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Ausspruch Abmahnung – konkludenter Verzicht auf das Recht zur Kündigung

Lehrerin gewinnt Kündigungsschutzprozess: Abmahnung wegen Beleidigung reicht nicht für Kündigung aus, wenn der Arbeitgeber im Anschluss weiter vertrauensvoll mit der Arbeitnehmerin zusammenarbeitet. Widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers führt zum Verlust des Kündigungsrechts.

Die Kündigung einer Lehrerin wegen Beleidigung wurde für unwirksam erklärt, da der Arbeitgeber nach der Abmahnung durch sein Verhalten konkludent auf das Kündigungsrecht verzichtet hatte. Das Gericht betonte, dass ein solches widersprüchliches Verhalten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Die Klägerin, eine Lehrerin, wurde trotz Abmahnung weiterhin beschäftigt und nicht erneut abgemahnt.
  • Der Arbeitgeber war sich des Fehlverhaltens bewusst, hat jedoch keine zusätzliche Abmahnung ausgesprochen.
  • Das Gericht musste die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung prüfen und klären, ob der Arbeitgeber auf das Kündigungsrecht verzichtete.
  • Das Gericht entschied, dass die Kündigung unwirksam sei, da der Arbeitgeber durch weiteres Beschäftigen der Klägerin konkludent auf das Kündigungsrecht verzichtet habe.
  • Der Verzicht auf erneute Abmahnung trotz Kenntnis des Fehlverhaltens wurde als stillschweigender Verzicht auf das Kündigungsrecht gewertet.
  • Die Entscheidung des Gerichts führt dazu, dass Arbeitnehmer bei ähnlichem Verhalten des Arbeitgebers auf eine Unwirksamkeit der Kündigung hoffen können.
  • Die weitere Beschäftigung ohne zusätzliche Abmahnung kann als Zustimmung zur Fortführung des Arbeitsverhältnisses interpretiert werden.

Arbeitgeber verzichtet durch Weiterbeschäftigung auf Kündigungsrecht nach Abmahnung

Die Abmahnung ist ein wichtiges Instrument im Arbeitsrecht, um einen Arbeitnehmer auf ein Fehlverhalten hinzuweisen und ihm die Möglichkeit zur Besserung zu geben. Im Falle wiederholten Fehlverhaltens kann die Abmahnung sogar die Grundlage für eine verhaltensbedingte Kündigung sein. Doch es gibt Situationen, in denen der Arbeitgeber durch sein Verhalten konkludent, also stillschweigend, auf sein Recht zur Kündigung verzichtet.

Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Arbeitgeber trotz Kenntnis des Fehlverhaltens den Arbeitnehmer weiterbeschäftigt und ihm gleichzeitig keine weitere Abmahnung ausspricht. Gerne erläutern wir Ihnen im Folgenden einen interessanten Fall, der vor Gericht verhandelt wurde und genau diese Thematik beleuchtet.

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Der Fall vor Gericht


Abmahnung und Kündigung: Arbeitgeber verzichtet durch Verhalten auf Kündigungsrecht

In dem vorliegenden Fall streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Klägerin ist seit August 1998 als Lehrerin bei dem beklagten Trägerverein einer Waldorfschule beschäftigt.

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2020 erteilte der Geschäftsführer des Beklagten der Klägerin eine Abmahnung wegen Beleidigung von Vorstandsmitgliedern und Kollegen. Trotz der Abmahnung setzte der Geschäftsführer die Klägerin weiterhin als Klassenlehrerin ein und besprach mit ihr die Übernahme einer 1. Klasse im Schuljahr 2021/22.

Am 22. Dezember 2020 ordnete der Geschäftsführer eine sofortige Freistellung der Klägerin unter Fortzahlung der Vergütung an. Mit Schreiben vom 19. Januar 2021 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 2021. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Kündigungsschutzklage.

Gericht gibt der Kündigungsschutzklage der Klägerin statt

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben der Kündigungsschutzklage der Klägerin statt. Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei, da der Beklagte durch sein Verhalten nach Ausspruch der Abmahnung konkludent auf das Recht zur Kündigung aus diesem Grund verzichtet habe.

Das Gericht führte aus, dass die Abmahnung das Arbeitsverhältnis in seinem Bestand nicht gefährdet habe, da der Geschäftsführer des Beklagten die Klägerin trotz Kenntnis der abgemahnten Pflichtverletzungen als Klassenlehrerin eingesetzt und mit ihr die Übernahme einer neuen Klasse besprochen habe. Dieses Verhalten sei als konkludenter Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den Gründen der erteilten Abmahnung zu werten.

Wichtige Aspekte für das Gericht

Für das Gericht war entscheidend, dass der Geschäftsführer trotz Kenntnis der abgemahnten Pflichtverletzungen weiterhin vertrauensvoll mit der Klägerin zusammengearbeitet und ihr sogar neue Aufgaben übertragen hatte. Durch dieses widersprüchliche Verhalten habe der Beklagte zu erkennen gegeben, dass er die Pflichtverletzungen nicht als so schwerwiegend ansehe, dass sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würden.

Das Gericht betonte, dass ein Arbeitgeber, der eine Abmahnung erteilt, aber danach durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er die abgemahnte Pflichtverletzung nicht (mehr) als kündigungsrelevant ansieht, sein Kündigungsrecht aus diesem Grund verliert. Ein solch widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers ist mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar und führt zum Verlust des Kündigungsrechts.

Die Schlüsselerkenntnisse


Das Urteil zeigt, dass ein Arbeitgeber durch widersprüchliches Verhalten nach einer Abmahnung konkludent auf sein Kündigungsrecht verzichten kann. Setzt er den abgemahnten Arbeitnehmer weiterhin vertrauensvoll ein, gibt er zu erkennen, dass er den Pflichtverstoß nicht als kündigungsrelevant ansieht. Ein solches Verhalten widerspricht Treu und Glauben und führt zum Verlust des Kündigungsrechts aus den Gründen der Abmahnung. Arbeitgeber sollten nach einer Abmahnung konsequent handeln, um ihr Kündigungsrecht zu wahren.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Arbeitnehmer: Haben Sie eine Abmahnung erhalten, aber Ihr Arbeitgeber verhält sich danach so, als wäre nichts geschehen? Er beschäftigt Sie weiter, überträgt Ihnen sogar neue Aufgaben oder lobt Ihre Arbeit? Dann könnte das Urteil für Sie bedeuten, dass Ihr Arbeitgeber stillschweigend auf sein Kündigungsrecht verzichtet hat. Das heißt, er kann Ihnen nicht mehr wegen des abgemahnten Verhaltens kündigen.

Arbeitgeber: Als Arbeitgeber sollten Sie nach einer Abmahnung genau überlegen, wie Sie sich gegenüber dem Arbeitnehmer verhalten. Wenn Sie ihm weiterhin vertrauen und ihn wie zuvor behandeln, könnte dies als Verzicht auf Ihr Kündigungsrecht gewertet werden. Seien Sie sich bewusst, dass widersprüchliches Verhalten rechtliche Konsequenzen haben kann.

Wichtig: Jeder Fall ist individuell. Ob ein konkludenter Verzicht auf das Kündigungsrecht vorliegt, hängt von den konkreten Umständen ab. Wenn Sie unsicher sind, holen Sie sich rechtlichen Rat, um Ihre Rechte zu wahren.


FAQ – Häufige Fragen

Abmahnung und Kündigungsrecht – Themen, die im Arbeitsleben oft für Verunsicherung sorgen. In unserer FAQ-Rubrik beantworten wir Ihre wichtigsten Fragen rund um diese Rechtsgebiete und geben Ihnen wertvolle Tipps für den Umgang mit kniffligen Situationen.


Was ist eine Abmahnung und welche Funktion hat sie?

Eine Abmahnung ist ein rechtliches Instrument im Arbeitsrecht, das dem Arbeitgeber ermöglicht, auf Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers hinzuweisen und gleichzeitig eine Warnung auszusprechen. Sie dient dazu, den Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten aufmerksam zu machen und ihm die Gelegenheit zu geben, sein Verhalten zu korrigieren, bevor weitergehende arbeitsrechtliche Maßnahmen, wie eine Kündigung, ergriffen werden.

Die Abmahnung hat mehrere Funktionen. Erstens stellt sie eine Rüge dar, die das Fehlverhalten des Arbeitnehmers konkret benennt. Zweitens enthält sie eine Warnung, dass im Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen, bis hin zur Kündigung. Drittens bietet sie dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Verhaltensänderung, indem sie ihm klar macht, welches Verhalten erwartet wird.

Ein Beispiel für eine Abmahnung könnte folgendermaßen aussehen: Ein Arbeitnehmer kommt wiederholt zu spät zur Arbeit. Der Arbeitgeber weist ihn schriftlich darauf hin, dass das pünktliche Erscheinen eine vertragliche Pflicht ist und dass bei weiteren Verspätungen eine Kündigung droht. Diese schriftliche Mitteilung ist die Abmahnung.

Im Zusammenhang mit der Abmahnung ist der Begriff des konkludenten Verzichts auf das Recht zur Kündigung von Bedeutung. Wenn ein Arbeitgeber trotz Kenntnis eines Fehlverhaltens über einen längeren Zeitraum keine Abmahnung ausspricht, kann dies als stillschweigender Verzicht auf das Recht zur Kündigung interpretiert werden. Der Arbeitgeber signalisiert durch sein Verhalten, dass er das Fehlverhalten duldet und keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen ziehen wird. Dies kann die Durchsetzbarkeit einer späteren Kündigung erschweren.

