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Betriebsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers – grob fehlerhafte Namensliste bei der Sozialauswahl

ArbG Stuttgart, Az.: 10 Ca 1658/07, Urteil vom 24.04.2008

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten v. 15.06.2007 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Kreditsachbearbeiterin in S weiter zu beschäftigen.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.

5. Der Streitwert des Weiterbeschäftigungsantrags wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Tatbestand

Betriebsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers - grob fehlerhafte Namensliste bei der Sozialauswahl
Symbolfoto: Zinkevych/Bigstock

Die Klägerin wendet sich gegen die betriebsbedingte Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Bankinstitut, welches im Jahre 2006 aus einem Zusammenschluss der …-Bank … eG und der … bank AG hervorgegangen ist. Das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin besteht seit 1986. Die Klägerin trat als Kreditsachbearbeiterin bei der … Bank AG ein, welche ebenfalls Rechtsvorgängerin der jetzigen Beklagten ist. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde abgeschlossen (Bl. 5 d. A.). Die Klägerin ist am 27.04.1961 geboren, verheiratet und Mutter eines vierjährigen Sohnes.

Die Klägerin ist im Oktober 2005 aus der Elternzeit zurückgekehrt. Seither gab es verschiedene Rechtsstreite zwischen den Parteien, unter anderem wegen einer gewünschten Arbeitszeitverringerung der Klägerin und einer Versetzungsmaßnahme der Beklagten. Ferner sprach die Beklagte am 15.12.2005 eine verhaltensbedingte Kündigung aus, gegen welche die Klägerin vor der 22. Kammer beim Arbeitsgericht Stuttgart erfolgreich Kündigungsschutzklage erhob (22 Ca 11547/05).

Bei der …-Bank … eG und der …-bank AG bestanden jeweils Betriebsräte. Da die Beklagte im Zuge des Zusammenschlusses dieser beiden Bankinstitute von einem Personalüberhang ausging und darüber hinaus die Notwendigkeit einer Organisationsstraffung sah, vereinbarte sie mit beiden Betriebsratsgremien am 01.12.2006 einen Interessenausgleich. In Bezug auf Personalabbau sollte eine Reduzierung des Personalbestands um 126,36 Arbeitsplätze erfolgen, welcher u. a. den Ausspruch von 49 Kündigungen beinhaltete. Dazu vereinbarten die Betriebspartner ebenfalls am 01.12.2006 eine Liste über die zu kündigenden Arbeitnehmer (Bl. 111 d. A.). Der Name der Klägerin ist auf dieser Liste enthalten.

Nahezu zeitgleich fand bei der Beklagten die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung statt. Die Klägerin trat hier als Wahlbewerberin auf, ihre Bewerbung datiert vom 14.11.2006. Am 30.11.2006 wurde die Wahl durchgeführt, am 01.12.2006 das Wahlergebnis im Betrieb bekanntgemacht. Die Klägerin wurde nicht gewählt.

In Umsetzung des beschlossenen Personalabbaus wurde sodann unter anderem auch das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 13.12.2006 ordentlich gekündigt. Die Klägerin erhob hiergegen Kündigungsschutzklage, wobei sie sich unter anderem auf den Sonderkündigungsschutz einer Wahlbewerberin zur Schwerbehindertenvertretung berief. Ihrer Klage wurde mit Urteil vom 14.06.2007 stattgegeben (17 Ca 10895/06). Mit Schreiben vom 15.06.2007 sprach die Beklagte eine erneute ordentliche Kündigung (zum 31.12.2007) aus. Hiergegen erhob die Klägerin am 20.06.2007 vorliegende Klage.

