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Beschlussvergleich – Übersendung mit einfacher Signatur ausreichend?

ArbG Stuttgart – Az.: 4 Ca 688/22 – Beschluss vom 25.02.2022

Es wird gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Vergleich mit nachfolgendem Inhalt zustande gekommen ist:

1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung der Beklagten vom 28.01.2022 mit Ablauf des 31.07.2022 enden wird.

…………………….

8. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.

9. Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit Erfüllung der Ansprüche aus dem Vergleich sämtliche Ansprüche der Parteien – gleich aus welchem Rechtsgrund, bekannt oder unbekannt – aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung erledigt sind. Ein etwaiger unverfallbarer Anspruch auf Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung des Klägers bleibt hiervon unberührt.

10. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung sowie die Erteilung eines Arbeitszeugnisses.

Mit übereinstimmenden Schriftsätzen vom 24./25. Februar 2022 unterbreiteten die Prozessbevollmächtigten der Parteien dem Gericht einen Vergleichsvorschlag zur Feststellung gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO. Der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten wurde aus deren besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) übersandt. Der Schriftsatz war mittels Wiedergabe des Namenszugs der Prozessbevollmächtigten der Beklagten einfach signiert. Anders als beim Schriftsatz des Klägervertreters war jedoch keine zusätzliche qualifizierte elektronische Signatur (qeS) angebracht worden.

II.

Gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO war das Zustandekommen und der Inhalt des geschlossenen Vergleichs durch Beschluss festzustellen. Die Parteien haben dem Gericht übereinstimmende schriftliche Vergleichsvorschläge gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO unterbreitet. Dem steht nicht entgegen, dass auf Seiten der Beklagten lediglich ein einfach signiertes elektronisches Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG übermittelt wurde. § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO enthält kein materielles Schriftformerfordernis im Sinne von §§ 126, 126a BGB.

1. In der Literatur wird jedoch die Auffassung vertreten, § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO enthalte ein echtes materiell-rechtliches Schriftformerfordernis. Die Schriftsatzform (vgl. §§ 130 Nr. 6, 130a ZPO bzw. § 46c ArbGG) reiche nicht aus. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorschrift. Während § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 2 ZPO ausdrücklich regele, dass die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags wirksam „durch Schriftsatz“ erfolgen könne, sehe § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO vor, dass der Vergleichsvorschlag der Parteien „schriftlich“ erfolgen müsse. Dies könne nur so verstanden werden, dass für den Vergleichsvorschlag der Parteien Schriftform i.S. der §§ 126, 126a BGB erforderlich sei und die bloße Einhaltung der für bestimmende Schriftsätze geltenden Form nicht ausreiche. Für die Geltung der §§ 126, 126a BGB spreche neben der sprachlichen Differenzierung des Gesetzes, dass der Vergleichsvorschlag der Parteien nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO nicht nur eine Prozesshandlung darstelle, sondern auch eine materiell-rechtliche Willenserklärung, nämlich ein Angebot i.S. des § 145 BGB enthalte. Ordne aber ein Gesetz für materiell-rechtliche Willenserklärungen Schriftlichkeit an, gälten nicht deshalb gegenüber §§ 126, 126a BGB gelockerte Formvorschriften, weil sie im Rahmen eines Schriftsatzes erklärt würden. Daraus, dass die Schriftlichkeit des Vergleichsvorschlags der Parteien im Rahmen einer prozessrechtlichen Vorschrift angeordnet werde, ergebe sich nichts anderes. Grundsätzlich fänden §§ 126, 126a BGB auch dann Anwendung, wenn eine verfahrensrechtliche Vorschrift die Schriftlichkeit einer Erklärung vorsehe. Nur vor diesem Hintergrund verstehe sich die Zulassung des elektronischen Dokuments bei gesetzlicher Anordnung der Schriftform in § 130a ZPO in Parallele zu § 126a BGB. Die Regelung des § 130 Nr. 6 ZPO gelte ausschließlich dort, wo das Gesetz die Einreichung eines Schriftsatzes ausreichen lasse. Deshalb sei die Einreichung eines Vorschlags gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO per Telefax nicht zulässig. Ein Beschluss nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO dürfe dann nicht ergehen (zum Ganzen Nungeßer NZA 2005, 1027, 1029; A.A. ohne weitere Begründung Schulte/Molkenbur, ArbRB 2015, 61, 62).

2. In der Rechtsprechung ist diese Ansicht bislang – soweit ersichtlich – ohne inhaltliche Auseinandersetzung geblieben.

Dies mag daran liegen, dass im „Papierzeitalter“ auf einen vorab per Fax übersandten Vergleichstext in aller Regel ein die Form des § 126 BGB wahrender Originalschriftsatz folgte, nach dessen Eingang unstrittig gemäß § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO verfahren werden durfte. In der arbeitsgerichtlichen Praxis wurde in der Vergangenheit von nicht wenigen Vorsitzenden der Auffassung von Nungeßer folgend der Eingang des Originalschriftsatzes abgewartet.