Die Abmahnung muss bestimmte formale Anforderungen erfüllen, um wirksam zu sein. Sie muss das Fehlverhalten des Arbeitnehmers genau beschreiben, die verletzte Pflicht benennen und die Konsequenzen im Wiederholungsfall klar darstellen. Eine mündliche Abmahnung ist grundsätzlich möglich, jedoch ist eine schriftliche Form aus Beweisgründen vorzuziehen.

Die Abmahnung ist ein zentrales Element des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Arbeitsrecht. Bevor eine Kündigung ausgesprochen wird, muss der Arbeitgeber in der Regel zunächst eine Abmahnung aussprechen, um dem Arbeitnehmer die Chance zur Besserung zu geben. Nur bei besonders schweren Pflichtverletzungen kann eine Abmahnung entbehrlich sein und eine fristlose Kündigung direkt erfolgen.

Durch die Abmahnung wird das Arbeitsverhältnis nicht nur belastet, sondern auch die Grundlage für eine mögliche spätere Kündigung geschaffen. Sie dokumentiert das Fehlverhalten und die Reaktion des Arbeitgebers darauf, was im Falle eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens von Bedeutung sein kann.

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Kann eine Abmahnung im Nachhinein durch das Verhalten des Arbeitgebers ihre Wirkung verlieren?

Eine Abmahnung kann ihre Wirkung verlieren, wenn der Arbeitgeber durch sein Verhalten den Eindruck erweckt, dass er auf das Recht zur Kündigung aus den in der Abmahnung gerügten Gründen verzichtet. Dies wird als konkludenter Verzicht bezeichnet. Ein solcher Verzicht kann beispielsweise vorliegen, wenn der Arbeitgeber nach der Abmahnung über einen längeren Zeitraum hinweg keine weiteren Maßnahmen ergreift und das Verhalten des Arbeitnehmers duldet.

Ein konkludenter Verzicht auf das Kündigungsrecht kann auch durch widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers entstehen. Wenn der Arbeitgeber nach einer Abmahnung dem Arbeitnehmer signalisiert, dass er das gerügte Verhalten nicht mehr als schwerwiegend ansieht, kann dies als Verzicht auf das Kündigungsrecht interpretiert werden. Ein Beispiel hierfür wäre, wenn der Arbeitgeber trotz einer Abmahnung wegen wiederholter Verspätungen den Arbeitnehmer weiterhin ohne Beanstandungen beschäftigt und keine weiteren Abmahnungen ausspricht.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat klargestellt, dass eine Abmahnung ihre Warnfunktion verliert, wenn der Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum hinweg seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. In einem solchen Fall kann der Arbeitgeber nicht ohne Weiteres auf die ursprüngliche Abmahnung zurückgreifen, um eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Stattdessen muss der Arbeitgeber bei erneutem Fehlverhalten eine neue Abmahnung aussprechen, bevor er eine Kündigung in Betracht ziehen kann.

Ein weiteres Beispiel für den konkludenten Verzicht ist, wenn der Arbeitgeber nach einer Abmahnung dem Arbeitnehmer eine Beförderung oder eine Gehaltserhöhung gewährt. Solche positiven Maßnahmen können den Eindruck erwecken, dass der Arbeitgeber das abgemahnte Verhalten nicht mehr als schwerwiegend ansieht und somit auf das Recht zur Kündigung verzichtet.

Es ist wichtig zu beachten, dass der konkludente Verzicht auf das Kündigungsrecht nicht automatisch eintritt. Es bedarf einer genauen Prüfung der Umstände des Einzelfalls, um festzustellen, ob das Verhalten des Arbeitgebers tatsächlich als Verzicht auf das Kündigungsrecht interpretiert werden kann. Die Gerichte entscheiden hier im Einzelfall, ob die Abmahnung ihre Wirkung verloren hat und ob der Arbeitgeber durch sein Verhalten auf das Kündigungsrecht verzichtet hat.

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Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit ein Arbeitgeber nach einer Abmahnung rechtmäßig kündigen kann?

Ein Arbeitgeber kann nach einer Abmahnung rechtmäßig kündigen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Zunächst muss die Abmahnung selbst formell und inhaltlich korrekt sein. Das bedeutet, dass das Fehlverhalten des Arbeitnehmers klar und konkret beschrieben sein muss. Zudem muss die Abmahnung eine deutliche Warnung enthalten, dass im Wiederholungsfall eine Kündigung droht.

Eine Kündigung kann nur dann auf die abgemahnten Gründe gestützt werden, wenn nach der Abmahnung weitere relevante Umstände eintreten oder dem Arbeitgeber nachträglich bekannt werden. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber mit der Abmahnung signalisiert, dass das Arbeitsverhältnis noch nicht so gestört ist, dass es beendet werden muss. Eine Kündigung wegen desselben Fehlverhaltens, das bereits abgemahnt wurde, ist daher nicht zulässig, es sei denn, es kommt zu einer Wiederholung des Fehlverhaltens oder es treten neue, schwerwiegende Pflichtverletzungen auf.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die sogenannte „negative Zukunftsprognose“. Der Arbeitgeber muss nachweisen können, dass aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers keine Besserung zu erwarten ist. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der Arbeitnehmer trotz Abmahnung erneut gegen seine Pflichten verstößt.

Die Kündigung muss zudem verhältnismäßig sein. Das bedeutet, dass sie das letzte Mittel sein muss, um die Vertragsstörung zu beseitigen. Vor einer Kündigung müssen alle milderen Mittel, wie beispielsweise eine erneute Abmahnung oder eine Versetzung, ausgeschöpft sein.

In Ausnahmefällen kann eine Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung erfolgen, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers so schwerwiegend ist, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Beispiele hierfür sind Diebstahl, Gewaltanwendung oder schwerwiegende Vertrauensbrüche.

Die Abmahnung muss dem Arbeitnehmer zugegangen und von ihm zur Kenntnis genommen worden sein. Der Arbeitgeber sollte sich den Erhalt der Abmahnung schriftlich bestätigen lassen, um im Streitfall den Zugang nachweisen zu können.

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Wie verhält sich ein Arbeitnehmer am besten nach dem Erhalt einer Abmahnung?

Nach dem Erhalt einer Abmahnung sollte ein Arbeitnehmer besonnen und strategisch vorgehen, um seine Position im Arbeitsverhältnis zu stärken und mögliche negative Konsequenzen zu vermeiden. Eine Abmahnung ist eine formelle Rüge des Arbeitgebers, die auf ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers hinweist und ihn auffordert, dieses Verhalten zukünftig zu unterlassen. Sie dient auch als Vorstufe zu einer möglichen Kündigung, falls das Fehlverhalten fortgesetzt wird.

Zunächst ist es wichtig, die Abmahnung sorgfältig zu lesen und den Inhalt genau zu verstehen. Dabei sollte geprüft werden, ob die Abmahnung formell korrekt ist und ob die Vorwürfe konkret und nachvollziehbar dargelegt sind. Eine Abmahnung muss das beanstandete Verhalten genau beschreiben, den Zeitpunkt und Ort des Vorfalls nennen und klar machen, welche arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt wurden. Fehlen diese Angaben, kann die Abmahnung unwirksam sein.

Im nächsten Schritt sollte der Arbeitnehmer überlegen, ob die Vorwürfe berechtigt sind. Falls die Abmahnung auf einem Missverständnis oder falschen Tatsachen beruht, kann es sinnvoll sein, das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen, um die Situation zu klären. Dabei sollte sachlich und ruhig argumentiert werden, um Missverständnisse auszuräumen und die eigene Sichtweise darzulegen.

Falls die Vorwürfe zutreffen, ist es ratsam, das beanstandete Verhalten sofort zu ändern und zukünftig die arbeitsvertraglichen Pflichten genau zu beachten. Eine schriftliche Stellungnahme zur Abmahnung kann ebenfalls hilfreich sein. In dieser kann der Arbeitnehmer seine Sicht der Dinge darlegen und gegebenenfalls mildernde Umstände anführen. Diese Stellungnahme sollte in die Personalakte aufgenommen werden, um im Falle weiterer arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen dokumentiert zu sein.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Prüfung der Abmahnung durch einen Rechtsanwalt oder eine Gewerkschaft. Diese können beurteilen, ob die Abmahnung rechtlich haltbar ist und ob es sinnvoll ist, gegen die Abmahnung vorzugehen. In manchen Fällen kann es ratsam sein, eine Gegendarstellung zu verfassen oder die Abmahnung aus der Personalakte entfernen zu lassen, falls sie unberechtigt ist.

Ein konkludenter Verzicht auf das Recht zur Kündigung durch den Arbeitgeber kann durch eine Abmahnung nicht angenommen werden. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber trotz einer Abmahnung weiterhin das Recht hat, bei erneutem Fehlverhalten eine Kündigung auszusprechen. Daher ist es entscheidend, das beanstandete Verhalten nicht zu wiederholen und sich an die arbeitsvertraglichen Pflichten zu halten.

Insgesamt ist es wichtig, nach dem Erhalt einer Abmahnung besonnen und strategisch vorzugehen, um die eigene Position im Arbeitsverhältnis zu stärken und mögliche negative Konsequenzen zu vermeiden.

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Was sollten Sie tun, wenn Sie glauben, dass Ihr Arbeitgeber nach einer Abmahnung auf das Kündigungsrecht verzichtet hat?

