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Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Abgeltung des Stundenguthabens

LAG Baden-Württemberg –  Az.: 21 Sa 53/13 –  Urteil vom 16.01.2014

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Aalen – vom 07.05.2013 – Az. 27 Ca 266/12 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.365,15 € brutto zuzüglich Zinsen p. a. hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit 01.06.2012 zu zahlen.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten gegen das in I. genannte Urteil des Arbeitsgerichts wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz hat der Kläger 85,7 %, die Beklagte 14,3 % zu tragen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz hat der Kläger 3,7 %, die Beklagte 96,3 % zu tragen.

IV. Die Revision wird weder für den Kläger noch für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufung noch darüber, ob dem Kläger am Ende des Arbeitsverhältnisses noch ein Stundenguthaben, für dessen Abgeltung die Beklagte im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien verpflichtet ist zur Verfügung steht.

Der am XX. Juli 19XX geborene Kläger war bei der Beklagten, die ein Stuckateurunternehmen betreibt, seit 4. Oktober 2005 als Fachwerker (Stuckateur) beschäftigt. Der Stundenlohn des Klägers betrug zuletzt 15,00 € brutto. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch Kündigung des Klägers zum 2. Mai 2012. Das Kündigungsschreiben hierzu übergab der Kläger dem Geschäftsführer der Beklagten am 5. April 2012. Zuvor war der Kläger von Mitte März bis einschließlich 5. April 2012 arbeitsunfähig erkrankt. Bei der Beklagten wird für ihre gewerblichen Arbeitnehmer – so auch beim Kläger – ein Arbeitszeitkonto entsprechend dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe für gewerbliche Arbeitnehmer (im Weiteren: BRTV-Bau) geführt, auf dem ein Guthaben von maximal 150 Stunden und ein Minusstand von maximal 30 Stunden bestehen darf. Bei Übergabe des Kündigungsschreibens an den Geschäftsführer der Beklagten wies dieser den Kläger an, am 10. und 11. April 2012 für die Beklagte zu arbeiten (Mängelbeseitigung auf einer Baustelle in L.) und im Anschluss daran bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses sein Stundenkonto abzubauen und seinen Urlaub zu nehmen. Am 10. und 11. April 2012 kam der Kläger der Weisung des Geschäftsführers der Beklagten nach. Am 11. April 2012 sprach der Kläger auf den Anrufbeantworter der Beklagten Folgendes auf:

„Hallo Chef, ich bin mit deinem Angebot nicht einverstanden aber ich werde schon zu meinem Geld kommen. Ich wollte das auf eine andere Art lösen, aber wenn du nicht willst.“

Am 12. April 2012 reichte der Kläger bei der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) datiert vom 12. April 2012 für den Zeitraum 12. bis 20. April 2012, ausgestellt von Herrn Dr. V. ein. Daran schlossen sich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Person des Klägers, ausgestellt von Frau Dr. O.-K. für die Zeit vom 23. bis 28. April 2012 (Erstbescheinigung) und Herrn Dr. B. (ebenfalls Erstbescheinigung) für die Zeit vom 30. April bis einschließlich 4. Mai 2012 an.

Die Beklagte rechnete dem Kläger für April 2012 unter anderem unter der Lohnart 300/304 fünf Tage Urlaub und unter der Lohnart 371 Zeitlohn aus AZ-Konto in Höhe von 90,74 Stunden ab und brachte dem Kläger die sich daraus ergebenden Geldbeträge zur Auszahlung. Zum Zeitpunkt 31. März 2012 hatte der Kläger auf seinem Arbeitszeitkonto ein Guthaben von 102,48 Stunden (vgl. Lohnabrechnung März 2012, Bl. 36 der Akten-ArbG). Von diesem Guthaben zog die Beklagte im Hinblick auf die für April 2012 an den Kläger ausgezahlten Stunden aus dessen Arbeitszeitkonto 90,74 Stunden ab, weshalb auf der Lohnabrechnung April 2012 für den Kläger noch ein Stundenguthaben von 11,74 auf seinem Arbeitszeitkonto ausgewiesen wurde (vgl. Lohnabrechnung April 2012, Bl. 37 und 38 der Akten-ArbG). Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vergütete die Beklagte dem Kläger im April 2012 für den Zeitraum 2. April bis einschließlich 5. April 2012, nicht hingegen für die Zeiten, die sich aus den vom Kläger nach dem 11. April 2012 vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergaben. Grund hierfür war, dass die Beklagte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers in diesen Zeiträumen hatte. In der Lohnabrechnung für Mai 2012 löste die Beklagte unter der Lohnart 377 das Arbeitszeitkonto des Klägers – aus ihrer Sicht noch mit einem Guthaben von 11,74 Stunden – auf und zahlte das sich daraus ergebende Guthaben an den Kläger aus. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Lohnabrechnung wird vollinhaltlich auf Bl. 39 der Akten-ArbG verwiesen.

