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Ausschlussfristen und Hinweispflichten des Arbeitgebers

Landesarbeitsgericht Köln, Az: 4 Sa 615/15, Urteil vom 18.12.2015

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 07.05.2015 – 7 Ca 3000/14 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger noch Vergütungsansprüche aus einem Zeitraum zustehen, während dessen der Kläger arbeitsunfähig krank war. Der Kläger beansprucht für 26 Wochen ab dem 13.01.2011 Krankengeldzuschüsse nach Anlage 1 Abschnitt XII c AVR, und auf diese Krankengeldzuschüsse sowie auf die ebenfalls nicht gezahlte und vom Kläger mit der vorliegenden Klage geltend gemachte Weihnachtszuwendung 2011 gem. Anlage 1 Abschnitt XIV a und d AVR die Umlage- und Beitragszahlung an die KZVK gemäß Anlage 1 Abschnitt XIII in Verbindung mit § 1 a der Anlage 8 AVR und § 62 Abs. 2 c und § 62 Abs. 2 d der Satzung der KZVK. Desweiteren begehrt der Kläger nach Anlage 14 AVR einen arbeitstäglichen Urlaubsaufschlag sowie Urlaubsgeld für einen Erholungsurlaub in der Zeit vom 30.04.2012 bis zum 08.06.2012.

Ausschlussfristen und Hinweispflichten des ArbeitgebersDer Kläger hat erstinstanzlich zuletzt entsprechende Feststellungsanträge gestellt und hilfsweise im Wege der Stufenklage entsprechende Abrechnung und spätere Zahlung begehrt.

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird zunächst gemäß § 69 Abs. 3 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Parteien stritten und streiten im Wesentlichen – insoweit im erstinstanzlichen Tatbestand nicht wiedergegeben – darum, ob die Ansprüche des Klägers gemäß § 23 AVR verfallen sind. Der Kläger hat erstinstanzlich unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgeführt, warum seiner Meinung nach das Berufen der Beklagten auf die Ausschlussfristen rechtsmissbräuchlich ist. Er führt im Einzelnen auf, an welchen – psychischen – Erkrankungen er in der fraglichen Zeit gelitten hat. Dazu wird im Wesentlichen auf Blatt 32/33 der Akten Bezug genommen. Der Kläger meint, die Beklagte habe ohne gesonderte Aufforderung die Zahlung vornehmen müssen, zumal sie über die krankheitsbedingte Ausfallzeit und den einsetzenden Bezug von Krankengeld unterrichtet gewesen sei. Die Beklagte habe ihn, den Kläger, auf den drohenden Anspruchsverlust rechtzeitig hinweisen müssen, was sie nicht getan habe. Die Beklagte habe auch nicht ernsthaft erwarten dürfen, dass er, der Kläger, vom Inhalt des Regelwerks der AVR in seiner Gesamtheit Kenntnis habe. Es habe auf Seiten des Klägers zuvor keine Langzeiterkrankungen gegeben. Erst in der Erkrankung ab dem 02.10.2010 sei er erstmalig über den gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus erkrankt gewesen. Eine Kenntniserlangung sei auch nicht aufgrund von interkollegialem Erfahrungsaustausch in diesem Punkte vorhanden gewesen.

Allerdings sei es so, dass, wenn im Einzelfall es zu einer Langzeiterkrankung komme, der betroffene Mitarbeiter von der Personalabteilung darauf hingewiesen werde, dass zur Berechnung des Krankengeldzuschusses ergänzende Angaben oder Unterlagen beizubringen seien, falls dies überhaupt erforderlich sein sollte. Dies geschehe in der Regel telefonisch, so z. B. bei den Mitarbeiterinnen M S und A Su . Auch als er, der Kläger, im ersten Quartal 2014 erneut über den Zeitraum von sechs Wochen hinweg erkrankt gewesen sei, habe die für ihn zuständige Frau Z ihn angerufen und gebeten, den Nachweis über Krankengeldbezug hereinzugeben (die Anrufe bei den genannten Mitarbeiterinnen und beim Kläger im ersten Quartal 2014 sind unstreitig). Der Kläger meint, es bestehe eine betriebliche Übung, wonach ein langzeiterkrankter Mitarbeiter nach Auslaufen der Entgeltfortzahlung vom Personalbüro der Beklagten kontaktiert und in Bezug von Krankengeldzuschuss hingewiesen werde. Das allein entspreche auch der gesteigerten Treue-, Hinweis- und Fürsorgepflicht der Beklagten gegenüber langzeiterkrankten Mitarbeitern.