Im „elektronischen Zeitalter“ unter Geltung von §§ 130a, 130d ZPO (bzw. §§ 46c, 46g ArbGG) hätte diese Auffassung die gravierende Folge, dass Schriftsätze, die – wie vorliegend – gemäß § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG (bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ZPO) auf sicherem Übermittlungsweg „nur“ mit einfacher Signatur eingereicht werden, zwar prozessual wirksam wären, jedoch in Ermangelung der Form aus § 126a BGB materiell-rechtlich formunwirksame Erklärungen enthielten. Denn der Versand auf einem sicheren Übermittlungsweg ohne qualifizierte elektronische Signatur wahrt die elektronische Form gemäß § 126a BGB nicht (vgl. Poguntke/von Villiez NZA 2019, 1097, 1098).

3. Das erkennende Gericht hält – obgleich eine Klarstellung durch den Gesetzgeber zur Herstellung von Rechtssicherheit im elektronischen Rechtsverkehr dringend geboten wäre – bereits de lege lata die Einreichung eines Vergleichsvorschlags gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO auf dem Wege des § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG (bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ZPO) für ausreichend.

a) Zwar ist es in der Tat zutreffend, dass der (missglückte) Wortlaut von § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO sprachlich zwischen „schriftlich“ (Var. 1) und „durch Schriftsatz“ (Var. 2) unterscheidet. In der Gesetzesbegründung finden sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich hierbei um eine bewusste Differenzierung handeln sollte und der Gesetzgeber die Einführung eines materiellen Schriftformerfordernisses in Var. 1 beabsichtigte.

Die Einführung von § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO diente vielmehr der Beseitigung einer mühsamen Verfahrensweise im prozessualen Alltag (vgl. Müller-Teckhof, MDR 2014, 249, 251). Denn vor der Einführung von § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO musste das Gericht auch bei einem Aushandeln des Vergleichs durch die Parteien bzw. ihre Prozessbevollmächtigten den Vergleich nochmals zur Annahme unterbreiten. Für die „in der Gerichtspraxis häufig auftretende Fallgestaltung“ wurde das Hin und Her als „sachfremd“ erkannt (BT-Drucks. 15/999 Seite 17). § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO hat mithin ausschließlich einen prozessualen Hintergrund und ist in diesem Lichte auszulegen. In materiell-rechtlicher Hinsicht verweist die Gesetzesbegründung ausdrücklich auf § 779 BGB (a.a.O.)

b) Es ist auch in der Sache kein Grund erkennbar, warum der Gesetzgeber in der Zivilprozessordnung ein materiell-rechtliches Formerfordernis für den Beschlussvergleich aufstellen sollte. Vergleiche können materiell-rechtlich gemäß § 779 BGB grundsätzlich formfrei abgeschlossen werden (BeckOGK/J. F. Hoffmann, 1.6.2019, BGB § 779 Rn. 57). Es ist nicht einsichtig, warum man gerade beim Beschlussvergleich, der unter Mitwirkung eines Gerichts zustande kommt, von diesem Grundsatz abweichen sollte. Dies gilt umso mehr, als zum Zeitpunkt der Unterbreitung gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO sich die Parteien oftmals bereits auf einen (außergerichtlichen) Vergleich materiell-rechtlich verbindlich geeinigt haben. In diesem Fall stellt das Gericht nur noch die tatsächlich bereits erfolgte Einigung fest (MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, ZPO § 278 Rn. 44). Auch insoweit wäre ein „nachgelagertes“ materielles Schriftformerfordernis nicht verständlich.

c) Das Unterbreiten eines schriftlichen Vergleichsvorschlags durch die Parteien gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO ist deshalb zunächst einmal Prozesshandlung (vgl. MüKoZPO/Prütting, a.a.O.). Es handelt sich um eine „prozessgestaltende Erklärung gegenüber dem Gericht, die (ähnlich wie die Erledigungserklärung, die Klagerücknahme oder die Klageänderung) als ein bestimmender Schriftsatz anzusehen ist“ (so OLG Karlsruhe 6. Juli 2010 – 5 UF 17/10 – Rn. 27). Wegen dieser prozessualen Bedeutung des Prozessvergleichs (Beendigung des Rechtstreits, Wegfall der Rechtshängigkeit des Verfahrens und Titelfunktion) statuiert § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO eine Formstrenge (OLG Karlsruhe a.a.O.). Diese Form kann deshalb auch nur prozessual verstanden werden. Prozessual betrachtet wäre es nicht einsichtig, einen Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO einer größeren Formstrenge zu unterwerfen als z.B. eine Klageerhebung, eine Erledigungserklärung oder eine Klagrücknahme.

d) Die Gegenansicht hätte schließlich zur Folge, dass Rechtsanwälte und andere professionelle Einreicher nach Inkrafttreten der aktiven Nutzungspflicht (§ 46g ArbGG; § 130d ZPO) zum 01.01.2022 ohne qualifizierte elektronische Signatur keine Vergleichsvorschläge gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO mehr unterbreiten könnten. Eine beA-Basiskarte ohne Signaturzertifikat wäre dann eine unzureichende Ausstattung für einen Rechtsanwalt. Es bedürfte zwingend einer Signaturkarte. Dieses Resultat liefe erkennbar dem Willen des Gesetzgebers zuwider, einerseits mit § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO das prozessuale Massengeschäft zu vereinfachen und andererseits in § 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG (bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) zwei gleichwertige Möglichkeiten zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr zu etablieren (dazu ArbG Stuttgart 15. Dezember 2021 – 4 BV 139/21 – Rn. 21).

4. Die Wahrung der Voraussetzungen aus § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG (bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ZPO) genügte vorliegend mithin, um die Feststellung gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO treffen zu können.

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