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Betriebliche Übung – Fahrtkostenzuschuss

ArbG Hamburg, Az.: 28 Ca 193/13, Urteil vom 04.09.2013

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtstreits.

3. Der Streitwert beträgt Euro 368,12.

4. Die Berufung wird gesondert zugelassen.

Tatbestand

Betriebliche Übung – Fahrtkostenzuschuss
Symbolfoto: Pixabay

Die Parteien streiten über die Zahlung von Fahrgeldzuschüssen.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 2006 tätig. Er erhielt bis Januar 2013 monatlich einen Fahrgeldzuschuss in Höhe von zuletzt € 92,03 netto. Tätig war und ist der Kläger auf dem Airbusgelände in Hamburg Finkenwerder.

Die Beklagte schloss am 22.2.1999 eine auf zwei Jahre befristete Betriebsvereinbarung über die Zahlung von Fahrgeldzuschüssen für die Arbeitnehmer, die in der Außenstelle in Hamburg zur Montage von Flugzeugisolierungen eingesetzt wurden (Anl. B 1, Bl. 15 d.A.).

Die Beklagte schloss am 9.3.2012 mit der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt einen Firmenhaustarifvertrag (Anl. K 1, Bl. 26 ff d.A.). Dem voraus ging ein Schreiben der Gewerkschaft vom 19.7.2011, wonach Beschäftigte der Beklagten, die zugleich Gewerkschaftsmitglieder sind, die Gewerkschaft aufgefordert hatten, mit der Beklagten Verhandlungen aufzunehmen, um die Arbeits-, Lebens- und Lohnbedingungen der Firma in Firmentarifverträgen zu regeln (Anl. B 3, Bl. 17 d.A.). Der Firmentarifvertrag enthält eine Anerkennungsregelung, wonach diverse allgemeinverbindliche Tarifverträge auch im Unternehmen der Beklagten gelten sollen, u.a. der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, Tarifvertrag über vermögenswirksame Leistungen, Tarifvertrag über Rentenbeihilfen, etc.

Mit Einführung des Firmentarifvertrags steigerte sich das monatliche Bruttoentgelt des Klägers – unter Berücksichtigung des monatlichen Fahrgeldzuschusses – um ca. 8.8 Prozent.

Der Kläger trägt vor, sein Anspruch stütze sich auf eine betriebliche Übung. Ihm sei seit seinem Eintritt vorbehaltlos der Fahrgeldzuschuss gezahlt worden. Der BRTV sehe nur Regelungen für Fahrten zwischen Betriebsstätte und Baustelle vor, nicht aber für Fahrten zwischen Wohnort und Betriebsstätte.

Der Kläger beantragt, die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 368,12 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem jeweiligen 16. Kalendertag des Monats beginnend mit dem Februar 2013 auf je € 92,03 netto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, Grundlage der Zahlung des Fahrgeldzuschusses an den Kläger sei die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1999 gewesen. Hierbei habe es sich um eine Zulage gehandelt, die den Ausgleich von Aufwendungen bezweckt habe, die durch das Pendeln der Mitarbeiter nach Hamburg entstanden seien. Mit Einführung des Firmentarifvertrags seien die gesamten Arbeits- und Lebensbedingungen umfassend erstmals durch Tarifvertrag – unter Bezugnahme des Bundesrahmentarifvertrags im Baugewerbe u.a. Tarifverträge der Bauwirtschaft – geregelt worden. In den Tarifverhandlungen habe die Beklagte mitgeteilt, dass bei Einführung des Lohngefüges des BRTV sämtliche bislang neben dem Stundenlohn gewährten Entgeltbestandteile nicht weiter gewährt werden könnten. Hierzu habe sich die Beklagte auch nicht veranlasst gesehen, weil es das erklärte Ziel der Gewerkschaft gewesen sei, die Arbeits-, Lebens- und Lohnbedingungen in Firmentarifverträgen zu regeln. Die Zahlung des Fahrgeldzuschusses sei erst mit dem Monat Januar 2013 eingestellt worden, weil die Umstellungen auf die tariflichen Regelungen im Abrechnungsprogramm (SAP) erst im November 2012 überwiegend erledigt gewesen seien. Von einer Rückforderung überzahlter Beträge habe die Beklagte abgesehen.

Auf den Vortrag der Parteien in ihren Schriftsätzen und Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von € 368,12 netto.

Der Zahlungsanspruch folgt nicht aus § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag i.V.m einer betrieblichen Übung bzw. Gesamtzusage. Auch sonstige Anspruchsgrundlagen sind nicht erkennbar.

Dem Kläger ist zwar darin Recht zu geben, dass er ursprünglich einen Anspruch auf Zahlung des Fahrgeldzuschusses aus einer betrieblichen Übung oder einer (konkludenten) Gesamtzusage hatte. Der Fahrgeldzuschuss war 1999 in einer Betriebsvereinbarung geregelt und nach Ablauf von deren Befristung an die betroffenen Mitarbeiter ohne Einschränkungen oder Vorbehalten weiter gezahlt worden. Auch der Kläger erhielt ab seinem Eintritt in das Unternehmen der Beklagten monatlich einen Fahrgeldzuschuss für seine Fahrten von zu Hause zu seinem Einsatzort in Hamburg Fi.. Hieraus folgt das Vorliegen einer betrieblichen Übung oder einer konkludenten Gesamtzusage durch die Beklagte.