Er, der Kläger, sei im Streitfall aber nicht nach dem 12.01.2011 angerufen und auf Entsprechendes hingewiesen worden. Er sei zwar massiv psychisch erkrankt gewesen, jedoch über Festnetz und auf seinem Handy erreichbar gewesen. Anrufe der Beklagten seien insoweit nicht zu verzeichnen gewesen.

Die Beklagte hat bestritten, dass die Erkrankung des Klägers so schwerwiegend gewesen sei, dass er nicht mehr in der Lage gewesen sei, sich in erforderlichem Maße um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Der Kläger habe dementsprechend, als es um die Änderung seiner Lohnsteuerklasse zu seinen Gunsten ging, sich ohne Probleme beim Personalbüro der Beklagten gemeldet. Eine Bescheinigung seiner Krankenkasse über die Höhe des Krankengeldes habe er aber nicht vorgelegt. Seitens der Beklagten seien wiederholt Versuche unternommen worden, mit dem Kläger in Kontakt zu treten, um die erforderlichen Angaben zu erhalten. Diese Versuche seien jedoch sämtlich erfolglos geblieben.

Abgesehen davon habe der Kläger – was unstreitig ist – ab dem 30.04.2012 seine Arbeit wieder aufgenommen und sei viele Monate hindurch, lediglich unterbrochen von meist sehr kurzen krankheitsbedingten Fehlzeiten, voll arbeitsfähig gewesen und entsprechend auch bei der Beklagten eingesetzt worden.

Von einer betrieblichen Übung im Zusammenhang mit dem Krankengeldzuschuss sei der Beklagten nichts bekannt.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 07.05.2015 die Klage abgewiesen. Es hat die Feststellungsanträge als unzulässig angesehen und die Hilfsanträge als unbegründet. Der Kläger habe keinen Abrechnungsanspruch, folglich habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Zahlung der sich aus den begehrten Abrechnungen ergebenden Entgelte.

Gegen dieses am 07.05.2015 verkündete und am 19.05.2015 dem Kläger zugestellte Urteil hat dieser am 18.06.2015 Berufung eingelegt und diese am 13.07.2015 begründet. Der Kläger geht nach den angekündigten Anträgen zunächst von der Feststellungsklage zur bezifferten Leistungsklage über und stellt hilfsweise wiederum – inhaltlich geänderte – Auskunftsansprüche und unbezifferte Zahlungsansprüche im Wege der Stufenklage.

Wegen der Ausführungen des Klägers zur Begründung der Berufung wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 90 ff. d. A.) Bezug genommen. Wegen der Berechnung der klägerischen Ansprüche wird auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung Blatt 97 ff. der Akten Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 07.05.2015 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Bonn – 7 Ca 3000/14 – wie folgt zu erkennen:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständige Vergütung aus den Jahren 2011 und 2012, mindestens jedoch 13.921,91 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von5 %-Punkten aus dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Betrag von 8.459,15 EUR brutto seit dem 01.08.2011, aus dem Betrag von 4.366,32 EUR brutto ab dem 01.12.2011 sowie aus dem Betrag von 1.096,44 EUR brutto ab dem 01.07.2012 zu zahlen;