Wenn ein Arbeitnehmer glaubt, dass sein Arbeitgeber nach einer Abmahnung auf das Kündigungsrecht verzichtet hat, ist es wichtig, die rechtlichen Schritte und Möglichkeiten zu kennen, um sich gegen eine mögliche unrechtmäßige Kündigung zu wehren.

Zunächst sollte der Arbeitnehmer prüfen, ob der Arbeitgeber durch sein Verhalten tatsächlich auf das Kündigungsrecht verzichtet hat. Ein solcher Verzicht kann konkludent, also durch schlüssiges Verhalten, erfolgen. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber nach der Abmahnung Maßnahmen ergreift, die darauf hindeuten, dass er die Abmahnung nicht mehr als Grundlage für eine Kündigung nutzen möchte. Beispiele hierfür können sein, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach der Abmahnung eine Gehaltserhöhung gewährt oder ihn für besondere Leistungen lobt.

Sollte der Arbeitnehmer zu dem Schluss kommen, dass ein konkludenter Verzicht vorliegt, ist es ratsam, dies schriftlich zu dokumentieren. Hierbei sollten alle relevanten Ereignisse und Verhaltensweisen des Arbeitgebers festgehalten werden, die auf einen Verzicht hindeuten. Diese Dokumentation kann später als Beweismittel dienen.

Im nächsten Schritt sollte der Arbeitnehmer rechtlichen Rat einholen. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht kann die Situation bewerten und die Erfolgsaussichten einer möglichen Klage einschätzen. Der Anwalt kann auch dabei helfen, eine schriftliche Stellungnahme an den Arbeitgeber zu verfassen, in der der konkludente Verzicht auf das Kündigungsrecht dargelegt wird.

Falls der Arbeitgeber dennoch eine Kündigung ausspricht, sollte der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Diese Frist ist zwingend einzuhalten, da die Kündigung sonst als wirksam gilt. In der Klage sollte der Arbeitnehmer darlegen, dass der Arbeitgeber durch sein Verhalten auf das Kündigungsrecht verzichtet hat und die Kündigung daher unwirksam ist.

Es ist auch möglich, dass der Betriebsrat in den Prozess einbezogen wird, sofern ein solcher im Unternehmen existiert. Der Betriebsrat kann den Arbeitnehmer unterstützen und gegebenenfalls eine Stellungnahme abgeben, die den konkludenten Verzicht des Arbeitgebers bestätigt.

Abschließend ist es wichtig, während des gesamten Prozesses alle relevanten Unterlagen und Beweise sorgfältig zu sammeln und aufzubewahren. Dies umfasst E-Mails, schriftliche Mitteilungen, Zeugenaussagen und andere Dokumente, die das Verhalten des Arbeitgebers belegen können.

Durch diese Schritte kann der Arbeitnehmer seine Rechte effektiv verteidigen und sich gegen eine unrechtmäßige Kündigung zur Wehr setzen.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 626 BGB (Kündigung): Dieser Paragraph regelt die Beendigung eines Arbeitsvertrages durch Kündigung. Der Arbeitnehmer kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos kündigen, der Arbeitgeber hat hingegen ein allgemeines Kündigungsrecht, das ihm unter bestimmten Voraussetzungen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlaubt. Im vorliegenden Fall geht es um die Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
  • § 102 Betriebsverfassungsgesetz (Schlichtung): Dieser Paragraph regelt die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern in Betrieben mit einem Betriebsrat. Im vorliegenden Fall wird erwähnt, dass die Parteien sich im Arbeitsvertrag verpflichtet haben, bei Meinungsverschiedenheiten ein Schlichtungsverfahren durchzuführen.
  • § 106 Gewerbeordnung (Geschäftsführer): Dieser Paragraph regelt die Aufgaben und Befugnisse des Geschäftsführers in einem Verein. Im vorliegenden Fall beschäftigt der Verein einen Geschäftsführer zur Abwicklung der Tagesgeschäfte.
  • § 140 BGB (konkludenter Verzicht): Dieser Paragraph regelt den konkludenten Verzicht, d.h. den Verzicht, der nicht ausdrücklich erklärt wird, sondern aus dem Verhalten des Erklärungsempfängers erkennbar ist. Im vorliegenden Fall könnte der Arbeitgeber durch sein Handeln nach der Abmahnung auf das Recht zur Kündigung verzichtet haben.
  • § 613 BGB (Frist): Dieser Paragraph regelt die Kündigungsfristen, die im Arbeitsvertrag oder gesetzlich festgelegt werden. Im vorliegenden Fall geht es um eine ordentliche Kündigung, die einer bestimmten Frist unterliegen muss.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Konkludent: Eine Handlung oder ein Verhalten, das nicht ausdrücklich erklärt wird, aber aus den Umständen eindeutig hervorgeht. Im Kontext des Arbeitsrechts bedeutet dies, dass der Arbeitgeber durch sein Verhalten (z.B. Weiterbeschäftigung nach einer Abmahnung) stillschweigend zu verstehen gibt, dass er auf sein Kündigungsrecht verzichtet.

  • Kündigungsschutzklage: Eine Klage, die ein Arbeitnehmer einreicht, um die Rechtmäßigkeit seiner Kündigung anzufechten. Ziel ist es, festzustellen, ob die Kündigung wirksam ist oder ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht.

  • Ordentliche Kündigung: Eine Kündigung, die unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist erfolgt. Sie kann sowohl vom Arbeitnehmer als auch vom Arbeitgeber ausgesprochen werden.

  • Sozial ungerechtfertigt: Eine Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers oder durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt ist.

  • Treu und Glauben: Ein grundlegender Rechtsbegriff, der besagt, dass sich die Parteien eines Rechtsverhältnisses fair und loyal verhalten müssen. Im Arbeitsrecht bedeutet dies, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ihre Pflichten redlich erfüllen und die berechtigten Interessen der anderen Seite berücksichtigen müssen.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 358/21 – Urteil vom 17.03.2022

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 7. September 2021, Az. 3 Ca 432/21, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, einen Auflösungsantrag des Beklagten und die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin.

Die im Mai 1961 geborene Klägerin ist seit August 1998 als Lehrerin für Deutsch, Philosophie und Geschichte zu einem Monatsgehalt von zuletzt € 3.050,00 brutto bei dem Beklagten beschäftigt. Der Beklagte ist der Trägerverein der Waldorfschule A-Stadt. In dieser Schule sind rund 40 Lehrkräfte beschäftigt. Der Vereinsvorstand des Beklagten besteht aus sechs Mitgliedern. Für die Abwicklung der Tagesgeschäfte setzt der Vorstand einen Geschäftsführer ein. In Ziff. X des Arbeitsvertrags verpflichteten sich die Parteien, bei Meinungsverschiedenheiten vor der Anrufung des zuständigen Arbeitsgerichts ein Schlichtungsverfahren durchzuführen.

Mit Schreiben vom 2.
[…]

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August 2018 (Anlage 12, Bl. 100 d.A.) erteilte der Beklagte der Klägerin eine Abmahnung. Er rügte ihr Verhalten im Rahmen einer Abiturfeier am 15. Juni 2018.

Mit Schreiben vom 3. Juli 2020 (Anlage 14, Bl. 103-104 d.A.) erteilte der Beklagte eine zweite Abmahnung. Er warf der Klägerin vor, dass sie am 23. Juni 2020 im Lehrerzimmer einem Mitglied der Schulführung, U. X., lautstark Mobbing vorgeworfen und im Streit den Raum verlassen habe. Darauffolgende Gesprächsversuche habe sie abgebrochen und ihren Unmut gegenüber X. mit abfälligen Gesten und Äußerungen demonstriert. Ferner habe sie ihre beruflichen E-Mails über einen längeren Zeitraum nicht arbeitstäglich abgerufen und auf Anfragen nicht reagiert, obwohl das Lehrerkollegium mit E-Mail vom 29. April 2020 an die Notwendigkeit erinnert worden sei, in Zeiten der Schulschließung die elektronische Kommunikation sicherzustellen. Ferner habe die Klägerin in einigen Zeugnistexten auf Einschränkungen des regulären Unterrichtsbetriebs durch die Corona-Pandemie verwiesen, obwohl sie in zwei E-Mails angewiesen worden sei, dies zu unterlassen.

Mit Schreiben vom 6. Mai 2021 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 31. Dezember 2021. Die Kündigung wurde vom Geschäftsführer G. Z. und dem Vorstandsmitglied H. Sch. unterzeichnet. Die Klägerin wendet sich mit ihrer am 25. Mai 2021 erhobenen Klage gegen die Kündigung und beantragt ihre vorläufige Weiterbeschäftigung.

Nachdem sich im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht am 21. Juni 2021 keine Einigung erzielen ließ, teilten mehrere Mitglieder der Oberstufenkonferenz dem Vorstand des Beklagten und der Schulführung in einem Schreiben vom 7. Juli 2021 (Anlage 3, Bl. 69-74 d.A.) mit, dass das Verhältnis zwischen ihnen und der Klägerin zerrüttet sei. Sie seien aufgrund der in ihrem Schreiben zusammengetragenen Punkte nicht mehr zur Zusammenarbeit mit der Klägerin bereit. Das Schreiben ist von 14 Lehrkräften unterzeichnet worden, zweimal mit dem Zusatz „i.A.“. Zwei Unterzeichner, die Lehrkräfte X. und W., sind aus anderen Gründen zum Schuljahresende ohnehin ausgeschieden. Anfang Juli 2021 gingen beim Vorstand weitere Stellungnahmen von Lehrern ein, die eine Trennung von der Klägerin als notwendigen und überfälligen Schritt werteten und unterstützen wollten.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch Kündigung des Beklagten vom 6. Mai 2021 mit dem 31. Dezember 2021 endet, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungsgründe beendet wird,

3. den Beklagten zu verurteilen, sie bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Waldorflehrerin für die Fächer Deutsch und Geschichte weiterhin zu beschäftigen,

4. den Auflösungsantrag des Beklagten abzuweisen.