Hinsichtlich des weitergehenden unstreitigen und erstinstanzlich streitigen Sachvortrags der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den nicht angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Aalen – vom 7. Mai 2013 (Seiten 2 bis 4 des Urteils, Bl. 117 bis 119 der Akten-ArbG) gem. § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG verwiesen.

Das Arbeitsgericht gab dem im zweiten Rechtszug noch streitigen Antrag des Klägers,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.417,20 € brutto (Arbeitszeitkontoguthaben) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem gesetzlichen Basiszinssatz seit 01.06.2012 zu bezahlen vollumfänglich statt und wies die zuletzt im Verfahren erster Instanz – nach mehreren teilweisen Klagrücknahmen – vom Kläger noch gestellten Anträge im Übrigen ab.

Zur Begründung führt das Arbeitsgericht aus, die Beklagte sei letztendlich nicht befugt gewesen, die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers mit dessen Arbeitszeitkontoguthaben zu verrechnen. Ein hinreichender Verdacht, dass der Kläger sich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschleichen haben wollen, bestehe nicht. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger mit seiner auf den Anrufbeantworter der Beklagten gesprochenen Äußerung als Drohung bzw. Ankündigung einer Arbeitsunfähigkeit gewertet werden könne. Die Beklagte behaupte ein Zeitguthaben des Klägers für März 2012 in Höhe von 102,48 Stunden, während der Kläger ein Plus im Februar von 105,95 Stunden behaupte. Wann und wofür die in der Lohnabrechnung März 2012 angegebenen Plusstunden des Klägers verrechnet worden seien, lasse sich dem Vortrag der Beklagten hingegen nicht entnehmen.

Gegen diese der Beklagten am 8. Juli 2013 zugestellte Entscheidung (vgl. Empfangsbekenntnis Bl. 125 der Akten-ArbG) richtet sich ihre mit anwaltlichem Schriftsatz am 8. August 2013 per Telefax und im Original am 12. August 2013 beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eingegangene Berufung (vgl. gerichtliche Eingangsstempel Bl. 1 und 11 der Akten), die sie mit am 5. September 2013 per Telekopie und am 9. September 2013 im Original beim Landesarbeitsgericht eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz (vgl. gerichtliche Eingangsstempel Bl. 25 und 29 der Akten) begründet hat.

Die Beklagte trägt nunmehr vor, aus der Lohnabrechnung für März 2012 sei ersichtlich, dass sie mit der Vergütungszahlung für den Monat März Zeitlohn aus dem Arbeitszeitkonto mit 3,47 Stunden für je 14,40 €, insgesamt also 49,97 € an den Kläger bezahlt habe. Dementsprechend habe der Bestand des Arbeitszeitkontos des Klägers Anfang April 2012 tatsächlich nur noch 102,48 Plusstunden betragen.