Hilfsweise wird beantragt: Die Beklagte wird verurteilt,

a) dem Kläger die zur Berechnung des Krankengeldzuschusses im Zeitraum vom 13.01.2012 bis 13.07.2012 erforderlichen Auskünfte zu erteilen durch Angabe des Unterschiedsbetrages zwischen der Netto-Urlaubsvergütung und der um die gesetzlichen Beitragsanteile des Klägers zur gesetzlichen Renten-, Arbeitslosen- und sozialen Pflegeversicherung verminderten Leistungen der Sozialversicherungsträger;

b) dem Kläger Auskunft zu erteilen über die Berechnung der Höhe des Umlagesatzes nach §§ 62 und 63 der Satzung der Zusatzversorgungskasse festgesetzten Satzes des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts in Form des Krankengeldzuschusses sowie der Jahressonderzahlung (Weihnachtszuwendung) 2011;

c) dem Kläger Auskunft zu erteilen über die zur Berechnung der Jahressonderzahlung (Weihnachtszuwendung) 2011 erforderlichen Angaben in Form der ihm nach § 2 der Anlage zu 14 zu den AVR während des Erholungsurlaubs zustehenden Bezüge, die diesem zugestanden hätten, wenn er während des ganzen Monats September 2011 Erholungsurlaub gehabt hätte;

d) dem Kläger Auskunft zu erteilen über die zur Berechnung des Urlaubsaufschlages und des Urlaubsgeldes in Bezug auf den im Zeitraum vom 29.04.2012 bis 08.06.2012 gewährten Resturlaub aus dem Jahr 2011 in Form der Angaben zur Ermittlung des Aufschlags nach § 2 Abs. 3 der Anlage 14 zu den AVR sowie des zum Zeitpunkt der Urlaubsnahme vergütungsgruppenbezogenen Urlaubgeldes nach § 7 der Anlage 14 zu den AVR.

Die Beklagte wird verurteilt, die Richtigkeit der Auskünfte an Eides statt zu versichern.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die sich auf der Grundlage der erteilten Auskünfte errechenbare Vergütung nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie hält die Klageanträge nach wie vor für unzulässig und meint, auch der Zahlungsantrag sei unzulässig. Dieses folge aus § 67 Abs. 3 ArbGG, wonach Angriffsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht oder nicht rechtzeitig vorgetragen worden seien, in der zweiten Instanz nicht mehr zugelassen würden. Auch die hilfsweise gestellten Anträge im Rahmen der Stufenklage – so meint die Beklagte – hätten schon in der ersten Instanz gestellt werden müssen. Jedenfalls aber seien alle Ansprüche aufgrund der Ausschlussklausel verfallen.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hatte in der Sache keinen Erfolg.

A. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen ebenso keine Bedenken wie gegen die Zulässigkeit der Berufung.

I. Soweit die Beklagte meint, bei der Leistungsklage handele sich um ein neues Angriffsmittel, das gemäß § 67 ArbGG nicht zuzulassen sei, so trifft dieses nicht zu. Von § 67 ArbGG nicht erfasst wird nämlich der Angriff selbst. Auch eine Klageänderung fällt nicht unter § 67 ArbGG. Sie ist nach § 525 ZPO i.V.m. § 263 ZPO zulässig, wenn entweder der Beklagte einwilligt oder aber das Gericht die Klageänderung für sachdienlich hält (vgl. statt vieler Germelmann § 67 ArbGG Rn. 6; BAG 11.04.2006 – 9 AZN 892/05).

Sachdienlichkeit ist schon deshalb gegeben, weil der Leistungsantrag als der weitergebende Antrag besser zur Klärung des Rechtsstreits beiträgt, als ein bloßer Feststellungsantrag. Dahinstehen kann dabei, ob ein Feststellungsantrag – wie es das Arbeitsgericht entschieden hat – im vorliegenden Falle unzulässig wäre. Der Kläger hat den Feststellungsantrag nicht erneut gestellt, sondern ist zum Leistungsantrag übergegangen.

Unabhängig davon aber stellt der Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage eine Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO dar (vgl. z. B. BGH 12.05.1992 – VI ZR 118/91).

