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Berufsausbildungsverhältnis – Anspruch auf Ausbildung (§ 14 BBiG)

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 7 Sa 1401/16 – Urteil vom 20.12.2016

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. Juni 2016 – 18 Ca 4608/16 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin in einem bestehenden Ausbildungsvertrag auszubilden und über Ansprüche der Klägerin auf Zahlung der Ausbildungsvergütung aus Annahmeverzug.

Die Parteien schlossen unter dem Datum vom 29.08.2013 einen Berufsausbildungsvertrag über die Ausbildung der Klägerin zum Beruf der Damenmaßschneiderin (Bl. 4 d. A.). Wegen längerer Fehlzeiten aufgrund einer chronischen Erkrankung verlängerte die Handwerkskammer Berlin auf Antrag der Klägerin das Berufsausbildungsverhältnis. Die Prüfung ist nun für Anfang 2017 vorgesehen.

Nach einer längeren Arbeitsunfähigkeit fand sich die Klägerin am 27.01.2016 bei der Beklagten ein, um ihre Ausbildung fortzusetzen. Dazu kam es in der Folgezeit nicht. Mit Schreiben vom 08.02.2016 forderte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte u. a. auf, der Klägerin unverzüglich einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Dies lehnte die Beklagte, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom selben Tag u. a. mit der Begründung ab, sie sei aus gesundheitlichen Gründen auf absehbarer Zeit nicht in der Lage, eine Ausbildung zu gewährleisten.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 23.06.2016 die Beklagte verurteilt, die Berufsausbildung der Klägerin bis zum Ende des Berufsausbildungsverhältnisses fortzusetzen und an die Klägerin 630,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 210,00 EUR brutto seit dem 01.04.2016 sowie auf 210,00 EUR brutto seit dem 01.05.2016 und auf 210,00 EUR seit dem 01.06.2016 zu zahlen. Den Antrag auf Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils in Bezug auf den Antrag zu Ziffer 1 hat das Arbeitsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Fortsetzung ihrer Berufsausbildung bis zum Ende des Berufsausbildungsverhältnisses. Dies sei der Beklagten nicht unmöglich oder unzumutbar geworden, § 275 BGB. Der diesbezügliche Vortrag der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten sei unsubstantiiert und ließe eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit nicht erkennen. Auch müsse gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 BBiG der Ausbildende nicht selbst ausbilden, sondern könne einen Ausbilder oder eine Ausbilderin ausdrücklich damit beauftragen. Weiterhin habe die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung der Ausbildungsvergütung für die Monate März bis Mai 2016 in Höhe von unstreitig 210,00 EUR monatlich, weil sich die Beklagte in diesem Zeitraum in Annahmeverzug befunden habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses der Beklagten am 22.07.2016 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 22.08.2016 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem – nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 07.10.2016 – am 07.10.2016 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Die Beklagte und Berufungsklägerin wendet unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und unter weiterer Vorlage eines ärztlichen Attestes gegen den Anspruch auf Ausbildung Unmöglichkeit wegen ihrer Erkrankung ein. Sie habe deshalb auch ihren Betrieb z.Zt. zum Ruhen gebracht. Sie versuche nur mit ihrer Homepage und wenig aufwendigen Aktivitäten in ihren Berufskreisen im Gespräch zu bleiben und ihren Ruf als Modedesignerin aufrechtzuerhalten. Über ein Atelier oder ein Ladengeschäft verfüge sie nicht mehr. Die Einstellung eines anderen Ausbilders sei ihr unzumutbar. Sie sei dazu auch nicht nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 BBiG rechtlich verpflichtet, weil diese Norm nur die Fälle erfasse, in denen der Ausbilder von vorneherein die persönliche und fachliche Eignung nicht aufweisen könne. Dies sei bei der Beklagten nicht der Fall gewesen. Da ihr aber auch die Ausbildung unmöglich geworden sei, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung der Ausbildungsvergütung aus Annahmeverzug.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23.06.2016, Geschäftszeichen 18 Ca 4608/16 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil mit Rechtsausführungen und verweist darauf, dass der Beklagten die Ausbildung wegen ihrer Erkrankung nicht unmöglich geworden sei, wie sich aus der zwischen den Instanzen getroffenen Kooperationsvereinbarung ergebe.

