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Beschränkung Arbeitnehmerhaftung – innerbetrieblicher Schadensausgleich – Mitverschulden

Schadenersatzklage wegen nicht eingereichter Rezepte

Die Klägerin, eine medizinische Fachhandelsfirma, verlangt Schadensersatz in Höhe von 7.363,42 € vom Beklagten, ihrem ehemaligen Außendienstmitarbeiter. Der Vorwurf: Der Beklagte habe es versäumt, Rezepte zu den von ihm getätigten Lieferungen an Patienten einzuholen und an den Innendienst der Schwestergesellschaft S. GmbH & Co. KG zur Abrechnung weiterzuleiten.

Vorwürfe und Arbeitsvertrag

Der Beklagte war sowohl bei der S. GmbH & Co. KG als auch bei der Klägerin als Außendienstmitarbeiter im Bereich Home Care beschäftigt. Die Klägerin behauptet, der Beklagte sei während des Einstellungsgesprächs über seine vertragliche Leistungspflicht, Rezepte einzuholen, informiert worden. Dem widerspricht der Beklagte und gibt an, dass er Rezepte in der Regel nicht persönlich entgegengenommen habe, sondern diese direkt zum Innendienst geschickt wurden.

Argumente des Beklagten

Der Beklagte bestreitet die Vorwürfe und argumentiert, er sei nicht verantwortlich für das Nicht-Eingehen von Rezepten im Innendienst der Klägerin. Er erläutert, dass Rezeptanforderungen normalerweise direkt von den Ärzten an den Innendienst geschickt wurden und er nur ausnahmsweise Rezepte persönlich übergeben habe. Weiterhin betont der Beklagte, dass die Klägerin trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses immer noch in der Lage sein sollte, Rezepte von den Ärzten einzuholen und bei der Krankenkasse abzurechnen. Falls ein Schaden entstanden sei, wäre dieser bei der Schwestergesellschaft S. GmbH & Co. KG entstanden und nicht bei der Klägerin.

Streit um Zuständigkeiten

Der Beklagte argumentiert, dass es nicht seine Aufgabe gewesen sei, Rezepte an den Innendienst der Klägerin weiterzugeben. Er verweist darauf, dass die Klägerin jeweils mit einem Rezeptanforderungsbrief einen kostenlosen Rückschein an jede Arztpraxis übersandt habe, sodass die Rücksendung der Rezepte für den Arzt kostenfrei gewesen sei.

Weitere Klage beim Arbeitsgericht Gera

Der Beklagte weist darauf hin, dass er auch von der Schwestergesellschaft der Klägerin, S. GmbH & Co. KG, aufgrund identischer Vorwürfe beim Arbeitsgericht Gera verklagt wurde. Die Klägerin hatte den Beklagten unverzüglich übernommen und ihm dieselben Pflichten übertragen, die er zuvor bei der S. GmbH & Co. KG angeblich mit Schadensfolge systematisch verletzt haben soll.

Die Klägerin fordert Schadensersatz in Höhe von 7.363,42 €, basierend auf einer Schätzung der entgangenen Erträge aus den nicht eingereichten Rezepten. Die Klägerin argumentiert, dass der Beklagte seine vertraglichen Pflichten verletzt habe, indem er keine Rezepte für die getätigten Lieferungen eingeholt und an den Innendienst weitergeleitet habe.

Bewertung des Gerichts

Das Gericht wird in diesem Fall sorgfältig prüfen müssen, ob der Beklagte tatsächlich für das Nicht-Einreichen der Rezepte verantwortlich war und ob dies eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten darstellt. Dabei wird das Gericht die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten im Arbeitsvertrag sowie die tatsächlichen Abläufe der Rezeptanforderungen und -weitergabe berücksichtigen. Auch die zeitliche Abfolge der Arbeitsverhältnisse bei der Klägerin und ihrer Schwestergesellschaft S. GmbH & Co. KG kann für die Beurteilung der Schadensersatzforderung relevant sein.

