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Betriebsbedingte Kündigung – grob fehlerhafte Sozialauswahl – Umstrukturierung – Personalstruktur

Arbeitsgericht gibt Klage statt: Sozial ungerechtfertigte Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters.

Ein schwerbehinderter Logistiker hat vor dem Arbeitsgericht gegen seine Kündigung geklagt. Sein Arbeitgeber hatte betriebsbedingt gekündigt, weil im Unternehmen Restrukturierungsmaßnahmen geplant waren. Dabei hatte der Arbeitgeber die Sozialauswahl grob fehlerhaft durchgeführt und den Kläger zu Unrecht entlassen. Der Kläger hätte demnach auf freie Stellen im Unternehmen weiterbeschäftigt werden müssen. Der Arbeitgeber hatte argumentiert, dass der Kläger für diese Stellen aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht geeignet sei. Das Arbeitsgericht sah das anders und gab der Klage des Mitarbeiters statt. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und unverhältnismäßig gewesen. Der Arbeitgeber hätte dem Kläger im Wege einer Änderungskündigung freie Arbeitsplätze im Unternehmen anbieten müssen, was nicht geschehen war. Der Kläger hat das Recht auf Weiterbeschäftigung und ein qualifiziertes Zwischenzeugnis.

Hinweis: Das Urteil zeigt, dass Arbeitgeber bei Restrukturierungen darauf achten müssen, die Sozialauswahl korrekt durchzuführen und betroffene Mitarbeiter angemessen zu informieren und zu beraten. […]

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 18 Sa 1548/21 – Urteil vom 14.07.2022

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 18.11.2021 – 5 Ca 546/21 dahin abgeändert, dass die auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses gerichtete Klage abgewiesen wird.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 4/5 und der Kläger zu 1/5.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer Kündigung, die die Beklagte auf betriebliche Gründe stützen will.

Betriebsbedingte Kündigung - grob fehlerhafte Sozialauswahl
(Symbolfoto: Jirsak /Shutterstock.com)

Die Beklagte führt mit zwei anderen Unternehmen am Standort A einen Betrieb. Dort war der Kläger, der am 01.01.“0000″ geboren wurde und schwerbehindert ist, seit dem 05.03.1990 tätig. Der Kläger arbeitete als Logistiker im Bereich der Intralogistik. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde zwischen den Parteien nicht abgeschlossen.

Die Arbeitsaufgaben des Klägers bestanden in der Klärung von offenen Produktzugängen im Rahmen der Rechnungsprüfung, in der Ablage der Lieferscheine des Wareneingangs und der gelegentlichen Entladung von LKW. Ausweislich eines betriebsärztlichen Berichts vom 17.06.2021 besteht die Arbeit des Klägers zu 80 % aus Schreibtischtätigkeiten und zu 20 % aus Tätigkeiten in der Halle, teilweise am Stehpult. Der Betriebsarzt stellte fest, dass der Kläger aufgrund seiner chronisch rheumatischen Gelenk- und Gewebeerkrankung sowie mehrerer Sinterungen der Wirbelkörper insbesondere bei seiner Schreibtischtätigkeit nach kurzer Zeit unter starken Beschwerden im Schulter-Nacken-Bereich leidet und daher einen besonderen BAP-Stuhl mit zusätzlichen Einstellmöglichkeiten und einer zusätzlichen Kopfstütze benötigt.

Unter dem 08.12.2020 schlossen die Beklagte sowie die beiden anderen am Standort A tätigen Unternehmen mit den jeweils gebildeten Betriebsräten einen Interessenausgleich ab. Der Interessenausgleich lautet auszugsweise:

„Präambel

Die vorangehend genannten und nachfolgend einheitlich als „Gesellschaft“ bezeichneten Unternehmen bilden einen gemeinsamen Betrieb am Standort A. Sie beabsichtigen, umfangreiche Restrukturierungsmaßnahmen vorzunehmen. Hintergrund ist vor allem die Effizienzsteigerung, um weiterhin wettbewerbsfähig sein zu können. (…)

§ 2 Gegenstand der Betriebsänderung

Zum Zweck der eingangs beschriebenen Zielerreichung wird die Organisation sowohl im Stabstellen-/Verwaltungsbereich als auch in den operativen Bereichen wie nachfolgend dargestellt geändert. (…)

C. Produktion

(…)

13. Intralogistik:

Die Abteilung „Intralogistik“ besteht derzeit aus einem Abteilungsleiter, drei Teamleitern Intralogistik und 46 Mitarbeitern. Letztere werden zukünftig auf 39 Mitarbeiter reduziert (…)

Die bisher 38 Stellen „Logistiker“ werden auf 32 Stellen reduziert.

