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Betriebsbedingte Kündigung – Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl

ArbG Cottbus, Az.: 11 Ca 10335/12

Urteil vom 23.08.2012

– Berücksichtigung von Fehlzeiten

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26.04.2012 nicht beendet wurde.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 5.781,00 EURO festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.

Der am …….geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 01.06.1993 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Betriebsschlosser in dem Bereich Instandhaltung mit einem Bruttoentgelt von zuletzt 1.927,00 EURO und einer Arbeitszeit von 40 Wochenstunden beschäftigt.

Betriebsbedingte Kündigung - Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl
Symbolfoto: Jakub Jirsak/Bigstock

Mit Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 01.03.2012 wurde am 01.03.2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und die Eigenverwaltung angeordnet. Unter dem 19.04.2012 schlossen die Beklagte und der Betriebsrat der Beklagten sowie der Betriebsrat der Beklagten, Niederlassung . einen Interessenausgleich mit Namensliste (Bl. 16 – 22 d. A.). Der Interessenausgleich sieht in Ziffer 2 den Wegfall von insgesamt 27 Arbeitsplätzen, davon 10 in der Instandhaltung, vor. Der Kläger ist unter Ziffer 5 der Namensliste als einer der zu kündigenden aufgeführt.

Die Beklagte ordnete den Kläger der Gruppe der Instandhaltungsmechaniker, Metallfacharbeiter zu. Die dort beschäftigten 101 Arbeitnehmer teilte sie in 5 Altergruppen wie folgt auf:

Altersgruppe 21 bis 30 9 Arbeitnehmer

Altersgruppe 31 bis 40 3 Arbeitnehmer

Altersgruppe 41 bis 50 25 Arbeitnehmer

Altersgruppe 51 bis 60 62 Arbeitnehmer

Altersgruppe ≥ 60 2 Arbeitnehmer.

Der Kläger gehörte der Altersgruppe 51 bis 60 Jahre an. Aus dieser Altersgruppe kündigte die Beklagte 6 Arbeitnehmer. Innerhalb der Altersgruppe traf sie eine Auswahl nach krankheitsbedingten Fehlzeiten.

Mit Schreiben vom 19.04.2012 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an (Bl. 23 d. A.). Der Betriebsrat erklärte, dass er aufgrund seiner am 20.04.2012 durchgeführten Sitzung keinen Widerspruch erhebe (Bl. 23/24 d. A.).

Mit Schreiben vom 26.04.2012, welches dem Kläger am gleichen Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.07.2012.

Mit der am 11.05.2012 beim hiesigen Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.

Er bestreitet das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse und behauptet, Arbeitnehmer anderer Abteilungen und Leiharbeitnehmern würden verstärkt im Bereich der Instandhaltung eingesetzt.

Zudem sei der Kläger von den 51 in der Instandhaltung tätigen Mitarbeitern, die keinen Sonderkündigungsschutz genießen, der Zweitschützenswerteste. Insbesondere seien die Mitarbeiter ………. wegen ihrer Betriebszugehörigkeit von unter 4 Jahren erheblich weniger schutzbedürftig als der Kläger.

Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen und Protokollerklärungen Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 26.04.2012 nicht beendet wird.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Vermutungswirkung des Interessenausgleichs mit Namensliste und trägt weiter vor, der Einsatz von Leiharbeitnehmern und Beschäftigten mit Hilfstätigkeiten sei nur vorübergehend.

Die Auswahl nach krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Gruppe der 51- bis 60-jährigen sei zur Herstellung einer ausgewogenen Personalstruktur erforderlich.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen und Protokollerklärungen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die Kündigung ist unwirksam, denn die von der Beklagten durchgeführte Sozialauswahl ist grob fehlerhaft.

1.

Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das vorliegende Arbeitsverhältnis gem. §§ 1, 23 KSchG Anwendung, denn die Beklagte beschäftigt unstreitig mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Der Kläger ist bei der Beklagten bereits länger als 6 Monate in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt.

2.

Die Kündigung ist gem. § 1 Abs. 3 KSchG i. V. m. § 125 Abs. 1 Ziff. 2 InsO wegen grober Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl unwirksam. Es kann daher dahinstehen, ob ein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste zustande gekommen ist und der Kläger die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO widerlegt hat.

a)

Ist im Falle der Insolvenz eine Betriebsänderung gem. §111 BetrVG geplant und kommt zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande, so kann gem. § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Macht der in der Namensliste genannte und gekündigte Arbeitnehmer die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl geltend, so kann er im Kündigungsschutzverfahren gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG verlangen, dass der Insolvenzverwalter die Gründe angibt, die zu der getroffenen Sozialauswahl geführt haben. Kommt der Insolvenzverwalter seiner Pflicht zur Offenlegung der Sozialauswahl nach, ist diese insgesamt nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachzuprüfen. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Fehlerhaftigkeit offensichtlich und eindeutig ist und der Beurteilungsspielraum weit überschritten wurde. Die Überprüfung erstreckt sich darauf, ob die Kriterien Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten im Rahmen des Beurteilungsspielraumes angemessen berücksichtigt wurden. Ebenso ist auch die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern wegen fehlender Vergleichbarkeit oder wegen berechtigter betrieblicher Interessen, z. B. zum Erhalt oder zur Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar (vgl. BAG v. 17.11.2005). Nicht zu beanstanden ist, wenn durch den Interessenausgleich eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Maßnahmen zur Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur gehen im Insolvenzverfahren den Grundsätzen der Sozialauswahl vor. Ob die getroffenen personellen Maßnahmen der Erhaltung oder Erschaffung einer ausgewogenen Personalstruktur dienen, ist im Kündigungsschutzprozess überprüfbar.