Ausblick

Die Entscheidung des Gerichts wird von verschiedenen Faktoren abhängen, einschließlich der tatsächlichen Verantwortlichkeiten des Beklagten im Hinblick auf die Rezepte und der Beweislast für den entstandenen Schaden. Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass der Beklagte seine vertraglichen Pflichten verletzt hat, könnte die Klägerin einen Schadensersatzanspruch geltend machen. Andernfalls könnte das Gericht die Klage abweisen. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens zeigt dieser Fall die Bedeutung klarer Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten innerhalb eines Arbeitsvertrags und deren Einhaltung im Arbeitsalltag auf.

Urteil

ArbG Gera – Az.: 1 Ca 216/18 – Urteil vom 04.05.2022

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

3. Der Wert des Streitgegenstands wird auf EUR 7.363,42 festgesetzt.

4. Soweit die Berufung nicht bereits kraft Gesetzes zugelassen ist, wird sie hiermit nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz. Der Beklagte war im Zeitraum vom 12. Februar 2018 bis 30. April 2018 bei der Klägerin als Außendienstmitarbeiter im Bereich Home Care beschäftigt. Er erhielt ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.100,00 €. Unter § 12 des Arbeitsvertrages sind zweistufige Ausschlussfristen von 3 Monaten vereinbart. Zuvor war der Beklagte im Zeitraum vom 1. August 2017 bis 31. Januar 2018 unmittelbar bei der S. GmbH & Co. KG als Außendienstmitarbeiter im Bereich Home Care beschäftigt. Bei der S. GmbH & Co. KG handelt es sich um eine rechtlich selbstständige Schwestergesellschaft der Klägerin. Es besteht Personenidentität des Geschäftsführers der jeweiligen Verwaltungs-GmbH. Dem Beklagten war im dortigen Arbeitsverhältnis mit identischen Aufgabenbereich und Pflichten beschäftigt. Die Klägerin hat den Beklagten aufgrund identischer Vorwürfe wegen Pflichtverletzung des dortigen Arbeitsverhältnisses ebenfalls beim Arbeitsgericht Gera (unter dortigem Az. 4 Ca 116/18) auf Schadensersatz verklagt.

Die Klägerin fordert vom Beklagten Schadensersatz, da dieser versäumt habe, zu den von ihm getätigten Lieferungen an die Patienten, die zugrunde liegenden Rezepte einzuholen und an den zugewiesenen Innendienstmitarbeiter der S. GmbH & Co. KG zur Abrechnung einzureichen. Einholen der Rezepte sei eine typische Leistungspflicht im Arbeitsvertrag eines medizinischen Fachhandels. Er sei über diese vertragliche Leistungspflicht während des Einstellungsgesprächs durch den Geschäftsführer belehrt worden. Nach Ausscheiden ende die Möglichkeit der Klägerin auf den Beklagten einzuwirken, damit er die Rezepte noch einhole. Zeitlich gesehen hätten die Rezepte zu den Lieferungen im Minimum alle 14 Tage bei dem Innendienst der S. GmbH & Co. KG zum Zwecke der Abrechnung eingereicht werden müssen. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe die Klägerin feststellen müssen, dass zum 30. April 2018 noch verschiedene Lieferungen im Versorgungsgebiet des Beklagten offen gestanden hätten und zwar beginnend ab 01.03.2018. Die letzte offene Lieferung datiere vom 26.04.2018. Mit Schreiben vom 02.05.2018 stellte die S. GmbH & Co. KG den ihr entstandenen Schaden der Klägerin in Rechnung. Insgesamt ergebe sich ein Betrag von 7.363,42 € netto, welchen die Klägerin an die S. GmbH & Co. KG gezahlt habe. Damit sei der Klägerin ein Schaden in entsprechender Höhe entstanden. Bei der Einreichung der Rezepte handele es sich um eine Bringschuld des Beklagten. Die Pflichtverletzung habe kausal zum Schaden geführt.