II. Auch die Bezifferung mit einem Mindestbetrag ist im vorliegenden Fall zulässig. Der Kläger erstrebt – weil er die Stufenklage nur hilfsweise stellt – zwar ersichtlich nicht von vornherein nur eine stufenweise Erledigung. Jedoch kann auch eine bezifferte Teilklage mit einer unbezifferten Stufenklage verbunden werden (vgl. statt vieler Zöller/Greger § 254 ZPO Rn. 3).

III. Der Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage steht auch der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen. Der Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage ist nicht nur eine Klageerweiterung gemäß § 264 Nr. 2 ZPO, wenn sich der neue Antrag auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht – was hier gegeben ist -, vielmehr wird mit dem Übergang zur Leistungsklage nach Abweisung einer auf dasselbe Rechtsverhältnis gestützten Feststellungsklage zugleich die Beseitigung der mit dieser Abweisung geschaffenen Beschwer erstrebt (BGH 08.06.1994 – VIII ZR 178/91).

B. Die Klageanforderung ist jedoch unbegründet. Alle Ansprüche des Klägers, die mit der Klage verfolgt werden, sind aufgrund der Ausschlussfrist in § 23 Abs. 1 S. 1 AVR verfallen.

Sowohl über die Leistungsklage als auch über die hilfsweise Stufenklage konnte daher sogleich durch Endurteil entschieden werden, weil dem Hauptanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehlt (vgl. Zöller/Greger § 254 ZPO Rn. 9 mit weiteren Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).

§ 23 Abs. 1 S. 1 AVR lautet wie folgt:

„Ansprüche aus dem Dienstverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Mitarbeiter oder vom Dienstgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit die AVR nichts anderes bestimmen.“

I. § 23 Abs. 1 S. 1 AVR ist Inhalt des Arbeitsvertrags geworden. Dieser regelt nämlich in § 2, dass für das Dienstverhältnis die AVR in ihrer jeweiligen Fassung gelten (Bl. 8 d. A.). Gegen diese Verweisung bestehen unter dem Gesichtspunkt der AGB-Kontrolle keine Bedenken (vgl. zu den AVR des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland: BAG 09.08.2011 – 9 AZR 475/10). Auch gegen die Wirksamkeit der Ausschlussklausel als solcher bestehen insoweit keine Bedenken. Sie enthält eine Ausschlussfrist von sechs Monaten, die auch in einzelvertraglichen AGB wirksam ist (vgl. z. B. BAG 28.09.2005 – 5 AZR 52/05).

II. Alle Ansprüche waren spätestens im Mai 2012 fällig, sodass die Ausschlussfrist grundsätzlich noch im Jahre 2012 ablief. Der Kläger hat aber frühestens im Jahre 2014 seine Ansprüche geltend gemacht (dazu noch unten).

III. Dem Ablauf der Ausschlussfrist im Jahre 2012 steht nicht entgegen, dass der Kläger bis zum 29.04.2012 nach seinem Vortrag psychisch schwer erkrankt war. Selbst wenn ein Fall der „höheren Gewalt“ im Sinne des § 206 BGB vorläge und selbst wenn § 206 BGB auf Ausschlussfristen entsprechend anzuwenden wäre (vgl. dazu BAG 09.08.2011 – 9 AZR 352/10), gilt diese Hemmung nur „solange der Berechtigte durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert war“.

Der Kläger hatte aber unstreitig am 30.04.2012 seine Arbeit wieder aufgenommen und war über viele Monate, lediglich unterbrochen von meist sehr kurzen krankheitsbedingten Fehlzeiten ab da wieder voll arbeitsfähig und dementsprechend auch bei der Beklagten im Einsatz (so der unbestrittene Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 21.04.2015, Bl. 52 d. A.). Dafür, dass der Kläger seit dem 30.04.2012 im Sinne „höherer Gewalt“ aus Gründen der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung nicht in der Lage gewesen wäre, seine Ansprüche geltend zu machen, ist vom Kläger nichts vorgetragen. Der Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 20. März 2015 bezieht sich nur auf die Erkrankung ab dem 02.10.2010. Diese war nach seinem eigenen Vortrag am 29.04.2012 beendet.

