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Ausschlussfrist nach § 70 BAT

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 26 Sa 2397/12, Urteil vom 11.04.2013

1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. Oktober 2012 – 56 Ca 20822/11 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

I. Die Parteien streiten zuletzt in der Berufungsinstanz noch darüber, ob die Ansprüche der Klägerin auf Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe für einen Zeitraum von Mai 2009 bis Oktober 2010 verfallen sind.

Die Klägerin ist als Justizangestellte bei der G. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der BAT Anwendung. Mit einem Schreiben vom 1. Oktober 2008 machte die Klägerin gegenüber dem beklagten Land eine „Grundvergütung aus der höchsten Lebensaltersstufe“ geltend. Zu diesem Zeitpunkt erhielt sie Vergütung nach Vergütungsgruppe VII.

In dem Schreiben heißt es:

„Ich erhalte gegenwärtig nach Maßgabe des Anwendungs-TV Land Berlin in Vergütungsgruppe VII Grundvergütung aus der 31. Lebensaltersstufe. Ich beantrage hiermit, mir ab September 2008 Grundvergütung aus der höchsten

43. (in Vergütungsgruppe VI b/VII)

Lebensaltersstufe. Im Rahmen der Ausschlussfrist mache ich außerdem die Nachzahlung des Differenzbetrages zwischen der bisherigen und der ab September 2008 beanspruchten Grundvergütung geltend.“

Das beklagte Land erwiderte darauf mit Schreiben vom 19. November 2008:

„… Ihren Antrag, Grundvergütung aus der höchsten Lebensaltersstufe 43 (in Vergütungsgruppe VI b, VII) ab September 2008 zu zahlen, habe ich erhalten.

Eine Entscheidung dazu ergeht zu gegebener Zeit…“

Ausschlussfrist nach § 70 BAT
Symbolfoto: Jirapong Manustrong/Bigstock

Zum 1. Mai 2009 änderten sich Tätigkeit und Vergütung der Klägerin. Das beklagte Land zahlte der Klägerin ab diesem Zeitpunkt Vergütung nach Vergütungsgruppe VI b.

Die Klägerin hat – soweit für die Berufungsinstanz noch von Bedeutung – die Ansicht vertreten, sie habe ihre Ansprüche auch für die Zeit ab dem 1. Mai 2009 rechtzeitig geltend gemacht. Zudem sei sie durch das Bestätigungsschreiben in Sicherheit gewogen worden, dass es keiner zusätzlichen Geltendmachung für die Zeit ab der Höhergruppierung bedurfte.

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.104,10 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr ab Fälligkeit des jeweiligen Differenzbetrages sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr auf 2.053,15 Euro ab Fälligkeit des jeweiligen Differenzbetrages bis zum 10. Mai 2012 auf 1.034,54 Euro und auf 1.018,61 Euro bis 22. Juni 2012 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen und für die Zeit ab dem 1. Mai 2009 die Auffassung vertreten, die Ansprüche seien mangels einer Geltendmachung nach Fälligkeit nach § 70 BAT verfallen. Die Klägerin sei auch nicht durch sein Schreiben von der Geltendmachung der Vergütungsansprüche abgehalten worden.

Das Arbeitsgericht hat das beklagte Land verurteilt, der Klägerin auch die Vergütungsdifferenzen für die Zeit vom 1. Mai 2009 bis zum 31. Oktober 2010 zu zahlen. Außerdem hat es das beklagte Land zur Zahlung von Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin könne sich zwar nicht auf § 70 Satz 2 BAT berufen, da die höhere Vergütungsgruppe einen anderen Sachverhalt begründe. Maßgeblich sei hier, dass die Klägerin durch das Schreiben der Beklagten in Sicherheit gewogen worden sei. Die Klägerin habe davon ausgehen dürfen, keine weiteren Schritte unternehmen zu müssen. Das Schreiben sei nämlich so zu verstehen gewesen, dass die Klägerin den Ausgang des Pilotverfahrens habe abwarten und die Zentrale Besoldungs- und Vergütungsstelle nicht mit weiteren Nachfragen und Maßgaben habe belasten sollen. Zugesprochen hat das Arbeitsgericht auch die Zinsforderung für die Zeit ab dem 11. November 2011, abgewiesen die Forderung nebst Zinsen, soweit sie auch für die Zeit ab Geltung des TV-L geltend gemacht worden ist.

Das beklagte Land hat gegen das ihm am 26. November 2012 zugestellte Urteil am 19. Dezember 2012 Berufung eingelegt und diese mit einem bei dem Landesarbeitsgericht am 25. Januar 2013 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen unter Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung seine erstinstanzlich vertretenen Rechtsansichten vertieft. Eine höhere Vergütungsgruppe betreffe nicht denselben Sachverhalt. Jedenfalls sei eine vorsorgliche Geltendmachung nicht möglich. Bei seinem Schreiben vom 19. November 2008 handele es sich um eine einfache Eingangsbestätigung ohne weitergehenden Inhalt. Die darin enthaltene „Vertagung“ hätte die Klägerin eher alarmieren müssen als beruhigen können.

Das beklagte Land beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. Oktober 2012 – 56 Ca 20822/11 – teilweise abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als das Arbeitsgericht ihr stattgegeben hat.