Auch ist davon auszugehen, dass der individualrechtliche Anspruch des Klägers nicht durch die Einführung des Haustarifvertrags abgelöst worden ist, denn eine Ablösung kann nur erfolgen, wenn zwei Tarifverträge miteinander konkurrieren. Im Verhältnis zum Arbeitsvertrag gilt § 4 Abs. 3 TVG (Günstigkeitsprinzip, vgl. BAG, 22.10.2008, 4 AZR 784/07, zit. nach iuris).

Das in § 4 Abs. 3 TVG nur unvollkommen geregelte Günstigkeitsprinzip ist Ausdruck des aus dem arbeitsrechtlichen Schutzprinzip hergeleiteten Grundsatzes, dass arbeitsrechtliche Gestaltungsfaktoren wie Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge im Verhältnis zu rangniedrigeren Regelungen wie insbesondere einzelvertraglichen Abmachungen Verbesserungen nicht ausschließen können. Sie können nur einseitig zwingendes Recht schaffen. Damit bleiben günstigere arbeitsvertragliche Regelungen auch gegenüber nachträglichen verschlechternden Tarifverträgen wirksam (BAG, 17.6.2003, 3 ABR 43/02, zit. nach iuris). Dabei ist der Günstigkeitsvergleich bei Individualnormen individuell durchzuführen, weil das Günstigkeitsprinzip dem Schutz der Privatautonomie dient. Allerdings müssen die zu vergleichenden Regelungsgegenstände ermittelt werden. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Sachgruppenvergleich erforderlich. Hiernach ist entscheidend, ob die Regelungen denselben Regelungsgegenstand betreffen, die zu vergleichenden Regelungen also miteinander in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Völlig unterschiedlich geartete Regelungsgegenstände, für deren Bewertung es keinen gemeinsamen Maßstab gibt, können nicht miteinander verglichen werden (BAG, 20.4.1999, 1 ABR 72/98, zit. nach iuris).

Dieser Sachgruppenvergleich führt im vorliegenden Fall dazu, dass das tarifliche monatliche Entgelt für den Kläger höher ausfällt und damit günstiger ist als das Entgelt auf Basis der individuellen vertraglichen Regelungen. Die hier in Rede stehende maßgebliche „Sachgruppe“ stellt das monatliche Entgelt des Klägers im weiteren Sinne dar. Bislang bezog der Kläger nach dem unbestrittenen Sachvortrag der Beklagten einen Stundenlohn in Höhe von € 11,46 brutto, einen Qualitätszuschlag in Höhe von € 45,00 brutto im Monat sowie einen Fahrgeldzuschuss in Höhe von € 92,03 netto im Monat. Eine Umrechnung dieser Zuwendungen auf den Stundenlohn des Klägers ergibt einen Stundenlohn in Höhe von ca. € 12,59 brutto. Nach dem Firmentarifvertrag beträgt allein der Stundenlohn € 13,70 brutto monatlich. Hinzutreten können ggf. weitere monatliche Entgeltansprüche, z.B. vermögenswirksame Leistungen. Solche weiteren Ansprüche können jedoch dahinstehen, da ausweislich des um ca. 8,8 Prozent höheren Stundenlohns des Klägers das monatliche Entgelt nach dem Firmentarifvertrag für den Kläger günstiger ist als die bisherigen auf der arbeitsvertraglichen Grundlage gezahlten Vergütungsbestandteile.

Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, ein Fahrgeldzuschuss für Fahrten zwischen Heimatort und Einsatzort sei im BRTV nicht geregelt, daher könne der BRTV die bisher gewährten Fahrtkosten nicht verdrängen. Richtig ist zwar, dass der BRTV solche Fahrtkostenzuschüsse nicht regelt. Dennoch gehört der Fahrtkostenzuschuss zu der Vergleichsgruppe „monatliches Entgelt“ und kann insofern in den Sachgruppenvergleich im Rahmen der Prüfung des Günstigkeitsprinzips einbezogen werden. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass mit Einführung des Firmentarifvertrags ausweislich des erklärten Willens der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt die Arbeits-, Lebens- und Lohnbedingungen in einem Firmentarifvertrag geregelt werden sollten. Zu diesen Lohnbedingungen gehört auch der Fahrgeldzuschuss, der bislang an den Kläger monatlich gezahlt wurde. Die Lohnbedingungen wurden in dem Firmentarifvertrag i.V.m. der Anerkennungsklausel diverser Bautarifverträge umfassend geregelt und konnten aufgrund der günstigeren Regelung im Firmentarifvertrag die bisherigen Lohnbedingungen, u.a. auch den Fahrgeldzuschuss, aufgrund des Günstigkeitsprinzips verdrängen (§ 4 Abs. 3 TVG).

II.

Der Streitwert beträgt € 368,12.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt er Kläger (§§ 91 Abs. 1 ZPO, 46 Abs. 2 ArbGG).

Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits gesondert zuzulassen. Es sind diverse inhaltsgleiche Rechtsstreitigkeiten anhängig gemacht worden, die aufgrund zweier Musterverfahren (das hiesige sowie ein Verfahren vor der 27. Kammer des Arbeitsgerichts Hamburg) ruhend gestellt wurden.

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