IV. Das Berufen der Beklagten auf die Ausschlussfrist ist auch nicht rechtsmissbräuchlich.

1. Rechtsmissbräuchlichkeit des Berufens auf Ausschlussfristen hat das Bundesarbeitsgericht mehrfach beschäftigt (vgl. BAG 11.02.1988 – 6 AZR 614/84; 22.01.1997 – 10 AZR 459/96; 08.12.2011 – 6 AZR 397/10).

a) Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.01.1997 betraf einen Fall, in dem sich der Kläger darauf berief, durch eine unzutreffende Auskunft des Arbeitgebers davon abgehalten worden zu sein, einen Anspruch auf eine Zulage rechtzeitig geltend zu machen. Dazu heißt es in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts wie folgt:

„Durch die unzutreffende Auskunft über den Anspruch auf eine Intensivpflegezulage hat die Beklagte den Kläger nicht an der Geltendmachung seines Anspruchs in irgendeiner Art gehindert. Von einem Arbeitnehmer muss verlangt werden, dass er sich hinsichtlich der Rechtslage über die Berechtigung eines vermeintlichen Anspruchs selbst informiert. Denn eine Unkenntnis über die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen eines tariflichen Anspruchs bzw. dessen Verfall aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist sind rechtlich unbeachtlich ( … ).“ „Davon ausgehend hätte es dem Kläger jederzeit freigestanden, seine Ansprüche auf eine Intensivpflegezulage schriftlich geltend zu machen, wenn er den Anspruch für berechtigt angesehen hätte. Nachdem die Beklagte das Bestehen eines solchen Anspruchs verneint hatte, war der Kläger geradezu aufgefordert, die Ansprüche frist- und formgerecht geltend zu machen, wenn er seine Rechte für die Zukunft gewahrt wissen wollte. Der Kläger konnte bei der für die hinsichtlich der Erfüllung seines Anspruchs ungünstigen Rechtsauskunft der Beklagten nicht darauf vertrauen, dass deren Rechtsstandpunkt auch zutreffend ist. Wenn er gleichwohl der ungünstigen Auskunft der Beklagten glaubte und es unterließ, den Anspruch rechtzeitig und formgerecht geltend zu machen, so ist das sein Risiko und kann nicht zu Lasten der Beklagten gehen.“ (Rn. 18).“

Das Bundesarbeitsgericht nimmt hier eine Abgrenzung der Risikosphären zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor: Es ist Sache des Arbeitnehmers, dass er sich hinsichtlich der Rechtslage über die Berechtigung eines vermeintlichen Anspruchs selbst informiert. Eine Unkenntnis über die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen eines tariflichen Anspruchs bzw. dessen Verfall aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist sind rechtlich unbeachtlich. Selbst dann, wenn der Arbeitgeber eine unzutreffende Auskunft über die Rechtslage hinsichtlich eines Anspruchs des Arbeitnehmers gibt, kann der Arbeitgeber sich nicht auf unzulässige Rechtsausübung berufen.

b) Diese Risikoabgrenzung liegt auch schon früherer Rechtsprechung des BAG zugrunde (vgl. 11.02.1988 a.a.O. m.w.N.). In dieser Entscheidung von 1988 verweist das Bundesarbeitsgericht in einem ähnlichen Zusammenhang (Nichtvorlage eines Antragsformulars, weil die Sachbearbeiterin die Auffassung vertrat, dass überhaupt kein Anspruch bestehe) darauf hin, dass sich grundsätzlich jedermann über seine Rechte und Befugnisse Gewissheit verschaffen müsse und die Berufung auf die Ausschlussfrist deshalb nur „ausnahmsweise in besonders krassen Fällen“ rechtsmissbräuchlich sein könne. Dazu heißt es: „Eine andere Bewertung würde dem Sinne und Zweck der tariflichen Ausschlussfrist zuwiderlaufen“.