Der Beklagte sei prozessual nicht berechtigt, die aufgelisteten als Schadenersatz verlangten Lieferungen mit Nichtwissen zu bestreiten, denn es handele sich dabei um solche Lieferungen, die durch den Beklagten getätigt worden seien. Mit offenen Lieferscheinen seien die Rezepte gemeint. Lieferscheine könnten nicht offen sein, da diese selbst durch die Klägerin im Falle der Bestellung erstellt und mit der Bestellung übersandt würden. Der Beklagte habe mehrfach zugesagt, sich um die offenen Rezepte zu den Lieferungen zu kümmern. Nach § 302 SGB IV in Verbindung mit den Rahmenempfehlungen des Spitzenverbandes der Krankenkasse würden diese gerade für die Klägerin gelten. Danach sei mit dem Originalbeleg für den Monat abzurechnen, in welchem die Lieferung getätigt worden sei. Sei die Monatsfrist nicht eingehalten, so sei die Abrechnung grundsätzlich ausgeschlossen. Soweit es in Einzelfällen im Nachgang doch noch gelungen sei, sei die Klägerin hier ihrer Schadensminderungspflicht nachgekommen. Soweit der Beklagte weiter bei seiner Auffassung bleibe, die Klägerin könne Rezepte heute noch einholen und zumindest auf Grundlage von Duplikaten gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen, so dürfe bereits jetzt angekündigt werden, dass der Aufwand, der allein dadurch entstehe, dies zu versuchen, auch wenn rechtliche Vorgaben dem entgegenstünden, dem Beklagten gleichsam als Schadenersatz in Rechnung gestellt werden würde.

Die Klägerin beantragt: Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.363,42 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Schadenersatz bestehe nicht. Die Arbeitsaufgaben des Klägers richteten sich nach dem Arbeitsvertrag. Eine Stellenbeschreibung existiere nicht. Wichtig sei, dass der Beklagte als Außendienstmitarbeiter für Lieferungen an Patienten die Rezepte einholen müsse. Allerdings sei das wesentlich anders abgelaufen. Ein Auftrag für die Klägerin sei jeweils von einem Arzt oder Pflegedienst im Auftrag des Patienten ausgelöst worden, der sich dazu an den Beklagten als Vertreter der Klägerin gewandt habe. Dieser habe sich in Abstimmung mit dem Arzt die Wunde angesehen und die Bestellung ausgelöst, die im Innendienst der Klägerin bearbeitet worden sei. Von dort sei der Auftrag, bzw. die Rezeptanforderung zum Arzt gelangt. Der Beklagte sei also nie im Besitz des Rezeptes gewesen, diese seien in der Regel direkt zum Innendienst der Klägerin geschickt worden. So sei auch im vorherigen und hiesigen Arbeitsverhältnis verfahren worden. Nur ausnahmsweise habe er Rezepte mitgenommen. Es sei regelmäßig freitags eine Liste der sogenannten „offenen Lieferscheinen“ erstellt worden. Dabei habe es sich um Rezepte gehandelt, die bis dahin nicht beim Innendienst eingegangen seien, was aber nicht am Beklagten gelegen habe. Der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte habe Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt, treffe daher nicht zu. Er sei nicht dafür verantwortlich gewesen, dass Rezepte nicht im Innendienst der Klägerin eingingen. Die von der Klägerin benannte Zeugin S. sei über diese Abläufe vermutlich nicht näher informiert. Falsch sei, dass der Beklagte im Rahmen des Einstellungsgesprächs über diese Besonderheit belehrt worden sein solle. Auch sei die Behauptung der Klägerin, die Rezepte zu den Lieferungen hätten binnen 14 Tagen beim Innendienst der S. GmbH & Co. KG eingereicht werden sollen, unzutreffend. Dies sei aufgrund des Zeitablaufs in der Bearbeitungszeit in der Arztpraxis gar nicht möglich. Im Übrigen habe dies nicht in der Verantwortung des Beklagten gelegen. Unverständlich sei auch, warum die Klägerin durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit verloren haben solle, die Rezepte gegenüber der Krankenkasse abzurechnen. Der Innendienst könnte die Rezepte weiterhin anfordern und bei der Kasse abrechnen. Ein Schaden sei der S. GmbH & Co. KG damit nicht entstanden, wenn dann nur bei dieser, und könne diesen nicht von der Klägerin einfordern.