Die Klägerin macht zunächst die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend. Die Kündigung sei weder durch Gründe in ihrer Person oder in ihrem Verhalten noch durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Außerdem sei ein etwaiger betriebsbedingter Kündigungsanlass durch die Entscheidung über die vorherige Kündigung vom 13.12.2006 bereits rechtskräftig zu Ungunsten der Beklagten entschieden. Die Klägerin zieht darüber hinaus die ordnungsgemäße Durchführung einer Sozialauswahl in Zweifel. Die dazu mit dem Betriebsrat vereinbarte Namensliste sei grob fehlerhaft, denn es sei der Sonderkündigungsschutz der Klägerin nicht berücksichtigt worden. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass ihr die Wahlbewerbung der Klägerin nicht bekannt gewesen sei. Sowohl der Betriebsrat als auch die Geschäftsführung hätten hiervon Kenntnis gehabt. Soweit die Betriebspartner ihrer Namensliste sogenannte Altersstaffeln zugrunde gelegt haben, liege eine Altersdiskriminierung gemäß § 7 AGG vor. Bei Durchführung einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl wären vor der Klägerin eine ganze Reihe anderer Mitarbeiter zur Kündigung angestanden. Die Klägerin hat hierzu mit Schriftsatz vom 22.02.2008 die Namen derjenigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen benannt, auf die sich ihre Auswahlrüge bezieht (Bl. 291/292 d. A.). In Bezug auf den Mitarbeiter H., den die Beklagte nach ihren eigenen Angaben nicht in die Sozialauswahl einbezogen hat, sei zu bestreiten, dass er ein sog. Leistungsträger sei.

Darüber hinaus macht die Klägerin geltend, dass ihre Weiterbeschäftigung auch aufgrund der weiteren Personalentwicklung möglich gewesen wäre. Die Mitarbeiterin L. sei zum 31.12.2007 ausgeschieden. Die Mitarbeiterinnen Z. und B. seien im September bzw. November 2007 neu eingestellt worden. Befristete Arbeitsverträge seien verlängert worden, unter anderem mit den Mitarbeiterinnen B. und R. Es gebe ferner einige Mitarbeiter, die auf der Namensliste aufgeführt sind, gleichwohl aber weiterbeschäftigt würden.

Ferner bestreitet die Klägerin, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist. Soweit die Beklagte vorträgt, das Anhörungsschreiben sei dem Betriebsratsvorsitzenden M. am 12.06.2007 persönlich übergeben worden, sei darauf hinzuweisen, dass sich der Betriebsratsvorsitzende vom 11.06. bis 13.06.2007 auf einer Fortbildungsveranstaltung in G. befunden habe. Unklar sei darüber hinaus, von wem die Stellungnahmen des Betriebsrats letztlich unterzeichnet worden sind.

Zuletzt weist die Klägerin darauf hin, dass die Beklagte auch die gesetzlich einzuhaltende Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Monatsende nicht beachtet habe.

Die Klägerin beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 15.06.2007 zum 31.12.2007 nicht aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31.12.2007 hinaus fortbesteht.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziff. 1 zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Kreditsachbearbeiterin in ihrer Zentrale in Stuttgart bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten ist die Kündigung sozial gerechtfertigt. Aufgrund des abgeschlossenen Interessenausgleichs und der dazu mit dem Betriebsrat vereinbarten Namensliste werde gesetzlich vermutet, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sei. Darüber hinaus könne die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. In beiden Punkten könne sich die Position der Klägerin letztlich nicht durchsetzen. Die Beklagte vertritt insbesondere die Auffassung, dass die Klägerin als Wahlbewerberin zur Schwerbehindertenvertretung keinen gesetzlichen Sonderkündigungsschutz in Anspruch nehmen konnte. Dieser Personenkreis sei vom gesetzlichen Sonderkündigungsschutz nicht umfasst. Im Übrigen wäre es der Beklagten nicht verwehrt gewesen, auch Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz in die Namensliste aufzunehmen. Deshalb kämen die rechtlichen Auswirkungen einer wirksam zustande gekommenen Namensliste zur Geltung. Es treffe auch nicht zu, dass generell die Vorgabe bestand, Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz nicht in die Namensliste aufzunehmen. Dies habe lediglich für Betriebsräte und Mitarbeiterinnen mit mutterschutzrechtlichem Sonderkündigungsschutz gegolten. Im Rahmen der Sozialauswahl habe man mit dem Betriebsrat Altersstaffeln vereinbart, innerhalb derer die Auswahl stattfinden sollte. Die Altersstaffeln seien zur Wahrung einer sachgerechten Altersstruktur erforderlich und geeignet gewesen. Eine gruppenübergreifende Sozialauswahl sei daher nicht vorzunehmen gewesen. Danach sei das Arbeitsverhältnis der Klägerin als Mitarbeiterin in der Untergruppe 2 der Abteilung Marktfolge zu kündigen gewesen. Die Klägerin könne sich auch nicht auf den Mitarbeiter H. berufen, da dieser als Leistungsträger aus der Sozialauswahl herauszunehmen gewesen sei.

Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Es treffe zwar zu, dass der Betriebsratsvorsitzende M. das Anhörungsschreiben nicht persönlich entgegengenommen habe. Insoweit sei der Sachvortrag zu berichtigen. Man habe vorsorglich sowohl den Betriebsrat der xxx-Bank AG als auch den Betriebsrat der ehemaligen xxx-Bank mit gleichlautenden Informationen und gleichem Schriftverkehr angehört.

Auch die Kündigungsfrist sei nicht zu beanstanden. Aufgrund beiderseitiger Verbandszugehörigkeit komme die tarifvertragliche Kündigungsfrist zur Anwendung.

Entscheidungsgründe

I.

Die Kündigungsschutzklage hat Erfolg. Die Kündigung ist sozialwidrig gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 KSchG. Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits einstweilen weiter zu beschäftigen. Der vorsorglich gestellte allgemeine Feststellungsantrag erweist sich als unzulässig, weil bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine weiteren Beendigungsakte behauptet worden sind.

A. Ordentliche Kündigung vom 15.06.2007:

1. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin unterfällt aufgrund der Mitarbeiterzahl der Beklagten und der Betriebszugehörigkeitsdauer der Klägerin unstreitig den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes, vgl. §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG. Die Klägerin hat auch innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist gemäß § 4 Satz KSchG Kündigungsschutzklage erhoben.

a) Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine ordentliche Kündigung unter anderem dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Es ist im Regelfall Aufgabe des Arbeitgebers, die hierzu erforderlichen inner-/und/oder außerbetrieblichen Veränderungen vorzutragen und aufzuzeigen, wodurch das Beschäftigungsbedürfnis für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen ist. Nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG wird allerdings kraft Gesetzes vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Umstände im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt ist, wenn bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind.

b) Auf diese gesetzliche Vermutung kann sich die Beklagte im Streitfall jedoch nicht stützen, obwohl zwischen ihr und dem Betriebsrat im Rahmen eines Interessenausgleichs zugleich eine sogenannte Namensliste im Sinne von § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG erstellt worden ist, auf welcher sich auch der Name der Klägerin befindet. Zwar kann zugunsten der Beklagten vorliegend angenommen werden, dass zum Kündigungszeitpunkt am 15.06.2007 noch ein Entlassungsbedarf bestand. Es wird von der Klägerin nicht bestritten, dass die Geschäftsleitung in Folge der Fusion mit der xxx Bank im letzten Quartal 2006 eine Umstrukturierung und einen Personalabbau beschlossen hatte. Die neue Struktur sah für die Abteilung Marktfolge in der Untergruppe 1 eine neue Sollstärke von 17,57 Arbeitnehmern und in der Untergruppe 2, zu der auch die Klägerin gehört, eine Sollstärke von 15,93 Arbeitnehmern vor. Dieser Personalbestand konnte nur durch den Abbau von 10 Arbeitsplätzen in der Untergruppe 1 und von 7 Arbeitsplätzen in der Untergruppe 2 erreicht werden. Dieses unternehmerische Konzept, welches der arbeitsgerichtlichen Überprüfung nicht unterliegt, war zum Kündigungszeitpunkt am 15.06.2007 zwar weitgehend, jedoch noch nicht vollständig abgeschlossen. Die vorgesehene Sollstärke in der Untergruppe 2 war noch nicht vollständig erreicht, denn das Arbeitsverhältnis der Klägerin war im Rahmen der Kündigungswelle im Dezember 2006 nicht wirksam aufgelöst worden, weil die Klägerin hiergegen erfolgreich Kündigungsschutzklage erhoben hatte (17 Ca 10895/06).