Sie habe die Arbeitszeitguthaben des Klägers durch die Vergütungszahlungen für die Monate April und Mai 2012 abgegolten, weil für die entsprechenden Zeiträume kein Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bestanden habe. Die Äußerung des Klägers auf ihrem Anrufbeantworter sei als Ankündigung einer Arbeitsunfähigkeit zu verstehen gewesen. Anders habe die Äußerung des Klägers nicht gewertet werden können. Damit habe der Kläger neben der regulären Vergütungsauszahlung die Auszahlung seines Arbeitszeitkontos durchsetzen wollen. Wie anders solle eine solche doppelte Zahlung durchsetzbar sein, als durch eine Erkrankung mit der Folge eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, der das Arbeitszeitkonto unberührt lasse. Die vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien aufgrund seiner Erklärung auf dem Anrufbeantworter erschüttert und es sei deshalb nicht vom Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers auszugehen. Hinzu komme, dass der Kläger einen Sachverhalt behaupte, der praktisch mehr als unwahrscheinlich sei, nämlich, dass im Wochenabstand aufeinanderfolgend drei völlig unterschiedlichen Erkrankungen aufgetreten seien und daraus resultierenden drei Erstbescheinigungen vorlägen. Die Arbeitsunfähigkeiten des Klägers hätten auch passgenau für die Zeit des restlichen Bestehens seines Arbeitsverhältnisses mit ihr, der Beklagten, bestanden. Eine Verrechnung von angeblich krankheitsbedingten Fehlzeiten mit dem Arbeitszeitkonto sei ihr nur dann nicht möglich, wenn der Kläger den Nachweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit im Wege des Vollbeweises erbringe. Dies sei dem Kläger hingegen nicht möglich.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Aalen – Az: 27 Ca 266/12 vom 07.05.2013 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, Die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt hierzu vor, die Beklagte verkenne, dass gem. dem Tarifvertrag BRTV-Bau der auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebenen Lohn einseitig nur zum Ausgleich für den Monatslohn bei witterungsbedingten Arbeitsausfall am Ende des Ausgleichszeitraums, beim Ausscheiden des Arbeitnehmers oder bei Tod des Arbeitnehmers ausgezahlt werden dürfe. Die Anweisung der Beklagten, der Kläger werde ab dem 12. April 2012 freigestellt unter Verrechnung seines Ausgleichskontos, sei nach dem allgemein verbindlichen Tarifvertrag ohne sein Einverständnis nicht möglich. Die Anweisung/Anordnung des Geschäftsführers der Beklagten sei damit rechtswidrig gewesen, so dass seine auf den Anrufbeantworter der Beklagten gesprochene Erklärung, er werde zu seinem Gehalt kommen und er sei mit der Handhabung durch die Beklagte nicht einverstanden, nichts anderes bedeutet habe, als der Hinweis auf eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung. Hieraus könne mit Nichten entnommen werden, er, der Kläger, habe eine Arbeitsunfähigkeit angekündigt. Im Übrigen trage die Beklagte lediglich Mutmaßungen und Vermutungen vor. Er habe detailliert die behandelnden Ärzte und die Diagnosen vorgetragen, so dass erkennbar gewesen sei, dass tatsächlich drei Erkrankungen mit jeweils neuen Arbeitsunfähigkeitszeiten vorgelegen hätten und eine Addition der Arbeitsunfähigkeitszeiten daher nicht in Betracht komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. den §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nur in geringem Umfang begründet.

A. Zulässigkeit der Berufung

1. Die Berufung der Beklagten ist gem. den §§ 8Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft. Sie ist auch gem. den §§ 66Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519Abs. 1 und 2, 520Abs. 1 und 3 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und innerhalb der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist mit anwaltlichem Schriftsatz begründet worden. Die Berufung setzt sich insbesondere mit allen Argumenten auseinander, mit denen das Arbeitsgericht dem in der Berufung noch anfallenden Klagantrag des Klägers entsprochen hat und insoweit dem Klagabweisungsantrag der Beklagten nicht gefolgt ist.

2. Anderweitige Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht.

B. Begründetheit der Berufung

Die Klage des Klägers auf Auszahlung seines Arbeitszeitkontoguthabens ist zulässig und weitgehend begründet. Die Beklagte hat diesen Anspruch weitgehend nicht erfüllt.