(…)

(Ergebnis: Abbau 10 Arbeitsplätze, Aufbau 3 Arbeitsplätze durch Transfers aus einer anderen Abteilung)

(…)

§ 4 Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG und Sozialauswahl

(1) Die Arbeitnehmer, die von einer betriebsbedingten Beendigungskündigung betroffen sind, sind in der fest verbundenen Anlage namentlich bezeichnet. Es handelt sich bei dieser Anlage um eine Namensliste im Sinne von § 1 Abs. 5 KSchG.

(2) Es besteht weiterhin Einigkeit, dass die Sozialauswahl ordnungsgemäß ist.“

Auf der Namensliste befinden sich die Namen von 43 Arbeitnehmern, darunter auch der Name des Klägers.

Die Sozialauswahl unter den Logistikern nahm die Beklagte mittels einer „Qualifizierungs-Matrix“ anhand einer Gruppenbildung vor:

– Gruppe 1: 8 – 10 Punkte

– Gruppe 2: 6 – 8 Punkte

– Gruppe 3: 4 – 6 Punkte

– Gruppe 4: 0 – 4 Punkte

Die Berechnung der Gesamtpunktzahl für die Einteilung in die Gruppen erfolgte anhand von vier Kompetenzfeldern, in welchen jeweils maximal 10 Anforderungspunkte erreicht werden konnten und die jeweils mit unterschiedlicher Gewichtung in die Gesamtpunktzahl einflossen. Zu 30 % in der Gesamtwertung berücksichtigt wurde das Feld „Kenntnisse“. Den Bewertungsmaßstab bildeten folgende Aspekte: Flurförderzeuge, Höhentauglichkeit, Ersthelfer/Höhenretter/LKW-Führerschein, AX (ERP-System), Selektron (AKL-Software zur Kommissionierung) und Fehlerbehebung im Automatischen Kleinteilelager, die wiederum mit unterschiedlicher prozentualer Gewichtung bewertet wurden. In diesem Bereich teilte die Beklagte dem Kläger 4,6 Punkte zu. Zu 30 % floss die „Einsatzfähigkeit“ ein. Kriterien für die Bewertung bildeten u. a. Flexibilität, Auffassungsgabe und körperliche Eignung, die jeweils unterschiedlich gewichtet wurden. Der Kläger erhielt unter „Auffassungsgabe sechs Punkte, die mit 25 % bewertet wurden. Somit erhielt er in der „Einsatzfähigkeit“ insgesamt 1,5 Punkte. Das Kompetenzfeld „Zielerreichung“ floss mit 20 % in die Gesamtbewertung ein. Darin erzielte der Kläger aufgrund der erbrachten Leistungen zwei Anforderungspunkte. Schließlich wurden „Werte und Sozialverhalten“ mit 20 % berücksichtigt. Die Beklagte bewertete den Kläger insoweit mit sechs Punkten. Kriterien waren eine positive Außendarstellung, Teamfähigkeit sowie Werte, die jeweils mit einer unterschiedlichen Gewichtung bewertet wurden. Im Gesamtergebnis erhielt der Kläger 3,4 Punkte und fiel daher in die Gruppe 4.

Die Gruppen 1 – 3 mit den höheren Punktzahlen wurden im Ergebnis gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG aus der Sozialauswahl herausgenommen. Das entschieden die Betriebsparteien – nach dem Vortrag der Beklagten – aufgrund der anstehenden Änderungen von Strukturen und Prozessen sowie der Einschätzung, dass bestimmte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur Aufrechterhaltung des Betriebes essenziell seien; aufgrund der erforderlichen Personalreduzierung komme es für die Zukunft und Leistungsfähigkeit des Unternehmens auch umso mehr auf die Personalstruktur sowie die Ausbildung und Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer an. Die Sozialauswahl fand nur noch innerhalb der acht Arbeitnehmer der Gruppe 4 anhand des folgenden Punkteschemas statt:

– 1 Punkt pro Lebensjahr (max. 35)

– 6 Punkte pro unterhaltsberechtigtes Kind

– 1 Punkt für Verheiratete wegen Unterhalts

– 2 Punkte für jedes volle Jahr Betriebszugehörigkeit (max. 70)

– Schwerbehinderung mit GdB 0,5: 5 Punkte

mit GdB 0,6: 6 Punkte

mit GdB 0,7: 7 Punkte

mit GdB 1,0: 10 Punkte

Der Kläger war innerhalb der Gruppe 4 der Arbeitnehmer mit der vierthöchsten Punktzahl. Sechs Arbeitnehmer dieser Gruppe (darunter der Kläger) wurden entlassen.