Der Beklagte hat beantragt,

1. die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise, das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 7. September 2021 Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat dem Kündigungsschutz- und dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben sowie den Auflösungsantrag des Beklagten abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 7. September 2021 Bezug genommen.

Der Beklagte hat gegen das am 17. September 2021 zugestellte Urteil mit einem am 30. September 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 17. November 2021 begründet.

Mit Schreiben vom 12. November 2021 (Anlage 1, Bl. 239-242 d.A.) wandten sich 25 Lehrkräfte an den Vorstand des Beklagten und führten aus, sie seien bestürzt und erschrocken, dass die Klägerin vor dem Arbeitsgericht ein Urteil zu ihren Gunsten erwirkt habe. Die Vorstellung, erneut mit der Klägerin zusammenarbeiten zu müssen, sei unerträglich. Diejenigen, die im schulischen Alltag unmittelbar betroffen seien, lehnten eine Zusammenarbeit mit der Klägerin ab, weil das Verhältnis zerrüttet sei. Die nicht unmittelbar betroffenen Lehrkräfte solidarisierten sich mit ihnen und unterstützten das Anliegen mit ihrer Unterschrift. Das Schreiben ist auch vom Vorstandsmitglied H. Sch. unterzeichnet.

Der Beklagte führt zur Begründung seiner Berufung aus, die ordentliche Kündigung vom 6. Mai 2021 sei sozial gerechtfertigt. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm unzumutbar. Dabei seien die besonderen Verhältnisse an Waldorfschulen zu berücksichtigen. Das Verhalten der Klägerin störe die Abläufe erheblich. Die Arbeitsfähigkeit der Oberstufenkonferenz sei erheblich eingeschränkt, wie die weit überwiegende Mehrzahl der Mitglieder berichte. Der vom Arbeitsgericht berücksichtigte Umstand, dass lediglich 12 aktuell beschäftigte Lehrkräfte von insgesamt ca. 40 Arbeitnehmern die Zusammenarbeit mit der Klägerin verweigerten, verfange nicht. Zum einen seien bereits 12 von 40 Arbeitnehmern eine erhebliche Anzahl. Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass 12 von 17 zum Kündigungszeitpunkt in der Oberstufe tätigen Lehrkräfte die weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin verweigert hätten. Ihm sei nicht zumutbar, weitere Vermittlungsangebote zwischen der Klägerin und dem Kollegium zu unternehmen. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Schlichtungsverfahren gemäß Ziff. X des Arbeitsvertrags ein milderes Mittel zur Kündigung darstelle. Die Klägerin habe im Schlichtungsgespräch vom 9. Juni 2021 weitere Schlichtungsversuche für aussichtslos erklärt. Weiterhin sei zu würdigen, dass er bereits 2013 eine Unternehmensberatung durchgeführt habe, die Klägerin habe das Ergebnis ignoriert. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, er könne die Klägerin von der Teilnahme an Konferenz freistellen, gehe fehl. Die Freistellung sei als zeitlich befristete Maßnahme möglich gewesen, auf Dauer sei es für die Qualität und sogar den Erfolg der pädagogischen Arbeit wichtig, dass die Oberstufenkonferenz vertrauensvoll kontinuierlich und intensiv zusammenarbeite. Die dauerhafte Verweigerungshaltung der Klägerin, kollegial und auf Augenhöhe mit ihren Kollegen zusammenzuarbeiten, lasse ihm keine andere Wahl, als das Arbeitsverhältnis zu beenden. Dasselbe gelte für die Verweigerung der Kollegen, mit der Klägerin zusammen zu arbeiten. Jedenfalls mit dem Vorfall vom 27. Januar 2021 gegenüber dem Geschäftsführer G. Y., der auch die Schulsekretärin K. H. in Mitleidenschaft gezogen habe, sei das Maß des Zumutbaren überschritten worden. Die Klägerin zeige sich auch hier im Nachgang nicht einsichtig. Sofern sie geltend mache, dass es sich um einen einmaligen Zwischenfall gehandelt habe, wäre sie dafür darlegungs- und beweisbelastet. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, er hätte der Klägerin eine Therapiemöglichkeit oder Ähnliches verschaffen müssen, gehe fehl. Vielmehr indiziere das Verhalten der Klägerin, dass sie zurzeit nicht arbeitsfähig sei. Die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit wäre von ihr durch die Konsultation von Ärzten zu betreiben. Er habe keine tatsächliche Möglichkeit, das Verhalten der Klägerin medizinisch-psychologisch zu analysieren und eine passende Therapie zu empfehlen. Zudem habe die Klägerin erst im Kündigungsrechtsstreit mitteilen lassen, zu einer Therapie bereit zu sein. Diese Bereitschaft sei als rein taktische Maßnahme zu qualifizieren und helfe insbesondere nicht, entstandene Brüche und die Zerrüttung innerhalb des Kollegiums zu beseitigen. Da er mit zahlreichen Kündigungsandrohung seitens der Lehrkräfte konfrontiert worden sei, seien auch die Voraussetzungen der Druckkündigung gegeben. Er habe abwägen müssen, auf zahlreiche Lehrkräfte zu verzichten oder der Klägerin zu kündigen. Bereits aus betriebswirtschaftlichen Gründen habe das Ergebnis zu Lasten der Klägerin ausfallen müssen. Selbst wenn das Verhalten der Klägerin keinen Kündigungsgrund darstellen sollte, sei dem Auflösungsantrag stattzugeben, weil eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten sei. Die Schreiben der Lehrkräfte vom 7. Juli 2021 und vom 12. November 2021 zeigten, dass sie zu keiner weiteren Zusammenarbeit bereit seien. Vor diesem Hintergrund könne nicht erwartet werden, dass er – durch welche Maßnahmen auch immer – eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb des Kollegiums herstellen könne.

Die Klägerin behandle Mitarbeiter in einer Art und Weise, die für diese unerträglich seien. Sie versuche mit ihrem Gesprächsverhalten, die Lehrerkonferenzen zu dominieren, in dem sie auf ihrem Standpunkt beharre und penetrant zu verhindern versuche, dass ein Tagesordnungspunkt beendet werde, bevor sie ihre Auffassung durchgesetzt habe. Dabei unterbreche sie die anderen Konferenzteilnehmer immer wieder und lasse sie nicht ausreden. Sie habe mehrfach weinend und schreiend Konferenzen verlassen und die Tür hinter sich ins Schloss knallen lassen, wenn es ihr nicht gelungen sei, ihre Auffassung durchzusetzen. Sie demütige die Konferenzleitung und andere Konferenzteilnehmer, in dem sie sich anderen Dinge widme, als den jeweiligen Redebeiträgen zu folgen (zB Lesen oder Blumengießen). Dies geschehe nicht aus Versehen, aus Desinteresse oder Langweile, sondern demonstrativ und deshalb mit der Folge, dass dieses Verhalten als Unwerturteil über die geäußerten Auffassungen oder die jeweils sprechende Person aufgefasst werde und objektiv auch so zu verstehen sei. Die Klägerin versuche insbesondere, weibliche Konferenzteilnehmerinnen einzuschüchtern, indem sie sich vor ihnen aufbaue und sie von oben herab anstarre. Sie habe einzelne Mitarbeiterinnen auch außerhalb der Konferenzen verbal angegriffen und herabwürdigend behandelt, indem sie ihnen lautstark und in Anwesenheit Dritter (insbesondere Schülern) Fehlverhalten vorgeworfen habe. Das entsprechende Verhalten sei besonders intensiv von den Schulleitern festgestellt worden. Das Arbeitsgericht hätte seinen erstinstanzlichen Beweisangeboten nachgehen müssen. Er habe Zeugenbeweis dafür angeboten, dass die Klägerin die oben dargestellten verbalen und körperlich übergriffigen Verhaltensweisen gezeigt, Mitglieder des Kollegiums diese Verhaltensweisen inkriminiert und sich dadurch eingeschüchtert, verunsichert und in ihrem sozialen Geltungsanspruch innerhalb des Kollegiums und in der Schulgemeinschaft herabgesetzt gefühlt, dies zu einem Klima der Angst und Resignation vor dem Verhalten der Klägerin geführt habe. Das Arbeitsgericht hätte die Zeugen vernehmen müssen, um sich ein Bild zu machen.