I. Zulässigkeit der Klage

1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Streitgegenstand der in der Berufung noch geltend gemachten Forderung hinreichend im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Auszahlung seines in der Lohnabrechnung Februar 2012 von der Beklagten für ihn ausgewiesenen Arbeitszeitguthabens von (Plus) 105,95 Stunden (vgl. Lohnabrechnung der Beklagten für den Kläger für März 2012 ganz unten – Bl. 36 der Akten-ArbG) vermindert um die von der Beklagten im Rahmen der Auflösung des Arbeitszeitkontos des Klägers mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung für den Kläger Mai 2012 zu seinen Gunsten abgegoltenen und ausgezahlten 11,74 Stunden (nicht wie vom Kläger berechnet 11,47 Stunden – dabei handelt es sich wohl nach dem Komma um einen Zahlendreher) – vgl. Lohnabrechnung Mai 2012 (Bl. 39 der Akten-ArbG). Infolgedessen begehrt der Kläger von der Beklagten insgesamt die Zahlung von 94,21 Stunden à 15,00 € (= 1.413,15 € brutto; vom Kläger aufgrund des Zahlendrehers falsch berechnet mit 94,48 Stunden à 15,00 € = 1.427,20 €). Danach ist Streitgegenstand die Abgeltung von Plusstunden aus dem Arbeitszeitkonto des Klägers als Geldbetrag und nicht Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeiten der dem Kläger von Ärzten nach dem 11. April 2012 attestierten Arbeitsunfähigkeitszeiträumen. Der geltend gemachte Klaganspruch ist deshalb sowohl dem Grunde, der Höhe und dem zugrunde liegenden Sachverhalt nach hinreichend bestimmt.

2. Anderweitige Bedenken an der Zulässigkeit dieses in der Berufung noch streitgegenständlichen Klagantrags bestehen nicht.

II. Begründetheit der Klage

1. Grundsätze

a) Gem. § 3 1.43 BRTV-Bau muss der Arbeitgeber für jeden Arbeitnehmer ein individuelles Ausgleichskonto einrichten. Auf diesem Ausgleichskonto ist die Differenz zwischen dem Lohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und dem nach § 3 1.42 BRTV-Bau errechneten Monatslohn für jeden Arbeitnehmer gutzuschreiben bzw. zu belasten. Gem. Abs. 3 dieser Bestimmung darf auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebener Lohn nur zum Ausgleich für den Monatslohn, als Winterausfallgeld-Vorausleistung für bis zu 100 Stunden bei witterungsbedingten Arbeitsausfall in der Schlechtwetterzeit, bei witterungsbedingtem Ausfall außerhalb der Schlechtwetterzeit, am Ende des Ausgleichszeitraumes oder bei Ausscheiden des Arbeitnehmers bzw. im Todesfall ausgezahlt werden. Gem. Abs. 4 dieser Bestimmung soll das Ausgleichskonto nach 12 Kalendermonaten ausgeglichen sein. Besteht am Ende des Ausgleichszeitraums noch ein Guthaben, das nicht mehr durch arbeitsfreie Tage ausgeglichen werden kann, so sind die Guthabenstunden abzugelten. Durch einzelvertragliche Vereinbarung können die dem Guthaben zugrunde liegenden Vorarbeitsstunden und das dafür gutgeschriebene Arbeitsgeld unter Anrechnung auf das zuschlagsfreie Vorarbeitsvolumen des neuen Ausgleichszeitraums ganz oder teilweise in diesen übertragen werden.

b) Gem. § 362 Abs. 1 BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird.

c) Tarifnormen sind auszulegen wie Gesetze (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – vgl. etwa BAG 22. April 2010 – 6 AZR 962/08 – in AP Nr. 2 zu § 92 TVÜ). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. 19. September 2007 – 4 AZR 670/06 – Rn. 30, BAGE 124, 110; 7. Juli 2004 – 4 AZR 433/03 – BAGE 111, 204, 209; 8. September 1999 – 4 AZR 661/98 – BAGE 92, 259, 263) folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich, dass der Abgeltungsanspruch des Klägers in Höhe von 1.365,15 € brutto zuzüglich der geltend gemachten Zinsen gerechtfertigt und im Übrigen nicht gerechtfertigt ist.

a) Der Anspruch des Klägers ist dem Grunde nach gem. § 3 1.4 Abs. 3 vorletzte Alternative (Ausscheiden des Arbeitnehmers) BRTV-Bau gerechtfertigt.