Der Insolvenzverwalter kann zur Erhaltung oder Schaffung einer bestimmten Personalstruktur innerhalb des in Betracht kommenden Personenkreises abstrakte Gruppen mit unterschiedlichen Strukturmerkmalen bilden und aus jeder Gruppe die gleiche Prozentzahl für Kündigungen vorsehen. Die Sozialauswahl wird dann innerhalb der Gruppe vorgenommen. Hinsichtlich der Gruppenbildung besteht ein weiter Beurteilungsspielraum.

b)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte zunächst zu Recht den Kläger in die Gruppe der Instandhaltungsmechaniker und Metallfacharbeiter eingeordnet. Innerhalb dieser Gruppe war es zulässig, die Kündigungen auf die Altersgruppe 51 bis 60 und 41 bis 50 zu verteilen, um eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen. Die Verteilung von 6 Kündigungen auf die Altersgruppe 51 bis 60 und 3 Kündigungen auf die Altersgruppe 41 bis 50 war sachgerecht. Sie ist geeignet, die Altersstruktur zu verbessern, mindestens aber zu erhalten. In der Altersgruppe der 21- bis 30-Jährigen waren lediglich 9 Arbeitnehmer und in der Altersgruppe der 31- bis 40-Jährigen lediglich 3 Arbeitnehmer beschäftigt, während in der Altersgruppe der 51- bis 60-Jährigen 62 und in der Altersgruppe der 41- bis 50-Jährigen 25 Arbeitnehmer vorhanden sind. Um dieses starke Ungleichgewicht nicht weiter zu Lasten der jüngeren Arbeitnehmer zu verschlechtern, war die gewählte Verteilung der Kündigungen angemessen und sachdienlich.

c)

Grundsätzlich war es der Beklagten auch nicht verwehrt, die Fehlzeiten der Belegschaft für die Sozialauswahl heranzuziehen. Zur Personalstruktur gehören auch die unterschiedlichen hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten der Arbeitnehmer. Zulässig wäre in diesem Zusammenhang unter den in Betracht kommenden Arbeitnehmern 4 Gruppen mit unterschiedlich hohen Fehlzeiten in den letzten beiden Jahren zu bilden, z. B. Arbeitnehmer ohne Fehlzeiten, mit durchschnittlichen Fehlzeiten unter 6 Wochen jährlich, mit durchschnittlichen Fehlzeiten zwischen 6 und 12 Wochen jährlich und mit durchschnittlichen Fehlzeiten von mehr als 12 Wochen jährlich. Bei den zu berücksichtigenden Fehlzeiten muss es sich allerdings um solche Fehlzeiten handeln, die auch künftig zu erwarten sind (vgl. Weigand in KR § 125 InsO Rn. 33).

Diesen Anforderungen wird die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl nicht gerecht. Zunächst ist bereits zu beanstanden, dass die Beklagte die Auswahl nach Fehlzeiten ausschließlich in der Altersgruppe der 51- bis 60-Jährigen durchgeführt hat. Auch der gewählte Zeitraum von 2009 bis zum 30.04.2012 sowie die fehlende Gruppenbildung ist zu beanstanden. Zudem lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen, dass sie ausschließlich solche Fehlzeiten berücksichtigt hat, die sich auch in Zukunft auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Eine Differenzierung nach den Arten der Fehlzeiten ist nicht vorgenommen worden.

Allein letzterer Umstand führt zu einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Berücksichtigung nur der zulässigen Fehlzeiten sich ein anderes Bild ergeben hätte.

Ferner ist auch nicht auszuschließen, dass bei Betrachtung der Fehlzeiten anderer Altersgruppen eine andere, abweichende Verteilung der Kündigungen hätte erfolgen müssen. Soweit in anderen Altersgruppen Arbeitnehmer mit erheblichen Fehlzeiten vorhanden wären, hätte dies berücksichtigt werden müssen. Eine Nichtberücksichtigung führt zu einer unzulässigen Diskriminierung wegen des Alters.

Sollten, wie der Vertreter der Beklagten in der Kammerverhandlung vortrug, in den anderen Altersgruppen keine hohen Krankheitszeiten vorhanden sein, dürfte eine Berücksichtigung der Krankheitszeiten in der Altersgruppe des Klägers zur Herstellung einer ausgewogenen Personalstruktur gar nicht notwendig sein. Jedenfalls ist die alleinige Berücksichtigung krankheitsbedingter Fehlzeiten in einer Altersgruppe nicht sachgerecht. Denn durch diese Vorgehensweise würde die Möglichkeit einer verdeckten personenbedingten Kündigung mit geringeren Anforderungen eröffnet. Dies überschreitet eindeutig den Beurteilungsspielraum.

Der Kläger ist im Hinblick auf seine Sozialdaten erheblich schützenswerter als der Großteil der Arbeitnehmer im Alter von 51 bis 60 und der Arbeitnehmer anderer Gruppen. Selbst Arbeitnehmer mit mittleren Krankheitszeiten, wie Herr B.xxx, Herr G.xxx und Frau H.xxx weisen in der Altersgruppe des Klägers weitaus geringere Zeiten der Betriebszugehörigkeit aus.

Der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers ist damit nach Auffassung der Kammer weit überschritten.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

III.

Der im Urteil festzusetzende Rechtsmittelstreitwert war auf das 3fache Bruttoentgelt zu je 1.927,00 EURO festzusetzen.

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