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Benachteiligung wegen Schwerbehinderung – Entschädigung

ArbG Gießen – Az.: 9 Ca 8/20 – Urteil vom 19.05.2020

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die klagende Partei zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die klagende Partei verlangt die Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und wegen der Schwerbehinderung.

Die klagende Partei ist zweigeschlechtlich geboren. Sie ist schwerbehindert.

Die Beklagte schrieb eine Stelle aus. Nach der Stellenausschreibung, wegen deren Inhalt auf Bl. 21-23 der Akte verwiesen wird, wurden Fallmanager⃰⃰ innen im Aufenthaltsrecht gesucht. Die Stelle war auch im Online-Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht. Wegen des Inhalts der diesbezüglichen Veröffentlichung wird auf Bl. 64, 65 der Akte verwiesen.

Mit E-Mail vom 16. September 2019 (Bl. 26, 27 der Akte) bewarb sich die klagende Partei unter Hinweis auf die Schwerbehinderung und Zweigeschlechtlichkeit auf die ausgeschriebene Stelle.

Mit E-Mail vom 04. November 2019 (Bl. 28 der Akte) lud die Beklagte die klagende Partei zu einem Vorstellungsgespräch am Montag, den 18. November 2019 um 12:30 Uhr ein. Als Einrede im Einladungsschreiben wählte die Beklagte die Worte „Sehr geehrte(r) Frau/Herr A,“.

Mit E-Mail vom 06. November 2019 (Bl. 30 der Akte) teilte die klagende Partei der Beklagten mit, dass sie am Montag, den 18. November 2019 schon einen anderen Termin in Brandenburg habe, weshalb sie sehr höflich um einen Ersatztermin bitte. Ein solcher Ersatztermin wurde nicht angeboten.

Mit Klage vom 07. Januar 2020, die am gleichen Tag bei Gericht einging und der Beklagten am 15. Januar 2020 zugestellt wurde, verlangt die klagende Partei die Zahlung einer Entschädigung.

Die klagende Partei ist der Ansicht, die Stellenausschreibung durch die Beklagte sei nicht diskriminierungsfrei erfolgt. Durch die Verwendung des sogenannten „Gendersternchens“ seien zweigeschlechtlich geborene Menschen nicht angesprochen. Auch habe die Beklagte durch ihre Anrede im Anschreiben betreffend die Einladung zu einem Einstellungsgespräch zum Ausdruck gebracht, dass für sie die Anerkennung einer weiteren Geschlechteridentität neben männlich und weiblich nicht infrage kommt.

Die klagende Partei ist weiterhin der Ansicht, die Beklagte habe ihr einen Ersatztermin zum Vorstellungsgespräch anbieten müssen.

Die klagende Partei bestreitet, dass die ausgeschriebene Stelle nach § 165 Abs. 1 S. 2 SGB IX der Arbeitsagentur gemeldet worden sei.

Die klagende Partei beantragt, die Beklagte zu einer Entschädigungszahlung § 15 Abs. 2 S. 2 AGG in Höhe von zwei Monatsgehältern der Entgeltgruppe E 9 c TVöD, Entgeltstufe 3, mindestens jedoch zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 5.000,00 Euro aufgrund der erlittenen Benachteiligungen im Auswahlverfahren um die Position für das Fallmanagement in Aufenthaltsrecht im Fachdienst 31 – Ausländerbehörde zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die klagende Partei sei durch die Verwendung des Gendersternchens nicht diskriminiert. Dies solle alle Personen unabhängig vom Geschlecht ansprechen.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe der klagenden Partei keinen Ersatztermin anbieten müssen. Die Gewährung eines Ersatzvorstellungstermins im Falle einer Absage zum Vorstellungsgespräch ohne Begründung führe zu einer unzumutbaren Verzögerung im Stellenbesetzungsverfahren.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Inhalte der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt. Im Falle einer Klage auf Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG genügt für die Bestimmtheit des Klageantrags die Angabe einer Größenordnung. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

B.

Die Klage ist unbegründet.

Die klagende Partei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG aufgrund einer Benachteiligung wegen ihres Geschlechts oder ihrer Schwerbehinderung. Sie hat – obgleich sie insoweit die Darlegungslast trifft – keine Indizien im Sinne von § 22 AGG für eine solche Diskriminierung dargetan.

I.

Die klagende Partei hat nicht dargelegt, dass sie wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurde.

Benachteiligung wegen Schwerbehinderung - Entschädigung
(Symbolfoto: H_Ko/Shutterstock.com)

Die Stellenausschreibung der Beklagten ist nicht geeignet, nach § 22 AGG die Vermutung im Sinne von § 22 AGG zu begründen, dass die klagende Partei wegen ihres Geschlechts diskriminiert wurde. Auch die weiteren von der klagenden Partei als Indizien im Sinne von § 22 AGG vorgetragenen Umstände führen zu keiner anderen Bewertung.

Schreibt der Arbeitgeber eine Stelle entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG aus, kann dies die Vermutung nach § 22 AGG begründen, dass der erfolglose Bewerber im Stellenbesetzungsverfahren wegen eines Grundes iSv. § 1 AGG benachteiligt wurde (vgl. BAG, Urteil vom 23. November 2017 – 8 AZR 372/16 –, Rn. 21 – 23, juris).

Die Beklagte hat die Stelle nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben.