Die Beklagte reichte im Dezember 2020 und am 25.03.2021 Massenentlassungsanzeigen bei der Agentur für Arbeit in A ein; nachdem das Integrationsamt am 22.03.2021 der Kündigung des Klägers zustimmte, hörte die Beklagte am gleichen Tag den Betriebsrat sowie die Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung an und sprach dann mit Schreiben vom 31.03.2021 dem Kläger gegenüber eine Kündigung zum 31.10.2021 aus. Der Kläger hat am 06.04.2021 Kündigungsschutzklage bei dem Arbeitsgericht erhoben; die Klage ist der Beklagten am 13.04.2021 zugestellt worden.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 06.04.2021 forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 15.04.2021 ließ die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers wissen, das Zwischenzeugnis liege dem Kläger bereits vor.

Der Kläger hat bestritten, dass ein Kündigungsgrund vorliegt; er hat die Auffassung vertreten, er habe auf Stellen, die im Januar und Februar 2021 neu geschaffen worden seien, weiterbeschäftigt werden können. Der Kläger hat zudem die Auffassung vertreten, die Beklagte habe die Sozialauswahl grob fehlerhaft vorgenommen und sie aufgefordert, die Gründe mitzuteilen, die zu der getroffenen sozialen Auswahl zu Lasten des Klägers führten. – Der Kläger hat die Beklagte überdies auf Weiterbeschäftigung in Anspruch genommen und die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses begehrt.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 31.03.2021 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen;

3. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Logistiker weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Arbeitsplatz des Klägers sei infolge einer unternehmerischen Entscheidung zur Umstrukturierung des Betriebes weggefallen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das Vorliegen eines Kündigungsgrundes werde vermutet, da der Name des Klägers sich auf der Namensliste zum Interessenausgleich vom 08.12.2020 befinde; die Vermutungswirkung erstrecke sich auch darauf, dass eine Weiterbeschäftigung auf anderen Arbeitsplätzen nicht möglich sei. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang behauptet, der Kläger sei für ein Tätigwerden auf den neu geschaffenen Stellen aus gesundheitlichen Gründen ungeeignet, da er die erforderlichen körperlichen Arbeiten nicht zu erbringen im Stande sei. – Im Hinblick auf die Sozialauswahl hat die Beklagte behauptet, bei der Tätigkeit des Klägers handele es sich um eine spezifische singuläre Stelle, so dass er mit keinem anderen Arbeitnehmer vergleichbar sei. Eine Vergleichbarkeit komme allenfalls mit den Arbeitnehmern im Bereich der Intralogistik in Betracht. Nach der Qualifizierungsmatrix, die gemeinsam mit dem Betriebsrat entwickelt worden sei, sei eine Sozialauswahl nur innerhalb der niedrigsten Qualifikationsgruppe durchzuführen gewesen, der auch der Kläger angehörte. Von den 8 Arbeitnehmern, die (einschließlich des Klägers) sich in dieser Gruppe befanden, seien 6 entlassen worden, da ihre Stellen entfallen seien. Die Beklagte habe insoweit von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht, die ihr nach § 1 Abs. 3 S. 2, Abs. 5 KSchG eingeräumt seien. Das Ergebnis der Sozialauswahl sei von dem ihr zustehenden Ermessensspielraum gedeckt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Sie sei unverhältnismäßig. Die Beklagte habe dem Kläger im Wege einer Änderungskündigung die neu geschaffenen freien Arbeitsplätze im Bereich Intralogistik/Bereich-AKL und in der Montage anbieten müssen. Im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast sei nicht zu erkennen, dass der Kläger für diese Stellen gesundheitlich ungeeignet sei. Aufgrund des Streits der Parteien über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehe ein triftiger Grund für die Erteilung des begehrten Zwischenzeugnisses. Die Beklagte habe im Hinblick auf die Erfüllung dieses Anspruchs nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Angesichts der rechtsunwirksamen Kündigung könne der Kläger auch die Weiterbeschäftigung verlangen.

Das Urteil erster Instanz ist der Beklagten am 03.12.2021 zugestellt worden. Sie hat mit einem Schriftsatz, der am 21.12.2021 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt. Die Beklagte hat die Berufung mit einem am 03.03.2022 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor die Frist zur Begründung der Berufung durch gerichtlichen Beschluss bis zum 03.03.2022 verlängert worden war.