Der BRTV-Bau findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung, nachdem die betriebliche Tätigkeit der Beklagten unter § 1 (2) Abschnitt I bis III, Abschnitt V Nr. 34 BRTV-Bau fällt und dieser Tarifvertrag vom 1. September 2002 im Sinne des § 5 Abs. 1 TVG seit 1. September 2002 und dessen Fassungen vom 17. Dezember 2003, 14. Dezember 2004, 29. Juni 2005 und 19. Mai 2006 seit 01. Oktober 2007 allgemeinverbindlich sind und danach gem. § 5 Abs. 4 TVG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien – ungeachtet der Frage ihrer Mitgliedschaft in dem diesen Tarifvertrag abschließenden Parteien – Anwendung findet.

b) Dass bei Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis dessen Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto grundsätzlich abzugelten ist, bestreitet die Beklagte nicht. Diese Verpflichtung ergibt sich dem Grunde nach aus § 3 1.43

Abs. 3 BRTV-Bau. Ausweislich der von ihr für den Kläger gefertigten Lohnabrechnung Mai 2012 hat sie dem Kläger auch ein Guthaben in Höhe von 11,74 Stunden ausgezahlt und der Kläger hat diesen Umfang bei der Berechnung seines Abgeltungsanspruchs auch in Abzug gebracht.

c) Hingegen hat die Beklagte dem Kläger 94,21 Stunden aus dem Guthaben zu wenig abgegolten. Das Zeitausgleichskonto des Klägers betrug zum Zeitpunkt seines Ausscheidens nicht (nur) 11,74 Stunden, sondern 102,48 Stunden.

aa) Zwischen den Parteien unstreitig betrug das Arbeitszeitguthaben des Klägers Ende Februar 2012 105,95 Stunden. Im März 2012 hat die Beklagte aus diesem Guthaben dem Kläger – von diesem unbeanstandet – 3,47 Stunden unter der Lohnart 371 abgerechnet und ausgezahlt (vgl. Lohnabrechnung März 2012, Bl. 36 der Akten-ArbG). Was diesem Einsatz von Arbeitszeitguthaben zugrunde lag ist zwar von der Beklagten nicht konkret vorgetragen, vom Kläger ist dieser „Abbau“ aber auch nicht beanstandet worden. Der Kläger weist im Rahmen seiner Klage lediglich den Stand seines Arbeitszeitguthabens Ende Februar 2012 aus, ohne den „Abbau“ der Beklagten im März 2012 zu erwähnen oder gar zu beanstanden. Da das tarifliche Arbeitszeitkonto einer ständigen tatsächlichen Entwicklung unterliegt, ist die Partei, die sich auf die Entwicklung des Arbeitszeitkontos beruft nur dann verpflichtet die konkrete – letzte – Entwicklung schlüssig darzulegen, wenn die andere Arbeitsvertragspartei die Entwicklung konkret beanstandet. Die Entwicklung des Arbeitszeitkontos des Klägers von Ende Februar 2012 bis Ende März 2012 ist vom Kläger hingegen nicht – schon gar nicht konkret – beanstandet worden, weshalb insoweit von einem Arbeitszeitkontostand Ende März 2012 in Höhe von Plus 102,48 Stunden für den Kläger auszugehen ist.