c) Der Arbeitgeber kann eine Kündigung wiederholen, wenn sich eine zuvor bereits ausgesprochene Kündigung aufgrund eines Formmangels als unwirksam erweist. Dem Arbeitgeber ist es auch nicht verwehrt, eine Kündigung nach Ablauf von Sonderkündigungsschutz auszusprechen, selbst wenn der Kündigungsgrund noch in die Zeit des Sonderkündigungsschutzes fällt (BAG v. 13.06.1996, 2 AZR 431/95, NZA 36, 1032). Die Klägerin verweist deshalb ohne Erfolg darauf, dass der hiesige Kündigungsanlass durch die rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts im Verfahren 17 Ca 10895/06 bereits verbraucht sei. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn exakt die gleichen Kündigungsgründe bereits im dortigen Verfahren materiell geprüft und für nicht ausreichend gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG befunden worden wären (z. B. BAG v. 12.02.2004, AP Nr. 75 § 1 KSchG 1969). Das Arbeitsgericht hat die ordentliche Kündigung vom 13.12.2006 jedoch offensichtlich nicht materiell-rechtlich geprüft, sondern für unzulässig erklärt, weil die Klägerin aufgrund bestehenden Sonderkündigungsschutzes nur aus wichtigem Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB kündbar gewesen wäre (§ 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG).

2. Die Kündigungsschutzklage hat Erfolg, weil die Klägerin eine begründete Sozialauswahlrüge erhebt.

a) Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Umstände im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Ob der Arbeitgeber bei seinem Kündigungsentschluss diese Vorgaben beachtet hat, wird im Kündigungsschutzprozess nicht von Amts wegen überprüft. Es bedarf einer konkreten Auswahlrüge des gekündigten Arbeitnehmers. Eine solche Rüge hat die Klägerin erhoben.

b) Eine einfache Sozialauswahlrüge des Arbeitnehmers reicht nicht aus, wenn der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat im Rahmen einer Betriebsänderung eine Namensliste mit den Namen der von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmern erstellt hat, § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG. In diesem Fall kann die soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Es ist dann im Kündigungsschutzprozess Sache des Arbeitnehmers, die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit der Sozialauswahl beweiskräftig zu widerlegen.

Diese Rechtsfolge nimmt die Beklagte in Anspruch. Sie beruft sich auf einen zwischen ihr und dem Betriebsrat am 01.12.2006 abgeschlossenen Interessenausgleich, dem eine ebenfalls von beiden Betriebspartnern unterzeichnete Liste beigefügt ist, auf der diejenigen Arbeitnehmer namentlich genannt sind, die im Zuge der Umstrukturierung von der Kündigung betroffen sein sollen. Auch die weitere Voraussetzung für die rechtliche Berücksichtigung der Namensliste, nämlich das Vorliegen einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG, wäre aufgrund des Umfangs des vorgesehenen Personalabbaus gegeben.

c) Im vorliegenden Fall entfaltet die Namensliste gegenüber der Klägerin jedoch nicht die Rechtswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG. Denn die Namensliste erweist sich in Bezug auf die Klägerin als grob fehlerhaft.

aa) Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessensausgleichs am 01.12.2006 (erfolglose) Wahlbewerberin für die am 30.11.2006 im Betrieb durchgeführte Wahl zur Schwerbehindertenvertretung. Sie genoss daher zu diesem Zeitpunkt und für die Dauer von weiteren 6 Monaten den besonderen Kündigungsschutz eines Wahlbewerbers gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Die Kammer vermag sich nicht der Auffassung der Beklagten anzuschließen, § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG gelte nicht für die Wahlbewerber zur Schwerbehindertenvertretung. Vielmehr folgt die Kammer in dieser Frage dem LAG Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 12.03.2003 (4 Sa 45/02) und der in der Literatur wohl überwiegend vertretenen Meinung, vgl. z. B. KR-Etzel, 8. Auflage, Rd-Nr. 14 zu § 103 BetrVG, Sieg, NZA 2002, 1064 – 1069 –; zur Geltung des Schwerbehindertengesetzes bereits LAG Hamm v. 11.01.1984, 3 Sa 488/83, zitiert nach www.juris.testa-de. Nach § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIIII gelten bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung auch die Vorschriften über die Wahlanfechtung und den Wahlschutz bei der Wahl des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- oder Präsidialrats sinngemäß. Damit ist nach Auffassung der Kammer hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG auch auf den Wahlbewerber zur Schwerbehindertenvertretung anzuwenden ist (vgl. auch von Hoyningen-Huene, KSchG 13. Aufl., Rd. Nr. 27 zu § 15 KSchG). Dieses Ergebnis wird durch § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG unterstrichen. Diese Norm spricht allgemein den Wahlvorstand oder einen Wahlbewerber an. Sie enthält keine Beschränkung etwa auf die Mandatsträger oder Wahlbewerber für die im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Mitbestimmungsorgane.