Die Beklagte meint, sie sei nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger die in Rede stehenden freien Arbeitsplätze anzubieten. Die Beklagte behauptet hierzu, der Kläger sei aufgrund seiner rheumatischen Erkrankung gesundheitlich nicht in der Lage, die auf diesen Arbeitsplätzen anfallenden Arbeitsaufgaben zu verrichten. Eine Weiterbeschäftigung komme nur auf einem Arbeitsplatz als Logistiker im AKL-Bereich in Betracht und müsse wegen der fehlenden gesundheitlichen Eignung des Klägers ausscheiden. Die Beklagte hat vorgetragen, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Erteilung des begehrten Zwischenzeugnisses zu, da er die Zustellung des Zeugnisses nicht bestritten habe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 18.11.2021 -5 Ca 546/21 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger räumt ein, das eingeforderte Zwischenzeugnis sei ihm nach Klageerhebung zugeleitet worden. Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und vertritt die Auffassung, die Sozialauswahl sei grob fehlerhaft vorgenommen worden. Die Bewertung anhand der Qualifikationsmatrix sei intransparent. Der Kläger stellt in Abrede, dass die Bewertung seiner Qualifikation zutreffe. Er behauptet, er könne alle Stellen im Bereich der Intralogistik wahrnehmen und sei mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern vergleichbar. Der Kläger hat in der Berufungsbeantwortung 9 Arbeitnehmer namentlich benannt, die nach seiner Auffassung mit ihm vergleichbar und sozial weniger schützenswert sind, unter anderem Herrn B. (Alter ca. 20 Jahre, Eintritt ca. 2012) und Herrn C. (Alter ca. 36 Jahre, Eintritt ca. 2013).

Die Beklagte hat das Vorbringen des Klägers im Hinblick auf die mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmern für verspätet gehalten und vorgetragen, die vom Kläger genannten Arbeitnehmer D. und E. seien mit ihm nicht vergleichbar; die anderen von ihm genannten Arbeitnehmer seien anders als der Kläger nach der „Qualifizierungs-Matrix“ nicht in die Gruppe 4 eingruppiert gewesen.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig.

Die Beklagte hat die Berufung form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet. Dass weder in der Berufungsschrift noch in der Berufungsbegründungs ein ausdrücklicher Antrag formuliert worden ist, steht der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen. Zwar muss die Berufung die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO). Was beantragt wird, kann sich indes auch ohne förmlichen Antrag aus der Berufungsschrift konkludent durch Auslegung ergeben (Heßler, in: Zöller, 34. Aufl. 2022, § 520 ZPO Rdnr. 30 m.w.N.). Aus der Berufungsbegründung ergibt sich hier hinreichend deutlich, dass die Berufung der Beklagten darauf gerichtet ist, das gesamte Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

II. Die Berufung hat in der Sache nur zum geringen Teil Erfolg.

1. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen.

Ein etwaiger Anspruch des Klägers ist jedenfalls durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen. In der Berufungsinstanz ist zwischen den Parteien nicht mehr streitig, dass die Beklagte dem Kläger ein Zwischenzeugnis hat zukommen lassen.

2. Die Kündigungsschutzklage des Klägers ist begründet.

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 31.03.2021 beendet worden.

Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und daher rechtsunwirksam, da die Beklagte die soziale Auswahl der Arbeitnehmer grob fehlerhaft vornahm (§ 1 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 2 KSchG).

a) Die Kündigung vom 31.03.2021 gilt nicht nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam.

Der Kläger hat die Rechtswirksamkeit der Kündigung rechtzeitig geltend gemacht. Er hat die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 S. 1 KSchG gewahrt. Es kann unterstellt werden, dass die Kündigung dem Kläger bereits am 31.03.2021 zuging. Er hat jedenfalls rechtzeitig Klage erhoben. Die Kündigungsschutzklage ist am 06.04.2021 bei dem Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am 13.04.2021 zugestellt worden.

b) Die Wirksamkeit der Kündigung richtet sich nach § 1 KSchG.

Der Kläger war, als ihm die Kündigung zuging, bereits länger als sechs Monate im Unternehmen der Beklagten tätig (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb mehr als fünf Arbeitnehmer vollzeitig (§ 23 Abs. 1 S. 2 und 4 KSchG).

c) Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, da die Sozialauswahl grob fehlerhaft erfolgte.

aa) Die Beklagte musste eine soziale Auswahl vornehmen.

(1) Eine Auswahlentscheidung musste getroffen werden, da der betriebliche Grund, auf den die Beklagte die Kündigung stützen will, nicht zum Wegfall sämtlicher Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich der Intralogistik führte.