Die Klägerin habe auch außerhalb der Konferenzen Mitarbeiter wiederholt unsachlich kritisiert und herabwürdigend behandelt. Dies könne die ehemalige Schulsekretärin H. bestätigen, die mehrfach Zeugin dieser Verhaltensweisen im Schulbüro und anderswo geworden sei. Der Schulsekretärin sei von zahlreichen Lehrkräften erklärt worden, dass sie die Schule verlassen, wenn die Klägerin weiterbeschäftigt werden sollte. Im Einzelnen, aber lediglich exemplarisch für zahlreiche weitere Vorfälle, sei ausgeführt, dass sich die Klägerin im Jahr 2018 mehrfach abwertend über die junge Kollegin St. geäußert habe, die er langfristig an die Schule habe binden wollen. Am 29. Mai 2018 sei eine Schulführungssitzung mit der Klägerin eskaliert, die daraufhin die Sitzung vorzeitig verlassen habe. Die Eskalation sei in dem provozierenden und rechthaberischen Verhalten der Klägerin begründet gewesen. Im Juni 2018 habe die Klägerin öffentlich Schüler bloßgestellt, indem sie Einser-Abiturienten bei Bekanntgabe der Noten einen Schritt habe vortreten lassen, was zur Beschämung sowohl der besseren als auch der schlechteren Schüler geführt habe. Den schlechteren sei sie mit respektloser Sprache und weiteren Bloßstellungen begegnet. Am 15. Juni 2018 habe sie im Rahmen der Abiturfeier erneut Schüler wegen ihrer Noten bloßgestellt; dies habe zu zahlreichen Beschwerden von Eltern, Schülern und Kollegen geführt. Am 20. August 2019 hätten zwei Lehrkräfte ihren Weggang von der Schule bekannt gegeben, den sie mit den dauernden, von der Klägerin ausgelösten Konflikten begründet hätten. Am 11. Februar 2020 sei es zu einer weiteren Eskalation innerhalb des Kollegiums gekommen, weil sich die Klägerin entgegen der geübten Praxis dauerhaft geweigert habe, Vertretungsstunden zu halten, zu denen sie verpflichtet gewesen sei. Dies sei als unkollegial wahrgenommen worden und habe den Betriebsfrieden beeinträchtigt. Am 13. März 2020 habe die Klägerin die Mitglieder der Schulführung öffentlich beleidigt, indem sie ihnen gegenüber geäußert habe: „Ihr seid doch alle bescheuert!“. Dies habe zu einer schriftlichen Ermahnung vom 17. April 2020 geführt. Am 30. Juni 2020 habe die Klägerin dem Schüler R. mitgeteilt, dass er nicht zum Abitur zugelassen sei. Die Mitteilung sei spät und besonders empathielos erfolgt. Über die Art und Weise des Vorgehens sei die Familie des Schülers entsetzt gewesen und habe ihre weiteren Kinder von der Schule abgemeldet. Am 25. Januar 2021 sei es hinsichtlich der Versetzung der Schülerin T. zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen der Klägerin und der Oberstufenkonferenz gekommen, die eskaliert sei. In einem nachbereitenden Gespräch mit dem Geschäftsführer Y. sei die Klägerin in Rage geraten und so laut geworden, dass sie der Geschäftsführer des Büros verwiesen habe.

Am 27. Januar 2021 sei es zu folgendem Vorfall gekommen: Es sei ursprünglich abgesprochen worden, dass der Geschäftsführer um die Mittagszeit zur Verfügung stehe, um die an diesem Tag einzureichenden Abitur-Prüfungsaufgaben zu unterzeichnen. Aufgrund einer kurzfristigen Terminsänderung habe er jedoch nur bis maximal 12:00 Uhr Zeit gehabt, so dass er für die Zeit danach ein anderes Mitglied der Schulleitung mit der Unterschrift beauftragt habe. Die Schulsekretärin H. habe die Klägerin von dieser Änderung telefonisch unterrichtet. Die Klägerin sei darüber so außer sich geraten, dass sie am Telefon geschrien habe. Die Schulsekretärin habe deshalb den Geschäftsführer persönlich ans Telefon gebeten. Dieser habe sich die Gründe für den Unmut erläutern lassen. Die Klägerin habe ihre Angst davor geschildert, dass die Prüfungsaufgaben besonders kritisch begutachtet werden könnten, wenn das Einreichungsformular, anders als in den Vorjahren, nicht vom Geschäftsführer unterschrieben sei. Als der Geschäftsführer zu erkennen gegeben habe, dass er sich diesen Bedenken nicht anschließe und an seiner geänderten Agenda für diesen Tag festhalten wolle, habe sich die Klägerin zunächst mit erhobener Stimme, dabei aber immer lauter werdend, derartig in ihre Wut hineingesteigert, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen sei, sich zu artikulieren. Sie habe unartikuliert geschrien und getobt. Sie sei weder zu beruhigen gewesen noch habe sie mit anderen Mitteln in ihrem anfallartigen Vortrag unterbrochen werden können. Die Schulsekretärin und ein Verwaltungsmitarbeiter, die sich während des Telefonats im selben Büro aufgehalten haben, könnten bezeugen, dass die Klägerin immer lauter geworden sei, den Geschäftsführer mit Vorwürfen überzogen und angebrüllt habe. Die Zeugen seien schockiert und erschüttert gewesen. Die Schulsekretärin habe befürchtet, dass die Klägerin nach Beendigung des Gesprächs im Schulbüro auftauchen und das Verhalten fortsetzen werde, also Schreien, Brüllen und Toben. Die Schulsekretärin habe der ersatzweise für die Unterschrift beauftragten Schulleiterin Z. erklärt, dass sie einen Notarzt benötigen werde, wenn die Klägerin erscheinen sollte, weil sie befürchtet habe, einen konfrontativen Auftritt nicht aushalten zu können. Die Klägerin habe erstinstanzlich zugestanden, in diesem Gespräch „lauter“ geworden zu sein. Dies zeuge zwar von Unrechtsbewusstsein, treffe die Sache aber nicht annähernd. Die Schulsekretärin sei durch das Verhalten der Klägerin traumatisiert und belastet gewesen. Insbesondere habe sie aufgrund der langjährigen Erfahrung befürchtet, dass sich das Verhalten der Klägerin jederzeit und ohne nachvollziehbaren Anlass wiederholen könnte. Aus diesem Grund sei sie zum Schuljahresende 2020/2021 in den vorgezogenen Ruhestand getreten.

Die oben dargestellten Verhaltensweisen der Klägerin hätten zu einer zunehmenden Zerrüttung des Verhältnisses zwischen ihr und dem weit überwiegenden Teil des Lehrerkollegiums sowie zwischen den Parteien geführt. Ausdruck der Zerrüttung sei der Brief vom 7. Juli 2021 von 14 Lehrkräften an den Vorstand, in dem diese die weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin verweigerten. Sie beschrieben in dem Brief bestimmte Verhaltensweisen der Klägerin und die insgesamt belastete Atmosphäre. Es werde insbesondere ausgeführt, dass die Oberstufenkonferenz aufgrund des Verhaltens der Klägerin teilweise handlungsunfähig sei. Es sei zu beachten, dass im Unterzeichnerkreis 14 der zum damaligen Zeitpunkt 17 regulären Lehrkräfte der Oberstufenkonferenz vertreten seien. Die Klägerin habe in ihrem beruflichen Alltag nahezu ausschließlich mit diesen Lehrkräften zu tun, weil sie die Klassen 9 bis 13 unterrichte. Nachdem die Klägerin im Anschluss an das erstinstanzliche Urteil angekündigt habe, ihren Weiterbeschäftigungsanspruch durchzusetzen, sei es zu spontanen Unmutsbekundungen einer Vielzahl von Lehrkräften sowie zu dem weiteren Brief vom 12. November 2021 gekommen.

Die Klägerin habe erstinstanzlich erstmals ihre Bereitschaft erkennen lassen, sich aufgrund des dargestellten Verhaltens einer Therapie zu unterziehen. Dies bedeute, dass sie mittlerweile ein therapiebedürftiges Verhalten erkannt habe. Somit könne als unstrittig gelten, dass sich die Klägerin gegenüber Mitarbeitern übergriffig verhalte. Zuvor habe sie jegliche Kritik an ihrem Verhalten zurückgewiesen, geschweige denn, die Notwendigkeit einer Verhaltenskorrektur anerkannt. Er habe der Klägerin mehrfach Angebote gemacht, eine Annäherung zwischen ihr und dem Rest des Kollegiums herbeizuführen. Ferner habe er zahlreiche Versuche unternommen, die Klägerin auf die Unzumutbarkeit ihres Verhaltens hinzuweisen und eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Dies sei zum einen durch externe Begleitung durch den anthroposophischen Unternehmensberater und Coach U. in den Jahren 2012/2013 geschehen, weiterhin im Wege einer Mediation durch die Mediatorin V. in den Jahren 2018/2019. Darüber hinaus hätten Vorstand, Geschäftsführung und Schulleitung unzählige Gespräche mit der Klägerin geführt. Sie sei jedoch uneinsichtig gewesen, habe ihre Kritiker beleidigt und sich den Gesprächen entzogen. Dies habe bei ihm zu der Einsicht geführt, dass weitere Maßnahmen von vornherein zum Scheitern verurteilt seien. Insbesondere seien folgende Gespräche zu erwähnen: Am 22. Juni 2018 sei das Fehlverhalten der Klägerin während der Abiturfeier, in deren Verlauf sie Schüler mit schlechterem Notenstand öffentlich bloßgestellt habe, erörtert worden. Am 17. Dezember 2018 sei die Klägerin von Vertretern der Schulleitung in einem Gespräch auf ihr problematisches Verhalten gegenüber der Kollegin Q. hingewiesen worden. Im Juni 2019 habe das Mitglied der Schulleitung B. die Klägerin auf Fehlverhalten bezüglich der Zeugniserteilung hingewiesen und sei daraufhin angepöbelt worden. Am 6. Juni 2019 sei von Vertretern der Schulleitung mit der Klägerin ein Gespräch geführt worden, um ihr das oben beschriebene Verhalten in der Oberstufenkonferenz vor Augen zu führen sowie um sie auf Fehlverhalten gegenüber dem Kollegen P. hinzuweisen. Am 19. August 2019 sei von Vertretern der Schulleitung ein Gespräch mit der Klägerin geführt worden, um sie auf den mittlerweile eskalierenden Konflikt mit der Oberstufenkonferenz hinzuweisen. Am 16. Dezember 2019 sei von Vertretern der Schulleitung ein Gespräch mit der Klägerin geführt worden, um sie darauf hinzuweisen, dass sie zu Unrecht den Vorwurf übergriffigen Verhaltens gegenüber Mitarbeitern erhebe sowie die Neuausrichtung des Medienkundeunterrichts unsachlich blockiere. Am 23. Juni 2020 habe das Mitglied der Schulleitung Z. die Klägerin erneut auf Fehlverhalten hinsichtlich der Erstellung der Zeugnisse hingewiesen. Die Klägerin habe das Gespräch verweigert und Frau Z. lautstark – für Unbeteiligte wahrnehmbar – Mobbing vorgeworfen. Dieser Vorfall habe zur erstinstanzlich vorgetragenen Abmahnung vom 3. Juli 2020 geführt. Zwischen den Parteien sei nach Ausspruch der Kündigung ein Gespräch zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits geführt worden. Die Klägerin habe jeden Kompromissvorschlag zurückgewiesen. Obwohl sie mittlerweile anerkenne, dass eine therapeutische Behandlung ihres Verhaltens sinnvoll, wenn nicht notwendig sei, habe sie bisher keinerlei Schritte unternommen, eine Therapie zu beginnen.