Soweit der Beklagte tatsächlich Rezepte mitgenommen habe, habe es sich um absolute Ausnahmefälle gehandelt, wenn er gerade zufällig vor Ort gewesen sei. Er habe aber keine Rezepte einbehalten. Es sei also gerade nicht unstreitig, dass der Kläger die Arbeitsaufgabe gehabt habe, die Rezepte entgegenzunehmen und im Innendienst der Klägerin zum Zwecke der Abrechnung zu übergeben. Die Klägerin habe jeweils mit einem Rezeptanforderungsbrief einen kostenlosen Rückschein an jede Arztpraxis übersandt. Damit sei die Rücksendung der Rezepte für den Arzt kostenfrei. Diese hätten gar keinen Grund, einen Mitarbeiter der Klägerin als Boten einzusetzen. Es würde im Übrigen viel zu lange dauern, weil der Beklagte ja nicht regelmäßig dort sei. Dazu könnten die Ärzte als Zeugen gehört werden. Die Klägerin hätte durchaus die Originale beim Arzt abholen und bei der Kasse einreichen können. In einigen Fällen sei es ihr ja nach eigenem Vortrag gelungen Duplikate zu beschaffen. Warum solle dies nicht in den übrigen Fällen möglich sein. Auch mit Duplikaten könne bei der Krankenkasse abgerechnet werden, wozu Auskünfte der Krankenkassen und der kassenärztlichen Vereinigung eingeholt werden könnten.

Zudem weist der Beklagte darauf hin, dass es zumindest bemerkenswert sei, dass der Beklagte von der Schwestergesellschaft der Klägerin, S. GmbH & Co. KG, aufgrund identischer Vorwürfe ebenfalls beim Arbeitsgericht Gera verklagt und die Klägerin den Beklagten unverzüglich übernahm und ihm dann genau die Pflichten übertrug, die er zuvor bei der S. GmbH & Co. KG angeblich mit Schadensfolge systematisch verletzt haben soll.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolleerklärungen der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten weder ein Anspruch auf Schadensersatz aus Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB noch aus dem Deliktstatbestand gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen zumindest fahrlässiger Schlechterfüllung des Arbeitsvertrages, die zu einem entsprechenden Schaden geführt hat, zu.

a) Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz aus Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB zu.

aa) Es ist allgemein anerkannt, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber für positive Vertragsverletzung haftet. Eine Haftung des Beklagten käme nur in Betracht, wenn er aus dem Gesichtspunkt positiver Vertragsverletzung für den von der Klägerin behaupteten Schaden verantwortlich wäre. Dies käme nur in Betracht, wenn er objektive arbeitsvertragliche Pflichten verletzt und diese Pflichtverletzung auch zu vertreten hätte. Nach dem Beschluss des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts vom 27.09.1994 – GS 1/89 – gelten die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung für alle Arbeiten, die im Betrieb veranlasst sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet wurden, auch wenn die Arbeiten nicht gefahrgeneigt sind. Danach haftet der Arbeitnehmer nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit in voller Höhe, bei mittlerer Fahrlässigkeit wäre der Schaden in der Regel zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber quotal zu verteilen. Inwieweit der Arbeitnehmer schuldhaft seine Pflichten verletzte, d.h. grob fahrlässig oder fahrlässig, hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen. Weiter müsste vorgetragen werden, dass dieser Schaden tatsächlich entstanden ist und zwischen Vertragsverletzung und Schaden ein Kausalzusammenhang besteht (vgl. BGH vom 13.02.1969, AP Nr. 6 zu § 282 BGB).

bb) Bereits an der Darlegung und dem Nachweis der Vertragsverletzung mangelt es, eine vorsätzliche Pflichtverletzung ist mangels Vortrag schon gar nicht nachzuvollziehen.