Das ergibt sich aus § 2 C Nr. 13 des Interessenausgleichs vom 08.12.2020. Dort heißt es, dass die bisher 38 Stellen „Logistiker“, von denen Kläger eine bekleidete, auf 32 Stellen reduziert werden. Die Beklagte selbst trägt vor, (nur) 6 der Logistiker entlassen zu haben.

(2) Die Beklagte kann nicht einwenden, einer Sozialauswahl habe es nicht bedurft, da keine mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmer vorhanden seien.

Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur sozialen Auswahl dient dem Ziel, bei unvermeidbaren Kündigungen aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer den sozial stärksten Arbeitnehmer ausfindig zu machen (Rachor, in: KR, 13. Aufl. 2022, § 1 KSchG Rdnr. 650). Die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer vollzieht sich nur innerhalb des Betriebes und nur auf derselben Ebene der Betriebshierarchie; sie setzt eine arbeitsvertragliche und qualifikationsmäßige Austauschbarkeit voraus (BAG, Urteil vom 05.06.2008 – 2 AZR 907/06). Erforderlich ist zunächst, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund des zugrundeliegenden Arbeitsvertrages einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann. Die Vergleichbarkeit ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit eines anderen Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz nicht weggefallen ist, wahrnehmen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht einer Vergleichbarkeit nicht entgegen.

Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls mit 7 der Arbeitnehmer vergleichbar ist, die er in der Berufungsbeantwortung namentlich benannt hat (im Hinblick auf die Arbeitnehmer D. und E. hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass sie andere Arbeitsaufgaben als der Kläger ausführen und der Kläger mit ihnen nicht vergleichbar ist). Bei den übrigen Arbeitnehmern handelt es sich um solche, die im Bereich der Intralogistik tätig sind. Dies hat der Kläger vorgetragen, ohne dass die Beklagte dem konkret entgegengetreten ist. Die Beklagte hat selbst eingeräumt, dass die anderen Arbeitnehmer, ebenso wie der Kläger, nach Maßgabe der „Qualifikationsmatrix“ bewertet und eingruppiert worden sind (wenngleich in einer anderen Gruppe als der Kläger). Da ein schriftlicher Arbeitsvertrag, der die Einsatzmöglichkeiten des Klägers hätte einschränkend regeln können, zwischen den Parteien nicht abgeschlossen wurde, war die Beklagte gemäß § 106 S. 1 GewO befugt, dem Kläger sämtliche Logistikertätigkeiten im Bereich der Abteilung Intralogistik zuzuweisen. Dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung nicht in der Lage gewesen wäre, die Arbeitsaufgaben anderer Logistiker zu übernehmen, lässt sich nicht feststellen. Der Kläger hat behauptet, er könne alle Tätigkeiten in der Intralogistik verrichten und sei im Hinblick auf die auszuführende Tätigkeit mit den von ihm in der Berufungsbeantwortung genannten Arbeitnehmern vergleichbar. Dieser Vortrag ist nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO als zwischen den Parteien unstreitig anzusehen. Die Beklagte ist den Ausführungen des Klägers in der Sache nicht entgegengetreten. Sie hat hierzu nur die Rechtsansicht vorgetragen, der Kläger sei nach den Bewertungen aufgrund der „Qualifikations-Matrix“ in eine andere Qualifizierungsgruppe als jene Arbeitnehmer eingruppiert gewesen und deshalb mit ihnen nicht vergleichbar. Die Beklagte hat insbesondere nicht vorgetragen, dass die vom Kläger benannten Arbeitnehmer besondere Arbeitsaufgaben wahrnehmen, die der Kläger qualifikationsmäßig nicht zu erfüllen imstande ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Vorbringen des Klägers zu den mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmern in der Berufungsbeantwortung bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 67 ArbGG über die Zulassung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel steht dem nicht entgegen. Das Vorbringen des Klägers ist gemäß § 67 Abs. 2 und 3 ArbGG zulässig. Der Kläger hat es auch, wie § 67 Abs. 4 S. 1 ArbGG vorsieht, in der Berufungsbeantwortung vorgebracht.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger infolge gesundheitlicher Einschränkungen nicht in der Lage gewesen wäre, die Tätigkeiten der von ihm benannten Arbeitnehmer zu übernehmen. Auch insoweit hätte die Beklagte im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast gemäß § 138 Abs. 1 und 2 ZPO vortragen müssen, welche Tätigkeiten der genannten Arbeitnehmer den Kläger gesundheitlich überfordern. Hierzu hat sie keinen Vortrag gehalten. Die Beklagte hat nur vorgebracht, der Kläger sei gesundheitlich nicht in der Lage gewesen, die neu geschaffenen freien Stellen im Bereich der Intralogistik/AKL-Bereich und in der Montage zu bekleiden. Aus der betriebsärztlichen Stellungnahme vom 16.02.2017 geht jedenfalls hervor, dass der Kläger für das Arbeiten im Bereich der Materialwirtschaft bedingt geeignet ist. Weitere Einschränkungen im Hinblick auf bestimmte Arbeitsplätze enthält der Bericht nicht.