Der Beklagte beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 7. September 2021, Az. 3 Ca 432/21, abzuändern und

1. die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu 1), das Arbeitsverhältnis der Parteien gem. §§ 9, 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung zum 31. Dezember 2021 aufzulösen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Ergänzend führt sie aus, das Arbeitsgericht habe im Verlauf der Vergleichsverhandlungen die Idee entwickelt, das Arbeitsverhältnis ggf. unter der Bedingung fortzusetzen, dass sie sich verpflichte, an einem Anti-Aggressionstraining teilzunehmen. Sie habe erklärt, dass sie eine solche Lösung in Betracht ziehen würde, wenn sich der Beklagte bereit erkläre, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen und die Kündigung zurückzunehmen. Sie habe aber nicht die Notwendigkeit einer Therapie eingeräumt. Sie stelle nochmals klar, dass sie unter keiner Aggressionsstörung oder einer sonstigen psychischen Störung leide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 6. Mai zum 31. Dezember 2021 aufgelöst worden ist. Auch die Abweisung des Auflösungsantrags des Beklagten ist nicht zu beanstanden. Aufgrund ihres Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag ist der Beklagte verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens tatsächlich als Waldorflehrerin für die Fächer Deutsch und Geschichte weiterzubeschäftigen.

1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 6. Mai 2021 nicht aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist.

a) Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen. Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG 16.12.2021 – 2 AZR 356/21 – Rn. 12 mwN).

Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer Kündigung jedenfalls nach dessen Entstehen durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Ein solcher Verzicht ist ausdrücklich oder konkludent möglich. So liegt im Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte (vgl. BAG 19.11.2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 28 mwN). Auf das dafür maßgebliche Motiv kommt es nicht an (vgl. BAG 12.05.2011 – 2 AZR 479/09 – Rn. 53 mwN). Für den Arbeitnehmer als Empfänger einer Abmahnung erklärt der Arbeitgeber, dass er wegen der mit der Abmahnung gerügten Vorwürfe von der Möglichkeit weitergehender arbeitsrechtlicher Maßnahmen keinen Gebrauch macht. Mit der Ankündigung im Abmahnungsschreiben, in dem gerügten Verstoß liege eine nicht hinnehmbare Vertragspflichtverletzung und die arbeitsvertraglichen Pflichten seien einzuhalten, da anderenfalls mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechnet werden müsse, erklärt der Arbeitgeber konkludent, wegen der aktuell gerügten Pflichtverstöße keine Kündigung aussprechen zu wollen. Darin liegt ein bewusster Rechtsverzicht. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn gemäß §§ 133, 157 BGB der Abmahnung selbst oder den Umständen zu entnehmen ist, dass der Arbeitgeber die Angelegenheit mit der Abmahnung nicht als „erledigt“ ansieht (vgl. BAG 19.11.2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 28 mwN).

Vom Kündigungsverzicht nicht erfasst sind solche eine Kündigung rechtfertigenden Gründe, die erst nach Erklärung der Abmahnung hinzugetreten sind oder die dem Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Abmahnung bekannt geworden sind, obwohl sie zum Zeitpunkt der Abmahnungserklärung bereits objektiv vorlagen. Solche weiteren Gründe sind nicht vom Kündigungsverzicht erfasst und können vom Arbeitgeber zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden, die insgesamt sowohl die neuen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen als auch die bereits abgemahnten Gründe unterstützend erfasst, sofern sich aus der Gesamtschau aller neuen und alten Umstände anders als im Abmahnungszeitpunkt ein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender Kündigungsgrund ergibt (vgl. BAG 12.05.2011 – 2 AZR 479/09 – Rn. 56 mwN).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Beklagte mit den Abmahnungen vom 2. August 2018 und vom 3. Juli 2020 auf das Recht zur Kündigung wegen eines Großteils der angeführten Kündigungsgründe verzichtet. Nach der letzten Abmahnung vom 3. Juli 2020 sind bis zum Ausspruch der Kündigung am 6. Mai 2021 keine maßgeblichen Umstände eingetreten oder dem Beklagten bekannt geworden, die eine Kündigung rechtfertigen könnten. Insbesondere ist der geschilderte Vorfall vom 27. Januar 2021 nicht so gravierend, als dass er unter den gegebenen Umständen eine ordentliche Kündigung zu begründen vermag.

aa) Das Verhalten der Klägerin während der Abiturfeier am 15. Juni 2018 ist vom Beklagten nach einem Gespräch vom 22. Juni 2018 mit Vertretern des Vorstandes und der Schulleitung am 2. August 2018 förmlich abgemahnt worden. Das Arbeitsgericht hat bereits zutreffend angenommen, dass der Beklagte wegen der in der Abmahnung gerügten Pflichtverstöße keine Kündigung mehr aussprechen kann. Auf diese Ausführungen ist die Berufung nicht eingegangen. Im Abmahnungsschreiben wurde vom Beklagten gerügt, dass die Rede und die Äußerungen der Klägerin im Rahmen der Abiturfeier am 15. Juni 2018 sowie das vorzeitige Verlassen der Veranstaltung sowohl von betroffenen Schülern als auch von Eltern, Kollegen und geladenen Gästen als öffentliche Demütigung und bewusst verletzend wahrgenommen worden sei. Die Klägerin habe durch ihr Verhalten der Reputation der Schule einen erheblichen Schaden zugefügt und ihre besondere Fürsorgepflicht als Klassenbetreuerin der 13. Klasse verletzt. Dem Beklagten ist es nach der Abmahnung vom 2. August 2018 verwehrt, zur Rechtfertigung der Kündigung den der Abmahnung zugrunde liegenden Sachverhalt heranzuziehen.

Soweit der Beklagte der Klägerin vorwirft, sie habe am 13. März 2020 die Mitglieder der Schulführung öffentlich beleidigt, weil sie ihnen zugerufen habe: „Ihr seid doch alle bescheuert!“, führte dieser Ausruf zu einer schriftlichen Ermahnung vom 17. April 2020. Die Frage, ob mit der bloßen Ermahnung ein konkludenter Kündigungsverzicht einhergeht (offengelassen BAG 06.03.2003 – 2 AZR 128/02 – Rn. 23 mwN), bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Der Beklagte hat im Streitfall am 3. Juli 2020 wegen einer erneuten gleichartigen Pflichtverletzung (Ausruf: „Ich werde hier gemobbt!“) eine Abmahnung erklärt. Die Klägerin musste daher nicht damit rechnen, dass der Beklagte das gerügte Fehlverhalten vom 13. März 2020 zum Anlass für eine Kündigung nimmt.