2. a) Aus der zitierten Rechtsprechung ergibt sich schon, dass es nicht relevant ist, dass der Kläger vorträgt, mangels vorangegangener Langzeiterkrankungen sei ihm nicht bekannt gewesen, dass nach den Bestimmungen der AVR die Beklagte verpflichtet sei, nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums einen Krankengeldzuschuss zu zahlen.

b) Ebenso wenig hätte es nach dieser Rechtsprechung der Beklagten oblegen, den Kläger auf eine eventuelle Mitwirkungspflicht oder einen ansonsten drohenden Anspruchsverlust rechtzeitig hinzuweisen – wie der Kläger ebenfalls in der Klageschrift meint. Wenn der Arbeitgeber nicht einmal dann durch § 242 BGB daran gehindert ist, sich auf die Ausschlussfrist zu berufen, wenn er dem Arbeitnehmer eine falsche Auskunft gegeben hat, dann erst recht nicht, wenn er ihm keine Auskunft und keinen Hinweis gegeben hat. Davon abgesehen würde die Begründung einer Hinweispflicht des Arbeitgebers aus dem Fürsorgegesichtspunkt gerade dem Sinn und Zweck der tariflichen Ausschlussfrist und der vom Bundesarbeitsgericht vorgenommenen Risikoabgrenzung zuwiderlaufen. Könnte ein Arbeitnehmer sich gegenüber den Ausschlussfristen darauf berufen, der Arbeitgeber habe ihn auf den Anspruch hinweisen müssen, dann kämen die Ausschlussfristen so gut wie nie zum Zuge.

c) Daran ändern auch die Schwere und Langwierigkeit der Erkrankung des Klägers nichts, auf die er sich in diesen Zusammenhang beruft. Der Kläger hat schon nicht behauptet, dass der Beklagten die Diagnose seiner Erkrankung und insbesondere der Grad seiner Erkrankung bekannt gewesen wären. Davon abgesehen aber wäre insoweit die Ausschlussfrist allenfalls in ihrem Ablauf für die Dauer der Krankheit gehemmt gewesen, wäre der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung allenfalls darauf beschränkt, dass der Beklagten verwehrt wäre, sich darauf zu berufen, dass die Ausschlussfrist bereits während der Krankheit des Klägers abgelaufen wäre. Für die Zeit danach gilt das oben zu III. Gesagte.

3. Auch eine vom Kläger so bezeichnete „betriebliche Übung“ der Beklagten, die dahin ginge, dass die Personalsachbearbeiter bei einer Erkrankung über sechs Wochen die Mitarbeiter aufforderten, zur Berechnung des Krankengeldzuschusses Unterlagen beizubringen, nach Vorbringen des Klägers „in der Regel telefonisch“, steht als Einwand der unzulässigen Rechtsausübung dem Berufen der Beklagten auf die Ausschlussfrist nicht entgegen.

Die Beklagte hat eine entsprechende betriebliche Übung bestritten.

a) Selbst wenn Personalsachbearbeiter in solchen Fällen regelmäßig die Mitarbeiter anriefen, wäre keine betriebliche Übung gegeben. Eine betriebliche Übung ist grundsätzlich nichts Anderes als ein konkludentes rechtsgeschäftliches Verhalten. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Arbeitnehmer dem Verhalten des Arbeitgebers einen Verpflichtungswillen entnehmen können (vgl. z. B. BAG 19.05.2005 – 3 AZR 660/03 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 71; 31.07.2007 – 3 AZR 189/06). Selbst wenn Sachbearbeiter in der Vergangenheit langzeiterkrankte Mitarbeiter in der vom Kläger beschriebenen Art angerufen hatten, um entsprechende Unterlagen anzufordern, dann war dieses sowohl für die betroffenen als auch – wenn überhaupt erkennbar – für die übrigen Mitarbeiter nicht in dem Sinne auszulegen, dass die Beklagte sich rechtsgeschäftlich dazu verpflichten wollte, die Mitarbeiter in solchen Fällen immer anrufen zu lassen.