Unbehelflich ist der Einwand der Beklagten, der Kläger habe im Hinblick auf die von ihm ausgeübten Arbeitsaufgaben eine „singuläre Stelle“ bekleidet. Im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer kommt es nicht darauf an, ob der Kläger spezielle Arbeitsaufgaben wahrnahm, die kein anderer Arbeitnehmer verrichtete. Maßgeblich ist vielmehr, ob dem Kläger Arbeitsaufgaben anderer Arbeitnehmer hätten übertragen werden können.

bb) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die vom Kläger benannten Arbeitnehmer seien gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen.

Nach dieser Vorschrift sind Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Insoweit gilt (BAG, Urteil vom 19.07.2012 – 2 AZR 352/11), dass das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das des Betriebs an einer Herausnahme von Leistungsträgern abzuwägen ist; je schutzbedürftiger dabei der sozial schwächere Arbeitnehmer ist, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein. Weil § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG eine Ausnahmevorschrift darstellt, beschränkt sich die Prüfung nicht auf eine Plausibilitäts- oder Missbrauchskontrolle des Arbeitgebers (Rachor, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 678). Der Arbeitgeber ist im Rahmen des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG für das Vorliegen der berechtigten betrieblichen Bedürfnisse darlegungs- und beweispflichtig (BAG, Urteil vom 20.04.2005 – 2 AZR 201/04), da er sich auf einer Ausnahmevorschrift beruft.

Die Kammer geht zugunsten der Beklagten davon aus, dass vor dem Hintergrund einer Betriebsänderung ein formwirksamer Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen wurde und dass die Sozialauswahl deshalb nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann. Dieser Prüfungsmaßstab gilt auch für die Frage, ob Arbeitnehmer zu Recht gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG aus der Sozialauswahl herausgenommen worden sind (BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 420/09). Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert nichts an der Verteilung der Darlegungslast, diese trägt weiterhin der Arbeitgeber (LAG Niedersachsen, Urteil vom 30.06.2006 – 10 Sa 1816/08; Rachor, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 798).

Die Sozialauswahl ist nur dann grob fehlerhaft, wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt, oder wenn der auswahlrelevante Personenkreis evident verkannt wurde und sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer als grob fehlerhaft erweist (BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 529/11 m.w.N.). Selbst nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab lässt sich die Herausnahme eines Großteils der Logistiker aus der notwendigen Sozialauswahl nicht rechtfertigen. Die Beklagte beschränkte die Sozialauswahl auf die Arbeitnehmer, die nach den Maßstäben der „Qualifizierungs-Matrix“ in der niedrigsten Qualifizierungsgruppe befanden. Dabei handelte es sich um 8 Arbeitnehmer. Die übrigen 30 Arbeitnehmer aus den höheren Qualifizierungsgruppen bezog die Beklagte nicht in die Sozialauswahl ein. Berechtigte betriebliche Interessen dafür liegen offensichtlich nicht vor.

(1) Die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer in den Qualifizierungsgruppen 1 bis 3 liegt nicht zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse.

§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG erkennt nur die Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur als berechtigtes betriebliches Interesse an, nicht aber deren Herstellung, d. h. die Veränderung der bisherigen Personalstruktur (Rachor, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 690 m.w.N.). Das ergibt sich aus der Gegenüberstellung von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG und § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Der Arbeitgeber kann zur Erhaltung einer bestimmten Personalstruktur des in Betracht kommenden Personenkreises abstrakte Gruppen mit unterschiedlichen Strukturmerkmalen bilden und aus jeder Gruppe eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern festlegen, die nicht in die Auswahl einbezogen werden sollen; der Arbeitgeber hat dabei einen gewissen Beurteilungsspielraum (zu Altersgruppen: BAG, Urteil vom 20.04.2005 – 2 AZR 201/04; vgl. auch Rachor, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 694 m.w.N.). Auch eine Gruppenbildung nach Ausbildung und Qualifikation ist zulässig (BAG, Urteil vom 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, Urteil vom 28.08.2003 – 2 AZR 368/02), da zur Personalstruktur auch die Leistungsstärke der Belegschaft gehört. Erhaltung der Leistungsstärke der Belegschaft bedeutet, dass das Verhältnis der leistungsstärkeren zu den leistungsschwächeren Arbeitnehmern in etwa gleich bleibt (Rachor, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 698; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345, 349). Der Arbeitgeber kann daher z. B. für die Mitarbeiter, die für eine Sozialauswahl in Betracht kommen, eine Leistungsbeurteilung anfertigen lassen, dann Gruppen bilden und aus diesen Gruppen anteilig gleich viele Arbeitnehmer entlassen.