Die Klägerin beantragt – nach Rücknahme ihrer eigenen Berufung -, die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen. Zur Begründung weist sie darauf hin, dass sich der Lebenssachverhalt durch die Höhergruppierung gar nicht verändert habe. Dass sich ihr Begehren durch eine Höhergruppierung nicht habe ändern sollen, habe sie in dem Schreiben durch Angabe der höheren Vergütungsgruppe ausreichend zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls verhalte das beklagte Land sich aber treuwidrig.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien vom 25. Januar und vom 26. März 2013.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des beklagten Landes ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Klage begründet ist, soweit das Arbeitsgericht ihr stattgegeben hat.

1) Die Klägerin hat einen Anspruch auf die der Höhe und dem Grunde nach unstreitigen Vergütungsdifferenzen für die Zeit vom 1. Mai 2009 bis zum 31. Oktober 2010.

2) Dieser Anspruch ist nicht nach § 70 BAT erloschen. Die Klägerin hat mit ihrem Geltendmachungsschreiben vom 1. Oktober 2008 auch hinsichtlich der Vergütungsdifferenzen für die Zeit ab dem 1. Mai 2009 die Ausschlussfrist des § 70 Satz 1 BAT „unwirksam gemacht“. Die Vergütungsdifferenzen vor und ab diesem Zeitpunkt betreffen denselben Sachverhalt iSd. § 70 Satz 2 BAT.

a) Nach § 70 BAT verfielen Ansprüche, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht worden waren. Aus Wortlaut und Zweck des § 70 BAT ergab sich, dass die rechtserzeugenden Anspruchsvoraussetzungen nach dem Vorbringen des Anspruchstellers bei der Geltendmachung bereits erfüllt sein mussten, um die tarifliche Ausschlussfrist zu wahren. Vor Entstehen eines Anspruches ist ungewiss, ob, wann und in welchem Umfang der Arbeitgeber überhaupt zur Zahlung verpflichtet sein wird. Ausschlussfristen sollen zur raschen Klärung von Ansprüchen beitragen. Dieser Zweck kann nicht erfüllt werden, wenn Ansprüche vor ihrer Entstehung geltend gemacht werden und damit letztlich nur als möglich angekündigt werden. Nach § 70 Satz 2 BAT reichte aber für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruches, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen. Auch diese Bestimmung setzte voraus, dass die „einmalige Geltendmachung“ einen bereits entstandenen Anspruch betraf. Es mussten bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage Ansprüche aus einem bestimmten Tatbestand herzuleiten sein. Erst wenn dieser Anspruch ordnungsgemäß geltend gemacht worden war, war aus Gründen der Vereinfachung eine nochmalige Geltendmachung auch für später fällig werdende Leistungen entbehrlich (vgl. BAG 22.01.2009 – 6 AZR 5/08 – AP Nr. 39 zu § 70 BAT = ZTR 2009, 318, Rn. 17, 18).

b) Die Klägerin hat mit ihrem Geltendmachungsschreiben Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe vor dem Hintergrund der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. September 2008 (20 Sa 2244/07) begehrt. Im Oktober 2008 lagen die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe vor. Es geht um den Lebenssachverhalt „Vergütungsdifferenz zur höchsten Lebensaltersstufe“. Dieser Anspruch und seine Voraussetzungen haben sich durch die Höhergruppierung zum 1. Mai 2009 nicht verändert. Die Forderungen entstehen aus dem ständig gleichen Grundtatbestand. Die Voraussetzungen sind für jede Vergütungsgruppe gleich. Der Umstand, dass die maßgebliche Differenz sich geändert hat, ist insoweit irrelevant. Die jeweilige Differenz ist problemlos ermittelbar. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes ist die Forderung einer Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe der jeweiligen Vergütungsgruppe etwas anderes als die Geltendmachung einer Vergütung nach einer bestimmten Vergütungsgruppe. Die zutreffende Eingruppierung setzt die Erfüllung der Tätigkeitsmerkmale einer konkreten Vergütungsgruppe voraus. Ändern sich die Tätigkeit oder die Tätigkeitsmerkmale, liegt ein anderer zu beurteilender Lebenssachverhalt vor. Hier geht es nicht um die Frage der Eingruppierung. Dass die Klägerin die Voraussetzungen für die höhere Vergütung ab dem 1. Mai 2009 erfüllt hat, ist nicht streitig und auch nicht Inhalt des streitigen Anspruchs.

Das beklagte Land konnte auch nicht annehmen, dass die Klägerin die Vergütungsdifferenzen nach einer Höhergruppierung nicht mehr beanspruchen werde. Dafür gab es keinerlei Anhaltspunkte.

Auf die Frage, was die Klägerin durch die Angabe der Vergütungsgruppe VI b in ihrem Schreiben vom 1. Oktober 2008 zum Ausdruck gebracht hat und welche Bedeutung dem Schreiben des beklagten Landes vom 19. November 2008 zukommt, kam es daher nicht mehr an.

3) Der durch das Arbeitsgericht zugesprochene Zinsanspruch für die Zeit ab dem 11. November 2011 in Bezug auf die noch streitgegenständliche Forderung ergibt sich aus § 286, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Soweit das Arbeitsgericht weitere Zinsen unter II. des Tenors zugesprochen hat, ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts durch das beklagte Land bei zutreffender Auslegung der Anträge nicht angegriffen worden.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1, § 516 Abs. 3 ZPO.

IV. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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