b) Davon abgesehen hat der Kläger auch nur Einzelfälle genannt, die er zeitlich nicht einordnet (den Fall der Frau M S und der Frau A Su ). Solches zweimaliges Handeln (selbst dann, wenn man unterstellt, dass dieses vor der hier streitgegenständlichen Zeit geschah) könnte eine betriebliche Übung ohnehin nicht begründen.

c) Schließlich hat der Kläger – was im Zusammenhang mit seinem Berufen auf unzulässige Rechtsausübung relevant ist – nicht einmal behauptet, dass ihm zum Jahre 2014 diese beiden Fälle bekannt gewesen seien. Mithin ist ohnehin nicht festzustellen, dass dadurch ein irgendwie geartetes Vertrauen des Klägers begründet worden wäre, dass durch das Berufen auf die Ausschlussfrist nicht enttäuscht werden dürfte.

d) Selbst wenn aber ein Vertrauen des Klägers darauf, angerufen zu werden, grundsätzlich schützenswert gewesen wäre, dann wäre dieses jedenfalls seit dem Ablauf des ersten Quartals 2014 nicht mehr kausal für die Nichtgeltendmachung gewesen. Der Kläger trägt selbst vor, im ersten Quartal 2014 wiederum über einen Zeitraum von sechs Wochen hin erkrankt gewesen zu sein. Es habe ihn nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums die nunmehr zuständige Frau Z angerufen und ihn gebeten, den Nachweis über den Krankengeldbezug hereinzugeben, damit der Krankengeldzuschuss fertig gemacht werden könne. Der Kläger trägt vor, durch diesen Anruf erstmals Kenntnis davon erlangt zu haben, dass bei Langzeiterkrankung von der Beklagten ein Krankengeldzuschuss zu zahlen sei. Es ist mithin festzustellen, dass der Kläger jedenfalls ab dem Ablauf des ersten Quartals 2014 nicht mehr in seinem Vertrauen darauf zu schützen war, dass ein solcher Anspruch nicht bestehe.

Es lässt sich aber – auch gerechnet ab dem 01.04.2014 – nicht feststellen, dass der Kläger rechtzeitig die Ansprüche noch geltend gemacht hätte. Eine Geltendmachung lässt sich erstmals mit der Klageschrift feststellen, die am 20. Dezember 2014 beim Gericht eingegangen ist und der Beklagten am 13.01.2015 zugestellt wurde.

Eine Geltendmachung vor diesem Zeitpunkt hat der Kläger nicht dargetan. Er hat lediglich vorgetragen, die Beklagte habe mit Mail vom 6. Mai 2014 seine Ansprüche abgelehnt.

Diese Mail (Bl. 19 d. A.) antwortet auf eine Mail des Klägers vom 3. Mai 2014. Darin heißt es:

„Sehr geehrter Herr M ,

bezugnehmend auf die Telefonate mit Frau Z letzte Woche, bitte ich Sie mir mit zu teilen, was die weitere Recherche von Frau F in der Angelegenheit ergeben hat.

Besten Dank im Voraus

L K „

Zwar reicht zur Wahrung der Ausschlussfrist und des Schriftlichkeitsgebots des § 23 AVR die Einhaltung der Textform des § 126 b BGB. Deshalb genügt eine E-Mail, die den Namen und die Adresse des Ausstellers enthält und den Abschluss der Erklärung durch eine Grußformel und die Wiederholung des Namens eindeutig kenntlich macht, den Erfordernissen des § 126 b BGB (so zu § 70 S. 1 BAT, BAG 07.07.2010 – 4 AZR 549/08).

Es muss sich aber im geschriebenen Text um eine „Geltendmachung“ des Anspruches handeln.

