalt auch zusätzlich mündlich von Frau Q. erläutert worden.

Der Kläger erwidert hierauf im Wesentlichen:

In dem Anhörungsgespräch am 13.03.2018 sei ihm lediglich eröffnet worden, dass er während der Arbeitszeit Anrufe getätigt haben solle. Es sei ihm weder mitgeteilt worden, dass es sich um Anrufe bei einer Glücksspiel-Hotline handeln solle, noch seien ihm Einzelgesprächslisten vorgelegt worden. In dem Gespräch am 14.03.2018 seien keine Fragen gestellt worden. Frau B. habe ihn lediglich mit der Feststellung konfrontiert, dass nur er in Betracht komme, die Glücksspiel-Hotline angerufen zu haben. Irgendwelche relevanten Informationen habe er nicht erhalten. Die Beklagte könne nicht mit Sicherheit ausschließen, dass auch andere Mitarbeiter, möglicherweise sogar nicht erwähnte weitere Mitarbeiter, Zugriff auf die offensichtlich außerhalb der Arbeitszeiten des Klägers frei zugänglichen Telefone genommen habe und auch Telefonate geführt haben könnte. Der Kläger rügt weiterhin die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB. Die geltend gemachte Forderung sei nicht schlüssig begründet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet:

I.

Die Kündigungsschutzklage, die innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG erhoben wurde, ist begründet. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.04.2018 ist gemäß § 626 Abs. 2 BGB unwirksam und beendet das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht.

1.

Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von dem für die Kündigung maßgebenden Tatsache Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne eine umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann sein Kündigungsrecht nicht verwirken. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (BAG Urteil vom 20.03.2018 – 2 AZR 1037/12, zit. nach juris). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, zit. nach juris, m. b. N.) ist der Kündigungsberechtigte für die Einhaltung der Ausschlussfrist darlegungs- und beweispflichtig. Derjenige, der eine Kündigung aus wichtigem Grund ausspricht, muss darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor ihrem Ausspruch erfahren hat. Diese Darlegungspflicht ist nicht bereits erfüllt, wenn der Kündigende lediglich allgemein vorträgt, er kenne die Kündigungsgründe nicht länger als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung. Er muss vielmehr die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat. Um den Zeitpunkt, in dem der Wissensstand des Kündigungsberechtigten ausreicht, bestimmen zu können und um es dem Gekündigten zu ermöglichen, die behauptete Schilderung zu überprüfen und gegebenenfalls qualifiziert zu bestreiten, muss grundsätzlich angegeben werden, wie es zu der Aufdeckung des Kündigungsgrundes gekommen sein soll. Hat der Kündigungsberechtigte noch Ermittlungen durchgeführt, muss er hierzu weiter darlegen, welche Tatsachenbehauptungen unklar und daher ermittlungsbedürftig waren, und welche – sei es auch nur aus damaliger Sicht – weitere Ermittlungen er zur Klärung der Zweifel angestellt hat.

2.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Kammer der Auffassung, dass die Beklagte die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB vorliegend nicht eingehalten hat.

Im Zuge der jährlichen Jahresrechnungskontrolle der Telefonrechnungen der Beklagten am 30.01.2018 fiel auf, dass die Rechnungen für die Monate Juni, Juli und August 2017 ungewöhnlich hoch ausgefallen sind. Nach dem Vorbringen der Beklagten war aus den Rechnungen bereits ersichtlich, dass mehrere Verbindungen zu Glücksspiel-Hotlines abgerechnet worden sind. Die daraufhin beim internen IT-Betrieb angeforderten Einzelgesprächsnachweise lagen der Beklagten am 05.02.2018 vor. Die komplette Durchsicht der Einzelgesprächsnachweise durch die Leiterin des Geschäftsbereichs Personal der Beklagten, Frau B., war am 13.02.2018 abgeschlossen. Nach dem Vorbringen der Beklagten ergab sich daraus bereits, dass über zwei Nebenstellennummern, und zwar den Nummern -0000 und -0000, unzählige Male die Glückspiel-Hotline in der Zeit vom 26.06.2017 bis einschließlich 09.08.2017 gewählt worden ist. Die Durchwahl -0000 war dem Kläger zugeordnet und die Nebenstellennummer -0000 dem Kollegen des Klägers Herrn T.. Aufgrund der krankheitsbedingten Ausfallzeiten und der durchgeführten Wiedereingliederungsmaßnahme von Herrn T. führte die Beklagte weitere Ermittlungen durch. Die Auszubildende B. fertigte eine Aufstellung über sämtliche in dem Zeitraum vom 26.06.2017 bis 09.08.2017 getätigten Anrufe an die Glücksspiel-Hotline mit den jeweiligen Anrufzeiten in Gegenüberstellung zu den Anwesenheitszeiten von Herrn T. und dem Kläger anhand der Einzelverbindungsnachweise und den Zeitnachweisen der Anwesenheiten des Herrn T. und des Klägers an. Das Ergebnis lag am 23.02.2018 vor. Die Anhörung des Klägers erfolgte am 13.03.2018 und nach weiterer Ermittlung am 14.03.2018.