Auch der Hinweis des Beklagtenvertreters im Termin am 24.04.2008, aus einem Vergleich mit der Entstehungsgeschichte und den Normen des Personalvertretungsrechts ergebe sich, dass der Gesetzgeber bei dem Übergang vom Schwerbehindertengesetz zur Neuregelung des Schwerbehindertenrechts im SGB IX den Wahlbewerbern zur Schwerbehindertenvertretung keinen Sonderkündigungsschutz verleihen wollte, überzeugt die Kammer nicht. Zum einen sprechen die vorstehend genannten Normen gegen diese Auffassung. Zum anderen ist zu bemerken, dass das Gesetz die Regelungsmaterie „Sonderkündigungsschutz“ entweder im KSchG oder in Spezialgesetzen (z. B. MuSchG, SGB IX) geregelt hat; das Bundespersonalvertretungsgesetz sowie die Landespersonalvertretungsgesetze betreffen dagegen allein die personalvertretungsrechtliche Komponente von Kündigungsangelegenheiten, wie z. B. § 103 BetrVG für die Betriebe außerhalb des öffentlichen Dienstes. Die Personalvertretungsgesetze betreffen die Beteiligung der Personalvertretung. Wem das Gesetz arbeitsrechtlich Sonderkündigungsschutz zubilligt, ist entweder in einem Spezialgesetz oder im Kündigungsschutzgesetz geregelt. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum Zeitpunkt der Erstellung der Namensliste nur aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden konnte, § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG.

bb) Die Klägerin konnte damit am 01.12.2006 von Rechts wegen nicht in die Namensliste aufgenommen werden. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung nicht beendet werden kann, sind nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen (BAG v. 24.05.2005, 2 AZR 241/04, NZA 2005, 1307; v. 17.11.2005, 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370). Die Beklagte vertritt deshalb zu Unrecht den Standpunkt, es hätte den Betriebspartnern ohne weiteres freigestanden, auch Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutzgesetz in die Namensliste aufzunehmen. § 1 Abs. 5 KSchG ist auf außerordentliche Kündigungen nicht anwendbar (LAG Köln v. 01.08.2007, 3 Sa 906/06, zitiert nach www.juris.testa-de.).

Daraus folgt ohne weiteres die grobe Fehlerhaftigkeit der Namensliste. Wäre dem Sonderkündigungsschutz der Klägerin Rechnung getragen worden, wäre sie nicht in die Liste der zu kündigenden Personen aufgenommen worden. Der Beklagten war dies nach der vorerwähnten Rechtsprechung schlechterdings verwehrt. Es ist deshalb auch unerheblich, ob die Betriebspartner Wahlbewerber zur Schwerbehindertenvertretung grundsätzlich in den Kreis der Kündigungsempfänger aufnehmen wollten oder nicht.

cc) Es ist ebenso rechtlich ohne Belang, ob die Betriebspartner oder die Beklagte bei Abschluss des Interessenausgleichs und der Namensliste vom Sonderkündigungsschutz oder der Wahlbewerbung der Klägerin wussten. Der Sonderkündigungsschutz besteht kraft Gesetzes, §§ 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIIII, 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Er ist nicht davon abhängig, ob der Arbeitgeber oder der Betriebsrat von der Wahlbewerbung Kenntnis haben oder unzutreffende rechtliche Schlüsse ziehen. Es kommt hinzu, dass das Wahlverfahren zur Schwerbehindertenvertretung öffentlich ist. Gemäß § 8 der Wahlordnung für Schwerbehindertenvertretungen (SchwbVWO) werden die Namen der Bewerber und Bewerberinnen spätestens eine Woche vor Beginn der Stimmabgabe im Betrieb bekanntgemacht (vgl. hierzu auch § 5 Abs. 2 SchwbVWO). Bei dieser Sachlage kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf Nichtkenntnis berufen.