Der Beklagte soll Rezepte nicht eingeholt oder einbehalten haben, so dass die getätigten Lieferungen über die Krankenkasse nicht beglichen werden konnten. Dass dies im Einzelfall so war und der Beklagte arbeitsvertraglich dazu verpflichtet war, ist weder ausreichend vorgetragen noch nachgewiesen. Das Prozedere ist bei der Klägerin offensichtlich nicht ausreichend organisiert. Der Beklagte tritt für die Klägerin bzw. für die S. GmbH & Co. KG gegenüber Patienten und Ärzten auf. Allerdings kann die Klägerin ja wohl trotzdem selbst Kontakt mit selbigen aufnehmen, wenn sie feststellt, dass noch Außenstände vorhanden sind, was sie nach eigenem Vortrag wohl auch mit Listen aller 14 Tage erkannt hat. Wie und bei welcher Gelegenheit der Beklagte dies tun soll, erschließt sich nicht. Nach dem Besuch des Patienten/Arztes und Auslösung der Bestellung dürfte er andere Aufgaben zu übernehmen haben, als sich später dann nochmals um die Rezepte zu kümmern. Normal wäre die Einholung eines Rezeptes vor Lieferung, wobei sicher eilbedürftige Fälle denkbar sind. Bei den Ärzten anzurufen und nach dem Verbleib des Rezeptes fragen, wäre ja das Mindeste. Es ist daher noch nicht einmal nachvollziehbar, ob die entsprechenden Rezepte überhaupt ausgestellt worden sind und welchen Weg sie genommen haben. Eine Pflicht des Beklagten zur Einholung der Rezepte ergibt sich weder aus dem Arbeitsvertrag noch aus einer Stellenbeschreibung. Was konkret im Einstellungsgespräch dem Beklagten gesagt wurde, ist nicht nachvollziehbar. Es wird allgemein von Belehrung gesprochen. Die Anlagen K 5 – K 8, welche aus sich heraus kaum verständlich sind. Ob dies vom Beklagten zu verantworten ist, ergibt sich aus den Anlagen gerade nicht. Es ergibt sich lediglich, dass Lieferscheine offen sind. Welche Maßnahmen nunmehr eingeleitet wurden, ergibt sich ebenfalls nicht. Wenn denn die Klägerin aber den Urbeleg in dem Monat der Lieferung abzurechnen hat, wären die Lieferungen nicht mehr gegen zu finanzieren gewesen. Offensichtlich ist das in der Realität aber nicht so, anders ist die Argumentation, zur Schadensminderung wären noch Rezepte durch die Klägerin nachgeholt worden, nicht zu verstehen. Warum das mit den restlichen Lieferscheinen nicht möglich war, wird nicht vorgetragen. Wenn der Schaden für die Klägerin aber bereits im Monat der Lieferung entsteht, die Klägerin dies auch weiß, da sie 14-tägig Außenstände auflistet, wäre ein Großteil der Forderungen gegenüber dem Beklagten noch vor Ausscheiden verfallen und daher gegenüber dem Beklagten nicht durchsetzbar. Woraus sich vorher Pflichten ergeben sollen, erschließt sich nicht; jedenfalls dürften sich hieraus keine Schadenersatzansprüche ergeben. Dass Lieferungen über Monate hinweg nicht gegenfinanziert werden konnten, hat die Klägerin durch ihre unübersichtliche Organisation wohl zum großen Teil selbst mit zu tragen. Offensichtlich fühlte sich niemand verantwortlich umgehend Maßnahmen zu treffen, wenn Lieferungen ohne Rezepte erfolgt sind. Es ist weder ein konkreter Pflichtverstoß des Beklagten, noch ein Verschuldensgrad und ebenso ein dadurch entstandener Schaden nachvollziehbar. Ein Verschuldensgrad lässt sich mangels entsprechenden Vortrags zudem nicht feststellen.

b) Selbst wenn zu Gunsten der Klägerin ihr Vortrag als zutreffend unterstellt, eine Pflichtverletzung des Beklagten angenommen werden könnte, welcher zu einem kausalen Schaden der Klägerin geführt und diesen der Beklagte zu vertreten hat, würde diesem Anspruch ein erhöhter Grad von Mitverschulden seitens der Klägerin gemäß § 254 BGB entgegenstehen.