Nach Auffassung der Kammer hat die Beklagte vorliegend den Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB länger als unbedingt nötig hinausgeschoben. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Ausschlussfrist solange gehemmt ist, wie die Beklagte aus verständigen Gründen noch Ermittlungen anstellt. Die Beklagte hat am 30.01.2018 im Rahmen der Jahresrechnungskontrolle der Telefonrechnungen der Beklagten Kenntnis von Anrufen zu den Glücksspiel-Hotlines erlangt. Die Überprüfung der am 05.02.2018 vorgelegten Einzelgesprächsnachweise war am 13.02.2018 abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass über zwei Nebenstellennummern, und zwar den Nummern -0000 und -0000, unzählige Male die Glücksspiel-Hotline in der Zeit vom 26.06.2017 bis einschließlich 09.08.2017 gewählt wurde. Die Beklagte hatte Kenntnis davon, dass über den Apparat des Klägers mit der Durchwahl -0000 in dem genannten Zeitraum 1.487 Mal und über den Apparat mit der Durchwahl -0000 des Kollegen T. in dem genannten Zeitraum 1.269 Mal die Glücksspiel-Hotline gewählt wurde. Aufgrund der krankheitsbedingten Ausfallzeiten und der durchgeführten Wiedereingliederungsmaßnahme von Herrn T. hat die Beklagte weitere Ermittlungen angestellt. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist nur solange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Kündigungssachverhalts nach pflichtgemäßen Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahme zügig durchführt (BAG 05.06.2008, NZA – RR 2008, 630). Die Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, dass sie die weiteren Ermittlungen in der gebotenen Eile durchgeführt hat. Sie hat insoweit lediglich vorgetragen, dass die Auszubildende B. eine Aufstellung über sämtliche in dem Zeitraum vom 26.06.2017 bis zum 09.08.2017 getätigten Anrufe an die Glücksspiel-Hotline mit den jeweiligen Anrufzeiten in Gegenüberstellung zu den Anwesenheitszeiten von Herrn T. und dem Kläger anhand der Einzelverbindungsnachweise und von Zeitnachweisen der Anwesenheiten des Herrn T. und des Klägers angefertigt hat. Nach Durchsicht der Einzelgesprächsnachweise stand bereits am 13.02.2018 fest, an welchen Tagen zu welchen Zeiten die Glückspiel-Hotline von S. O. vom Apparat des Klägers und dem Apparat des Kollegen T. gewählt wurde. Die Kammer ist zwar der Auffassung, dass die weitere Aufklärung aus verständigen Gründen veranlasst worden ist, allerdings sind die erforderlichen Ermittlungen vorliegend nicht mit der gebotenen Eile innerhalb einer kurz bemessenen Frist erfolgt. Die Beklagte hat hierfür zehn Tage benötigt. Es ist weder ersichtlich noch hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, warum die Gegenüberstellung der Anwesenheitszeiten zu den Anrufzeiten so viel Zeit in Anspruch genommen hat. Die Ermittlungen dürfen nicht unnötig hinausgezögert werden. Hinzu kommt, dass die Beklagte den Kläger erst am 13.03.2018 zu den Vorwürfen angehört hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 02.03.2006, NZA 2006, 1211) darf für die Anhörung in der Regel nur eine Frist von einer Woche als noch angemessen angesehen werden. Bei einer Erkrankung des Arbeitnehmers hängt es davon ab, ob er trotzdem in der Lage ist, die erforderliche Aufklärung zu geben. Der Arbeitgeber darf nicht stets das Ende der Krankheit abwarten (LAG Köln 25.01.2001 – LAGE § 626 BGB Ausschlussfrist Nr. 13). Reicht eine schriftliche Stellungnahme des Arbeitnehmers nicht aus, um den Sachverhalt hinreichend aufzuklären, kann es gerechtfertigt sein, den Arbeitnehmer zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen mündlich anzuhören. Die Beklagte hat ohne weitere Erläuterung die Arbeitsunfähigkeit des Klägers abgewartet und ihn erst am 13.03.2018 zu dem Vorwurf angehört. Damit hat die Beklagte die Frist von einer Woche deutlich überschritten. Die Beklagte hat weder vorgetragen, warum der Kläger während der Erkrankung nicht in der Lage gewesen ist, die erforderliche Aufklärung zu geben noch warum der Kläger nicht schriftlich zu den Vorwürfen angehört worden ist. Selbst wenn die Kammer zugunsten der Beklagten von einer zügigen Ermittlung seitens der Beklagten und sichere Kenntniserlangung vom 23.02.2018 ausgeht, hätte die Beklagte den Kläger grundsätzlich innerhalb von einer Woche, also bis zum 01.03.2018 zu dem Vorwurf anhören müssen, wobei insbesondere darauf hinzuweisen ist, dass die Anhörung des Arbeitnehmers abgesehen vom Fall der Verdachtskündigung keine Wirksamkeitsvoraussetzung einer außerordentlichen Kündigung ist. Vorliegend geht die Beklagte von einer Tatkündigung aus, beruft sich jedoch zur Begründung auch auf eine Verdachtskündigung. Danach wäre die Zwei-Wochen-Frist spätestens am 15.03.2018 abgelaufen. Nach Auffassung der Kammer sind sowohl die durchgeführten weiteren Ermittlungen sowie die Anhörung des Klägers nicht in der gebotenen Eile durchgeführt worden.