dd) Die Vermutungswirkung der Namensliste in Bezug auf die Sozialauswahl kommt auch nicht deshalb zur Geltung, weil 6 Monate später der Sonderkündigungsschutz der Klägerin abgelaufen war. Die Namensliste wird dadurch nicht nachträglich „richtig“ oder die Nichtberücksichtigung des Sonderkündigungsschutzes der Klägerin geheilt. Denn die Klägerin wäre bei Berücksichtigung ihres Sonderkündigungsschutzes nicht auf der Namensliste erschienen. Es war den Betriebsparteien wie bereits dargelegt von Rechts wegen verwehrt, die Klägerin in die Namensliste aufzunehmen. Folglich hätte die Namensliste auch 6 Monate später einen anderen Inhalt gehabt, wenn der Sonderkündigungsschutz der Klägerin beachtet worden wäre.

Die Namensliste war damit in Bezug auf die Klägerin grob fehlerhaft. Es wird nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden können, dass die Aufnahme eines Mitarbeiters mit Sonderkündigungsschutz in die Namensliste als grob fehlerhaft im Sinne von § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG zu qualifizieren ist. Dieser Fehler hat sich jedenfalls in Bezug auf die formellen Rechtswirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG bis zum Ausspruch der erneuten Kündigung fortgesetzt.

ee) Unterläuft dem Arbeitgeber bei der Sozialauswahl ein Fehler, ist die Kündigung gleichwohl nicht sozialwidrig, wenn auch bei zutreffender Sozialauswahl kein anderes Ergebnis entstanden wäre. Allerdings muss der Arbeitgeber im Prozess näher darlegen, weshalb die Nichtberücksichtigung des Sonderkündigungsschutzgesetzes im Ergebnis nicht zu einer unrichtigen sozialen Auswahl führt (vgl. BAG v. 20.10.1983, 2 AZR 211/82, AP-Nr. 13 § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung). Es war deshalb zu prüfen, ob auch unter Anwendung der allgemeinen Auswahlregeln des § 1 Abs. 3 KSchG die Klägerin am 15.06.2007 zur Kündigung angestanden hätte.

Die Klägerin hat ihre Sozialauswahlrüge auf eine Reihe namentlich benannter Arbeitnehmer aus der Untergruppe 2 der Abteilung Marktfolge bezogen (Schriftsatz vom 22.02.2008, II). Die Rüge bezieht sich unter anderem auf die Arbeitnehmer U. G. und N. N.. Die Mitarbeiterin G. ist 44 Jahre alt, seit Juli 2000 im Betrieb und verheiratet. Der Mitarbeiter N. N. ist 30 Jahre alt, seit 1994 bei der Beklagten beschäftigt und ledig. Die Klägerin ist 45 Jahre alt, seit 1986 betriebszugehörig, verheiratet und einem Kind unterhaltspflichtig.

Zwar muss der Arbeitgeber im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die maßgeblichen Sozialdaten nur ausreichend berücksichtigen. Hieraus folgt nach der Rechtsprechung des BAG, dass nur erheblich schutzwürdigere Arbeitnehmer eine Sozialauswahlrüge mit Erfolg erheben können (BAG v.. 25.04.1985, AP Nr. 7 § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl). Nur marginale, unbedeutende Unterschiede bei den Sozialdaten spielen keine Rolle. Insoweit hat der Arbeitgeber ein Auswahlermessen.