Eine Diskriminierung wegen des Geschlechts ergibt sich nicht aus der Verwendung des sogenannten „Gendersternchens“. In der Stellenausschreibung wurden Fallmanager⃰⃰ innen für das Aufenthaltsrecht gesucht. Nach dem Duden soll die Verwendung des Gendersterns zwischen dem Wortstamm eines Wortes und der maskulinen bzw. femininen Flexionsendung gerade der sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter dienen und damit auch zweigeschlechtlich geborene Menschen einbeziehen.

Auch aus der Verwendung der Worte „Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber“ auf S. 2 der Stellenausschreibung ohne Hinweis darauf, dass dies auch zweigeschlechtlich geborene Menschen umfasst, ergibt sich keine Diskriminierung der klagenden Partei. Geschlechtsneutral formuliert ist eine Ausschreibung, wenn sie sich in ihrer gesamten Ausdrucksweise sowohl an alle Personen unabhängig vom Geschlecht richtet. Dem ist zumindest dann Rechnung getragen, wenn die Berufsbezeichnung in geschlechterneutraler Form verwendet wird. Es genügt, dass der Gesamtkontext der Ausschreibung ergibt, dass eine Geschlechtsdiskriminierung nicht beabsichtigt wird (vgl. MüKoBGB/Thüsing, 8. Aufl. 2018, AGG § 11 Rn. 5). So liegt es hier. Die mehrfache Verwendung des Gendersterns im Ausschreibungstext macht deutlich, dass sich die Stellenausschreibung an alle Personen unabhängig vom Geschlecht richtet. Hieran ändert auch die einmalige Verwendung der rein männlichen und weiblichen Bezeichnung im Ausschreibungstext nichts.

Die klagende Partei hat auch keine weiteren Umstände vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts im Sinne von § 22 AGG vermuten lassen. Eine solche Vermutung ergibt sich insbesondere nicht aus der Anrede im Anschreiben der Beklagten vom 04. November 2019 mit „Sehr geehrte(r) Frau/Herr A“. Hieraus ergibt sich nicht, dass für die Beklagte die Anerkennung einer weiteren Geschlechteridentität nicht in Frage kommt. Vielmehr brachte die Beklagte durch die gewählte Anrede, die sich gerade nicht auf die männliche oder weibliche Form festlegt, zum Ausdruck, dass sie die Zweigeschlechtlichkeit der klagenden Partei akzeptiert und diese zu einem Vorstellungsgespräch einladen möchte.

II.

Die klagende Partei hat auch nicht dargelegt, dass eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vorliegt.

1.

Eine Benachteiligung liegt nicht darin, dass kein Vorstellungsgespräch stattfand.

Grundsätzlich ist der öffentliche Arbeitgeber, zu dem die Beklagte zählt, entsprechend § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet, schwerbehinderte Menschen, die sich um eine Stelle beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Unterlässt es der öffentliche Arbeitgeber entgegen dieser Vorschrift, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, so ist dies eine geeignete Hilfstatsache nach § 22 AGG, die für das Vorliegen einer diskriminierenden Benachteiligung spricht (vgl. BAG vom 20. Januar 2016 – 8 AZR 194/14, Juris).

Die beklagte Stadt hat die klagende Partei hier aber gerade mit Schreiben vom 04. November 2019 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Das Vorstellungsgespräch am 18. November 2019 fand aufgrund Verhinderung der klagenden Partei nicht statt.

Der Umstand, dass die Beklagte die klagende Partei nicht zu einem weiteren Vorstellungsgespräch an einem Ersatztermin eingeladen hat, begründet nicht die Vermutungswirkung des § 22 AGG. Aufgrund der Absage klagenden Partei ohne Nennung von Hinderungsgründen war die Beklagte nicht gehalten, einen Ersatztermin anzubieten. Eine solche Verpflichtung wird von der Regelung in § 165 Abs. 1 S. 3 SGB IX nur dann begründet, wenn eine nur kurze Zeit andauernde, unverschuldete Verhinderung vorliegt (vgl. VG Düsseldorf, 16.07.12, Juris). Ob diese Voraussetzungen hier vorlagen, konnte die Beklagte aufgrund der Absage ohne Angabe eines Grundes nicht erkennen.

2.

Eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung wird auch nicht durch eine fehlende Meldung der freien Stelle nach § 165 Abs. 1 S. 1 SGB IX an die Bundesagentur für Arbeit begründet.

Die Tatsache der Nichteinschaltung der Agentur für Arbeit ist geeignet, die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu begründen (vgl. BAG, Urteil vom 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 –, BAGE 119, 262-274, Rn. 22).

Es kann hier dahinstehen, ob die Beklagte die Stelle im Sinne von § 165 Abs. 1 S. 1 SGB IX der Bundesagentur für Arbeit gemeldet hat. Hierfür spricht die Ausschreibung der Stelle auf dem Online-Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit (Bl. 64, 65 d. A.). Jedenfalls wird die Vermutung der Benachteiligung der klagenden Partei durch die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch widerlegt.

C.

Die Kosten des Verfahrens hat nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO die klagende Partei als im Verfahren unterlegene Partei zu tragen.

D.

Der Wert des Streitgegenstandes wurde mit dem begehrten Mindestzahlungsbetrag bewertet.

E.

Ein Grund, die Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG unabhängig vom Wert des Streitgegenstandes zuzulassen, lag nicht vor.

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