Mit Datum vom 18.07.2016 haben die Parteien eine Kooperationsvereinbarung über die Ausbildung der Klägerin in einem Partnerbetrieb im Rahmen des Berufsausbildungsvertrages zwischen der Klägerin und der Beklagten vereinbart (Bl. 95 f. d. A.). Im Hinblick darauf hat die Handwerkskammer Berlin auf Antrag der Klägerin das Ausbildungsverhältnis bis zum 28.02.2017 verlängert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Vorbringen in den mündlichen Verhandlungsterminen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist von ihr fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG).

Die Berufung der Beklagten ist daher zulässig.

2. Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage auf Fortsetzung der Ausbildung sowie auf Zahlung der Ausbildungsvergütung für die Monate März, April und Mai 2016 ist zulässig und begründet.

2.1 Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Fortsetzung der Ausbildung nicht durch die Kooperationsvereinbarung entfallen. Denn die Beklagte streitet nach wie vor eine Verpflichtung zur Ausbildung ab und beruft sich darauf, die Kooperationsvereinbarung nur zur Vermeidung einer drohenden Zwangsvollstreckung abgeschlossen zu haben. Damit erfüllt sie den originären Ausbildungsanspruch aus dem Ausbildungsvertrag nicht. Dies kann insbesondere dann Auswirkungen haben, falls die Klägerin die Prüfung Anfang 2017 nicht bestehen und der Ausbildungsvertrag über den 28.02.2017 hinaus verlängert werden sollte, wozu entsprechende Regelungen der Partei bisher noch nicht bestehen.

2.2 Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat aus dem Ausbildungsvertrag nach § 14 BBiG einen Anspruch auf tatsächliche Ausbildung (§ 2.2.1). Darüber hinaus hat sie einen Anspruch auf Zahlung der Ausbildungsvergütung aus Annahmeverzug (2.2.2).

2.2.1 Die Beklagte ist der Klägerin gegenüber nach § 14 BBiG verpflichtet, diese tatsächlich auszubilden. Das Ausbildungsverhältnis besteht nach dem Bescheid der Handwerkskammer vom 29.08.2016 (Bl. 145 d. A.) über die Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses weiterhin fort. Es wurde von der Beklagten bisher nicht gekündigt. Nach § 14 BBiG ist der Ausbildende zum einen verpflichtet, dafür zu sorgen, dass dem Auszubildenden die berufliche Handlungsfähigkeit vermittelt wird, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist, und die Berufsausbildung in einer durch ihrem Zweck gebotenen Form planmäßig, zeitlich und sachlich gegliedert so durchgeführt wird, dass das Ausbildungsziel in der vorgesehenen Ausbildungszeit erreicht werden kann, zum anderen verpflichtet, selbst auszubilden oder einen Ausbilder oder eine Ausbilderin ausdrücklich damit zu beauftragen (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BBiG).

2.2.2 Von dieser Verpflichtung wurde die Beklagte nicht aufgrund ihrer Erkrankung nach § 275 BGB frei, weil ihr die Ausbildung unmöglich geworden wäre.

Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Unmöglichkeit kann auch im Falle einer dauernden Erkrankung eintreten, wenn der Schuldner die Leistung höchstpersönlich zu erbringen hat (Palandt-Heinrichs § 275 Rz. 24). Ist die Leistung jedoch nicht höchstpersönlich zu erbringen und kann sie von einem Vertreter erbracht werden, scheidet in einem solchen Fall Unmöglichkeit mit der Folge, dass der Schuldner von der Leistungsverpflichtung frei wird, aus (vgl. Palandt § 275 Rz. 24).