Im vorliegenden Fall erweist sich die Klägerin jedoch als erheblich schutzwürdiger. Sie ist als verheiratete Mutter zwei Personen unterhaltspflichtig. Bei dem ledigen Mitarbeiter N. bestehen keine Unterhaltspflichten, bei Frau G. besteht lediglich die Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehegatten. Zwischen dem Mitarbeiter N. und der Klägerin besteht ein Altersunterschied von 15 Jahren. Darüber hinaus weist die Klägerin eine um 8 Jahre längere Betriebszugehörigkeitsdauer auf. Gegenüber der Mitarbeiterin G. besteht zwar fast kein Altersunterschied, dafür ist diese Mitarbeiterin erst seit 2000 im Betrieb beschäftigt, die Klägerin hat insoweit also 14 Jahre mehr Betriebszugehörigkeit aufzuweisen. Nach Auffassung der Kammer ist daher in beiden Fällen von einer erheblich stärkeren Schutzwürdigkeit der Klägerin zu sprechen.

ff) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die mit dem Betriebsrat vereinbarten Altersstaffeln. Diese waren Grundlage der Namensliste. Weil diese im Verhältnis zur Klägerin als grob fehlerhaft anzusehen ist (siehe oben), kann sich die Beklagte auch nicht auf die zugrunde liegende Altersstaffel berufen. Auch insoweit war die Überprüfung nach den allgemeinen Sozialauswahlregeln vorzunehmen. Danach beruft sich die Beklagte erfolglos auf die Notwendigkeit der Einhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur im hiesigen Kündigungsschutzprozess. Sie hat den Ablauf des Sonderkündigungsschutzes der Klägerin abgewartet. Sie hat damit nach fast vollständiger Durchführung des geplanten Personalabbaus 6 Monate später eine singuläre Kündigung erklärt. Der geplante Personalabbau war im Übrigen vollzogen. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass nur noch die Kündigung der Klägerin ausstand. Bei dieser Sachlage war durch die Einzelkündigung eine ausgewogene Altersstruktur nicht mehr gefährdet. Jedenfalls legt die Beklagte nichts Gegenteiliges dar. Dies dürfte ihr auch kaum möglich sein, nachdem sie selbst ausgeführt hat, das durch die bei der Umstrukturierung zugrunde gelegte Altersstaffel der Altersdurchschnitt der Belegschaft selbst unter Einschluss der Klägerin nahezu gleich geblieben ist (46,5 Jahre gegenüber 47,5 Jahre). Durch das Abwarten des Ablaufs des Sonderkündigungsschutzes der Klägerin hat sich eine neue Situation ergeben, sowohl betrieblich als auch in Bezug auf die Sozialauswahl. Auch durch die Kündigung des Mitarbeiters N. oder der Mitarbeiterin G. hätte die Altersstruktur des Betriebes keinen wesentlichen Einschnitt erfahren. Deshalb hat die Sozialauswahlrüge der Klägerin auch in diesem Punkt und damit letztlich insgesamt Erfolg. Der Kündigungsschutzklage war deshalb zu entsprechen.

B.

Die Klägerin hat unter Ziff. 2 ihrer Klageschrift vom 19.06.2007 vorsorglich einen allgemeinen Feststellungsantrag (§ 256 ZPO) gestellt, mit dem vorsorglich eventuelle Folgekündigungen prozessual erfasst werden sollten. Da bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine weiteren Kündigungen oder sonstigen Beendigungsakte von Seiten der Beklagten behauptet wurden, bestand jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung kein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO mehr. Deshalb war dieser Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

C. Weiterbeschäftigungsantrag:

Da die Klägerin im Kündigungsrechtstreit obsiegt, war nach der Rechtsprechung des Großen Senats beim Bundesarbeitsgerichts sogleich ihrem Hilfsantrag zu entsprechen, die Beklagte bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsrechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen (vgl. BAG v. 25.02.1985, NZA 85, 702). Entgegenstehende Umstände sind weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen worden.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß § 92 Abs. 1 ZPO den Parteien anteilig aufzuerlegen. Die Kammer hat das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen mit ¼ zu 3 / 4 zu Ungunsten der Beklagten gewertet.

Der Streitwert des Weiterbeschäftigungsantrags wurde gemäß § 3 ZPO auf 5.000,00 EUR geschätzt. Eine Wertfestsetzung für den Bestandsschutzstreit war im Urteil nicht vorzunehmen. Denn gegen das Urteil ist insoweit unabhängig vom Gegenstandswert die Berufung zulässig, § 64 Abs. 2 c ArbGG.

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