Nach alldem ist die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.04.2018 wegen Versäumung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB unwirksam. Folglich kann dahinstehen, ob vorliegend ein wichtiger Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung vorliegt.

II.

Der Klageantrag zu 2. ist ebenfalls begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG GS Urteil vom 27.02.1985, ab hier Nr. 14 zu § 611 Beschäftigungspflicht) kann der Arbeitnehmer verlangen, vorläufig weiter beschäftigt zu werden, wenn sein Kündigungsschutzantrag in der ersten Instanz Erfolg hat. In diesem Fall überwiegt regelmäßig das Interesse des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers an dessen Nichtbeschäftigung. Die Beklagte hat ein besonderes Interesse an der Nichtbeschäftigung des Klägers nicht hinreichend dargelegt.

III.

Die Feststellungklage des Klägers hinsichtlich des Nichtbestehens der von der Beklagten geltend gemachten Forderung in Höhe von 1.913,62 EUR ist zulässig und begründet.

Aufgrund der angekündigten Gehaltskürzung durch die Beklagte hat der Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Nichtbestehens der Forderung im Sinne von § 256 ZPO.

Der Anspruch ist auch begründet, da die Beklagte die Forderung der Höhe nach nicht hinreichend dargelegt hat. Nach den Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 10.08.2018 besteht lediglich für 109 Anrufe an die Glücksspiel-Hotline gegen den Kläger ein hinreichender Tatverdacht. Dies genügt für eine schlüssige Begründung der geltend gemachten Forderung in Höhe von 1.913,62 EUR nicht. Im Übrigen ergibt sich ausgehend von 2.756 Anrufen zu einem Betrag von 0,50 EUR inklusive Mehrwertsteuer allenfalls einen Betrag in Höhe von 1.378,00 EUR. Die gegenüber dem Kläger geltend gemachte Forderung ist somit weder nachvollziehbar noch substantiiert dargelegt.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO.

Den Streitwert hat das Gericht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 3 ZPO in Höhe von vier durchschnittlichen Bruttomonatsgehältern sowie der geltend gemachten Zahlung festgesetzt.

 

 

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