Dazu gilt folgende Rechtsprechung: Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Der Anspruchsgegner soll sich auf die aus Sicht des Anspruchsstellers noch offenen Forderungen einstellen, Beweis sichern oder bei hohen Summen vorsorglich Rücklagen bilden können. Die Geltendmachung einer Forderung im Sinne einer tariflichen Ausschlussfrist verlangt daher, dass die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufgefordert wird (vgl. BAG 20.02.2001 – 9 AZR 46/00). Als unzureichend ist dementsprechend die Aufforderung des Arbeitgebers an den Arbeitgeber beurteilt worden, die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine freiwillige Zulage schriftlich zu begründen und „noch einmal zu überdenken“ (BAG 05.04.1995 – 5 AZR 961/93). Ebenso wenig genügte eine Erklärung des Arbeitnehmers, er behalte sich die Geltendmachung seiner Ansprüche vor oder er bitte „um Prüfung“ seiner Eingruppierung (vgl. BAG 20.02.2001 a.a.O. m.w.N.). Für die Geltendmachung genügt nur eine Erklärung einer Partei, mit der klargestellt wird, sie stelle der Gegenseite einen näher bestimmten Anspruch (BAG a.a.O.). Die Geltendmachung verlangt zwar keine Substantiierung, aber eine Spezifizierung des Anspruchs (BAG 11.12.2003 -6 AZR 539/02).

Es bestehen schon erhebliche Bedenken, ob allein der Betreff „Krankengeldzuschuss AVR“ ausreicht, um die – schriftlich erforderliche – Spezifizierung des Anspruchs zu bewirken. Jedenfalls aber enthält der Text nicht die Aussage, an die Beklagte einen bestimmten Anspruch zu stellen. Es wird ähnlich der oben zitierten Prüfbitte lediglich um Mitteilung gebeten, was „die weitere Recherche … in der Angelegenheit ergeben hat.“ Das ist noch weniger als ein Vorbehalt der späteren Geltendmachung. Diese Mail erfüllt mithin die Anforderungen an § 23 AVR nicht.

Gerechnet ab dem 1. April 2014, dem Datum, bis zu dem nach dem Vorausgesagten der Ablauf der Ausschlussfrist maximal gehemmt worden sein könnte, sind mithin wiederum mehr als sechs Monate verstrichen, bevor die Forderung des Klägers im Sinne des § 23 AVR mit der Klageschrift geltend gemacht wurde.

V. Unter Berufung auf die angebliche betriebliche Übung hat der Kläger schließlich mit Schriftsatz vom 20. März 2015 Ansprüche auch auf positive Vertragsverletzung gestützt. Die Beklagte habe die ihr nach dem Dienstvertrag obliegende „Treue-, Hinweis- und Fürsorgepflicht“ gegenüber dem Kläger verletzt und sich dadurch schadensersatzpflichtig gemacht (Bl. 40 d. A.).

Wie bereits oben dargestellt, hatte die Beklagte keine entsprechende Hinweispflicht. Eine solche ist auch nicht aus einer „betrieblichen Übung“ entstanden.

Selbst wenn aber eine solche Hinweispflicht bestanden hätte, dann hätte ihre Nichterfüllung – wie oben dargestellt – allenfalls bis zum ersten Quartal 2014 den Kläger von der Wahrung der Ausschlussfrist abgehalten, wäre also eine entsprechende Pflichtverletzung nur bis dahin kausal für den Rechtsverlust gewesen. Der Kläger hat aber – wie ebenfalls dargestellt – nach dem 30. März 2014 bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung weder Erfüllungsansprüche noch Schadensersatzansprüche in der Form des § 23 AVR geltend gemacht.

C. Da mithin feststeht, dass dem Kläger weder der geltend gemachte Krankengeldzuschuss im Zeitraum vom 13.01.2012 bis zum 13.07.2012 noch Anspruch auf Zahlung des Umlagesatzes nach §§ 62 und 63 der Satzung der Zusatzversorgungskasse auf diesen Krankengeldzuschuss noch die Jahressonderzahlung für 2011 noch der Urlaubsaufschlag und das Urlaubsgeld für den Zeitraum vom 29.04.2012 bis zum 08.06.2012 zustanden, weil sämtliche Ansprüche nicht nach § 23 AVR rechtzeitig geltend gemacht wurden, war auch die hilfsweise mit der Berufung konkretisierte Stufenklage insgesamt abzuweisen (vgl. dazu statt vieler Zöller/Greger § 254 ZPO Rn. 9 mit Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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