bb) Die Beklagte war hingegen nicht berechtigt, das Arbeitszeitkonto des Klägers im April 2012 um 90,74 Stunden zu reduzieren und insoweit an den Kläger auszuzahlen. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Kläger in den Zeiträumen der von ihm nach dem 11. April 2012 vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen tatsächlich nicht arbeitsunfähig krank gewesen ist. Gem. § 3 1.43 Abs. 3 BRTV-Bau darf Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto nur unter den dort genannten Voraussetzungen ausgezahlt/abgegolten/verrechnet werden. Aus der Vorschrift ergibt sich entgegen nicht, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, einseitig – kraft Weisung – den Arbeitnehmer von der Arbeit unter Verrechnung des Guthabens seines Arbeitszeitkontos freizustellen. § 3 1.43 Abs. 3 BRTV-Bau regelt lediglich, wann das Guthaben abzugelten ist, nicht hingegen, wie der Ausgleich von Plus- und Minusstunden im laufenden Arbeitsverhältnis erfolgen kann. Eine einseitige Freistellung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber – unter Verrechnung von Guthaben aus seinem Arbeitszeitkonto – darf hingegen weder nach der Tarifnorm noch aus anderen Gründen erfolgen. Grundsätzlich besteht nämlich die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer im Rahmen der von diesem dem Arbeitgeber gem. § 611 Satz 1 BGB geschuldeten Arbeitszeit zu beschäftigen. Eine völlige oder teilweise Freistellung durch den Arbeitgeber – auch unter Fortbezahlung der Bezüge – ist ohne besondere Vereinbarung nicht ohne anerkennenswerten Grund zulässig. Vielmehr ist erforderlich, dass die Interessen des Arbeitgebers an der tatsächlichen Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers diejenigen an seiner Beschäftigung überwiegen. Ein einseitiges Freistellungsrecht des Arbeitgebers ist nur dann anzuerkennen, wenn die Gründe so schwer wiegen, dass dem Arbeitgeber die weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb nicht zugemutet werden kann. Durch einen Kündigungsausspruch tritt hinsichtlich der wechselseitigen Interessen nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts eine Zäsur ein, die eine differenzierte Betrachtung gebietet. Während des Laufs der Kündigungsfrist ist eine Freistellung gegen den Willen des Arbeitnehmers regelmäßig nur zulässig, wenn die schutzwürdigen Interessen des Arbeitnehmers an der Freistellung die Interessen des Arbeitnehmers überwiegen (vgl. hierzu grundlegend: BAG GS 27. Februar 1985, GS 1/84 in AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Eine Freistellungsabrede zwischen den Arbeitsvertragsparteien ermöglicht hingegen sowohl im bestehenden als auch im gekündigten Arbeitsverhältnis eine Möglichkeit, Arbeitszeitguthaben einzubringen (BAG 27. Februar 2002 – 9 AZR 562/00 – AP Nr. 36 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk).

Danach konnte die Beklagte dem Kläger dessen Plusstunden auf seinem Arbeitszeitkonto im April 2012 nicht um insgesamt 90,74 Stunden reduzieren. Eine Freistellungsvereinbarung zwischen den Parteien behauptet weder die Beklagte, noch konnte eine derartige durch stillschweigende Annahme durch den Kläger zustande kommen, nachdem der Geschäftsführer der Beklagten ausweislich des Vortrags der Beklagten den Kläger am 5. April 2012 angewiesen hatte, nach dem 11. April 2012 nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen. Zwar hat der Kläger auf den Anrufbeantworter von einem „Angebot“ der Beklagten gesprochen. Dies beseitigt hingegen nicht die Tatsache, dass in einer einseitigen Weisung grundsätzlich kein Angebot zum Abschluss einer einvernehmlichen Regelung zu sehen ist. Aber selbst wenn darin ein Angebot gelegen haben sollte, ist dieses vom Kläger ausweislich seiner Äußerung auf dem Anrufbeantworter nicht angenommen worden. Eine einseitige Zuweisung war der Beklagten hingegen nicht möglich. Insoweit sprechen keine überwiegenden schützenswerten Interessen ihrerseits daran, den Kläger bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von seiner Arbeitsverpflichtung zu befreien. Eine vergleichbare Lage wie bei der Zuweisung von Urlaub innerhalb der Kündigungsfrist (vgl. hierzu: Schaub-Linck Arbeitsrechtshandbuch 15. Aufl. 2013 zu § 104 Rn. 95, 96 mwN) besteht nicht, nachdem es bei einem Arbeitszeitkontostand nicht um die Frage der Erholung von geleisteter Arbeit, sondern um die Frage von übererfüllter (im Falle von Plusstunden) oder nicht vollständig erfüllter (im Falle von Minusstunden) geschuldeter Arbeitszeit geht. Auch legt die Tarifnorm oder ein Gesetz – im Gegensatz zu § 7 BUrlG (vgl. hierzu: BAG 22. September 2011 – 8 AZR 846/09 – in AP Nr. 10 zu § 280 BGB Rn. 66 mwN) – nicht die Zuweisung von Ausgleichszeiten in die Hand des Arbeitgebers.