In der Abmahnung vom 3. Juli 2020 rügte der Beklagte, dass sich die Klägerin am 23. Juni 2020 irritiert gezeigt und ohne Klärung des Sachverhalts abgewandt habe, als sie von der Schulleiterin Z. im Lehrerzimmer auf fehlende Zeugnistexte angesprochen und nach Antworten auf die von Z. diesbezüglich versandten E-Mails gefragt worden sei. Auf das Insistieren von Z. hin, habe die Klägerin den Raum verlassen und lautstark ausgerufen: „Ich werde hier gemobbt!“. Zwei weitere Gesprächsversuche habe die Klägerin ergebnislos abgebrochen. Sie habe Z. ihren Unmut mit abfälligen Gesten und Äußerungen demonstriert. Und dies, obwohl sie bereits mit Schreiben vom 17. April 2020 ermahnt worden sei, zu einem positiven und konstruktiven Arbeitsklima durch wertschätzenden und gewaltfreien Umgang miteinander beizutragen. Ferner rügte der Beklagte, dass die Klägerin seiner Aufforderung, in Zeiten der Schulschließung arbeitstäglich ihre beruflichen E-Mails abzurufen, um den Austausch und die Kommunikation sicherzustellen, über einen längeren Zeitraum nicht nachgekommen sei. Diese mangelnde Kommunikation habe überhaupt erst zu der Auseinandersetzung mit Z. über die fertigzustellenden Zeugnisse geführt. Drittens kritisierte der Beklagte in der Abmahnung, dass die Klägerin seine Anweisung nicht beachtet habe, in die Zeugnistexte keine Bemerkungen zu Einschränkungen des regulären Unterrichtsbetriebs wegen der Corona-Pandemie aufzunehmen. Der Beklagte kann – wie bereits ausgeführt – die abgemahnten Verhaltensweisen nicht mehr zur Begründung der Kündigung heranziehen. Da die abgemahnten Vorwürfe als Kündigungsgrund verbraucht sind, kann dahinstehen, ob sie zutreffen und in den Abmahnungen bestimmt genug beschrieben sind.

bb) Das Verhalten der Klägerin vom 27. Januar 2021 im Telefongespräch mit dem Geschäftsführer Y., vermag die Kündigung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu rechtfertigen. An diesem Tag mussten die Abitur-Prüfungsaufgaben spätestens bei der zuständigen Schulbehörde eingereicht werden. Es ist verständlich, dass die Klägerin als Oberstufenlehrerin und Abiturbeauftragte darüber enttäuscht war, dass der Geschäftsführer Y. nicht, wie zuvor verabredet, nach 12:00 Uhr für die erforderliche Unterschrift zur Verfügung stehen wollte. Die Klägerin war besorgt, dass die Prüfungsaufgaben besonders kritisch begutachtet werden könnten, wenn das Einreichungsformular, anders als in den Vorjahren, nicht von Y. unterschrieben werde. Der Geschäftsführer wollte trotz der geäußerten Bedenken an seiner kurzfristigen Absage festhalten, um einen anderen Termin wahrzunehmen. Die Klägerin räumt ein, dass sie in dem Gespräch „lauter“ geworden sei. Nach dem Vortrag des Beklagten soll sie „immer lauter“ geworden sein und sich derartig in ihre Wut hineingesteigert haben, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen sei, sich zu artikulieren. Sie soll den Geschäftsführer mit Vorwürfen überzogen und angebrüllt, unartikuliert geschrien und getobt haben. Das Verhalten der Klägerin ist im Gesamtkontext zu würdigen. Der geschilderte Wutausbruch ist ersichtlich geprägt von ihrer Enttäuschung über die kurzfristige Absage und die fehlende Bereitschaft des Geschäftsführers, der Unterzeichnung der Abitur-Prüfungsaufgaben Priorität einzuräumen. Mit Blick auf diese Begleitumstände mag sich die Klägerin im Verlauf des Telefongesprächs nicht mehr in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung bewegt haben, ihr emotionaler Ausbruch ist aber nicht so schwerwiegend, dass dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar wäre.

Auch der Umstand, dass die Schulsekretärin nach dem Vortrag des Beklagten vom emotionalen Ausbruch der Klägerin im Telefongespräch vom 27. Januar 2021 so schockiert und erschüttert gewesen sei, dass sie um die Alarmierung eines Notarztes gebeten habe, falls die Klägerin im Schulbüro erscheinen sollte, um den Streit fortzusetzen, vermag die Kündigung nicht zu rechtfertigen. Die Sekretärin war an dem Streit zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer nicht beteiligt. Ein ruhig und verständig abwägender Arbeitgeber hätte die Ängstlichkeit der Schulsekretärin nicht zum Anlass genommen, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu kündigen, zumal sich in einem Schulbüro konfliktgeladene Situationen nicht vermeiden lassen. Der Beklagte kann die ausgesprochene Kündigung ebenfalls nicht darauf stützen, dass die Schulsekretärin nach seinem Vortrag wegen des Verhaltens der Klägerin zum Schuljahresende 2020/2021 in den vorzeitigen Ruhestand getreten sei. Auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung ist der Kündigungsgrund zukunftsbezogen. Wenn dem Beklagten bei Ausspruch der ordentlichen Kündigung am 6. Mai 2021 bereits bekannt war, dass die Schulsekretärin am 31. Juli 2021 zum Schuljahresende ausscheidet, bestand kein Anlass der Klägerin zum 31. Dezember 2021 zu kündigen, um die aus seiner Sicht traumatisierte und belastete Sekretärin zu schonen.

Der Vorwurf, die Klägerin habe am 30. Juni 2020 dem Schüler R. „spät und besonders empathielos“ mitgeteilt, dass er nicht zum Abitur zugelassen sei, was dessen Eltern entsetzt und dazu veranlasst habe, ihre anderen Kinder von der Schule abzumelden, rechtfertigt die Kündigung ebenfalls nicht. Der vorgetragene Sachverhalt ist schon viel zu pauschal, um ein kündigungsrelevantes Fehlverhalten prüfen zu können. Es fehlt konkreter Sachvortrag wer (Schüler, Eltern) sich wann bei wem und mit welchem genauen Inhalt über die Klägerin beschwert hat und wie die Klägerin sowie die Schulleitung bzw. -aufsicht auf die Beschwerde reagiert haben. Die pauschale Umschreibung eines Kündigungsgrundes durch ein Werturteil ersetzt nicht den Vortrag konkreter auf bestimmte Tatsachen gestützter Kündigungsgründe.

2. Das Arbeitsgericht hat ferner zutreffend angenommen, dass die Kündigung des Beklagten vom 6. Mai 2021 nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch krankheitsbedingte Gründe bedingt ist.

Die bloße Vermutung des Beklagten, die Klägerin sei arbeitsunfähig, weil sie an einer therapiebedürftigen Aggressionsstörung mit medizinischem Krankheitswert leide, reicht als personenbedingter Kündigungsgrund nicht aus. Die Klägerin selbst beruft sich nicht auf gesundheitliche Beeinträchtigungen. Das ist zu respektieren. Sie stellt ausdrücklich klar, dass sie an keiner Aggressionsstörung oder einer sonstigen psychischen Störung leide, sie benötige keine therapeutische Hilfe. Für gesundheitliche Probleme der Klägerin, die als psychische Erkrankung zu bewerten wären, besteht kein objektiver Anhaltspunkt. Wenn das Arbeitsgericht den Vergleichsvorschlag unterbreitet hat, dass sich die Klägerin verpflichten könnte, ein Anti-Aggressionstraining zu absolvieren, um so ihren Arbeitsplatz zu erhalten, hat die Klägerin nicht die Notwendigkeit einer Therapie eingeräumt, indem sie erklärte, sie könne dem Vorschlag nähertreten, wenn der Beklagte im Gegenzug das Arbeitsverhältnis fortsetze.

Der Beklagte kann die Kündigung nicht darauf stützen, dass die Klägerin aus – nicht näher erläuterten – gesundheitlichen Gründen (während der Corona-Pandemie) keinen Online-Unterricht erteilt und nicht an Online-Lehrerkonferenzen teilgenommen hat. Das Arbeitsgericht hat unbeanstandet festgestellt, dass der Beklagte die Weigerung der Klägerin akzeptiert und erstmals im laufenden Kündigungsschutzverfahren die Vorlage eines ärztlichen Attestes verlangt hat. Er hat keine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs, auf den es allein ankommt, vorgetragen. Der Beklagte hat noch nicht einmal behauptet, dass und ggf. welche Anstrengungen er unternommen hat, um die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin zu klären und herauszufinden, ob es Möglichkeiten (zB. technische Hilfen) gibt, ihr den Online-Unterricht und die Teilnahme an Online-Konferenzen zu ermöglichen.

3. Schließlich liegen die Voraussetzungen einer Druckkündigung nicht vor. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend angenommen.

a) Da die angegriffene Kündigung vom 6. Mai 2021 nach den obigen Ausführungen nicht aus Gründen im Verhalten oder der Person der Klägerin gerechtfertigt ist, steht zugleich fest, dass sie nicht unter dem Gesichtspunkt einer sog. „unechten“ Druckkündigung wirksam ist, bei der es sich um eine Kündigung handelt, die nicht primär wegen des von einem Dritten erzeugten Drucks, sondern wegen eines – behaupteten – objektiven Kündigungsgrundes erklärt wird und bei der das Kündigungsverlangen allenfalls im Rahmen der Interessenabwägung Berücksichtigung finden kann (vgl. BAG 18.07.2013 – 6 AZR 420/12 – Rn. 38 mwN).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, kann das ernstliche Verlangen eines Dritten, der unter Androhung von Nachteilen vom Arbeitgeber die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers fordert, auch dann einen Grund zur Kündigung bilden, wenn es an einer objektiven Rechtfertigung der Drohung fehlt. Allerdings unterliegt eine solche „echte“ Druckkündigung strengen Anforderungen. Insbesondere darf der Arbeitgeber einem Kündigungsverlangen seitens der Belegschaft oder eines Teils der Mitarbeiter nicht ohne Weiteres nachgeben. Er hat sich vielmehr schützend vor den Betroffenen zu stellen und alles Zumutbare zu versuchen, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen. Nur wenn trotz solcher Bemühungen die Verwirklichung der Drohung in Aussicht gestellt wird und dem Arbeitgeber dadurch schwere wirtschaftliche Nachteile drohen, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Kündigung das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel ist, um die Schäden abzuwenden (vgl. BAG 15.12.2016 – 2 AZR 431/15 – Rn. 11 mwN).