Die Verpflichtung des Beklagten zum Schadensersatz wäre aufgrund arbeitsrechtlicher Besonderheiten teilweise entfallen. Nach den bereits o.g. Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs ist eine Abwägung zwischen dem Verschulden des Arbeitsnehmers und dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers vorzunehmen, das hier zu einer Anspruchsreduzierung führt.

Über den Wortlaut des § 254 BGB hinaus ist diese Vorschrift auch dann anzuwenden, wenn der Geschädigte bei der Entstehung des Schadens eine Sach- oder Betriebsgefahr zu vertreten hat; hier auf Seiten des Arbeitgebers das Betriebsrisiko. Bei einem Arbeitsverhältnis muss v.a. berücksichtigt werden, dass der Arbeitnehmer im Rahmen einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation tätig wird (sog. Organisationsrisiko). Denn durch die persönliche Abhängigkeit und die Weisungsgebundenheit ist der Arbeitnehmer einem erhöhten Schadensrisiko ausgesetzt, dem er – anders als bei Zufallskontakten – nicht ausweichen kann.

Vorliegend ist hierbei zu beachten, dass die Klägerin den Beklagten und die (vermeintlichen) erheblichen Probleme bei der Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten bereits aus der vorherigen Beschäftigung bei Ihrer Schwestergesellschaft, der S. GmbH & Co. KG, kannte. Mit dieser besteht Personenidentität der Geschäftsführung der jeweiligen Verwaltungs-GmbH und der jeweiligen Pflichten der jeweiligen Arbeitsverhältnisse. Trotz Kenntnis dieser vermeintlichen Problematik, hat die Klägerin den Beklagten unverzüglich übernommen und ihm dann genau die Pflichten übertragen, die er zuvor bei der S. GmbH & Co. KG mit angeblicher Schadensfolge systematisch verletzt haben soll. Insoweit muss sich die Klägerin ein Organisationsverschulden in Form eines Unterlassens hinsichtlich der erforderlichen Überwachungspflicht und ein Eigenverschulden vorwerfen lassen. Nach dem Vortrag der Klagepartei, habe sich die systematische Pflichtverletzung des Beklagten in dem hiesigen Arbeitsverhältnis fast nahtlos über einen Zeitraum von ca. 2 Monate fortgesetzt, weshalb gerade im Hinblick auf die vorherige Beschäftigung des Beklagten bei der Schwestergesellschaft, mit Personenidentität der Geschäftsführung, von einer erhöhten Überwachungsverpflichtung der Klägerin auszugehen ist. Inwieweit das Mitverschulden der Klägerin – ein Verschulden des Beklagten unterstellt – zu einer Anspruchsreduzierung der Klägerin führen würde, kann letztlich offen bleiben, da der Anspruch aus den o.g. Gründen nicht besteht.

c) Der Klägerin steht ebenfalls kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Es fehlt bereits am Vorliegen einer begangenen unerlaubten Handlung. Im Übrigen dürften dem Anspruch die bereits zuvor genannten Ausführungen entgegenstehen.

II. Gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Klägerin als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 3, 5 ZPO im Urteil festzusetzen. Zugrunde gelegt wurde der Wert der eingeklagten Forderung.

IV. Die Berufung ist nicht gemäß § 64 Abs. 2 a) ArbGG zuzulassen, da Berufungszulassungsgründe gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG nicht ersichtlich sind. Unberührt von dieser Entscheidung ist für die im Rechtsstreit unterlegene Klägerin die Berufung gemäß § 64 Abs. 2 b) und c) ArbGG statthaft.

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