Dass eine einseitige Zuweisung durch den Arbeitgeber nicht möglich ist, ergibt sich im Umkehrschluss auch daraus, dass auch eine einseitige Inanspruchnahme durch den Arbeitnehmer grundsätzlich nicht ohne Einwilligung des Arbeitgebers möglich ist, es sei denn, der Arbeitgeber legt nur Kernarbeitszeiten fest, außerhalb derer der Arbeitnehmer selbständig auf sein Arbeitszeitkonto Einfluss nehmen kann.

Danach konnte die Beklagte dem Kläger dessen Plusstunden auf seinem Arbeitszeitkonto im April 2012 nicht um insgesamt 90,74 Stunden reduzieren und vergüten. Das danach am Ende des Arbeitsverhältnisses der Parteien abzugeltende Arbeitszeitguthaben des Klägers war daher um 90,74 Stunden erhöht. Dieses Guthaben ergibt multipliziert mit 15,00 € den ausgeurteilten Betrag. Soweit der Kläger mehr als diesen Betrag zur Zahlung von der Beklagten fordert, war die Klage hingegen abzuweisen.

d) Der vom Kläger geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich dem Grunde und der Höhe nach gem. den §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 287, 288 Abs. 1, 247 Abs. 1 BGB, § 5.7.2 BRTV-Bau.

e) Der Beklagten war ein Schriftsatzrecht zur Stellungnahme betreffend die Rechtsauffassung des Gerichts zum Inhalt und zur Auslegung von § 3 1.43 Abs. 3 BRTV-Bau nicht einzuräumen. Zum einen hatte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten Gelegenheit Rechtsausführungen zu machen, was er im Übrigen auch getan und mit einem anderen Verständnis von § 3 1.43 Abs. 3 BRTV-Bau argumentiert hat, nämlich damit, dass sich die Berechtigung des Arbeitgebers zur Zuweisung von Plusstunden bei gekündigtem Arbeitsverhältnis aus Sinn und Zweck der Tarifnorm ergebe. Zum anderen hatte bereits der Prozessbevollmächtigte des Klägers erstinstanzlich und auch in seinem Berufungserwiderungsschriftsatz auf der Grundlage der Auslegung der Tarifnorm die Auffassung vertreten, dass die Weisung/Anordnung der Beklagten, den Kläger ab 12. April 2012 unter Verrechnung seines Zeitguthabens auf seinem Zeitkonto freizustellen, rechtswidrig, da gegen den BRTV-Bau verstoßen, gewesen sei.

III. Nebenentscheidungen

1. Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz tragen die Parteien – bezogen auf den in zweiter Instanz noch streitgegenständlichen Antrag – im Verhältnis ihres Obsiegens/Unterliegens gem. § 92 Abs. 1 ZPO.

Dasselbe gilt betreffend die Gesamtheit der Kosten der im ersten Rechtszug rechtshängigen Anträge. Hingegen ist – entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts – in der erstinstanzlichen Kostenentscheidung nicht zu berücksichtigen, ob und warum die Beklagte mit dem vom Kläger erstinstanzlich geltend gemachten Lohnabrechnungen, Arbeitspapieren und Vergütungsansprüchen (März und April 2012 und Überstunden) unterlegen wäre. Der Kläger hat diese von ihm zunächst gestellten Anträge nicht für erledigt erklärt, sondern zurückgenommen (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 3. Dezember 2012,  Bl. 69 der Akte-ArbG und Kammerterminsprotokoll vom 7. Mai 2013, Bl. 103 der Akte-ArbG). Die Kostenfolge dieser Teilklagrücknahmen ergibt sich danach aus § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, nicht hingegen aus § 91 a Abs. 1 ZPO. Ein Fall des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ist weder vom Kläger behauptet, noch liegt ein derartiger offensichtlich vor.

2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen, nachdem keine der Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG vorliegt.

 

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