Zu berücksichtigen ist auch das eigene Verhalten des Arbeitgebers. Insbesondere kann er sich nicht auf eine Drucksituation berufen, die er selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat – etwa wenn er für die ablehnende Haltung der Belegschaft gegenüber dem Arbeitnehmer selbst den Anlass gegeben hat. Umgekehrt kann auch das Verhalten des Arbeitnehmers von Bedeutung sein. Auch er muss aufgrund der ihn treffenden Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) nach Möglichkeit Nachteile für den Arbeitgeber vermeiden und vermeiden helfen (vgl. BAG 19.07.2016 – 2 AZR 637/15 – Rn. 28 mwN).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen einer „echten“ Druckkündigung nicht vor. Der Beklagte hat nicht in ausreichender Weise versucht, den auf ihn ausgeübten Druck anders als durch die streitgegenständliche Kündigung abzuwehren. Diese war daher durch die Drucksituation nicht iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“.

Die Pflicht, sich schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen, verlangt vom Arbeitgeber ein aktives Handeln, das darauf gerichtet ist, den Druck abzuwehren. Dafür reicht es nicht aus, dass der Beklagte in den Jahren 2012/2013 eine externe Begleitung durch den anthroposophischen Unternehmensberater und Coach U. und in den Jahren 2018/2019 eine Mediation durch die Mediatorin V. beauftragt hat. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Lehrkräfte, die die Schreiben vom 7. Juli 2021 und vom 12. November 2021 unterzeichnet haben, an diesem Coaching, das bereits acht Jahre zurückliegt, oder der Mediation teilgenommen haben. Zum anderen können die zwei Schreiben beim Beklagten keine Drucksituation hervorgerufen haben, weil sie erst nach Ausspruch der Kündigung vom 6. Mai 2021 im Verlauf des erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahrens verfasst und unterzeichnet worden sind. Die Lehrkräfte haben das erste Schreiben nach dem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht, das zweite Schreiben nach Zustellung des vollständig abgefassten erstinstanzlichen Urteils an den Vorstand des Beklagten gerichtet.

Es ist auch nicht ansatzweise erkennbar, dass die vom Beklagten behaupteten „unzähligen“ Gespräche mit der Klägerin, die geführt worden sein sollen, um sie auf die Unzumutbarkeit ihres Verhaltens hinzuweisen, dazu gedient haben könnten, das Kündigungsverlangen anderer Lehrkräfte abzuwehren.

4. Die Kündigungsvorwürfe des Beklagten stellen schließlich auch in ihrer Gesamtheit keine Umstände dar, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Auch in ihrer Kumulation gewinnen die Vorwürfe kündigungsrechtlich kein anderes Gewicht als bei isolierter Betrachtung.

5. Da die ordentliche Kündigung vom 6. Mai 2021 sozial nicht gerechtfertigt ist, fällt der Hilfsantrag des Beklagten zur Entscheidung an. Das Arbeitsgericht hat den Auflösungsantrag zu Recht abgewiesen.

a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes führt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung zu deren Rechtsunwirksamkeit und zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Dieser Grundsatz wird bei einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, dass eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt hiernach nur ausnahmsweise in Betracht. An die Auflösungsgründe sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BAG 29.08.2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 18 mwN).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen zwar nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen (st. Rspr., statt vieler BAG 16.12.2021 – 2 AZR 356/21 – Rn. 21 mwN). Die bloße Weigerung von Arbeitskollegen, mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten, kann die Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG genauso wenig rechtfertigen, wie es dem Arbeitgeber gestattet ist, sich auf Auflösungsgründe zu berufen, die von ihm selbst oder von Personen, für die er einzustehen hat, provoziert worden sind (vgl. BAG 23.10.2008 – 2 AZR 483/07 – Rn. 71 mwN; LAG Rheinland-Pfalz 05.03.2020 – 2 Sa 147/19 – Rn. 41 mwN).

b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht gerechtfertigt.

Die beiden Schreiben mehrerer Lehrkräfte vom 7. Juli 2021 und vom 12. November 2021 an den Vorstand des Beklagten, die nach dem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht und nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils verfasst worden sind, rechtfertigen die Auflösung nicht. Wie bereits ausgeführt, kann die bloße Weigerung von Arbeitskollegen mit dem (ungerechtfertigt) gekündigten Arbeitnehmer weiter zusammenarbeiten, eine Auflösung allein nicht rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, als der Arbeitgeber zunächst verpflichtet ist, mäßigend auf die anderen Arbeitnehmer einzuwirken. Der Arbeitgeber muss darlegen, dass er alles Zumutbare getan hat, um einen Ausgleich zwischen den Arbeitnehmern herbeizuführen (vgl. 23.10.2008 – 2 AZR 483/07 – Rn. 74 mwN).

Dem Vortrag des Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass er nach dem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht und nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf die anderen Lehrkräfte eingewirkt und für ein möglichst spannungsfreies Zusammenwirken zum Wohle des Schulbetriebs gesorgt hätte. Vielmehr fällt auf, dass H. Sch., der Vorstand, der gemeinsam mit dem Geschäftsführer für den Beklagten die Kündigung ausgesprochen hat, das Schreiben vom 12. November 2021 mitunterzeichnet hat. Das lässt vermuten, dass sich der Vorstand des Beklagten – trotz ihres Obsiegens in erster Instanz – nicht schützend vor die Klägerin gestellt, sondern das Kollegium eher noch aufgewiegelt hat.

Der Umstand, dass der Vorstand Sch. und die anderen Unterzeichner über das erstinstanzliche Urteil „bestürzt und erschrocken“ waren, ist kein Auflösungsgrund. Aus dem zweiten Schreiben vom 12. November 2021 geht noch nicht einmal hervor, welche Lehrkräfte konkret eine Zusammenarbeit mit der Klägerin ablehnen und welche Personen sich lediglich „solidarisieren“. Die vom Beklagten angeführte Befürchtung, der Schulbetrieb könnte unter den angedrohten Kündigungen leiden, wirkt vorgeschoben, weil in den Schreiben vom 7. Juli 2021 und vom 12. November 2021 keine Lehrkraft mit der Unterschrift konkret erklärt, sie werde das Arbeitsverhältnis kündigen und die Schule verlassen, wenn die Klägerin bleiben sollte. Die im zweiten Schreiben vom 12. November 2021 angeführten Lehrkräfte X. und W., die das erste Schreiben vom 7. Juli 2021 noch mitunterzeichnet hatten, haben die Schule verlassen, um sich einem Projekt in Spanien zu widmen. Ihre Weigerung, mit der Klägerin zusammenzuarbeiten, geht ins Leere und kann den Auflösungsantrag nicht rechtfertigen.

Der Umstand, dass für einzelne Lehrkräfte durch das „schriftliche Dokumentieren der Vorfälle“, die Vorbereitung ihrer „Aussagen vor Gericht“ und durch die Fertigung von persönlichen Schreiben an den Vorstand die Vorstellung unerträglich geworden sein soll, mit der Klägerin zusammenzuarbeiten, stellt keinen Auflösungsgrund dar. Die Klägerin darf sich in einem Kündigungsschutzprozess gegen eine Kündigung wehren. Wenn potentielle Zeugen des Arbeitgebers, obwohl keine Beweisaufnahme stattfindet, schriftliche Dokumentationen und persönliche Schreiben anfertigen, kann dies keinen Auflösungsgrund darstellen.

Einen fairen und wohlgemeinten Versuch, eine vertrauensvolle Basis für eine weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin zu suchen, hat der Beklagte nicht unternommen. Die schulinterne Schlichtungsstelle, die am 30. November 2021 zusammengetreten ist, wurde erst nach Zustellung des vollständig abgefassten erstinstanzlichen Urteils angerufen. Dabei fällt auf, dass drei der vier Mitglieder (H. Sch., A. Th. und T. Fr.) das Entlassungsbegehren vom 12. November 2021 unterzeichnet haben.

Auch das Prozessverhalten der Klägerin rechtfertigt keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Die 1961 geborene Klägerin will aufgrund ihres Lebensalters und der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit seit August 1998 an ihrem Arbeitsverhältnis festhalten. Der Umstand, dass sie sich hartnäckig weigert, das Angebot des Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung anzunehmen, kann ihr nicht zum Nachteil gereichen. Ebensowenig muss sie das Angebot des Beklagten annehmen, als Lehrerin an eine andere Waldorfschule (O.) zu wechseln. Die Klägerin darf im Kündigungsschutzprozess ihre Rechtsposition verteidigen und sich einem Kompromiss verschließen. Dieses Vorgehen steht ihr im Rahmen einer zulässigen Interessenwahrnehmung frei.

6. Da die Kündigung vom 6. Mai 2021 das Arbeitsverhältnis ebenso wenig wie der an diese Kündigung anknüpfende Auflösungsantrag des Beklagten beendet hat, ist der Beklagte nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG 27.02.1985 – GS 1/84) verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Waldorflehrerin weiterzubeschäftigen. Besondere Umstände, die trotz des Obsiegens der Klägerin mit dem Kündigungsschutzantrag ein überwiegendes Interesse an deren Nichtbeschäftigung begründen könnten, liegen nicht vor. Insbesondere genügen die Schreiben mehrerer Lehrkräfte vom 7. Juli 2021 und vom 12. November 2021 an den Vorstand und die Schulleitung des Beklagten nicht, um die Beschäftigung der Klägerin abzulehnen. Insofern kann auf die obigen Ausführungen (unter Ziff. II 5) verwiesen werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.


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