Diese Grundsätze missachtete die Beklagte im Kern. Sie nahm zwar eine Gruppenbildung vor, sah jedoch davon ab, aus den gebildeten Qualifizierungsgruppen anteilig gleich viele Arbeitnehmer zu entlassen. Sie beschränkte vielmehr die Sozialauswahl unzulässigerweise auf die Qualifizierungsgruppe, in der sich die Arbeitnehmer befanden, die nach dem Vortrag der Beklagten bei der Bewertung ihrer Qualifikation nach Maßgabe der „Qualifizierungs-Matrix“ die geringste Punktzahl erreichten und mithin die geringste Qualifikation aufwiesen. Dadurch, dass ausschließlich Arbeitnehmer jener Qualifizierungsgruppe entlassen wurden, wurde im Ergebnis nicht die Personalstruktur erhalten, sondern verbessert. Denn die Beklagte entledigte sich ausschließlich derjenigen Arbeitnehmer, die, den Bewertungsmaßstab der „Qualifizierungs-Matrix“ zugrunde gelegt, am wenigsten qualifiziert waren. Das hat notwendigerweise eine Erhöhung der durchschnittlichen Qualifikation zur Folge. An einer solchen Maßnahme bestehe jedoch kein anzuerkennendes betriebliches Interesse. Der Grundgedanke der Sozialauswahl wird geradezu in sein Gegenteil verkehrt, weil für das Ergebnis der Auswahl letztlich nicht mehr soziale Kriterien, sondern ausschließlich die Qualifikation der Arbeitnehmer von Belang ist.

Es ist zudem Sache des Arbeitgebers, die Art der Personalstruktur zu benennen, die er aufrechterhalten will und die Kriterien für die Bildung von Gruppen zur Sicherung der entsprechenden Personalstruktur aufzustellen (Rachor, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 707). Hierzu hat die darlegungsbelastete Beklagte nichts Substantiiertes vorgetragen. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, welche der in der „Qualifizierungs-Matrix“ vorgesehenen Leistungskriterien von besonderer Wichtigkeit sind und welcher Anteil von Arbeitnehmern, die den Anforderungen dieser Kriterien genügen, für die betriebliche Tätigkeit notwendig ist.

(2) Es lässt sich nicht feststellen, dass die Weiterbeschäftigung der einzelnen Arbeitnehmer in den Qualifizierungsgruppen 1 bis 3, die der Kläger benannt hat, wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.

„Berechtigt“ sind vom Arbeitgeber geltend gemachte betriebliche Interessen nur dann, wenn sie dem Betrieb gemessen an dem vom Arbeitgeber frei bestimmten Unternehmenszweck einen nicht unerheblichen Vorteil bringen, der bei der reinen Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht zu erreichen wäre (Kiel, in: Ascheid/Preis/Schmidt, 6. Aufl. 2021, § 1 KSchG Randnr. 679; Rachor, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 678 m.w.N.). Mit den Begriffen „Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen“ werden die sogenannten Leistungsträger des Betriebes erfasst. Es ist Sache des Arbeitgebers, besondere Kenntnisse und Fähigkeiten von Mitarbeitern auf vergleichbaren Arbeitsplätzen darzulegen, die er für die Erreichung des Unternehmensziels für erforderlich hält. Wegen des Ausnahmecharakters von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG kann mit dieser Bestimmung regelmäßig nicht ein Ausschluss erheblicher Teile der Belegschaft aus der Sozialauswahl gerechtfertigt werden (Kiel, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 676; Rachor, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 683 m.w.N.). Dem Arbeitgeber obliegt es, die jeweils erforderliche Zahl der Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten und Kenntnissen festzulegen und im Streitfall konkret darzulegen, welche Vorteile die Weiterbeschäftigung dieser Arbeitnehmer für den Betrieb bringt.