So aber liegen die Dinge im Streitfall. Wie sich aus § 14 Abs. 1 Nr. 2 BBiG ergibt, ist die Ausbildungsverpflichtung keine höchstpersönliche Verpflichtung des Vertragspartners des Ausbildungsvertrages. Vielmehr räumt § 14 Abs. 1 Nr. 2 ausdrücklich die Möglichkeit ein, einen anderen Ausbilder oder eine andere Ausbilderin mit der Ausbildung zu beauftragen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dies nicht auf die Fälle begrenzt, in denen die persönliche und fachliche Eignung von Anfang an nicht gegeben ist z. B. weil der Vertragspartner des Ausbildungsvertrages eine juristische Person ist. § 14 Abs. 1 Nr. 2 eröffnet auch dann die Möglichkeit, einen anderen Ausbilder oder eine andere Ausbilderin mit der Ausbildung zu beauftragen bzw. einzustellen, wenn der Ausbildende die Ausbildung aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nicht selbst durchführen kann (Benecke/Hergenröder, BBiG § 14 Rz. 14) oder aber der ursprünglich vorgesehene Ausbilder für längere Zeit wegen Arbeitsunfähigkeit für die Ausbildung ausfällt.

Unmöglichkeit ist auch nicht deshalb eingetreten, weil die Beklagte keine Gewerberäume mehr unterhält und ihre Tätigkeit nur in einem geringen Umfang weiterführt. Dabei kann dahinstehen, in welchem Umfang die Beklagte noch auf dem Markt tätig ist. Denn jedenfalls ergibt sich aus der zwischen den Instanzen abgeschlossenen Kooperationsvereinbarung, dass die Ausbildung der Klägerin seitens der Beklagten nicht als Grundlage einen Ausbildungsplatz im Betrieb der Beklagten voraussetzt. Auch kann sich die Beklagte jedenfalls bis Februar 2017 ohnehin nicht auf die Unmöglichkeit der Ausbildung berufen, da sie gerade mit dem Kooperationsvertrag die Ausbildung der Klägerin ermöglicht.

Die Beklagte ist auch nicht nach § 275 Abs. 2 oder Abs. 3 BGB von ihrer Verpflichtung zur Ausbildung freigeworden. Die Ausbildung der Klägerin erfordert keinen Aufwand, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse der Klägerin stehen würde (§ 275 Abs. 2 S. 1 BGB). Dabei ist auf Seiten der Klägerin ein erhebliches Interesse an dem Abschluss der Ausbildung zu berücksichtigen. Demgegenüber stehen als Interessen der Beklagten – nachdem sich ein Kooperationspartner gefunden hat – lediglich finanzielle Interessen bei der Leistungspflicht der Beklagten entgegen, die sich in Zahlung der monatlichen Ausbildungsvergütung in Höhe von 210,00 EUR erschöpfen. Auch wenn die Beklagte im Hinblick auf ihre Erkrankung finanziell nicht gut dastehen sollte, kann hier ein grobes Missverhältnis nicht angenommen werden.

2.1.3 Aus diesen Gründen ist der Anspruch der Klägerin auf Fortsetzung der Ausbildung bis zur Beendigung des Ausbildungsverhältnisses zu bejahen.

2.2 Weiterhin hat die Klägerin auch Anspruch auf Zahlung der Ausbildungsvergütung nach § 17 Abs. 1 BBiG iVm. § 615 BGB. Die Beklagte befand sich in Annahmeverzug, nachdem die Klägerin ihre Bereitschaft, die Ausbildung fortzusetzen sowohl persönlich als auch schriftlich angeboten hat und die Beklagte dies unter Hinweis auf ihre Erkrankung abgelehnt hat. § 615 BGB findet auf das Berufsausbildungsverhältnis Anwendung (§ 10 Abs. 2 BBiG).

Die Beklagte hat die Entgegennahme der von der Klägerin im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses geschuldeten Bereitschaft zur Ausbildung abgelehnt. Unerheblich ist, ob sie daran ein Verschulden trifft (vgl. Erf.-Ko § 615 BGB Rz. 56).

Da die Beklagte auch nicht aus sonstigen Gründen von ihren vertraglichen Verpflichtungen freigeworden ist, insbesondere das Ausbildungsverhältnis bisher nicht gekündigt werden konnte und gekündigt wurde, besteht der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Ausbildungsvergütung fort. Für die erste Woche im März ergibt sich dieser Anspruch ohnehin aus § 19 Abs. 1 Nr. 2 BBiG.

3. Aus diesen Gründen war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, mit der Folge, dass sie gemäß § 97 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.

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