Hierzu hat die Beklagte nichts Konkretes vorgebracht. Sie hat nicht bezogen auf einzelne Personen dargelegt, dass die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer in den Qualifizierungsgruppen 1 bis 3 oder jedenfalls der Arbeitnehmer, die der Kläger in der Berufungsbeantwortung namentlich aufführt, dem Betrieb einen erheblichen Vorteil bringt. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die in der „Qualifizierungs-Matrix“ vorgesehenen Kriterien überhaupt solche sind, deren Vorhandensein bei einzelnen Arbeitnehmern dem Betrieb konkret nutzt. Zudem ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Verfahrensschritte die „Bepunktung“ der einzelnen Arbeitnehmer erfolgte. Letztlich hat die Beklagte nur das Ergebnis der qualifikationsmäßigen Bewertung der Logistiker mitgeteilt. Ohne näheren Vortrag hierzu lässt sich aber die Herausnahme von Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG überhaupt nicht gerichtlich kontrollieren. Damit ist auch die erforderliche Abwägung zwischen den berechtigten betrieblichen Interessen und dem Sozialschutz des gekündigten Arbeitnehmers nicht möglich. Die in § 1 Abs. 3 KSchG getroffene gesetzliche Wertung wird insofern grundsätzlich verkannt und ist grob fehlerhaft.

(3) Sonstige betriebliche Interessen, die eine Herausnahme der Arbeitnehmer in den Qualifizierungsgruppen 1 bis 3 rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

cc) Das Ergebnis der Sozialauswahl erweist sich auch konkret bezogen auf den Kläger als grob fehlerhaft.

Die Arbeitnehmer B. und C. sind nach ihren Sozialdaten evidentermaßen weniger schutzwürdig als der Kläger. Der Kläger ist sowohl im Hinblick auf das Kriterium des Lebensalters, der Betriebszugehörigkeit und der Schwerbehinderung sozial schutzwürdiger. Dass die Arbeitnehmer B. und C. Unterhaltspflichten in einem Umfang treffen, der die höhere soziale Schutzbedürftigkeit des Klägers relativieren könnte, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Sie hat zu den Sozialdaten dieser Arbeitnehmer keinen näheren Vortrag gehalten.

3. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist begründet.

Die Entstehung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs nach Ausspruch einer Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist hängt von einer Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgeber im Einzelfall ab (BAG GS, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1 /84). Denn grundsätzlich gilt, dass nach dem Ausspruch einer Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers überwiegt. Durch den Ausspruch der Kündigung entsteht nämlich eine Ungewissheit über den weiteren Bestand des Arbeitsverhältnisses, es sei denn, die Kündigung ist offensichtlich unwirksam. Das Weiterbeschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt jedoch, falls das Arbeitsgericht seiner Kündigungsschutzklage stattgibt. In diesem Fall ist die Unwirksamkeit der Kündigung im Allgemeinen wahrscheinlicher als ihre Wirksamkeit, so dass die mit Ausspruch der Kündigung eingetretene Ungewissheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Gründe für eine abweichende Bewertung der Interessen sind im Streitfall nicht ersichtlich.

Die Beklagte kann nicht einwenden, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei nur als Logistiker im AKL-Bereich möglich. Aufgrund der grob fehlerhaft durchgeführten Sozialauswahl muss auch eine Weiterbeschäftigung auf den Arbeitsplätzen anderer, sozial weniger schutzwürdiger Logistiker in Betracht gezogen werden. Das entspricht der Titulierung des Weiterbeschäftigungsanspruchs; die Beschäftigung als „Logistiker“ lässt das Direktionsrecht der Beklagten unberührt. Die Beschäftigung des Arbeitnehmers ist nicht unmöglich, solange die Zuweisung anderer vertragsgerechter Tätigkeiten möglich ist (BAG, Urteil vom 21.03.2018 – 10 AZR 560/16).

Die Beklagte ist, auch nachdem nunmehr eine zweitinstanzliche Entscheidung vorliegt, verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens vertragsgemäß zu beschäftigen. Zwar hat das Berufungsgericht die Revision im Urteil nicht zugelassen. Indessen ist (im Sinne des klägerseitigen Antrags) nicht von einem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens auszugehen, solange nicht zumindest nicht die Frist für eine Nichtzulassungsbeschwerde abgelaufen ist oder diese zurückgewiesen wurde.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1, 2. Variante ZPO. Da beide Parteien im Rechtsstreit teils obsiegten, teils unterlagen, waren die Kosten verhältnismäßig zu teilen.

IV. Es besteht keine Veranlassung, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere wirft der Rechtsstreit keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

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